Читать книгу Die innere Struktur der DP in den altindogermanischen Artikelsprachen - Pauline Weiß - Страница 24

I.6.1 Zur Kategorie Artikel allgemein

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Der Terminus Artikel leitet sich von dem lateinischen Wort articulus her und bedeutet ‚Gelenkchen‘. Der lateinische Ausdruck ist eine „Übersetzung“ des griechischen grammatischen Begriffs gr. ἄρθρον ‚Glied, Gelenk‘, der schon seit dem 4. Jh. v. Chr. im Gebrauch ist. Im Allgemeinen wird der Artikel als Begleiter des Nomens beschrieben. Ein Artikel kann als freies oder gebundenes Morphem auftreten. Dabei ist er immer phonologisch sowie morphologisch abhängig vom Kopfnomen, d.h. er kann nicht ohne Bezugselement stehen.

Die Kategorie Artikel gliedert sich in definiten, indefiniten und Nullartikel. Der Nullartikel ist in der Oberflächenstruktur der Sprache nicht zu sehen, dennoch modifiziert er eine Phrase. Das bedeutet, auch wenn in einer nominalen Phrase kein Artikel zu sehen ist, wird mitunter angenommen, dass ein Nullartikel vorhanden ist und z.B. Kasusmarkierung auslöst. Allerdings ist der Nullartikel umstritten. Während Engel (2004) bspw. den Nullartikel befürwortet1, sprechen andere Forscher stattdessen von Artikellosigkeit. Pérennec (1993) fasst dies im Bezug auf den Artikel in Texten wie folgt zusammen:

„… Auf der Ebene des Textes aber kann nur von einer Opposition zwischen Artikelsetzung und Artikellosigkeit die Rede sein, wobei Artikellosigkeit nicht mit einem Nullzeichen gleichgesetzt wird, sondern die Entbehrlichkeit jedes expliziten Determinans anzeigt. …“2

Für die vorliegende Arbeit ist das Vorkommen des Artikels innerhalb von Texten von vorrangigem Interesse, da von den alten Sprachen natürlich keine gesprochenen Zeugnisse existieren. Aufgrund des Fokus der Untersuchung kann hier nicht entschieden werden, ob die Annahme eines Nullartikels sinnvoll ist oder nicht. Ich gehe von Pérennecs (1993) eben genanntem Fazit aus und bespreche den Nullartikel nicht weiter.3

Ferner herrscht in den Grammatiken der deutschen Sprache Uneinigkeit darüber, wie der Artikel einzuordnen ist. Einige Forscher sprechen von Artikelwörtern, wozu neben dem Artikel auch Possessiva zählen. Per definitionem darf aber maximal ein Artikelwort vor einem Nomen stehen.4 Doch in einigen Sprachen können Possessivpronomina mit einem bestimmten Artikel in einer Phrase vorkommen, d.h. sie teilen das gleiche Kopfnomen. Daher wird die Klassifikation Artikelwörter abgelehnt. Engel (2004) nimmt eine Klasse Determinative an. Ein Determinativ ist ein „… obligatorischer Satellit des Nomens …“.5 Diese Kategorie umfasst neben dem Artikel auch Possessiva, Demonstrativa/Definita, Indefinita, Negativa und Interrogativa. Noch weiter gefasst ist der Begriff Determinierer6 oder Determinator.7 Neben Artikel und Pronomina werden auch quantifizierende Elemente in diese Klasse gerechnet. In dieser Untersuchung werden Pronomina jedoch als deklinierbare Wörter, die in der Regel anstelle einer Nominalgruppe auftreten, verstanden. Ein Artikel kann demgegenüber nicht ohne ein Bezugswort stehen. Zudem kann ein Artikel ein flektierendes oder invariables Morphem sein. Somit wird von einer Zuordnung des Artikels zu den Pronomina abgesehen. Quantifizierer übernehmen eine gänzlich andere Funktion als Artikel. Sie dienen der Mengen- und Größenangabe, während der bestimmte Artikel vorrangig Definitheit markiert. So wird weder mit der Kategorie Determinativ noch mit der Klasse Determinierer gearbeitet, da beide zu unscharf definiert sind. Denn dann, wie Vater (1979) erläutert, müssten auch Adjektive in die Klasse der Determinative eingeordnet werden. Schließlich sind sie ebenfalls verbindliche Begleiter von Nomina und bestimmen diese näher.8 Diese Kritik kann auch am Begriff Determinierer vorgenommen werden.

In dieser Arbeit ist der definite Artikel als Determinans klassifiziert. Ein Determinans wird als funktionales Element definiert, das die Komplement-NP beeinflusst (vgl. Kap. I.4.2). Zu dieser Kategorie zählen neben dem Artikel auch Demonstrativa. Determinantien können sowohl transitiv als auch intransitiv sein. Wenn sie transitiv sind, haben sie ein nominales Komplement. Erscheinen sie aber intransitiv, dann weisen sie kein Komplement auf, sondern sind pronominal. Possessiva gehören nicht in diese Kategorie, da sie in der Funktion als Pro-Form einen Genitiv substituieren können, d.h. sie anaphorisieren. In dt. sein Bleistift ersetzt das Possessivum dt. sein z.B. einen Eigennamen im Genitiv, wie dt. Peters Bleistift. Auch Olsen (1991) ordnet die Possessiva nicht den Determinantien zu. Sie schreibt: „… Possession ist eine zweistellige Relation, die zwischen einem Besitzer und einem zweiten Objekt besteht. …“9 Wenn ein Possessivum den Platz des Determinans einnehmen würde, könnte es diese zweistellige Relation nicht mehr deutlich ausdrücken. Die Possessiva können schon allein aus dem Grund nicht zu den Determinantien gerechnet werden, weil sie in einigen Sprachen gleichzeitig mit einem Determinans auftreten können. Schließlich lässt die Struktur der Determinansphrase nur jeweils ein Determinans zu.

Während das Nomen das lexikalische Material stellt, ist ein Artikel semantisch leer. Er besitzt keinen deskriptiven Inhalt, sondern ist ein grammatisches Mittel, das der Determination dient, i.e. er ist ein funktionales Element. Ein bestimmter Artikel hat die Aufgabe, eine Nominalphrase als [+definit] zu markieren, d.h. im Falle des Artikels, dass das Nomen, das er begleitet, für etwas Konkretes steht (vgl. Kap. I.5.1). Der Artikel erfüllt demnach die Funktion, Bekanntes gegen Unbekanntes abzugrenzen, oder in anderen Worten: Identifizierbarkeit gegenüber Unidentifizierbarkeit auszudrücken. Wird ein Element als bekannt markiert, dann handelt es sich um etwas, das entweder bereits erwähnt wurde oder allgemein bekannt sein dürfte.10

Definitheit zeigt also an, „… dass der Referent eindeutig (direkt oder indirekt) identifizierbar ist …“11, was die Einzigartigkeit des Bezeichneten impliziert. So grenzt der Artikel einen festgelegten Teil aus einer größeren Menge ab. Die Markierung indefinit dagegen wird verwendet, wenn es sich um ein „… beliebiges Element einer Menge …“12 handelt. Die Phrase dt. ein Haus besagt bspw., dass es sich in der jeweiligen Kommunikationssituation um irgendein Haus handelt (dt. Haus ist also als unbekannt markiert), während die Phrase dt. das Haus ein bestimmtes Haus meint. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Wissen, das Sprecher und Hörer miteinander teilen. Ein Sprecher wird den Definitartikel nur dann wählen, wenn er davon ausgeht, dass der Hörer weiß, worum es sich handelt, bzw. ist der Hörer angehalten, eine Determinansphrase mit definitem Artikel anders zu deuten als eine Phrase mit indefinitem Artikel. Hierfür muss vorausgesetzt sein, dass Hörer und Sprecher über gemeinsames Weltwissen bzgl. der jeweiligen Bestandteile der Phrase verfügen.

In einem Text kann die Verwendung eines definiten Artikels eine Anweisung sein „… im umgebenden Text nach Bezugselementen zu suchen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Textdeixis. …“13 Der Artikel besitzt also auch weisende bzw. zeigende Eigenschaften, i.e. ein Artikel ist schwach deiktisch. Die Deixis erfüllt die Aufgabe, Beziehungen zwischen Objekten herzustellen. Da die zeigende Funktion nicht so stark ausgeprägt ist wie bei einem Demonstrativpronomen, wird hier zwischen starker und schwacher Deixis unterschieden.

Des Weiteren etabliert ein bestimmter Artikel eine referentielle Relation, d.h. durch die Kombination des Artikels mit einem Bezugswort wird sprachlich auf nichtsprachliche Elemente, die in der Welt des Sprechers existieren, verwiesen. Diese Elemente können durch einen Leser oder Hörer eindeutig identifiziert werden. Dabei erfüllt der Artikel eine koordinative Aufgabe, da er der Ermittlung des korrekten Referenten dienlich ist. Der definite Artikel verfügt also über das Merkmal [+referenzfähig]. Referenz wird in der Regel immer durch eine Phrase ausgedrückt, nur selten durch eine einzelne Konstituente. Der bestimmte Artikel macht demnach aus einem Nomen eine referentielle Einheit, wobei durch Definitheit der Phrase eine eindeutige Referenzbeziehung etabliert wird.

Hawkins (1978) differenziert verschiedene Typen referentieller Verwendungen des definiten Artikels.14 Ein bestimmter Artikel kann anaphorisch operieren, d.h. er ist als Anweisung an den Hörer/Leser, im vorausgegangenen Kontext nach einem passenden Referenten zu suchen, zu interpretieren. Der Referent wurde demnach kürzlich erwähnt und ein anaphorisch verwendeter Artikel verweist auf diesen, i.e. etabliert eine referentielle Relation und markiert die Einzigartigkeit des Denotats. Die zweite Verwendung des definiten Artikels nennt Hawkins (1978) the visible situation use. Hierbei muss die Einzigartigkeit des Benannten gegeben sein, d.h. Sprecher und Hörer können den richtigen Referenten eindeutig identifizieren. In diesem Sinne gilt der Referent als sichtbar für Hörer und Sprecher. Davon unterscheidet Hawkins the immediate situation use. Hierbei muss das Denotat in der unmittelbaren Kommunikationssituation existieren, jedoch nicht zwangsweise für Sprecher und Hörer sichtbar sein. In einer konkreten Kommunikationssituation kann der Sprecher bspw. auf einen Gegenstand, der nicht im direkten Sichtfeld der Kommunikationspartner ist, erfolgreich verweisen, wenn beide Gesprächsteilnehmer von der Existenz des Objekts wissen. Eine weitere Verwendung des definiten Artikels beschreibt Hawkins (1978) als larger situation use. Hierbei referiert der Artikel auf Denotate in größeren oder umfangreicheren Situationen. Damit ist gemeint, dass der Referent nicht in der unmittelbaren Kommunikationssituation anwesend oder sichtbar ist. Es kann sprachlich auf Konzepte, Begriffe, Gegenstände etc. Bezug genommen werden, die im Weltwissen der Gesprächsteilnehmer verankert sind. Voraussetzung ist, dass Sprecher und Hörer beide über das entsprechende Wissen verfügen und der Hörer den richtigen Referenten lokalisieren bzw. zuordnen kann.

Die bisher vorgestellten referentiellen Verwendungen des definiten Artikels beziehen sich vorrangig auf tatsächliche Gesprächssituationen, selten auf Texte. In textueller Kommunikation spricht Hawkins (1978) von einer assoziativen anaphorischen Verwendung des Artikels, welche die häufigste ist. Hierbei kann eine Phrase ein komplexes Set an daraus folgenden Assoziationen des Sprechers etablieren. Ist die Rede bspw. von einem Haus, kann der Sprecher/Autor im folgenden definite Phrasen wie die Fenster oder das Dach verwenden, ohne sie vorher einführen zu müssen, da dem Hörer/Leser klar ist, dass diese zu dem genannten Haus gehören. Ein sprachlicher Ausdruck kann somit die Verwendung weiterer definiter Phrasen gewährleisten, wobei auch hier der Sprecher/Autor und der Hörer/Leser über gemeinsames Weltwissen verfügen müssen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des Artikels ist the unfamiliar use. Hierbei ist die Verwendung des Artikels weder situationsabhängig noch assoziativ angelegt, sondern der Artikel führt einen bisher nicht genannten Referenten ein, der in der Regel durch attributive Elemente, z.B. einen Relativsatz oder ein Genitivattribut, so spezifiziert wird, dass die Phrase als [+definit] interpretiert werden kann. Die Verwendungen des Artikels bei Hawkins beziehen sich auf Anwendung in Kommunikationssituationen, d.h. sein Ansatz ist pragmatisch orientiert.15 Hawkins’ (1978) Darstellung der Verwendung des definiten Artikels unterstreicht insgesamt, dass die Verwendung eines definiten Artikels immer eine Suchanweisung nach dem passenden, einzigartigen Referenten ist, was die referentielle Hauptfunktion eines definiten Artikels beschreibt. Insgesamt muss stets Eindeutigkeit des Denotats und dessen korrekte Zuordnung möglich sein, i.e. der Referent muss identifizierbar und lokalisierbar sein, wenn anhand des definiten Artikels in Kommunikations-situationen, d.h. in Gesprächen ebenso wie in Texten, erfolgreich referiert werden soll.

Semantische Determination ist als Abgrenzung zu verstehen, wobei ein konkreter Referent von anderen möglichen Denotaten unterschieden wird. Dennoch liegt die Funktion eines Artikels nicht nur vorrangig in der semantischen Determination. So weist Bisle-Müller (1991) bspw. darauf hin, dass der definite Artikel nicht vordergründig der Hervorhebung dient, „… sondern [er] wird gerade da verwendet, wo auf selbstverständliche Weise definit referiert wird. …“16 Dies mag in erster Linie für das Deutsche zutreffen, da man hier die Verwendung des definiten und indefiniten Artikels als selbstverständlich auffassen kann. Aber in den alten Sprachen existiert noch kein indefiniter Artikel und auch der definite Artikel ist im definiten Kontext noch nicht obligatorisch. Nach der DP-Analyse ist die wichtigste Eigenschaft der Kategorie D, den Kasus der NP auszulösen. Ein Determinans ist ein funktionales Element, d.h. es ist für die grammatischen Merkmale der Nominalphrase verantwortlich. Dazu zählen Lizenzierung von Spezifizierern und Markierung der Kongruenzmerkmale. Mit Lizenzierung eines Spezifizierers ist gemeint, dass D einem möglichen Possessor Kasus zuweist. D verfügt also über das Merkmal [POSS]. Der Begriff Kongruenzmerkmale spricht die Eigenschaft der Kategorie D an, Kasus, Numerus und Genus den ihr untergeordneten Elementen zuzuweisen. Kurz spricht man von AGR bzw. Agreement-Merkmalen. Das Genus ist entweder bereits im Lexikon des Komplements enthalten und wird von D übernommen oder in intransitiver Realisierung verfügt D selbst über dieses Merkmal. Für das Merkmal Numerus sind sowohl die im Lexikon verankerten Eigenschaften des Komplements als auch distributionelle und syntaktische Regeln konstitutiv. Im Gegensatz dazu ist das Merkmal Kasus „… eindeutig nicht vom Lexikoneintrag eines Nomens abhängig …“.17 Weiter heißt es bei Löbel (1990): „… Kasus wird einer DP von außen zugewiesen, d.h. dieses Merkmal ist nicht intern, sondern extern bedingt und muß in jedem Fall realisiert sein, da es bekanntlich eine DP ohne Kasus nicht geben darf. …“18 Felix (1990) schreibt, dass die Merkmale Kasus, Numerus und Genus in den indogermanischen Sprachen normalerweise anhand der Nominalflexion ausgedrückt werden.19 Dies ist auch bei den Untersuchungssprachen der Fall, bis auf Armenisch, das kein Genus besitzt. Diese Funktion wird syntaktische Determination genannt. Die Markierung von Phrasen als [+definit], i.e. das Bestimmen eines konkreten Referenten, wurde als semantische Determination bezeichnet. Die Hauptfunktion eines Artikels bzw. eines Determinans ist es also, semantisch und syntaktisch zu determinieren.

Als Arbeitsdefinition ist also festzuhalten, dass ein definiter Artikel ein Determinans ist, i.e. ein obligatorischer Begleiter eines Bezugselementes, von welchem er abhängig ist und das er selbst selegiert. Ein Artikel hat keinen deskriptiven Inhalt, sondern ist ein rein funktionales Element. Er ist referenzfähig und markiert Definitheit, was schwache deiktische Eigenschaften impliziert. Zudem löst er die Agreement-Merkmale der NP aus und übernimmt koordinative Funktionen, wobei pro DP nur ein Artikel erlaubt ist.

Die innere Struktur der DP in den altindogermanischen Artikelsprachen

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