Читать книгу Die innere Struktur der DP in den altindogermanischen Artikelsprachen - Pauline Weiß - Страница 26
I.6.3 Zum albanischen Artikel
ОглавлениеDas Albanische weist laut den Grammatiken zwei Artikel auf, einen präponierten und einen postponierten. Beide Elemente teilen die gleiche phonologische Gestalt und flektieren. Unterschiedlich ist jedoch ihre Position sowie ihre Funktion.
Der postponierte Artikel wird als definiter Artikel klassifiziert, d.h. seine Hauptfunktion liegt in der Determination.1 Aufgrund seiner enklitischen Natur und seiner Funktion als Definitheitsmarker kann der bestimmte Artikel nicht isoliert stehen; vgl.
(4) alb. BUZ Kap4/fol9v.29
Antifën-a |
Antwort.Subst.-die.Art. |
Nom.Sg.f. |
‚die Antwort‘ |
In den Balkansprachen findet sich häufiger die Nachstellung des definiten Artikels. So verfügen bspw. auch das Rumänische und Bulgarische über einen postpositiven definiten Artikel. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen des Balkansprachbundes. Zu diesem zählen neben dem Albanischen, Rumänischen und Bulgarischen u.a. auch das Mazedonische und Serbische. Die Balkansprachen teilen aufgrund gemeinsamer Einflüsse einige sprachliche Besonderheiten. Neben dem nachgestellten Artikel gehören bspw. auch das Fehlen des Infinitivs oder der Kasussynkretismus von Genitiv und Dativ dazu.
Der sog. freistehende Artikel des Albanischen ist in der Regel kein Definitheitsmarker, obwohl in den Grammatiken vorrangig der Terminus verwendet wird. So spricht Demiraj (1993) vom freistehenden Artikel und Buchholz/Fiedler (1987), Pekmezi (1908) sowie Matzinger (2006) vom präpositiven bzw. vorangestellten Artikel.2 Daneben finden auch die Bezeichnungen Gelenksartikel oder attributiver Artikel Anwendung. Mann (1977) klassifiziert den Artikel als connecting particle und Kallulli (1999), die sich allerdings mit dem modernen Albanischen beschäftigt, beschreibt ihn als AGR-Marker.3 Hendriks (1982), der ebenfalls das moderne Albanische untersucht, bezeichnet den sog. freistehenden Artikel je nach Funktion als adjektivische Partikel oder connective.4 Vorerst wird provisorisch vom sog. freistehenden Artikel gesprochen.
Der sog. freistehende Artikel übernimmt für einen typischen Artikel eine unübliche Funktion. Er schließt Genitivattribute an das regierende Substantiv an und tritt dabei in dessen Kasus; vgl.
(5) alb. MAT 17v.10–11
ndëljesë-në | e | mkatëve-t |
Vergebung.Subst.-die.Art. | AgrMGen | Sünde.Subst.-der.Art. |
Akk.Sg.f. | Akk.Sg.f. | Gen.Pl.f. |
‚die Vergebung der Sünden‘ |
Da das Morphem in dieser Funktion zwei Nomen verbindet, nennt ihn Hendriks (1982) connective. Daneben kommt der sog. freistehende Artikel im Altalbanischen, wie im modernen Albanischen, als obligatorisches Wortbildungselement bei einer Klasse von Adjektiven vor, i.e. den Artikel-Adjektiven oder nach Hendriks (1982) Partikel-Adjektiven; vgl.
(6) alb. MAT 13v.5
i | fuqīshim |
AgrM | mächtig.Adj. |
Nom.Sg.m. | - |
‚mächtig‘ |
Ferner tritt der sog. freistehende Artikel als Wortbildungselement bei Numeralia sowie bei einigen Pronomina in Erscheinung; vgl.
(7) alb. BUZ Kap4/fol9v.48
sy-të | t’em |
Auge.Subst.-das.Art. | AgrM-mein.PossPron. |
Akk.Pl.m. | Akk.Sg.m. |
‚meine Augen‘ |
Im Hinblick auf den sog. freistehenden Artikel bei den Artikel-Adjektiven wird mit Demiraj (1993) und Matzinger (2006) angenommen, dass der sog. freistehende Artikel nach dem Wegfall der Kongruenzmorpheme bei den Adjektiven diese Aufgabe übernahm.5 Dies kann auch für die Pronomina angenommen werden, da dort in der Regel nur der sog. freistehende Artikel die AGR-Merkmale anzeigt. Der sog. freistehende Artikel ist also ein obligatorisches Element gewisser Lexeme. Seine Hauptfunktion liegt in der Realisierung der Agreement-Merkmale, denn das zweite Element bei den Artikel-Adjektiven und den Pronomina ist nicht in der Lage Kasus, Numerus oder Genus anzuzeigen. Durch die Markierung wird eine Kongruenzbeziehung zu anderen Konstituenten etabliert. Somit kann der sog. freistehende Artikel Elemente verbinden oder Attribute an übergeordnete Nomen anschließen. In dieser Hinsicht erfüllt er eine syntaktische Aufgabe.
Zudem ist das Morphem ein morphologisches Element mit wortbildender Funktion. Er erscheint bei den Artikel-Adjektiven, bei Ordinalia, bei den Possessiva, bei dem Demonstrativum alb. i tillë ‚solcher‘, bei dem Relativpronomen i cili ‚welcher‘ sowie bei gewissen Substantiven. Schließlich bildet noch das Indefinitpronomen alb. tjetër ‚andere‘ den Plural mit dem sog. freistehenden Artikel, i.e. mask. të tjerë, fem. të tjera. Auch bei dem Interrogativum alb. i sati ‚der wievielte?‘ ist der sog. freistehende Artikel Wortbildungselement. Alb. i sa-t-i enthält zudem auch den enklitischen Artikel und das Adjektivsuffix alb. -t(ë). Daneben finden sich das Adjektivsuffix und der sog. freistehende Artikel auch als Teil des Interrogativums alb. i sej-të ‚woraus‘ wieder.
Auch in Kombination mit Genitivattributen ist der sog. freistehende Artikel obligatorisch. Hier dient er der Unterscheidung des Genitivs vom Dativ, da beide Kasus im Altalbanischen zusammengefallen sind. Bemerkenswert ist, dass der sog. freistehende Artikel stets vor dem Genitivattribut steht, aber kongruent zum regierenden Nomen ist; vgl.
(8) alb. BUZ Kap1/fol9.9
frujt-i | i | barku-t | t’it |
Frucht.Subst.-die.Art. | AgrMGen | Bauch.Subst.-der.Art. | AgrM-dein.PossPron. |
Nom.Sg.m. | Nom.Sg.m. | Gen.Sg.m. | Gen.Sg.m. |
‚die Frucht deines Bauches‘ |
Der sog. freistehende Artikel übernimmt daher eine morphosyntaktische Funktion, da er die Bezüge innerhalb der Phrase anzeigt. Dadurch, dass er die AGR-Merkmale des regierenden Substantivs annimmt, stellt er einen syntaktischen Bezug zwischen Bezugswort und Genitivattribut her. In jeder Funktion ist der sog. freistehende Artikel stets ein gebundenes Morphem, das nicht ohne Bezugselement stehen kann.
Je nach dem ob der sog. freistehende Artikel in definiter oder indefiniter Umgebungen steht, zeigt er andere Kasusformen; vgl.
Tabelle 1: Kasusformen des sog. freistehenden Artikels
Mask. | Fem. | Neutr. | ||||
indefinit | definit | indefinit | definit | indefinit | definit | |
Nom.Sg. | i | i | e | e | të | e |
Akk.Sg. | të | e | të | e | të | e |
Gen.-Dat.Sg. | të | të | të | së 6 | të | të |
Abl.Sg. | të | të | të | së 7 | të | të |
Nom.Pl. | të | e | të | e | të | e |
Akk.Pl. | të | e | të | e | të | e |
Gen.-Dat.Pl. | të | të | të | të | të | të |
Abl.Pl. | të | të | të | të | të | të |
Artikel-Adjektive, Artikel-Pronomina sowie Numeralia in Verbindung mit dem sog. freistehenden Artikel erscheinen gleichermaßen in definiten und indefiniten Umgebungen.8 Das zeigt, dass der sog. freistehende Artikel das typische Merkmal eines Artikels, i.e. Markierung von Definitheit, nicht erfüllt.
Aufgrund mangelnder Definitheitsmarkierung ist der sog. freistehende Artikel nicht in der gleichen Weise referenzfähig wie ein typischer Artikel. Referenz wurde definiert als sprachlicher Bezug auf außersprachliche Elemente. Der sog. freistehende Artikel erfüllt in erster Linie grammatische oder wortbildende Funktionen und stellt Bezüge zwischen den Konstituenten her statt außersprachliche Referenzbezüge. Aber in den Phrasen, in denen er Definitheit reflektiert, kann erwogen werden, ob dem sog. freistehenden Artikel aufgrund dessen eine schwache Referenzfähigkeit zugesprochen werden kann.
In der Forschung ist nicht abschließend geklärt, ob der sog. freistehende Artikel ursprünglich die Funktion eines bestimmten Artikels innehatte. Phonologisch ist er, wie die definiten Artikel in den indogermanischen Sprachen generell, aus dem idg. Pronomen *so/to- herzuleiten. Auch hinsichtlich des enklitischen Artikels wird von pronominalem Ursprung ausgegangen. Ein gemeinsamer Ursprung wird u.a. angenommen, da beide Typen ähnliche Kasusformen aufweisen.9 Gemeinsam haben der enklitische und der sog. freistehende Artikel ferner, dass sie beide abhängige Morpheme sind, die nicht ohne Bezugswort stehen können.
Der sog. freistehende Artikel hebt sich aber funktional deutlich von einem „echten“ Artikel ab und es ist davon abzusehen, ihn als solchen zu klassifizieren. Da die Funktion des sog. freistehenden Artikels nicht in der Markierung von Definitheit und Referenz verankert ist, wird er im Folgenden als AGR-Marker bezeichnet. Als morphologisches Element der Artikel-Adjektive, einiger Pronomina etc. wird er ferner als Teil des entsprechenden Wortes analysiert und nicht getrennt von diesem untersucht. Von der Bezeichnung verbindende Partikel möchte ich auch absehen, da der Terminus Partikel impliziert, dass das jeweilige Element nicht flektiert. Aber es ist gerade eine zentrale Eigenschaft des Morphems, die morphologischen Merkmale auszudrücken. Der enklitische Artikel hingegen wird als definiter Artikel behandelt.