Читать книгу Die innere Struktur der DP in den altindogermanischen Artikelsprachen - Pauline Weiß - Страница 28

I.6.5 Zum armenischen Artikel

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Der altarmenische Artikel besitzt die Formen arm. -s, -d und -n. Es handelt sich hierbei um enklitische Morpheme, die stets an ihr Bezugswort suffigiert werden. Der Artikel ist in seiner Form unveränderlich. Er wird also nicht dekliniert und kann demnach weder Kasus noch Numerus anzeigen.1

Innerhalb des Armenischen leitet sich der Artikel von den drei Demonstrativstämmen (-)s(-), (-)d(-) und (-)n(-) ab. Mittels dieser Stämme werden nicht nur der enklitische Marker, sondern auch die adnominalen Demonstrativpronomina (arm. ays, ayd, ayn ‚der dort, jener‘), die anaphorischen Demonstrativa (arm. sa, da, na ‚er, der, jener‘), die Identitätspronomina (arm. soyn, doyn, noyn ‚derselbe‘) und schließlich das Korrelativ (arm. ayspisi, aydpisi, aynpisi ‚solcher‘) gebildet. Syntaktisch erfüllen die Pronomina und der Artikel allerdings verschiedene Aufgaben.

Die Hauptfunktion des armenischen Artikels liegt nicht in der Markierung von Definitheit, sondern in der Kennzeichnung der Deixis. Das Armenische besitzt ein ausgebautes deiktisches System, das zwischen personaler und objektaler Deixis sowie verschiedenen Entfernungsstufen differenziert, repräsentiert durch die Stämme (-)s(-), (-)d(-) und (-)n(-). Arm. -s referiert auf die erste Person und transportiert die Bedeutung ‚hier, bei mir‘, arm. -d auf die zweite Person (‚dort, bei dir‘) und arm. -n auf die dritte Person; vgl.

(15) arm. 15.2

lezowaw-s
Sprache.Subst.-die.Art.
Instr.Sg.
‚[mit] der [meiner] Sprache‘

(16) arm. 11.3

gin-d
Preis.Subst.-der.Art.
Akk.Sg.
‚den [deinen] Preis‘

(17) arm. 3.2

z-harks-n
AkkM-Steuer.Subst.-die.Art.
Akk.Pl.
‚die Steuern‘

Arm. -n ist die neutrale Form (‚das‘), die stets ferndeiktisch zu verstehen ist. Es verweist auf etwas, das weder in der Nähe des Sprechers, noch in der Nähe des Hörers ist, sondern entfernt von beiden liegt. Dabei kann es sich sowohl um zeitliche als auch um lokale Ferne handeln. Arm. -n beschreibt eine Position im Raum, wobei nicht exakt festgelegt ist, wo sich das jeweilige Denotat befindet. Am häufigsten taucht dieser Artikel in erzählenden Texten auf. Klein (1996a) hält die neutrale deiktische und anaphorische Funktion für die wichtigste Eigenschaft von arm. -n.2

Des Weiteren nutzt das Armenische die Stämme (-)s(-), (-)d(-) und (-)n(-) um zu markieren, was direkte und was indirekte Rede im Text ist. Dabei ist besonders der Kontrast zwischen arm. -s und arm. -n ausschlaggebend. Arm. -s gilt als markiert, im Gegensatz zu unmarkiertem -n. Arm. -s bezeichnet stets direkte Rede, -n dagegen indirekte Rede. Dabei entsteht eine Opposition zwischen nah (-s) und fern (-n). Mit nah kann schon der textlich näher stehende Referent gemeint sein. Wenn der Erzähler bspw. über sich selbst spricht, wird er arm. -s wählen, redet er aber über etwas oder jemanden, das/der aus irgendeinem Grund (lokaler oder auch geistiger Natur) entfernt ist, wird er arm. -n gebrauchen. Oder der Sprecher redet über verschiedene Personen, dann kann arm. -n die Funktion annehmen, sich auf den zuvor Genannten (im Sinne von weiter vorn im Text erwähnt) zu beziehen, während arm. -s auf den zuletzt Genannten (im Sinne von erst kürzlich im Text genannt) referiert. Nach Klein (1996a) kann die s-Deixis mit Aktualität, Fokus und Belebung assoziiert werden. Als Anapher findet arm. -s nur selten Anwendung.3

Der Artikel arm. -d referiert auf die zweite Person. In einer Kommunikationssituation wird der Gesprächspartner durch diesen Artikel markiert, gleichgültig ob es sich um eine einzelne Person oder eine Gruppe handelt. Für arm. -d gibt es drei Verwendungsfelder: Zum einen kommen d-Formen natürlich häufig in einem Kontext vor, in dem die zweite Person bereits angegeben ist, z.B. durch ein Pronomen, ein Verb oder einen Vokativ. Arm. -d wird vorzugsweise mit dem Vokativ kombiniert, was logisch erscheint, da es die Anrede verstärkt. Aber auch eine Verbform in der zweiten Person kann ausreichen, um eine d-Form hervorzurufen. Darüber hinaus kommt arm. -d in Phrasen vor, in denen die zweite Person noch nicht ausreichend gekennzeichnet ist. Die entsprechende Markierung übernimmt dann der Artikel. Klein (1996a) schreibt, dass die d-Form aufgrund ihrer interaktiven Funktion einen affektbetonten Wert (affective value) besitzt. Eine weitere Anwendung des Artikels arm. -d ist, dass er gebraucht werden kann, um pejorative Gefühle, wie Hohn oder Spott, bzgl. des Referenten auszudrücken. Die d-Deixis impliziert dabei einen negativen Wert und soll emotionale Distanzierung vermitteln. Die Abgrenzung muss allerdings nicht immer feindlicher Natur sein. In der Mehrzahl der Beispiele jedoch soll die d-Deixis in einer Sprechaktsituation eine negative Stellungnahme darstellen, während die s-Deixis eine positive Einstellung transportieren soll.4

Auch die Entfernungsstufen origoinklusiv und origoexklusiv lassen sich auf den altarmenischen Artikel anwenden (vgl. Kap. I.5.2). Arm. -s ist origoinklusiv, während arm. -n Origoexklusivität impliziert. Arm. -d ist ebenfalls als origoexklusiv zu betrachten, da sich der Artikel auf die zweite Person bezieht, die zwar in der Umgebung des Sprechers sein muss, aber trotzdem nicht in direkten Bezug zum Sprecher steht. Zur Untermauerung dieser Klassifikation lässt sich Diewalds (1991) Einordnung der personalen Deiktika dt. ich und du heranziehen. Das Pronomen der ersten Person ist natürlich origoinklusiv, da es auf den Sprecher selbst verweist. Das Deiktikon dt. du klassifiziert Diewald (1991) als origoexklusiv, weil es auf den Hörer referiert, der sich außerhalb der Origo befindet. Eine weitere Unterteilung der personalen Deiktika, die man bei Diewald (1991) findet, ist die Unterscheidung von Person und Nicht-Person. Dabei bezieht sich die Eigenschaft Person auf die Kommunikationsrollen, i.e. Sprecher und Hörer. In diese Kategorie sind arm. -s und -d einzuordnen. Die Kategorie Nicht-Person beschreibt im Gegensatz dazu „… alle durch Nominalphrasen denotierbaren Entitäten …“5, die nicht die Gesprächspartner sind. Diese Rolle erfüllt arm. -n. Die Morpheme arm. -s und -d sind also mit der personalen Dimension verknüpft, da sie stets eine Relation zu einer Person etablieren. Arm. -n hingegen operiert in der objektalen Dimension. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass hier diejenigen Deiktika versammelt sind, die keine Gesprächsrollen denotieren. Vielmehr gehören die Referenten, über die gesprochen wird, in diese Kategorie. Daher ist anzunehmen, dass arm. -n, das sich bekanntermaßen auf die dritte Person bezieht, der objektalen Dimension zugewiesen werden muss, da es auf Elemente referiert, die keine Kommunikationsteilnehmer sind. Als neutraler Artikel referiert es auf Gesprächsgegenstände, Personen, Orte etc.

Dem altarmenischen Artikel ist, wie bereits mehrfach erwähnt, die Funktion Deixis auszudrücken inhärent, so dass er immer weisend wirkt. Er wird gesetzt, um einen Referenten zu markieren und eine Relation zu Sprecher oder Hörer herzustellen. Dadurch, dass er diese doppelte Relation kreiert, ähnelt er stark der oben beschriebenen Funktion der Possessivpronomina, die ebenfalls eine zweifache Relation, zwischen Objekt und Besitzer, darstellen. Daher ist es nicht erstaunlich, dass sich die deiktische Funktion des altarmenischen Artikels im modernen Ostarmenisch zu einer possessiven Funktion entwickelt hat; vgl. z.B. altarm. town-s ‚das Haus‘ vs. ostarm. town-s ‚mein Haus‘.6 Vermutlich konnte der Artikel im Armenischen diese possessive Funktion ausbilden, weil er nicht als Definitheitsmarker notwendig war.

Die armenischen Morpheme arm. -s, -d und -n sind aufgrund ihrer enklitischen Natur abhängige Elemente, aber im Gegensatz zu den Artikeln der anderen Untersuchungssprachen sind sie nicht auf Substantive beschränkt. Stattdessen können sie an Adjektive, Adverbien, Zahlwörter, Verben und sogar Negationen postponiert werden; vgl.

(18) arm. 14.1

əst ōrinaki grelocʿ-s
gemäß.Präp. Beispiel.Subst. aufschreiben.Verb-das.Art.
+ Dat. Dat.Sg. Prt.nec.
‚gemäß dem Beispiel soll ich das aufschreiben‘

Vermutlich übernimmt der Artikel in Beleg (18) die Funktion den Autor zu markieren, da dies keine Personalendung leistet. Die armenischen Morpheme können also eine Erweiterung des Subjekts darstellen.

Der armenische Artikel sorgt also nicht in erster Linie dafür, dass eine Konstituente als definit markiert wird, wie es eigentlich die Hauptaufgabe eines definiten Artikels ist. Aber er spezifiziert Phrasen und setzt sie entweder zu den Gesprächspartnern oder zu einem kürzlich genannten bzw. bereits bekannten Referenten in Beziehung. Das armenische Morphem wirkt demnach identifizierend. So tritt der Artikel an kein Wort, das nicht in irgendeiner Weise als bekannt betrachtet wird, sei es, weil es kurz zuvor erwähnt wurde oder sei es, weil es als bekannt vorausgesetzt werden kann. Oder aber die Aufmerksamkeit des Lesers soll durch die Anfügung des Artikels auf das jeweilige Wort gelenkt werden. Identifizierbarkeit auszudrücken ist erwiesenermaßen nicht die Hauptaufgabe des armenischen Artikels, jedoch beinhaltet seine Verwendung stets einen Hinweis darauf. Lamberterie (1997) schreibt, dass die enklitischen Partikeln (-s, -d, -n) eine Relation zwischen Wörtern aufzeigen. Auf der einen Seite stehen die Wörter, die durch den Artikel determiniert sind, und auf der anderen Seite die Personen (entweder die, die spricht (-s), die, die angesprochen wird (-d), oder die Person bzw. der Gegenstand, der sich außerhalb des Dialogs befindet (-n)).7

Festzuhalten ist, dass der armenische Artikel fakultativ verwendet wird und dass er bzgl. der semantischen Determination entbehrlich ist. Insgesamt besitzt er vier Funktionen: lokale, deiktische, anaphorische und spezialisierende. In seiner spezialisierenden Funktion steht er dem Typus Artikel, der der Definitheitsmarkierung von Nomina dient, nahe. In seiner anaphorischen Eigenschaft erinnert er an Pronomina. Der lokale und deiktische Charakterzug scheinen einzigartig zu sein.

Die innere Struktur der DP in den altindogermanischen Artikelsprachen

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