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5 Rom: Von einer italischen Landmacht zum Mittelpunkt der Oikumene
ОглавлениеKennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht –
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin
Möchte ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
(Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre)
Die italische Halbinsel, das heiß ersehnte Paradies der nordeuropäischen Romantik, wie Goethes unnachahmliche Verse meisterhaft unterstreichen, bildet einen abwechslungsreichen geographischen Raum, der von Gebirgsketten (Abruzzen, Apennin), Flüssen (Arno, Po, Tiber, Volturnus), Seen und Feuchtgebieten (Pontinische Sümpfe) durchzogen wird und in dem gut bewässerte Ebenen (Campanien, Tibertal, Poebene) und hügeliges Terrain (Lukanien, Toskana, Umbrien) das Landschaftsbild bestimmen. Die Alpen im Norden und das Meer an den Rändern sind die markantesten topographischen Merkmale dieser rund 250.000 Quadratkilometer umfassenden territorialen Einheit, die in Sizilien eine Fortsetzung findet und die von Nord nach Süd von der Gebirgskette des Apennin in zwei unterschiedliche Hälften geteilt wird. Die westlichen, am Tyrrhenischen Meer gelegenen Landschaften, sollten aufgrund ihrer geopolitischen Gegebenheiten (fruchtbare Ackerböden, Bevölkerungsdichte, günstige Häfen, Anziehungspunkt für die etruskische und griechische Kolonisation) geschichtlich bedeutsamer werden als die entlang der Adria sich erstreckende Osthälfte. Aufgrund seiner Lage im Zentrum des Mittelmeerbeckens war das Land stets äußeren Einflüssen ausgesetzt. Zahlreiche Völker haben vielfältige Spuren ihrer Präsenz hinterlassen. Die Bewohner des Tibertals, die zum Stamm der Latiner gehörten, unterhielten enge Kontakte zu den Etruskern, die in der Toskana und in Campanien siedelten. Diese standen ebenso wie die in Unteritalien heimisch gewordenen Griechen (Neapel, Kyme, Poseidonia, Kroton, Tarent, Metapont) auf einem beachtlichen Kulturniveau. Beide Völker wurden die Lehrmeister der Römer. Die übrigen Stämme Italiens gehörten hauptsächlich den Gruppen der Umbro-Sabeller (Umbrer, Sabiner, Aequer, Marser) und der Osker an, deren wichtigster Stamm die Samniten waren. Am Nordrand Italiens lebten keltische Stämme, im Süden treffen wir auf die Lukaner, Daunier, Peuketier, Salentiner und Messapier.79 In einem mittelitalischen Flusstal (Tiber) entstand die Stadt Rom. Allerdings stellt das überlieferte Gründungsdatum, das der gelehrte Heimatforscher Varro auf das Jahr 753 v. Chr. errechnete, eine literarische Fiktion dar. Die archäologischen Überreste legen nahe, den Prozess der Stadtwerdung deutlich später anzusetzen. Erst ab dem Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. scheinen sich einige dorfähnliche Siedlungen auf den Hügeln des Palatin, Esquilin und Quirinal zu einer neuen Gemeinschaft vereinigt zu haben. Verantwortlich dafür dürften die nördlich davon beheimateten Etrusker gewesen sein, die im Zuge ihrer Südexpansion einen befestigten Stützpunkt unweit der Tibermündung anlegten.80
An der Spitze der ersten Siedlung am Tiber stand ein König, der als oberster Priester, Richter und Heerführer amtierte. Er war für die Pflege der Beziehungen zu den Göttern verantwortlich, die wiederum das Gedeihen der Gemeinde verbürgten. Diese sakrale Verankerung der Herrschaft wird nach der Königszeit auf die Inhaber der höchsten politischen Ämter übergehen, denen die Erkundung des Götterwillens oblag (auspicium). Aus der Frühzeit stammte die Gliederung der Einwohnerschaft in drei Stämme (tribus) zu je 10 Abteilungen (curiae), sowie die Einteilung der plebs (Masse der Bevölkerung). Offenbar kam das in Rom herrschende etruskische Herrschergeschlecht aus Tarquinii, und seine Regierungszeit erstreckte sich bis in das erste Drittel des 5. Jahrhunderts v. Chr. In der Seeschlacht von Kyme (474 v. Chr.) brachten die Griechen Süditaliens den Etruskern eine schwere Niederlage bei, die sie zwang, sich aus Campanien und Latium zurückzuziehen. Wahrscheinlich bildete dieser Rückschlag den Auftakt zur Vertreibung des letzten etruskischen Stadtherrn aus Rom. Danach wurde die Stadt von den grundbesitzenden patrizischen Familien kollektiv regiert, die sich in einem Adelsrat versammelten (Senat), aus dessen Mitte die jährlich gewählten Magistrate kamen.81
Die Römer waren ein Bauernvolk, das zäh an seinen Traditionen festhielt. Die agrarische Prägung der Gesellschaft übertrug sich auf ihr Staatswesen. Ihre Wirtschaftsverfassung, Sozialordnung, Militärorganisation und Religion waren erfüllt von den Erfordernissen einer auf die Bebauung des Bodens ausgerichteten Lebenshaltung. Ackerflächen hatten einen hohen Stellenwert in einer Welt, in der die Steigerung und Ausweitung der Agrarerträge das Handeln der Menschen maßgeblich bestimmte. Seit frühester Zeit bewirtschafteten freie Bauern bescheidene Ackerflächen, deren Erträge gerade den Eigenbedarf deckten. Die spätere römische Überlieferung nennt hierbei das als Existenzgrundlage kaum ausreichende Areal von 2–4 iugera (0,5–1 Hektar) als übliche Feldgröße. Die Ausweitung des römischen Herrschaftsgebietes seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. bewirkte in mehrfacher Hinsicht einen Wandel. Zunächst gelangten die Familien der Oberschicht über die Okkupation der von besiegten Gegnern konfiszierten Territorien (ager publicus) in den Besitz beträchtlicher Landflächen; die wachsende Zahl an Sklaven (Kriegsgefangenen) ermöglichte deren Bewirtschaftung in größeren Wirtschaftseinheiten. Vor allem brachten die jahrelangen Feldzüge den Verfall beziehungsweise die Verschuldung der kleinen Höfe, der Basis der römischen Wehrorganisation, mit sich. Der Aufstieg Roms zum Mittelpunkt Italiens wie überhaupt die zunehmende Urbanisierung der Halbinsel schufen derweil die großen Absatzmärkte für eine auf Überschuss orientierte Agrarwirtschaft, die im Umfeld dieser städtischen Zentren zur Ausbreitung von gewinnorientierten spezialisierten Gutsbetrieben führte. In den abgelegenen Gebieten, vor allem in den Bergregionen, vermochte sich jenes kleine freie Bauerntum hingegen während der gesamten Antike unter kärglichen Bedingungen zu behaupten. Andernorts zogen von ihren Landstücken verdrängte Bauern nach Rom und bildeten das städtische Proletariat, oder aber sie gerieten in zunehmende Abhängigkeit von Großgrundbesitzern. Eine besondere Sprengkraft erhielten die Auseinandersetzungen innerhalb der Bürgerschaft durch die Notlage der überschuldeten Kleinbauern und der Besitzlosen (proletarii). Sie stellten die übervölkerte Stadt vor schwere Aufgaben. Erst die Besitznahme italischen Bodens trug dazu bei, die soziale Lage der Masse der römischen Bevölkerung zu verbessern.82
Roms Ausgreifen in Italie
Daher hing die Expansion Roms mit dem Erwerb von Land zusammen. Zunächst bekämpften die Römer die Volsker und Aequer, die sich nach dem Zusammenbruch der etruskischen Herrschaft in Latium ausbreiten wollten. Dabei kam es zu einer Kooperation mit den ebenfalls davon betroffenen latinischen Gemeinden (Tibur, Lanuvium, Praeneste). Erheblich mehr Bedeutung kam der Auseinandersetzung mit den benachbarten etruskischen Städten Veji und Caere zu. Sie bestimmte die römi sche Außenpolitik am Ausgang des 5. Jahrhunderts v. Chr. Als man schließlich Veji besiegt und annektiert hatte, womit sich das römische Staatsgebiet fast verdoppeln konnte, folgte im Jahr 387 v. Chr. ein Rückschlag. Die als Gallierkatastrophe in den römischen Annalen verzeichnete Niederlage und die anschließende Plünderung der Stadt durch keltische Scharen hinterließ ein Trauma der Bedrohung aus dem Norden. Doch Rom erholte sich schnell von dieser Gefahrenlage. Durch die Festigung seiner Position innerhalb des Latinischen Bundes (foedus Cassianum um 370 v. Chr.) gelang es, die Kelten aus Mittelitalien zu vertreiben. Kurz darauf nahm Rom den Volskern die Städte Antium und Terracina ab, womit es sich nach Süden ausweitete. Im Norden wurde die reiche Stadt Caere erobert und in das mittlerweile beachtliche römische Staatsgebiet einverleibt. Zwischen 340 und 338 v. Chr. führte Rom einen erbitterten Krieg mit den Latinern, der nur unter Anspannung aller Kräfte siegreich beendet werden konnte. Die unterlegenen Städte verloren ihre politische Autonomie und wurden in den römischen Staatsverband eingegliedert, was eine erhebliche Erhöhung der Militärkapazität bedeutete. Damit wurde Rom die Vormacht Mittelitaliens.83 Wegen der gespannten Lage in Campanien, wo die mit Rom verbündeten Städte Capua und Neapel um Beistand gegen die oskisch-samnitischen Bergvölker baten, griff die latinische Vormacht in die politischen Verhältnisse Süditaliens ein. Eine Generation lang führte Rom mehrere Kriege gegen die wehrhaften Samniten, in deren Verlauf sich verheerende Niederlagen mit Erfolgen abwechselten. Entscheidend wurde die Anlage eines Festungsgürtels römischer Bürgerkolonien (so genannte coloniae Latinae) entlang der Grenzgebiete zwischen Samnium, Campanien und Apulien (wie etwa Fregellae, Suessa, Luceria oder Venusia), womit eine wirksame Kontrolle der Region auf Dauer erlangt werden konnte. Der dritte Samnitenkrieg (300–291 v. Chr.) eskalierte schließlich zu einem gesamtitalischen Konflikt. Rom musste sich zusätzlich gegen die Etrusker und Kelten zur Wehr setzen und gewaltige Anstrengungen unternehmen, um sich gegen die mächtige Phalanx der Feinde zu behaupten. Der römische Sieg bei Sentinum (295 v. Chr.) in Umbrien brachte die Entscheidung. Danach hatten die Römer keinen ernsthaften Gegner mehr in Italien zu fürchten. Die Gemeinden südlich des Po hatten sich mit der römischen Vorherrschaft abzufinden.
Wichtigstes Instrument dieses Einigungsprozesses waren die Legionen. Die darin dienenden schwerbewaffneten Bürgersoldaten, die nach Bedarf ausgehoben wurden, zeichneten sich durch strenge Disziplin und hohe Pflichterfüllung aus. Ihre militärische Überlegenheit gründete auf ihrem harten Drill, ihrer Kampfkraft und außergewöhnlicher Opferbereitschaft für den Staat.84 Das römisch-italische Militäraufgebot stellte eine Achtung gebietende Heeresmacht dar, die im Zuge der Expansion geformt wurde und mit der sich jeder potenzielle Gegner Roms zu messen hatte. Rom hatte durch Annexionen sowie durch die Gründung von Bürgerkolonien sein Staatsgebiet erheblich ausgeweitet und die Anzahl seiner Bürger vermehrt. Trotz des Zugewinns an Territorium und an Bevölkerung blieb die römische Landmacht verfassungstechnisch ein Stadtstaat. Die politische Struktur Italiens stellte dagegen eine Mischung aus territorialstaatlichen und stadtstaatlichen Prinzipien dar. Sie bestand aus unterschiedlichen Gemeinwesen (Griechenstädte, keltische und süditalische Stammesgebiete, etruskische, umbrische, campanische, samnitische, apulische, lukanische Städte), die in Vertragsbeziehungen zu Rom traten. Dieses Netzwerk diente dazu, Rom militärisch beizustehen. Es entwickelte sich ein differenziertes Geflecht von bilateralen Verpflichtungen, welche die innere Autonomie der Verbündeten respektierte. Auch wurden keine Abgaben erhoben, aber die Militär- und Außenpolitik wurde ausschließlich von Rom bestimmt. Die Beziehungen der Bundesgenossen (socii) zur Vormacht waren hinsichtlich ihrer Rechtsstellung von unterschiedlicher Qualität. Diejenigen, die hartnäckigen Widerstand geleistet hatten, bekamen schlechtere Konditionen als diejenigen, die sich den römischen Wünschen rechtzeitig gebeugt hatten. Hinzu kam, dass es den Städten und Stämmen Italiens untersagt war, völkerrechtlich wirksame Abmachungen untereinander einzugehen, da einzig Rom als gemeinsames Bindeglied zwischen ihnen fungierte. Daher bildete sich keine Bundesgenossenschaft mit eigenen politischen Zielsetzungen oder Bundesorganen heraus, sondern das Ergebnis der Expansion war die römische Vorherrschaft über die Völker Italiens.85
Obwohl die Stadt am Tiber stets eine klassische Landmacht blieb, gingen in ihrem Herrschaftsbereich Land und Meer immer wieder neue Synthesen ein86, was besonders in der Seekriegführung während des 1. Römisch-karthagischen Krieges zum Ausdruck kam. Dabei bewies Rom, wie sehr es das Meer gewinnbringend zu nutzen vermochte, indem es etwa bei der Schlacht von Mylae die Schiffe der Karthager mit dem corvus, einer Brücke am Bug ihrer Schiffe enterte und die Gepflogenheiten des Landkrieges auf die Flotte übertrug.87 Später wird, unter der Ägide des Pompeius (1. Jahrhundert v. Chr.), die vollständige Kontrolle des riesigen Binnenmeeres, das sämtliche Mittelmeeranrainer miteinander verband, erfolgen. Gerade dieser Aspekt verdeutlicht, wie die ideelle Grenze zwischen Land und Meer durchlässig und wandelbar blieb und den Erfordernissen seiner imperialen Mission angepasst werden konnte. Fasst man die Stationen der Expansion Roms zusammen88, so ergibt sich, dass im Zeitraum von drei Generationen der Großteil der zivilisierten Welt unter mittelbare oder unmittelbare römische Herrschaft gelangte. Das war eine singuläre Leistung. Sie zwang selbst den Griechen Polybios, der unter dem Eindruck der Größe Roms zum Historiker der römischen Weltreichsbildung geworden war, zur uneingeschränkten Anerkennung. Die Epoche der politischen Atomisierung schien überwunden. Polybios verstand Roms Expansion als Vorspiel einer, die gesamte Kulturwelt umspannenden Universalgeschichte: In den vorangehenden Zeiten lagen die Ereignisse der Welt gleichsam verstreut auseinander, da das Geschehen hier und dort sowohl nach Planung und Ergebnis wie räumlich geschieden und ohne Zusammenhang blieb. Von diesem Zeitpunkt an aber wird die Geschichte ein Ganzes, gleichsam ein einziger Körper, es verflechten sich die Ereignisse in Italien und Libyen mit denen in Asien und Griechenland, und alles richtet sich aus auf ein einziges Ziel.89
Die Eroberung der meisten Länder der Mittelmeerwelt erhob Rom zur Führungsmacht der Oikumene. Als Folge dieser Entwicklung sprachen römische Magistrate in den Provinzen Recht, und die römischen und italischen Kaufleute konnten sich eine Vormachtstellung dort verschaffen, wo bis dahin Karthager, Griechen und Orientalen führend gewesen waren.90 Für die großen Familien Roms brachte die Expansion eine beträchtliche Ausweitung ihrer Einflusssphären. Gleichzeitig zeigte sich die stadtrömische Plebs zunehmend bereit, ihre Stimme bei den Comitien demjenigen Kandidaten zu geben, der ihre materiellen Interessen zu wahren versprach. Wahlbestechungen wurden ein gängiges Mittel der Politik, und gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. setzte eine politische Laufbahn nicht mehr die Zugehörigkeit zur Nobilität und persönliche Leistung voraus, sondern vor allem große Geldmittel. Doch je mehr Sklaven und Güter aller Art aus den eroberten Gebieten nach Rom strömten, desto entscheidender veränderte sich das ökonomische und soziale Gleichgewicht in der agrarisch geprägten Stadt. Durch Handel mit den abhängigen Provinzen sowie durch das System der Steuerpachten reich gewordene Mitglieder des Ritterstandes (equites, publicani) legten ihre Gewinne in Italien an, wo sie Großgrundbesitz (Latifundien) erwarben, der durch Sklaven, die infolge der zahlreichen Eroberungskriege reichlich vorhanden waren, bewirtschaftet wurde. Billige Getreideimporte aus den eroberten Provinzen verschärften die Konkurrenz und verursachten ein ökonomisches Ungleichgewicht, das schließlich viele Kleinbauern zur Aufgabe ihrer Existenzgrundlage und zur Abwanderung nach Rom zwang. Diese landlos gewordenen Bauern, die bislang in den Legionen gedient hatten, brachten das System der Truppenaushebung ins Wanken.91 So gesellte sich zur Wirtschaftskrise eine Krise der Wehrverfassung. Hinzu kamen militärische Rückschläge. Die bis dahin mit der Führung des Staates beauftragte Nobilität versagte immer häufiger bei der Lösung von außenpolitischen Aufgaben, die bis dahin ihre Domäne gewesen waren. Die spektakulären Niederlagen der römischen Legionen in den keltiberischen Kriegen (153–133 v. Chr.) – allein vor der Stadt Numantia mussten mehrere Armeen kapitulieren – unterbrachen jäh die politischen Karrieren mancher Senatoren, die als Truppenbefehlshaber dafür verantwortlich waren.92 Daher sind die letzten Jahrzehnte der Republik von einer Kette dynamischer Auseinandersetzungen um die Überlebensfähigkeit des überlieferten Staatsmodells gekennzeichnet. Ereignisse von höchster Dramatik und Intensität prägen das Bild dieser Ära. Während die vorangegangene Epoche von der Schaffung eines Weltreiches und der Bewältigung der in ihrem Gefolge ausbrechenden militärischen, ökonomischen und sozialen Krisen beherrscht wurde, verweist die Spätphase der Republik auf eine Akzentverschiebung in Richtung Innenpolitik. Wenn auch die Neuordnung der Ostgrenze durch Pompeius (66–63 v. Chr.) oder die Eroberung Galliens durch Caesar (58–50 v. Chr.) spektakuläre Errungenschaften darstellten, das Hauptinteresse galt der Frage nach der Praktikabilität der republikanischen Regierungsform. Würde sie weiter bestehen können oder den Machtinteressen einzelner Potentaten erliegen? Die Entscheidung darüber sollte nach dem blutigsten Bürgerkrieg der römischen Geschichte (49–31 v. Chr.) erfolgen, der eine tiefe Zäsur zwischen der untergehenden republikanischen Staatsordnung und der sich herausbildenden Principatsherrschaft setzte. Am Ende dieses Prozesses stand eine grundlegende Umwälzung der politischen Verhältnisse, die von manchen Gelehrten als Revolution (Ronald Syme, Alfred Heuss) charakterisiert worden ist. Im Gegensatz zu den modernen Anschauungen, die auf dem Beispiel der französischen oder russischen Revolution beruhen, wo eine neue soziale Schicht (Bürgertum) die bisher herrschenden Eliten (Monarchie, Adel) ablöste, fand in Rom nichts dergleichen statt. Die Republik ging wegen der Konkurrenzsituation innerhalb der regierenden Nobilität zugrunde. Jedoch stilisierte sich der Sieger dieses Machtkampfes, Augustus, der mit seinem Principat faktisch die Monarchie etablierte, keineswegs als Totengräber eines abgewirtschafteten Systems, sondern als Reformer und Bewahrer der überlieferten Regierungsform.93
Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. hatte sich Rom kontinuierlich zum anerkannten Mittelpunkt der zivilisierten Regionen der Antike entwickelt. Aus der ursprünglichen latinischen Agrargemeinde war eine Weltstadt, aus der aristokratischen Stadtrepublik ein alle Anrainerregionen des Mittelmeerraumes umfassendes Imperium geworden. Über seinen Stellenwert äußerte sich der Staatsmann Cicero folgendermaßen:Gib dich ihr ganz hin und lebe in ihrem unvergleichlichen Licht (…). Sich aus ihr zu entfernen, bringt üble Nachrede und Vergessenheit mit sich für jeden von uns, die wir fähig sind, zu Roms Ruhm durch unsere Arbeit beizutragen.94
Einen entscheidenden Wandel erlebte die Stadt, als infolge der Bürgerkriege die republikanische Staatsform zusammenbrach und Augustus und seine Nachfolger die Principatsherrschaft verfestigten.95 Kein anderer Autor hat die Bedeutung dieses für die Zukunft der antiken Welt entscheidenden politischen Wandels für das römische Stadtleben prägnanter erfasst als der im 2. Jahrhundert schreibende Juvenal. In der so eigentümlich römischen Literaturgattung der Satire hat er einige Folgen dieses Transformations-prozesses prägnant geschildert: Seitdem wir keinem mehr unsere Stimme verkaufen können, hat das Volk längst jedes Interesse (am politischen Leben der Stadt) verloren. Denn während es einst Befehlsgewalt, Liktorenbündel, Legionen, alles zu vergeben hatte, hält es sich jetzt zurück und wünscht sich dringlich zwei Dinge nur noch: Brot und Spiele.96
Imperium Romanum
Seine einzigartige Stellung als ideelle Mitte eines Vielvölkerkonglomerats und repräsentative Residenz der Kaiser konnte Rom unangefochten jahrhundertelang behaupten. Die Regierungszentrale und Wirtschaftsmetropole eines überaus heterogenen Reiches galt auch als städtebauliches Vorbild und nicht zuletzt als Reservoir für Politik und Kultur in einer sich rasch romanisierenden Welt. Trotz seines fortschreitenden Bedeutungsverlustes, der sich während des 3. Jahrhunderts erstmals bemerkbar machen sollte, vermochte Rom eine unbestrittene Ausstrahlung bis zum Ausgang des Altertums auszuüben. Zahlreiche Einwohner Roms führten ein von der Gunst der Mächtigen abhängiges Dasein. Um die Masse der Bevölkerung zur Loyalität gegenüber dem jeweils regierenden Kaiser anzuhalten, erhielt sie Nahrungsmittelspenden und gelegentlich Geldgeschenke. Die Kaiser scheuten keine Kosten, um durch Theateraufführungen oder Gladiatorenkämpfe die plebs urbana bei Laune zu halten. Gleichzeitig bot der römische Festkalender der vornehmen Stadtgesellschaft günstige Gelegenheiten, sich selber darzustellen. Standes-unterschiede herauszukehren war eine beliebte Form, das eigene Selbstbewusstsein zu erhöhen. Dafür gibt es zahlreiche Zeugnisse. Keines ist vielleicht so anschaulich wie ein Epigramm des Dichters Martial, worin eine Verfügung des Kaisers Domitian gelobt wird, in der er den Angehörigen des Ritterstandes oberhalb der für Senatoren reservierten Ehrensitze bevorzugte Plätze im Theater zuwies: Endlich kann man wieder bequemer sitzen, jetzt ist die Würde des Ritterstandes wiederhergestellt, wir werden nicht mehr durch den Pöbel bedrängt und beschmutzt.97
Das kaiserzeitliche Rom war übervölkert. Tausende von Menschen drängten sich auf engstem Raum im Zentrum der Stadt. Dort waren die Kaiserforen, die Basiliken, die kaiserlichen Paläste, dort standen die Theater, Thermen und der Circus Maximus; die repräsentativen Tempel hatten ebenfalls dort ihr Zuhause sowie zahllose Portiken, Kaufläden und die Stadtresidenzen der großen Herren, denen man als Klient täglich die Aufwartung machte. Doch es gab auch Schattenseiten. Die Mietskasernen (insulae) waren schlecht gebaut, eng, überteuert und ständig vom Einsturz oder von der Feuergefahr bedroht. Der Straßenlärm war unerträglich. Die in Rom wohnhaften Schriftsteller werden nicht müde, Klagelieder auf die Defizite des Stadtlebens anzustimmen. Wer aber Rom lobte, tat dies weniger wegen der Qualität seiner urbanen Infrastruktur, sondern aufgrund der überragenden Bedeutung der Stadt als Machtzentrale des Reiches. Die architektonische Ausgestaltung der urbs oblag der Fürsorge der Kaiser. Sie war eine eminent politische Aufgabe, denn die Baupolitik diente der Herrscherdarstellung. Sie reflektierte zugleich den durch den Übergang von der Republik zur Monarchie sich vollziehenden Mentalitätswandel, der sich in der Interaktion zwischen Kaiser und Stadtbevölkerung kundtat. Den Anfang machte hier Augustus: Rom, dessen äußeres Ansehen damals noch nicht der Majestät seiner Weltherrschaft entsprach (…) verschönerte er (Augustus) so sehr, dass er schließlich mit Recht sich rühmen dürfte, er hinterlasse eine Stadt aus Marmor, während er eine Stadt von Backsteinen vorgefunden habe.98
Das Beispiel fand außerhalb der Reichszentrale Nachahmung. Den vermögenden Bürgern der Provinzialstädte bot die Verschönerung ihrer Heimatstadt eine Plattform zur gesellschaftlichen Profilierung. Indem sie für die Allgemeinheit Theater, Thermen, Markthallen oder Bibliotheken stifteten, erwarben sie Sozialprestige und öffentliche Wertschätzung. Beides festigte ihre politische Dominanz: Großzügige Spender wurden mit den höchsten lokalen Magistraturen betraut. Wie wichtig diese Akkumulation von Ehre und Anerkennung war, belegen zahlreiche Inschriften, die eine wertvolle Quelle für das Selbstverständnis der munizipalen Eliten darstellen. Doch so sehr auch einige Provinzialstädte Berühmtheit und Reichtum erlangten, blieb Rom stets der Maßstab, das Ziel und der Mittelpunkt einer von ihr abhängigen und tiefgeprägten Welt.99
Die zwei Jahrhunderte, die auf die Begründung des augusteischen Principats folgten, erlebten die fortschreitende Integration der von Rom eroberten Provinzen in ein zentral geleitetes, sich ständig ausdehnendes, prosperierendes Weltreich. Diese für die spätere politische und soziale Prägung Europas wirkmächtige Epoche wird durch die Konsolidierung und den Ausbau der städtischen Zivilisation und Kultur sowie durch die wachsende Romanisierung insbesondere der westlichen Landesteile, die sich dadurch immer mehr einander anglichen, charakterisiert. Blickt man auf die politische Geschichte, so sind die sich abwechselnden Herrscherhäuser das auffälligste Merkmal dieser Zeit. Den Anfang machte die julisch-claudische Dynastie (14–68), deren untereinander verwandte Vertreter aus den stadtrömischen Familien der Julier und Claudier abstammten. Mit den Flaviern (69–98) bestieg die erste außerhalb Roms beheimatete italische Familie den Thron der Caesaren. Danach kamen die sogenannten Adoptivkaiser an die Reihe (98–180). Das frühe und mittlere Kaiserreich wird durch ein weitgehendes Ausbleiben von Bürgerkriegen und durch die Behauptung der Reichsgrenzen gekennzeichnet. Ferner sind die Verbreitung eines einheitlichen Rechtssystems, die Förderung einer staatlichen Wohlfahrtspolitik sowie der Aufschwung der traditionellen Kulte Kennzeichen dieser Epoche. Obwohl das Aufkommen des Christentums zunächst wenig daran ändert, melden sich die ersten Stimmen, die in der neuen Lehre eine Gefahr für das Imperium erblicken.
Während der etwa 100-jährigen Zeitspanne, die sich zwischen dem Ausgang des Adoptivkaisertums und der Begründung der constantinischen Dynastie erstreckt (193–306), erlebte das Reich weitaus mehr Regenten, als in den übrigen Jahrhunderten römischer Kaiserherrschaft zusammen. Sie amtierten nur kurz, und die meisten starben eines gewaltsamen Todes. Die an den Grenzen des Imperiums stationierten Armeen erhoben politische Ansprüche, indem sie, unter Ausspielung ihres Einschüchterungspotenzials, ihre jeweiligen Kandidaten an die Spitze des Reiches durchzusetzen versuchten. Die Folge war ein permanenter Bürgerkrieg, den die Soldatenkaiser – sie werden so genannt, weil sie Truppenkommandeure waren – mit äußerster Erbitterung gegeneinander führten, um Thron und Leben zu verteidigen. Der Mangel an Stabilität korrespondierte mit tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungen. Wirtschaftskrisen und soziale Umwälzungen lassen sich als Ursache oder Folge der fragilen Herrschaftsverhältnisse interpretieren. So wurde das äußere Erscheinungsbild der Epoche durch sich ständig wiederholende Usurpationen bestimmt. Obwohl die meisten Kaiser des 2. Jahrhunderts gezwungen waren, sich außerhalb Roms in den Grenzprovinzen aufzuhalten, verlor die Stadt nichts von ihrer Anziehungskraft als Mittelpunkt des Reiches. Sie blieb bis ins 3. Jahrhundert ihre bevorzugte Residenz. Dieses Primat kam ihr erst abhanden, als infolge der unzähligen Bürgerkriege und der Einfälle der Grenznachbarn die Randgebiete des Imperiums eine größere militärstrategische Bedeutung erlangten.100 Die Verlagerung der Machtzentrale von Italien an die Peripherie des Reiches war zunächst eine Antwort auf die zunehmende Bedrohung der Grenzen durch auswärtige Völker, aber auch eine Reaktion auf die instabilen innenpolitischen Verhältnisse. Mit Constantin dem Großen hielt das Christentum Einzug in die bisher polytheistisch bestimmte religiöse Landschaft der Mittelmeerwelt. Die Tragweite dieses Prozesses erkennt man an den politischen, sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Veränderungen, die den Charakter des spätrömischen Reiches entscheidend prägten. Die Neuordnung des Hofes und der Verwaltung, die Neugliederung und Anpassung des Heeres an die Finanzbedürfnisse des Reiches, die Eingliederung des Christentums in Staat und Gesellschaft sowie die Gründung Constantinopels markieren den Wandel der Reichspolitik. Vor allem brachte die kaiserliche Neugründung am Bosporus eine Verlagerung des Schwergewichts des Imperiums in den Osten mit sich und damit verbunden eine Beschleunigung des Bedeutungsverlustes der Stadt Rom, die politisch immer ohnmächtiger wird und erst durch die am Ausgang des Altertums aufkommende Bedeutung des Papsttums ein neues Ausrufezeichen setzen konnte, das sich allerdings bis auf unsere Tage fortgesetzt hat. Den Verlust der politischen Zentralität machte Rom durch seine neue Rolle als Referenzpunkt der christlichen Kirchen des Abendlandes wett.