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Einleitung

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Die nachfolgenden Ausführungen wollen vereinzelte Beobachtungen und Teilerkenntnisse zu einem Bild der Antike bündeln, das sich aus unterschiedlichen Elementen zusammensetzt. Eine gewisse Novität darf ihre Gesamtanlage beanspruchen, die eine Mischung aus Einzeldarstellungen und historischen Synthesen vereint, die sich mit den verschiedensten Facetten der politischen, ökonomischen, sozialen und kultischen Entwicklungen der Alten Welt auseinandersetzen. Es werden vielfältige thematische Einblendungen geboten, die Streiflichter auf die untersuchten Episoden und Problemfelder werfen. Erst ihre Zusammenschau ermöglicht den Aufbau panoramischer Sichtweisen, die zu übergreifenden Fragestellungen anregen sollen. Die ausgewählten Aspekte können, trotz ihres fragmentarischen Charakters, Einblicke in die faszinierende Welt der Antike und deren Bedeutung für uns heute vermitteln.

Für unsere Gegenwart liefert gerade die Antike überschaubare Modelle möglichen menschlichen Verhaltens. Denn wie kaum ein anderes Zeitalter bietet sie, als ein in jeder Hinsicht geschlossener Kulturkreis, eine ausgezeichnete Materialfülle, um sie mit den darauf aufbauenden historischen Nachfolgeprozessen zu vergleichen. Die im Laufe der Zeit aufgekommenen Sinngebungen der Philosophen, Kulturwissenschaftler, Theologen und Historiker, die sich auf antike Errungenschaften beziehen, sollen ebenfalls einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Es geht um den Beispielcharakter der Antike als Labor für vergangene Ereignisse, als Quelle der Inspiration und Erfahrung für menschliche Grenzsituationen, sowie periodisch auftretende Krisenlagen. Gleichzeitig ist auch ihre Bedeutung als unerschöpfliches Archiv der Erinnerung, als Katalysator unseres kulturellen Erbes und ihre Vorbildfunktion für die zivilisatorische Entwicklung der nachfolgenden Epochen zu würdigen.

Das Wissen darüber, dass jede Beschäftigung mit vergangenen Epochen lediglich Deutungen der ihr zugrunde liegenden Realitäten zu Tage fördern kann und die Einsicht, dass Gewissheiten auf diesem Gebiet kaum zu erlangen sind, bestimmten die Konzeption und den Fortgang der Arbeit, die eine Art Rechenschaftslegung über antike Kernthemen vorzulegen versucht. Gleichzeitig möchte sie deren Bedeutung für ähnlich gelagerte Fragestellungen, Ereigniszusammenhänge oder Gefühlslagen unseres eigenen Erfahrungshorizontes festhalten. Insofern liegt hier kein Lehrbuch, sondern eine Sammlung von Impressionen zur Geschichte und zu Geschichten der Alten Welt vor.

Es kreist um anthropologische Phänomene, die seit ihrer Genese eine ungebrochene Folgewirkung in Zeit und Raum entfaltet haben. Anders ausgedrückt: Sie handeln von unserer Vorgeschichte, die uns deswegen unmittelbar berührt, weil wir in ihr verankert sind und immer noch in ihren Fußstapfen wandeln. Ihre Zusammenstellung ist den Anforderungen nach Relevanz und Aktualität verpflichtet, wobei natürlich eigene Neigungen und Sichtweisen bei der Auswahl der Inhalte zum Tragen gekommen sind. In ihrer Gesamtheit wollen die getroffenen Aussagen einen Leitfaden zeichnen, um historische Rückblicke, die klassische Form der Vergegenwärtigung von Vergangenheit, zu ermöglichen. Zugleich sollen sie aber auch einen aussagekräftigen Ausschnitt über die Heterogenität und Komplexität antiker historischer Zusammenhänge vermitteln. Dies gilt vornehmlich für jene Aspekte, denen gerade heute eine besondere Relevanz zukommt, weil sie auf Entwicklungslinien zurückgeführt werden können, die aus dem Altertum stammen und noch nicht als erledigt oder gar als abgeschlossen zu betrachten sind – trotz der langen Zeitspanne, die zwischen ihnen liegt.

Die thematisierten Episoden begreifen das Geschehen des klassischen Altertums, also das Wirken der Hellenen, Perser, Punier, Juden, Römer, Iberer, Kelten und Germanen, um nur die einschlägigen Akteure zu nennen, als eine miteinander verwobene Sinneinheit, die in einer gemeinsamen zivilisatorischen Entwicklungsstufe wurzelte. Sie wird konstituiert durch analoge politische, ökonomische, soziale, religiöse und geistige Maßstäbe und Wertvorstellungen, die trotz aller Differenzen und unterschiedlichen regionalen Ausprägungen letztlich ein zusammengehörendes Ganzes ergeben. Besonders gut sichtbar wird die Einheit der antiken Weltkultur an der Ausgestaltung der auf dem Sklaveneinsatz beruhenden Arbeitswelt und der Produktionsverhältnisse der griechisch-römischen Gesellschaft, die sich durch eine erstaunliche Homogenität und Langlebigkeit auszeichnen. Ein anderes verbindendes Element stellt die Genese, Entfaltung und Ausbreitung des äußerst komplexen Kultwesens dar, sowie die Art seiner sozialen und politischen Instrumentalisierung im Wandel der Zeit. Auch das Gedeihen der christlichen Gemeinden wäre ohne ihren jüdischen Ursprung, den geistesgeschichtlichen Beitrag der hellenischen Intellektualität und das römische Rechtsdenken unvorstellbar gewesen: Nirgendwo wird Interkulturalität sinnfälliger als auf dem Feld des christlichen Kultbetriebs und dessen Ideenwelt. Als weiteres Element für die Bindewirkung der Antike lassen sich die auf griechischem und römischem Boden entstandenen Verfassungsentwürfe und Staatsformen anführen, welche die Grundlagen der politischen Architektur und Denkvorstellungen der Moderne bilden. Allein diese wenigen Schwerpunkte belegen die Modellhaftigkeit und Integrationsfähigkeit antiker Lebensformen sowie ihren hohen Grad an innerer Vernetzung und Affinität. Begriffe wie Universalität und Globalisierung, heute in aller Munde, sind alles andere als neu und schon gar keine Schöpfung unseres Jahrhunderts. Ihre Vorgeschichte reicht bis in die durch die Prägekraft des Hellenismus und des Imperium Romanum geschaffenen Kulturzonen zurück.

Im Einklang mit diesen Prämissen umfasst das Spektrum der untersuchten Problemfelder neben Grundfragen des menschlichen Zusammenlebens auch Aspekte der Lebensbedingungen diverser antiker Gesellschaften sowie die Wirkmächtigkeit überregionaler Raumhorizonte unter Einbeziehung ihrer Grenzerfahrungen. In diesen Kontext ordnet sich das Ineinandergreifen von Land und Meer als naturgegebene Schaubühnen der Geschichte ein, ebenso wie die Verflechtung von Mythos und Historie als Sphäre der Erinnerung und als Chiffre der Weltdeutung. Auch das Spannungsverhältnis zwischen Herrschen und Dienen als Paradigma für die Machtansprüche Einzelner oder von Kollektiven gehört dazu sowie die Sprengkraft der Gewaltpotenziale, die in den Tiefenstrukturen der antiken Gesellschaften loderten und immer wieder eruptive Ausbrüche erfahren haben, was sich sowohl anhand der periodisch auftretenden Revolten als auch anhand einer endemischen Kriegführung aufspüren lässt. Daneben sind anthropologische Konstanten wie der Vorbildcharakter der Vergangenheit für die Bewältigung der Gegenwart oder die Folgen jeder Form ungehemmter Machtausübung für den Zusammenhalt der näher betrachteten Ereigniszusammenhänge berücksichtigt worden. Als ähnlich relevante Fragestellungen, denen nachgegangen wurde, erwiesen sich die auf antikem Boden entwickelten Herrschaftsformen, der innere Zusammenhang zwischen Geld und Krieg, die Entdeckung des Fremden als Strategie der Selbstvergewisserung beziehungsweise die vielfachen geistigen Sehnsüchte und Bedürfnisse der aus den verschiedenen Ethnien stammenden Individuen sowie die Antworten darauf, die in den einschlägigen Kultgemeinschaften der Alten Welt gegeben wurden.

Blickt man im Detail auf die behandelten Gegenstände, so wird ersichtlich, dass neben Themen aus dem klassischen Repertoire der Beschäftigung mit dem Altertum (Solonischer Bürgerstaat, Peloponnesischer Krieg, Sokratesurteil, Sparta, der Mythos Alexander, Gracchische Reformen, Eroberung Galliens, Limes, Christentum und römischer Staat etc.), andere weniger geläufige, aber deshalb nicht minder wichtige Fragekomplexe (Alalia, Numantia, Phye-Episode, Deiokes, Orient und Okzident als antithetische Größen, Cincinnatus, klerikale Machtkämpfe etc.) eine gebührende Würdigung erfahren haben. In vielen Fällen konnten Neuakzentuierungen vorgenommen werden, die bisher vernachlässigte Aspekte in einem neuen Licht erscheinen lassen. Außerdem dienen diese Akzentuierungen der perspektivischen Erweiterung vorliegender Ergebnisse. Darüber hinaus soll über eine Reihe für das Verständnis der Antike relevanter Sachverhalte (Anachronistische Helden, Dido und Aeneas, Politisierung des Meeres, Herrschaftslegitimation, Herrscherkult im Christentum etc.), Einrichtungen (Polis, Tyrannis, Caesarismus, Augusteisches Principat, Spätantikes Herrschertum, christliche Gotteshäuser etc.), Individuen (Kroisos, Themistokles, Hannibal, Pompeius, Fulvia, Julian etc.) und Problemfelder (demokratischer Mythos, Kalifat oder Zivilgesellschaft, fundamentalistische Tendenzen im römischen Kultbetrieb, Erosion kaiserlicher Machtgrundlagen, trinitarischer Diskurs etc.) informiert und zum Nachdenken angeregt werden.

Die in den einzelnen Kapiteln verzeichneten historischen Zusammenhänge, erörterten Ereignisabfolgen oder Deutungen bieten jeweils einen konzisen Überblick, der als Einstieg für weitere Fragestellungen dienen kann. Im Idealfall sollen die vorgelegten Ergebnisse den Leser zu neuen gedanklichen Anstößen für eine Beschäftigung mit den ausgewählten Problemfeldern anspornen.

Bei der Präsentation der inhaltlichen Schwerpunkte des Buches wurde auf die Ökonomie der Ausführung und auf die Übersichtlichkeit der vorgetragenen Argumente besonderer Wert gelegt, was ein wesentlicher Grund für die relative Kürze der einzelnen Kapitel ist. Kernaussagen sollen prägnant hervorgehoben werden und den Vergleich mit analogen Sachverhalten erleichtern. Denn trotz der Vielfalt der untersuchten Materie gibt es teils deutliche, aber auch manche auf den ersten Blick nicht erkennbare Bezüge, Rückverweise und Verbindungen zwischen den an unterschiedlichen Stellen behandelten historischen Zusammenhängen. Daher sind manche Fragestellungen beziehungsweise bestimmte Individuen unter verschiedenen Rubriken aufgegriffen worden, um ihre vielschichtigen Bedeutungen und ihre diversen Merkmale zu konturieren. Daneben haben sich einige Themen als epochenübergreifende Untersuchungsobjekte angeboten. So zieht sich beispielsweise die Problematik der historischen Würdigung von Machtdiskursen unter Einbeziehung der Frage nach der bildlichen Darstellung von Herrschaft wie ein Leitfaden durch die gesamte Abhandlung. Ähnliches lässt sich über die Politisierung der Religion in der vorchristlichen und christlichen Ära und über die Mythisierung der Geschichte als Rechtfertigungsstrategie oder über das spezifische Eigengewicht des Individuums für das allgemeine Verständnis bestimmter Konfliktlagen oder ganzer Geschichtsabläufe sagen.

Um der Arbeitsweise der antiken Autoren gerecht zu werden, die stets an bedeutenden Persönlichkeiten orientiert bleiben, wurden über eine Reihe von ihnen aus unterschiedlichen Blickwinkeln, sowohl aus der Sicht der literarischen Quellen als auch aus der Perspektive der archäologischen Überreste, mal kürzere, mal längere Porträts angefertigt, was besonders im letzten Kapitel des Buches zum Ausdruck kommt. Sie dienen der Verdeutlichung ihrer Singularität als historisch Handelnde und gleichzeitig der besseren Durchdringung der Epoche, die sie repräsentieren oder gar entscheidend mitgeprägt haben. Ähnlich wie Plato der griechischen Philosophie, Cicero der lateinischen Beredsamkeit, Paulus dem frühen Christentum Grundlage und Gestalt verliehen haben, lässt sich dies auch im politischen Bereich über Perikles als Personifizierung der athenischen Demokratie, Alexander und Caesar als dämonische Machtmenschen, Augustus als dem Begründer einer Staatsform, die Jahrhunderte lang die Geschicke der Welt mitgeprägt hat, oder Constantin als Umgestalter des antiken Kultwesens sagen. Derartige epochenübergreifende, unverwechselbare Charaktere aus dem Altertum, die neben vielen anderen behandelt werden sollen, entfalten eine bis heute spürbare Wirksamkeit.

Mit Bedacht wurde auf eine Auswahl von Zeugnissen aus unserer reichhaltigen antiken Überlieferung zurückgegriffen, um die Themen mit zeitnahem Kolorit anzureichern. Die einschlägigen Textpassagen sollen besonders aussagekräftige Ereignisse oder Entwicklungslinien illustrieren und gleichzeitig dokumentieren. Einige dieser Quellenstellen bilden einen geeigneten Ausgangspunkt für weitere Fragestellungen. Darüber hinaus können sie helfen, umstrittene historische Sachverhalte zu erschließen und deren Tragweite einer erneuten Überprüfung und kritischen Würdigung zu unterziehen.

Einheit und Diversität, so könnte eine Kennzeichnung der Dossiers lauten, die in ihrer Gesamtheit als eine Art bunter Katalog oder bilanzierendes Panoptikum ausgewählter antiker Episoden begriffen werden können und sich durch ihren Facettenreichtum, ihre Wirkmächtigkeit oder aber ihre Singularität auszeichnen. Eindeutigkeit und Komplexität wäre eine weitere denkbare Denomination für jene Kapitel, die aufgrund ihres antithetischen Charakters ein möglichst großes Spektrum kontroverser historischer Sichtweisen zu erfassen versuchen. Dennoch sind, trotz ihrer teilweise disparaten Ausrichtungen, viele der dargebotenen historischen Deutungen kognitiv näher miteinander verzahnt, als ein erster Blick vielleicht vermuten lässt.

Die Eigenart der vorliegenden Abhandlung, die keine strenge Chronologie befolgt, und deren Stoffauswahl, die auf Sinnzusammenhänge hin orientiert bleibt, sind für die verschiedenen Stilebenen verantwortlich. Diese hängen ab sowohl von der Art des jeweils gewählten methodischen Zugriffs als auch von der Absicht, die ihre Ausarbeitung leitete. Neben deskriptiven und narrativen Passagen kommen eine Reihe von im investigativen Duktus pointiert vorgetragenen Ansichten zu bestimmten offenen Fragen zur Sprache, die sowohl Zwischenergebnis als auch Rechenschaftsbericht zur Steigerung des historischen Erkenntnisgewinns darstellen. Letztere sollen aber auch verdeutlichen, auf welch schwankendem Boden wir uns bewegen, wenn wir antike Phänomene oder Sachverhalte, die vordergründig als hinreichend geklärt erscheinen mögen, zu erfassen trachten. Gleichzeitig wird damit aufzuzeigen versucht, wie vorläufig und korrekturbedürftig jede noch so sicher geglaubte Lehrmeinung sein kann.

Eine Gewissheit steht jedoch bei der rückblickenden Bewertung dieser Ansammlung von Fragestellungen, Darlegungen und Analysen rund um das Altertum außer jedem Zweifel: Die wertvollen Hilfeleistungen und Anregungen, die ich aus dem Kreis meiner Mitarbeiter und Doktoranden aus dem Historischen Institut der Universität Potsdam unentwegt erhalten habe. Gerne denke ich an die zahlreichen Gesprächsrunden zurück, in deren Verlauf die Grundzüge und die inhaltlichen Ausrichtungen einiger Kapitel erörtert worden sind. Diese fortwährende Dialogbereitschaft hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Werk konkrete Gestalt annehmen konnte. Ganz herzlich möchte ich mich bei Niklas Engel, Eike Faber, Sandra Kaden, Mario Hensel, Almuth Lotz, Paul Peters, Virginia Poczesny, Matthias Sandberg und Matthias Zein für ihre liebenswürdige, kompetente Anteilnahme bedanken. Ohne ihr Engagement und ihre stete Ermutigung, ohne ihre Treue und Kooperation wäre die Fertigstellung dieses umfangreichen Arbeitsvorhabens kaum möglich geworden. Ihnen allen ist dieses Buch gewidmet.

Wertvolle Anregungen gaben mir Bertram Blum und Manfred Clauss, deren sorgfältige Lektüre des Manuskripts ich nicht hoch genug schätzen kann. Großer Dank gebührt ebenfalls Clemens Heucke und Daniel Zimmermann, den Verantwortlichen der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt, für die von Beginn an sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit, die zur Veröffentlichung des vorliegenden Buches geführt hat.

Die Alte Welt

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