Читать книгу Die Alte Welt - Pedro Barceló - Страница 22

9 Phöniker und Griechen im Westen Karthago

Оглавление

Es war in Megara, der Vorstadt von Karthago, in den Gärten Hamilkars (…). Feigenbäume umgaben die Küchen, ein Sykomorenhain erstreckte sich bis hin zu grünen Laubmassen, wo zwischen den weißen Büscheln der Baumwollstauden Granatäpfel hervorleuchteten. Mit Trauben beladene Weinstöcke rankten bis in das Astwerk der Pinien empor, ein Rosenfeld erblühte unter Platanen; da und dort wiegten sich Lilien über Rasenflächen. Schwarzer, mit Korallenstaub vermischter Sand bedeckte die Pfade, und in der Mitte bildete eine Zypressenallee von einem Ende zum anderen einen doppelten Säulengang aus grünen Obelisken.

(Flaubert, Salammbô)

Wer in der Abenddämmerung zu Schiff von Nordosten kommend in die Bucht von Tunis einfährt, dann Richtung Sidi Bou Said abbiegt und gegenüber dem Hügel von St. Monique mitten im Areal des antiken Karthago das afrikanische Festland betritt, wird Zeuge eines atemberaubenden Spektakels. Er erlebt, wie die Konturen zwischen Firmament, Erde und Wasser sich immer mehr verwischen, bis das Zusammenspiel der Elemente in einer silbergrauen, vom rötlichen Schimmer des ausgehenden Tages durchfluteten Traumlandschaft aufzugehen scheint. Setzt man den Fuß auf den felsigen Küstensaum, so wird man sogleich von einer wohlduftenden Vegetation empfangen. Der Ankömmling schätzt sich glücklich, an dieser Stelle gelandet zu sein. Möglicherweise wurden die ersten aus dem östlichen Mittelmeerraum stammenden Kolonisten, die nach langer, beschwerlicher Fahrt in dieser Gegend festen Boden betraten, von ähnlichen Eindrücken überwältigt.143 Die um einen hervorragenden Naturhafen mitten in einem unbekannten Land von ihnen angelegte Siedlung entwickelte sich nach und nach zu einer bedeutenden Stadt. Um sie und ihre Bewohner zu beschreiben, griff man stets auf Superlative zurück; allein ihr wahres Wesen blieb dadurch nicht minder verborgen, je mehr Stereotypen zur Charakterisierung der Wirklichkeit herhalten mussten. Von Beginn an präsentierte sich Karthago als Synthese dreier Kontinente. Aus Asien hervorgegangen, in Afrika fest verankert, blickte es nach Europa, um sich dorthin auszuweiten. Nie blieb die Stadt abgekapselt, stets oszillierte sie zwischen Land und Meer, schwankte zwischen Selbstbesinnung und Öffnung.

Karthago wurde im Jahr 146 v. Chr. dem Erdboden gleichgemacht.144 Aufgrund der Zerstörung außerstande, sich direkt zu Wort zu melden, weil die eigene schriftliche Überlieferung verlorenging, kam alles Gute wie Schlechte, was es über dieses eigenartige Gemeinwesen zu berichten gab, aus fremden Quellen. Bereits die Kontakte mit den Hellenen aus der Magna Graecia und Sizilien hatten die Aufmerksamkeit der griechischen Kulturwelt auf den wichtigsten phönikischen Stützpunkt des Westens gelenkt. Wegen der späteren weltgeschichtlich bedeutsamen Auseinandersetzung mit Rom sollte Karthago an Berühmtheit gewinnen, aber es waren hauptsächlich kritische, meist feindlich gesinnte Stimmen, die dessen Außenwahrnehmung bestimmten.145 Flauberts verzweifelter Seufzer darüber, dass über das unverfälschte Karthago sich wenig Gesichertes eruieren lasse, bleibt auch heute nachvollziehbar. Die Erfahrungen des Schöpfers von Salammbô, der mittels einer kühnen Umdeutung der trümmerhaften Überlieferung den Blick für das genuine Karthago frei zu bahnen versuchte, sind überaus bemerkenswert. Was jedoch dem Künstler Flaubert erlaubt war, nämlich je nach Bedarf mithilfe seiner Imagination die Lücken der antiken Quellen zu schließen und damit ein farbiges Tableau zu entwerfen, das seinem Roman – übrigens einem der meistgelesenen des 19. Jahrhunderts – die gewünschte Lebendigkeit verleiht, bleibt dem Historiker verwehrt. Im Gegensatz zum Romancier, der ganz im Geschmack seiner Zeit Karthago mit einem aus der Magie des Orients gewirkten Mantel drapiert, ist dieser auf die Ergründung der Ursprünge, die Beobachtung von Entwicklungen und die Analyse der nachprüfbaren Folgen von Ereignissen angewiesen. Er ist daher gezwungen, sich auf historische Sachverhalte zurückzubesinnen und daran anknüpfend Rekonstruktionen und Interpretationen zu entwerfen. Und so erfährt bei Anwendung historisch-analytischer Methoden die magische Anziehungskraft Karthagos eine proportional zur Höhe des neuzeitlichen Romantizismus entgegenstehende Entzauberung.

In kaum einer anderen antiken Stadt verzahnten sich Land und Meer so untrennbar miteinander wie in Karthago. Das Meer war ihr Element und die Flotte ihre Lebensader. Auf diesem Wege gelangten Menschen, Güter und Ideen rasch von weit entfernten Orten zu diesem am Schnittpunkt zwischen dem westlichen und östlichen Mittelmeerraum gelegenen Zentralort.


Das alte Karthago

Hier wurden Rohstoffe zu Fertigwaren verarbeitet, die umliegenden Territorien planvoll für die landwirtschaftliche Nutzung erschlossen. Kaufleute, Seefahrer, Gelehrte und Abenteurer aus aller Herren Länder gingen in Karthago ein und aus. Auch fanden die neuesten Errungenschaften aus der Welt der Kunst, Architektur und des Handwerks rege Aufmerksamkeit. Der maritime Charakter der Stadt hatte ihre Öffnung nach allen Seiten hin begünstigt. So gelang es der griechischen Kultur, lange bevor sie in Rom Wurzeln schlagen konnte, in Karthago einen günstigen Nährboden zu finden. Die Rezeption der neuesten Entwicklungen aus allen Bereichen der Wissenschaft und Technik gab der Stadt einen Vorsprung gegenüber ihren Nachbarn.146 Namhafte griechische Intellektuelle des 4. Jahrhunderts. v. Chr. lobten ihr politisches System und sahen in ihm eine geglückte Mischung aus Augenmaß und Erfolg. Kein Geringerer als Aristoteles kann dies bestätigen, wenn er die Vorzüge der karthagischen Verfassung herausstellte und sie in einem Atemzug mit Sparta nannte.147 Auch Eratosthenes äußerte sich voll des Lobes über die nordafrikanische Enklave. Es verwundert nicht, dass Karthago schon früh ein Anziehungspunkt für Menschen aus dem gesamten Mittelmeerraum geworden war. Dazu kamen Söldner aus Griechenland, Italien, Gallien, Hispanien und Nordafrika. Denn zur Aufrechterhaltung der mittlerweile erworbenen Machtposition war Karthago angesichts seines verhältnismäßig geringen Bevölkerungspotentials bei militärischen Ausein-andersetzungen dazu übergegangen, die Aufgebote der Bürgermilizen durch Söldner zu erweitern.148

Betrachtet man die maritime Ausrichtung Karthagos, wie sie durch den Bericht des Herodot über die Schlacht am Sardischen Meer149 sowie durch die zahlreichen Handelsstützpunkte entlang der westmittelmeerischen Küsten zum Ausdruck kommt, kann man zwar eine Dominanz des Meeres konstatieren, das die Schaubühne für eine der wichtigsten Thalassokratien (Seemächte) des Altertums bot, und ist folglich geneigt, die Bedeutung des afrikanischen Hinterlandes für die weitere Entwicklung der Stadt zu unterschätzen. Tatsächlich aber waren es beide Elemente, Erde und Wasser, die durchaus gleichgewichtig das Schicksal der westphönikischen Metropole von Anfang an mitbestimmten. Dies zeigte sich bereits bei ihrer Gründung im 8. Jahrhundert v. Chr. Die erste Siedlung war einerseits das Ergebnis einer maritimen Expedition, die sich deutlich unterschied von der Anlage vergleichbarer phönikischer Handelskontore, wie etwa die oben angesprochene Niederlassung von Toscanos bei Málaga.150 Andererseits wurde die „Neue Stadt“ einer griechischen apoikia vergleichbar als Ackerbaukolonie angelegt, offen für den Handel und die Ausbeutung des Umlandes. Sie ähnelte mehr einer Polis als einer phönikischen Faktorei und war doch beides zugleich. Diese Doppelfunktion als Land- und Seemacht wird ihre weitere Geschichte entscheidend prägen.151 Während das Meer die Plattform für die schon früh einsetzende Expansion darstellte, bildeten sich markante Schnittpunkte heraus, die eine Einbeziehung des nordafrikanischen Umlandes in das politische Räderwerk des aufstrebenden Gemeinwesens beförderten. Zunächst lässt sich dies ab der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. beobachten, als sich die Karthager entschlossen, durch die Einstellung der Tributzahlungen an die einheimischen Libyer das benachbarte Grenzland zu erobern und als Bestandteil ihres nun vergrößerten Staates einzugliedern, das sich von einer ursprünglichen Kolonialsiedlung zu einer expandierenden Territorialmacht wandelte. Stets versuchte Karthago, seine Agrarproduktion in den fruchtbarsten Landstrichen Nordafrikas auszudehnen, indem es neue Pflanzen und Kulturen einführte sowie die traditionellen Anbaumethoden verbesserte. Bald gehörte das um die Halbinsel von Kap Bon gelegene Hinterland zu den ertragreichsten Anbaugebieten der damaligen Welt.152 In diesem Kontext ist hervorzuheben, dass die namhafteste Schrift über die Landwirtschaft nicht von einem Römer, wie vielleicht angesichts der herausragenden Bedeutung der Agrikultur für die römische Gesellschaft zu vermuten wäre, sondern vom Karthager Mago verfasst wurde.153

Die ersten tyrischen Kolonisten hatten sich inmitten einer von kriegerischen libyschen und numidischen Stämmen beherrschten Umwelt angesiedelt und ihnen Tribute für die Nutzung des Landes entrichtet. Die selbstbewussten Karthager überschritten diese eng gezogenen Grenzen und eroberten neue Areale. Dies war das Werk einer Ackerbau treibenden Aristokratie, die auf diese Art ihre Macht beträchtlich erweiterte und festigte. Parallel dazu erfuhr das überseeische Engagement der Karthager eine deutliche Stärkung, ablesbar an den zahlreichen Emporien auf Malta, Sizilien, Pantelleria, Korsika, Sardinien, Ibiza und entlang der nordafrikanischen und iberischen Küste. Sie bildeten die Eckpfeiler einer an Intensität und Volumen ständig zunehmenden Handelstätigkeit, die aus der karthagischen Republik ein überregionales Wirtschaftszentrum machte. Ihr Hafen wuchs zum wichtigsten Umschlagplatz für Rohstoffe aus dem westlichen Mittelmeerbereich.

Die ökonomische Grundlage der karthagischen Dominanz beruhte auf der Ausbeutung der nordafrikanischen Anbaugebiete und der Beteiligung am Überseehandel.154 Mit der Bildung eines maritimen Handelsimperiums stiegen die Gewinnchancen beträchtlich und damit die Perspektiven der daran Beteiligten, wirtschaftliche Macht in politische Geltung umzumünzen. Die Versorgung der italischen und gallischen Nachfrage sowie die handelspolitische Aktivierung Sardiniens und Siziliens boten der karthagischen Oberschicht ein einträgliches Betätigungsfeld. Es ist nicht zuletzt die Aussicht auf die direkte Vermarktung der landwirtschaftlichen Potenziale im Innern Siziliens (Henna, Segesta) sowie die Kontrolle der Häfen (Panormos, Himera, Agrigent, Selinunt), was die Karthager angespornt hat, Teile der Insel zu erobern und als dauernden Besitz zu beanspruchen. Am Ende einer langandauernden Auseinandersetzung mit Syrakus, der hellenischen Vormacht auf Sizilien, gelang es den Karthagern, den westlichen Teil der Insel ihrem Herrschaftsbereich einzuverleiben.155 Als ein weiteres Ergebnis der meerumspannenden Herrschaft der Karthager sind jene wagemutige Seereisen anzusehen, in deren Verlauf hochseetüchtige Schiffe auf der Suche nach kostbaren Metallen (Kupfer, Zinn) die britannischen Küsten aufsuchten (Fahrt des Himilko)156, oder gar die zentralafrikanische Küste erreichten (Fahrt des Hanno).157 Es war das am Golf von Guinea reichlich vorhandene Gold, das die Karthager anlockte und zum Ausbau eines regen Handelsverkehrs mit den entlegenen Regionen im Herzen des afrikanischen Kontinents veranlasste. Unzählige Karawanen, mit dem Gold und den Edelmetallen Zentralafrikas beladen, durchquerten die Sahara und vermehrten den schon sprichwörtlichen Reichtum der nordafrikanischen Metropole.

Die Alte Welt

Подняться наверх