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2 Zwischen Realität und Zauber Der Schild des Achilleus

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Der Schilderung der Lebensbedingungen in der bäuerlich geprägten Welt Hesiods lässt sich eine homerische Episode zur Seite stellen, welche ebenfalls die Bedeutung der Gerechtigkeit für die sittliche Ordnung des Gemeinwesens anspricht. In der detailreichen Beschreibung von Achilleus’ Schild im 18. Gesang der Ilias begegnet uns eine der bemerkenswertesten Passagen des um den trojanischen Krieg kreisenden Epos. Sie erscheint völlig frei von jeder militärischen Konnotation. Plötzlich werden wir in eine friedvolle, zivile Atmosphäre versetzt, die den Blick freimacht für das Alltagsleben der homerischen Welt und uns wertvolle Einsichten über ihre genuinen Institutionen vermittelt. Die bukolisch anmutenden Szenen zeigen uns in der als Schauplatz des Geschehens abgebildeten Gemeinde einen Hochzeitszug, der das Straßenbild der Stadt belebt, während auf dem Marktplatz einer anderen Stadt die Honoratioren des Ortes sich versammelt haben, um den Streit zwischen zwei Männern zu schlichten. Die bemerkenswerte Episode wird folgendermaßen beschrieben: Darauf zwei Städte auch schuf er der vielfach redenden Menschen, blühende; voll war die eine hochzeitlicher Fest und Gelage. Junge Bräute aus den Kammern geführt beim Scheine der Fackeln, gingen einher durch die Stadt, und hell erhob sich das Brautlied; tanzende Jünglinge drehten behende sich unter dem Klange der von Flöten und Harfen ertönte, aber die Frauen standen bewunderungsvoll vor den Wohnungen jede betrachtend. Auch war dort auf dem Markt gedrängt des Volkes Versammlung, denn zwei Männer zankten und haderten wegen der Sühnung um den erschlagenen Mann. Es beteuerte dieser dem Volke, alles habe er bezahlt; ihm leugnete jener die Zahlung. Jeder drang, den Streit durch des Kundigen Zeugnis zu enden. Diesem schrien und jenem begünstigend eifrige Helfer, doch Herolde bezähmten die Schreienden. Aber die Greise saßen umher im heiligen Kreis auf gehauenen Steinen und in die Hände den Stab dumpf rufender Herolde nehmend, standen sie auf nacheinander und redeten wechselnd ihr Urteil. Mitten lagen im Kreis auch zwei Talente des Goldes, dem bestimmt, der vor ihnen das Recht am gradesten spräche.33

Diese außergewöhnliche Passage spiegelt die literarische Umsetzung einer ikonographischen Darstellung wider, welche dem Dichter zufolge, der sie überliefert, in der Mitte eines Schildes angebracht war, den der Gott Hephaistos selbst im Auftrage Zeus’ für den Trojakämpfer Achilleus angefertigt hatte. Die dargebotenen Szenen führen uns zu einer Art locus amoenus, durchaus vergleichbar mit dem Phäakenland, der ganz anders als die blutige Welt der Krieger, die in der Ilias das vorherrschende Ambiente dominiert, vom Alltagsleben einer normalen Stadt erzählt. Durch die Aufzeichnung eines Hochzeitszuges wird eine bürgerliche Szenerie vorgestellt, die eine festliche Atmosphäre ausstrahlt, wie sie auch heute überall vorkommen kann. Das im Zentrum des anderen Tableaus stehende Gerichtsverfahren, das die auf den Ausgang des Streitfalls neugierige Bevölkerung des Ortes gefangen hält, gewährt uns Einblicke in das interne Getriebe eines homerischen Gemeinwesens. Neben den an der Klage beteiligten Parteien erscheinen zwei Männer, die über das Schmerzensgeld für ein Blutverbrechen verhandeln. Um sie herum gruppieren sich alle Organe, die für die Gewährung von Rechtsicherheit in der Stadt zuständig sind. Die Herolde fungieren als Hilfs-personal der Justizverwaltung, da sie mit ihrer Präsenz dazu beitragen, den Urteilsspruch zu legitimieren und durchzusetzen. Die Anspielung auf die Belohnung, die derjenige erhalten soll, der die Gerechtigkeit triumphieren lässt, vollendet das komplexe Panoptikum sozialer Interaktion und verleiht der gesamten Situation einen Hauch institutioneller Prägung. Diese Inszenierung einer ursprünglich privaten Angelegenheit, die aber durch ihre Verhandlung in einem öffentlichen Raum eine übergreifende politische Bedeutung erhält, verkündet zugleich eine Botschaft, der ein exemplarischer Aussagewert zukommt: Von der gerechten, maßvollen Rechtsprechung hing nicht nur das Schicksal des einzelnen Bürgers, sondern auch die Stabilität und die Zukunft jeder politischen Gemeinschaft ab.

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