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Siebtes Kapitel

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Sieh an, sieh an, dachte Hannah Yorke und lachte stumm. Hier kommt der ehrenwerte Gus McQueen. Er steigt tief in die Hölle hinab, um seinen verlorenen Bruder nach Hause zu holen.

Der arme Gus. Ein rechtschaffener Mann wie er empfand seinen wilden, zuchtlosen Bruder wahrscheinlich die meiste Zeit als eine schwere Prüfung. Aber er hatte mehr Mut und weniger Vernunft, als sie ihm zugetraut hätte. Rafferty war angetrunken. Sich mit ihm anzulegen, war etwa so, als greife man mit bloßen Händen nach einer Klapperschlange.

Gus McQueen erinnerte sie immer an einen zahmen, goldbraunen Bären. Das lag an seiner Größe und an der drolligen Art, wie er sich bewegte. Er blieb stehen, damit sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnen konnten. Seine Augen waren tiefblau, wie der vom Wind blankgefegte Himmel, und der Blick, mit dem er den Raum durchbohrte, war kalt genug, daß man mitten im Sommer hätte frieren können.

Hannah trat hinter der Bar hervor. Sie griff in die Tasche ihres Rocks und schloß die Finger um den Elfenbeingriff der kleinen Pistole, die sie immer bei sich trug. Bei den hohen Frachtkosten würde sie nicht zulassen, daß Tische oder Stühle zu Kleinholz gemacht wurden. Blut ließ sich von einem unlackierten Holzfußboden nie leicht entfernen.

Gus ging zu seinem Bruder hinüber. »Da bist du ja«, sagte er.

»Ja«, sagte Rafferty und zog das Wort in die Länge. »Ja, hier bin ich.«

»Auf der Ranch wartet die Arbeit.«

Rafferty warf eine Kreuzkönigin durch die Luft in Richtung Hut. »Komm wieder, wenn ich nicht beschäftigt bin.«

Gus fing die Karte in der Luft auf und zerknüllte sie in seiner großen Hand. »Du bist blau«, sagte er, und man hörte den Ekel in seiner Stimme.

»Noch nicht, aber ich gebe mir Mühe, es zu werden.« Raffertys lange Finger hatten sich zur Faust geballt. Jetzt griff er nach dem Hals der Flasche und goß sich den Whiskey in den offenen Mund.

Gus starrte auf seinen Bruder. In seinem Gesicht kämpften Abscheu und Zorn miteinander. Hannah bedauerte ihn in diesem Augenblick beinahe. Es war hart, jemanden zu lieben, sich um ihn zu bemühen und trotz allem dem anderen gleichgültig zu sein.

»Wir hätten schon vor einer Woche mit dem Zusammentreiben für das Brennen anfangen sollen«, sagte Gus.

»Du bist beinahe ein Jahr weggeblieben, und plötzlich ist dir die Ranch wieder das Wichtigste im Leben. Entschuldige, wenn ich in Hinblick auf deine Wünsche nicht auf dem laufenden bin.«

»Sie war auch deine Mutter. Du hättest mitkommen können.«

»Ich habe nie eine schriftliche Einladung zu dieser Feier bekommen.« In Raffertys Wangen stieg eine Röte, die nicht nur vom Alkohol kam. »Geh, Gus, du ärgerst mich, und wenn ich mich ärgere, fange ich an zu schwitzen. Und Schwitzen ist eine Verschwendung von gutem Whiskey.«

Einen Augenblick sagte keiner der beiden Männer etwas, aber die Spannung stieg.

Gus riß sich den Hut vom Kopf, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und setzte den Hut mit einer heftigen Bewegung wieder auf. »Hör zu, ich weiß, daß du stinksauer auf mich bist, und ich gebe zu, daß du vielleicht Grund dafür hast. Aber das ist keine Entschuldigung, um die Ranch zu vernachlässigen, dich sinnlos zu besaufen und wie ein dummer Junge hier in der Stadt die Zeit zu vertun.«

»Falls es dir entgangen sein sollte. Rainbow Springs ist keine ›Stadt‹ wie Boston.« Rafferty machte eine weitausholende Bewegung mit der Whiskeyflasche. »Mehr als das hier gibt es nicht.« Er sah seinen Bruder mit zusammengekniffenen Augen an. »Was ärgert dich eigentlich wirklich, Gus? Hängt dir deine Ehe vielleicht schon wie ein Mühlstein um den Hals? Warum gehst du nicht nach Hause zu deiner Frau und läßt mich bei meiner?«

»Deine Frau?« Gus richtete den Blick auf Hannah. Er musterte sie von Kopf bis Fuß und verzog höhnisch den Mund. »An deiner Stelle würde ich nicht so laut solche Ansprüche auf Mrs. Yorke erheben, kleiner Bruder. Für drei Dollar ist sie jedermanns Frau.«

Es überraschte selbst Hannah, wie schnell Rafferty vom Stuhl aufsprang. Gus wich einen Schritt zurück, blieb aber entschlossen stehen. Er drehte den Kopf etwas zur Seite und reckte das Kinn. »Willst du mich verprügeln, Zach? Bitte, nur zu.«

Rafferty atmete hörbar aus. »Ich schlage mich nicht mit dir.«

Er kippte die Spielkarten auf den Tisch, warf die Bänder in den Hut und setzte ihn auf. Dann griff er nach der Whiskeyflasche und nahm noch einen Schluck. Gus stand schwer atmend und mit geballten Fäusten daneben. Hannah konnte es ihm irgendwie nicht verübeln, daß er jemanden verprügeln wollte. Wahrscheinlich war das die längste Unterhaltung, die er seit Jahren mit seinem Bruder gehabt hatte. Aber es war ungefähr so, als wollte er einen Stier überreden, auf einen Baum zu klettern.

Rafferty machte einen Schritt in Richtung Tür. Gus packte ihn am Arm und zog ihn herum. »Du wirst dich mit mir schlagen müssen, wenn ich dir die Zähne einschlage.«

Rafferty grinste und hob die Whiskeyflasche zum Mund. Gus war mit seiner Faust schneller.

Die Wucht des Schlages traf Rafferty unvorbereitet. Er taumelte gegen den Tisch, der unter seinem Gewicht wegrutschte. Rafferty ging mit einem Knall zu Boden, bei dem die Fensterscheiben vibrierten. Irgendwie hielt er die Flasche immer noch in der Hand, obwohl ihm der meiste Whiskey über Gesicht und Hemd spritzte. Er hielt die Flasche in die Luft und lachte.

Hannah wartete nicht ab, um zu sehen, ob er mit der Flasche in der Hand ausholen würde. Sie zog die Pistole aus der Tasche und drückte ab. Der Schuß hallte wie Donner an einem heißen Nachmittag. Die Flasche barst in seiner Hand. Glassplitter und funkelnde Whiskeytropfen regneten auf ihn herab.

Rafferty blickte auf den gezackten Hals aus braunem Glas in seiner Hand. »Scheiße!« sagte er und lachte schallend. Auch Hannah konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

Die beiden lachten immer noch, als er sich die Glassplitter vom Hemd wischte, während Gus sie wütend anstarrte. Hannah dachte, sie fände Gus McQueen wahrscheinlich sehr viel netter, wenn er nicht jedesmal den größten Wert darauf legen würde, in ihr eine Hure aus Deadwood zu sehen.

Sie lächelte ihn liebenswürdig an. »Wenn Sie jemanden zusammen – schlagen müssen, Mr. McQueen, dann tun Sie das draußen und nicht in meinem Saloon.«

Rafferty zog sich am Tisch in die Höhe und drückte den Handrücken an die aufgeplatzte Lippe. Er blickte auf das Blut und dann auf Hannah, als hätte sie ihm den Schlag versetzt.

»Mein Gott«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Irgendwann schießt du mit dem Ding daneben und bringst einen Menschen um.«

»Wenn ich beschließe, jemandem eins auf den Pelz zu brennen, werde ich es dich wissen lassen.« Sie machte eine Bewegung mit der Pistole.

»Raus hier! Tragt eure Meinungsverschiedenheiten draußen aus.«

»Schon gut, schon gut. Ich gehe ja schon. Zum Teufel, wozu die ganze Aufregung?« Er ging lässig zur Tür. Gus warf Hannah noch einen letzten verächtlichen Blick zu und folgte ihm.

Die Tür fiel hinter Rafferty zu. Gus drückte sie mit dem Handrücken auf und lief geradewegs in eine geballte Faust, die ihm einen gezielten Schlag in den Magen versetzte.

Gus krümmte sich stöhnend. Er holte keuchend Luft und stieß sie keuchend wieder aus. Er hob den Kopf und starrte seinen Bruder an. »Ich dachte ... du wolltest ... dich nicht mit mir prügeln.«

Rafferty stand breitbeinig vor ihm. Er verlagerte das Gewicht auf die Fußballen. Seine Hände hingen locker an den Seiten. Die braungelben Augen lachten, funkelten aber gleichzeitig auch verächtlich. »Na und, ich habe nur wieder einmal gelogen.«

Gus richtete sich auf und sprang mit einem so zornigen Schrei vorwärts, daß Hannah hinausrannte. Sie hätte sich einen Kinnhaken eingehandelt, wenn sie sich nicht gerade noch rechtzeitig geduckt hätte. Sie drückte sich an die Schwingtüren und sah dem Kampf zu.

Gus holte aus und traf Zach seitlich am Kopf. Der Treffer riß ihm den Hut herunter. Rafferty taumelte rückwärts. Er revanchierte sich bei seinem Bruder wieder mit einem Schlag in die Magengrube, der wie ein Axthieb in feuchtes Holz klang. Die beiden Brüder hielten sich fest umklammert und fielen rückwärts vom Gehsteig. Sie rangen ächzend miteinander, landeten beinahe in dem wassergefüllten Pferdetrog und rammten den Anbindebalken. Das morsche Holz splitterte.

Sie saßen schließlich keuchend im Schlamm zwischen den Holzsplittern und grinsten sich an. Aber dann ging der Kampf erst richtig los.

Sie schlugen mit den Fäusten zu, man hörte Stöhnen und sah Blut fließen. Es dauerte nicht lange, bis die Rauferei Zuschauer anzog wie der Mist die Fliegen. Die Männer aus dem Mietstall kamen herüber, um zuzusehen. Sam Woo tauchte aus seinem Laden auf und eilte herbei. Mrs. McQueen folgte ihm dicht auf den Fersen. Hannah hatte sie noch nie so schnell laufen sehen – sie rannte beinahe.

Eine Dame, dachte Hannah, würde bei diesem brutalen Schauspiel Ekel und Entsetzen empfinden, vielleicht sogar ohnmächtig werden. Aber Hannah spürte ein Prickeln und wußte, es war eine sehr sinnliche, animalische Erregung. Ihr Rafferty kämpfte hart und männlich. Sie bewunderte seinen geschmeidigen, gefährlichen Körper, die rohe Gewalt seiner Schläge und die Wildheit in seinen Augen. Er war bei dem Kampf wie bei der Liebe rücksichtslos. Er ging bei allem aufs Ganze.

Gus landete einen Treffer auf Zachs Auge und einen anderen in seine Rippen. Rafferty fiel schwer, aber locker gegen die Wand des Saloons. Mit einem Satz sprang er wieder auf und versetzte Gus einen Schlag ins Gesicht. Gus wurde zurückgeschleudert. Aus Nase und Mund flössen Blut und Speichel. Er schwankte und schüttelte den Kopf. Aber schon traf ihn der nächste Haken.

Eine zierliche Hand in einem schwarzen Handschuh umklammerte Hannahs Arm. »Bringen Sie die beiden dazu aufzuhören«, flehte Mrs. McQueen.

»Schätzchen, niemand bringt die Jungs dazu aufzuhören, bis einer von beiden k. o. geschlagen ist. Sie sind so wild, daß sie den allmächtigen Gott persönlich zusammenschlagen würden, falls er hier auftauchen würde und brüderliche Liebe predigen sollte.«

Clementine McQueen hob die Schleppe, preßte die Lippen zusammen und ging damenhaft um die beiden Kampfhähne herum.

Die beiden hatten inzwischen viel Dampf abgelassen und schnauften wie Lokomotiven an einer Steigung. Sie hielten sich schwankend umklammert, ihre Schläge waren kurz und schwach. Clementine ging zum Trog, und Hannah dachte, sie wollte die Männer vielleicht mit Wasser abkühlen, als wären sie ein paar kämpfende Kater. Statt dessen bückte sie sich, hob ein Stück des gesplitterten Anbindepfostens auf und hob es hoch über ihren Kopf.

Sie zielte auf den Kopf ihres Schwagers und traf ihn an der Schulter. Es war kein harter Schlag, aber Zach wurde auf sie aufmerksam. Er drehte sich auf unsicheren Beinen um, als sie gerade wie ein Amateurboxer zu dem nächsten Schlag ausholte. Allerdings umklammerte sie noch immer das Holz und schlug es Rafferty direkt zwischen die Beine. Er ging stumm in die Knie, preßte beide Hände auf die sehr empfindliche Stelle und krümmte sich. Dabei stieß er pfeifend den Atem aus.

Mrs. McQueen stand mit dem Holz in der erhobenen Hand vor ihrem Schwager. Hannah schloß aus ihrem Gesichtsausdruck, daß sie ihm einen Schlag auf den Kopf versetzen wolle. Aber sie ließ das Holz fallen und wich zurück. Eine flammende Röte überzog ihr Gesicht. Sie atmete schwer und fuhr sich mit der Zunge über die feuchten Lippen.

Gus stand schwankend da und drückte sein Halstuch an die blutende Nase. Er prüfte vorsichtig, ob er noch alle Zähne im Mund hatte. Zach war es gelungen, sich auf Hände und Knie zu stützen. Er erbrach Ströme von Whiskey. Mrs. McQueen sah ihn mit unverhülltem Abscheu an.

Gus machte einen Schritt auf seinen Bruder zu. Hannah hielt ihn zurück. Das Hemd hing ihm in Fetzen am Leib. Auf seinen Muskeln glänzten Schweiß und Blut – soviel Blut, daß es aussah, als komme er gerade vom Schweineschlachten. Sein Gesicht war so geschwollen, daß sie lächeln mußte.

»Schätzchen«, flötete sie. »Ihre vornehme Frau hat Ihrem Bruder gerade die Eier irgendwo in die Nähe der Rippen geschlagen. Wenn er keine Sterne mehr sieht und wieder zu Atem kommt, wird er jemanden umbringen wollen. Ich nehme an, Sie sollten Ihre vornehme Frau auf dem schnellsten Weg nach Hause bringen.«

Gus nickte, wischte sich das Blut von Mund und Nase und nickte noch einmal.

Hannahs Blick richtete sich auf Mrs. McQueen. Sie wirkte sehr zufrieden mit sich.

»Ich hoffe, es tut ihm weh«, sagte Clementine zu Hannah. Sie sprach nicht von ihrem Mann.

Rafferty kniete immer noch im Schlamm und würgte.

»Und wie weh es ihm tut.«Hannahs Lächeln war eher ein Grinsen. Und dann lächelte die vornehme junge Frau ebenfalls. Es war das Lächeln weiblicher Macht. Es kam nicht oft vor, daß es einer Frau gelang, einen Mann in die Knie zu zwingen.

»Die Vorstellung ist zu Ende, Leute«, sagte Hannah und drängte die Zuschauer in Richtung des Saloons. Sie hoffte nicht zu Unrecht, die Männer würden sich an die Bar stellen, über den Kampf reden und ihn mit ihrem teuren Fusel begießen.

Dann kauerte sie sich neben ihren besiegten Helden. Das feuerrote Kleid schleppte über den Schlamm. Der Whiskey war aus ihm heraus. Inzwischen würgte er nur noch trocken. Sie legte ihm die Hand auf den zuckenden Rücken.

»Benimm dich nicht wie ein kleines Kind, Zach. Außer deinem Stolz hat sie nichts verletzt.«

Er richtete sich vorsichtig auf, streckte die Beine aus und lehnte sich gegen den Trog. Er legte beide Hände auf die schmerzende Stelle zwischen den Beinen und stieß langsam mit zusammengebissenen Zähnen den Atem aus.

»Scheiße!«

Sie lachte.

Er sah sie mit einem blutunterlaufenen Auge an, das andere schwoll gerade zu.

»Worüber lachst du denn, zum Teufel? Ich hätte mich überhaupt nicht mit ihm geprügelt, wenn er dich nicht eine ›Hure‹ genannt hätte.«

»Mein Gott, Zach, ich bin eine Hure. Daß ich mich nicht mehr verkaufe, spielt doch keine Rolle! Eine Frau kann ihrer Vergangenheit nicht entrinnen. Und ein Cowboy wie du sollte das inzwischen kapiert haben. Danke, Shiloh«, sagte sie, denn der Barmann erschien gerade mit einer neuen Flasche Whiskey. Rafferty nahm sie ihm aus der Hand und trank so gierig, daß ihm der Alkohol aus den Mundwinkeln lief. Der scharfe Whiskeygeruch mischte sich mit dem Geruch von Schlamm, Blut, Schweiß und Gewalt.

Sie beobachtete die Muskeln an seinem sehnigen gebräunten Hals, während er schluckte. »Was dein großer Bruder sagt, interessiert mich nicht. Er ist mir gegenüber immer so steif. Ich nehme an, das liegt daran, daß nichts an ihm in meiner Gegenwart steif wird. Er gesteht sich nicht gerne ein, daß er Schwächen hat wie jeder andere Mann auch. Du bist eine schwere Prüfung für ihn, Zach, und ein ständiges Ärgernis. Aber das kommt nur daher, daß ihm etwas an dir liegt. Er hat auch seine guten Seiten. Das mußt du zugeben.«

Rafferty fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht. »Zum Teufel, ich weiß, daß er seine guten Seiten hat. Aber das heißt nicht, daß er sie mir dauernd unter die Nase reiben muß.« Er verlagerte das Gewicht auf die andere Seite und stöhnte. »Ich glaube, ich bleibe eine Weile hier sitzen.«

»Im Schlamm?«

»Ja, der Schlamm ist angenehm. Er ist so weich.«

Hannah setzte sich neben ihn. Ihr Rock hatte Schlamm- und Blutspritzer; die Flecken würden nie verschwinden. Aber zum Teufel – sie war reich und konnte sich eine ganze Wagenladung Kleider leisten. Dieser Cowboy war mehr wert, als sie zuerst geglaubt hatte. Sie würde ihn eine Weile behalten.

Er legte dankbar den Kopf an ihre Schulter, und sie flüsterte: »Es war lieb von dir, Rafferty, daß du meine Ehre verteidigt hast. Das hat bisher noch niemand getan.«

»Scheiße, Hannah!«Er wurde vor Verlegenheit rot. Ohne sie anzusehen, stahl er ihr schon wieder ein kleines Stück ihres Herzens. Sie hatte schon immer eine Schwäche für Männer gehabt, die vor Verlegenheit rot werden konnten.

Hannah stützte sich auf ihre ausgestreckten Arme und sah zum Himmel hinauf. Es war, als blicke sie auf eine tiefe blaue Schale. Nichts konnte so blau und endlos und leer sein wie der Himmel von Montana. Sie fühlte sich erstaunlicherweise glücklich. Sie wollte eigentlich lachen, doch ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Sie hörte das Quietschen einer Wagenachse und das Klirren von Pferdegeschirr. Sie richtete sich auf und sah Gus McQueen und seiner Frau nach, als sie die Stadt verließen.

Die vornehme Dame hat an diesem Nachmittag hier alles ziemlich in Aufregung versetzt, dachte Hannah staunend. Zuerst hat sie sich mit den Indianern eingelassen, dann mit einer Hure geplaudert und schließlich den starken Zach auf die Knie gezwungen. Es scheint beinahe, als hätte sie beschlossen, alles, was unerfahren und ahnungslos an ihr ist, an einem einzigen Tag loszuwerden.

Hannah sah Rafferty an. Er beobachtete ebenfalls, wie Gus mit seiner Frau davonfuhr. Sein Gesicht war so geschwollen, daß man schwer sagen konnte, was er dachte. Er schwieg wie der blaue Himmel über ihnen.

Clementine preßte einen Umschlag aus rohen Kartoffeln auf die Schwellung unter seinem rechten Auge. Gus zuckte zusammen und holte stöhnend Luft.

»Au! Verd ...«

»Wenn du die Behandlung nicht ertragen kannst, solltest du dich so benehmen, daß du sie nicht brauchst.«

»Hm. Du fängst an, wie eine richtige Ehefrau zu klingen, Clementine«, murmelte er undeutlich mit aufgeplatzten Lippen. »Auuuu ... Paß auf, sonst könnte noch jemand auf den Gedanken kommen, du liebst mich ... autsch!« Er griff nach ihrem Handgelenk und zog die Hand mit der Kompresse von seinem Gesicht. »Es war nicht so, wie du denkst.«

Sie warf die Kompresse auf den Tisch. Sie landete auf dem braunen Wachstuch. Ihr Mann, der sich selbst als Abstinenzler rühmte, stank wie eine ganze Kneipe. »Ich erlebe, daß du dich mit deinem Bruder vor dem Saloon dieser Frau, die du verachtest, prügelst, und du hast die Unverschämtheit zu behaupten, es sei nicht so, wie ich denke.«

»Weil es nicht so war. Ich bin nur hineingegangen, damit Zach aufhört, mit dieser Hannah Yorke ... auuu! Ich wollte ihn mit nach Hause bringen, wo es Arbeit für ihn gib.«

Er saß an dem alten Tisch. Jetzt stand er unsicher auf und ging vorsichtig in der kleinen Hütte hin und her. Er bewegte sich steif wie ein alter Mann. Sein Gesicht war noch blutig und verquollen. Es tat ihr weh, ihn anzusehen. Sie verstand nicht, warum er sich mit seinem Bruder vor dem Saloon geprügelt hatte.

Und sie verstand sich selbst nicht. Sie hatte nach einem Stück Holz gegriffen, einen Mann damit zusammengeschlagen und war auch noch froh darüber gewesen. Nein, mehr als froh, sie hatte triumphiert.

»Mein Bruder wird von Tag zu Tag unverantwortlicher«, murmelte Gus ärgerlich. »Whiskey, Frauen und Karten, das ist alles, wofür er sich interessiert.«

Clementine wollte nicht über Mr. Rafferty reden. Dieser Mann beunruhigte sie. Leider faszinierte er sie, obwohl sie nicht wollte, daß er überhaupt eine Wirkung auf sie hatte. Sie wollte, daß er so schnell wie möglich aus ihrem Leben verschwand.

»Vielleicht will er nicht gerettet werden«, sagte sie. »Vielleicht ist es das beste für euch beide, du zahlst ihm seinen Teil an der Ranch aus und läßt ihn davonreiten.« In sein Verderben, fügte sie stumm hinzu.

Gus fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und griff sich an den Kopf. Er seufzte und ließ die Schultern hängen. »Das verstehst du nicht. In dem letzten Sommer, den Zach und ich als Kinder zusammen waren, weißt du, was mein Bruder da gemacht hat?« Er nahm die Kompresse und legte sie sich vorsichtig auf den Kopf. Er hatte Schmerzen, aber sie bedauerte ihn nicht. Nach einer Weile sprach er leise und mit sichtlicher Mühe weiter. »Er hat gelernt, den Leuten die Taschen auszuräumen. Verstehst du, Clementine, während der Alte ... Er zog damals mit einer Seelenrettungsaktion den Mississippi hinauf und hinunter ... während also unser Vater vor den Leuten stand und mit viel ›Halleluja‹ und ›Amen‹ betete, ging Zach unbemerkt durch die Menge und bestahl die Leute ... meistens waren es nur billige, vergoldete Uhren und rostige Pennies. Aber es gab Zeiten, da war es nur seinen kümmerlichen Nebeneinkünften zu verdanken, daß wir abends nicht hungrig zu Bett gingen.« Er stöhnte und warf die Kompresse wieder auf den Tisch.

»Mein kleiner Bruder ... hat immer für uns alle gesorgt.«

Er machte eine Pause und ließ den Kopf sinken.

»O Gus, es würde mir nie in den Sinn kommen, dich oder deinen Bruder wegen etwas zu verurteilen, das geschehen ist, als ihr noch Kinder gewesen seid.«

Er stöhnte und betastete sich vorsichtig den Bauch. »Ja, aber du mußt das verstehen. Ich habe nie für etwas anderes getaugt, als zu träumen, mir Geschichten auszudenken und mich in meiner Traumwelt zu verstecken. Mein Bruder war anders. Er ist zum Kämpfen geboren ... er ist so zäh wie Büffelleder. In dem letzten Sommer, er war damals erst zehn ... eines Abends kommt der Alte nach Hause ... wir schliefen damals in einem Zelt ... also er kommt herein, riecht nach Whiskey und nach Blut. Außerdem fehlte ihm ein Auge. Zach war bei ihm und ... sein Hemd war schwarz vor Blut, in seinen Haaren klebte getrocknetes Blut, und er hatte es an den Händen. Der Alte sitzt blutend im Zelt und jammert: ›Der Saukerl hat mir mein Auge ausgestochen.‹Zach packt derweilen unsere Siebensachen zusammen und schlägt das Zelt ab. Nur einmal hat er zu dem Alten gesagt, er soll still sein.«

Gus verstummte, als sei es das Ende der Geschichte.

Clementine schwieg.

Sie konnte ihm nicht so recht folgen.

»Eine Woche später«, fuhr Gus unvermittelt fort, »habe ich in einer anderen Stadt in der Zeitung einen Bericht über einen Falschspieler gelesen. Man hatte ihn tot aufgefunden. Jemand hatte ihn mitten ins Herz gestochen.«

Clementine brauchte eine Weile, bis sie begriff, was das eine mit dem anderen zu tun hatte, und dann konnte sie es nicht glauben. »Willst du damit sagen, dein Vater ...«

»Großer Gott, nein! Nicht der Alte.« Er stöhnte wieder, aber vielleicht lag es nicht nur an den Schmerzen. »Das würdest du wissen, wenn du ihm begegnest. Er ist vielleicht ein Betrüger, ein Dieb, und er geht mit den Frauen anderer Männer ins Bett. Er spielt mit gezinkten Karten, aber beim kleinsten Anzeichen von Gewalt läuft er wie ein Präriehuhn davon.«

Jetzt verstand Clementine, obwohl sie nicht verstehen wollte. Sie wollte nicht daran denken, welchen verzweifelten Mut und welches Entsetzen ein Zehnjähriger empfunden haben mußte, um einen erwachsenen Mann mit einem Messer zu erstechen. Sie wollte nicht daran denken, welche Spuren das in einem Jungen hinterlassen mußte, selbst wenn er zäh wie Büffelleder war.

»Gus, vielleicht ...«

»Mein kleiner Bruder ist noch nie vor etwas davongelaufen.«

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Wenn er so etwas getan hat, wenn er den Spieler umgebracht hat, dann wollte er vielleicht das Leben deines Vaters retten. Vielleicht hatten die beiden Dinge auch nichts miteinander zu tun. Ich meine, was du in der Zeitung gelesen hast, und das mit dem ausgestochenen Auge deines Vaters.«

Gus murmelte: »Ja, vielleicht ... Kurz danach, kurz nachdem Vater das Auge verloren hatte, haben wir uns getrennt. Mama sagte, sie werde in den Norden fahren und ihre Verwandten besuchen. Sie hat mich mitgenommen und meinen Bruder zurückgelassen. Sie wußte natürlich, daß sie nicht wiederkommen würde. Zach mag zwei Jahre jünger sein als ich, aber er muß schon alt geboren worden sein, denn er hat immer für uns gesorgt und sogar gestohlen, wenn es sein mußte. Und wir, Mama und ich, wir haben ihn im Stich gelassen. Wir haben ihn im Stich gelassen, und es war niemand da, der für ihn gesorgt hätte.«

Sie blickte in sein geschwollenes Gesicht und spürte sein schlechtes Gewissen und auch ... Angst. Wie immer erschreckte es sie, Angst bei ihm zu entdecken. Ihr Cowboy hätte eigentlich in jeder Hinsicht ein Held sein müssen. Aber inzwischen kannte sie ihn etwas besser und wußte, daß er sich davor fürchtete zu versagen. Er hatte Angst, nicht der Mann zu sein, der er seiner Meinung nach sein sollte.

»Ich bin es ihm schuldig, Clementine. Ich kann ihn nicht ein zweites Mal enttäuschen.«

»Nein, Gus«, sagte sie. »Du wirst ihn nicht enttäuschen. Schließlich ist er dein Bruder.«

Das Licht verblaßte allmählich. Sie nahm die Petroleumlaterne vom Haken an der Decke. Als sie den Papierschirm hob, um die Laterne anzuzünden, hörte sie Gus zuerst schnauben, dann leise und schließlich laut lachen.

Sie sah ihn mit dem Streichholz in der Hand erstaunt an. »Was hast du?«

»Ich mußte gerade an das Gesicht von Zach denken, als du ihm das Holz zwischen die Beine gestoßen hast.« Er lachte, aber diesmal war es kein echtes Lachen. Seine Schultern zuckten, er schnaufte und wimmerte, weil ihm vom Lachen alle Prellungen und Schürfwunden im Gesicht schmerzten. »Mein Gott ... mein Gott ... Ich glaube, wenn er sich soweit erholt hat, daß er hier auftaucht, wird er es sich zweimal überlegen, bevor er dir zu nahe kommt.«

Clementine biß sich auf die Unterlippe. Sie wollte lächeln, dachte aber, daß sie es eigentlich nicht tun sollte. Gus hörte auf zu lachen. Er sah sie staunend an. Sie wußte, was er dachte. Sie hatte etwas getan, das sich nicht besonders gut mit seiner Vorstellung von dem vertrug, was eine wohlerzogene Dame tun würde.

Sie pumpte Wasser in das Becken, um die Kartoffeln zu kochen, und dachte dabei an die Hausarbeiten, die am nächsten Tag auf sie warteten. Zuerst mußte sie waschen. Sie hatte kein einziges frisches Unterhemd und keine Unterhose mehr. Der Lampenschirm war schwarz von Ruß und mußte gründlich geputzt werden. Sie hatten schon wieder beinahe kein Brot mehr. Vielleicht würde sie versuchen, süße Hafermehlkekse zu backen, von denen Gus ihr erzählt hatte.

Er war zur Tür gegangen und blickte über den Hof. In den Strahlen der untergehenden Sonne bekamen seine hellbraunen Haare eine Farbe wie Honig. Er hatte es schwer und wollte doch nur das Beste. Jetzt tat ihm alles weh, aber er hatte seinen Bruder nicht besiegt. Ihr Cowboy war kein Held, aber bei seinem Anblick wurde ihr weich ums Herz. Sie dachte, sie müßte Gus lieben, aber das Gefühl sollte eigentlich stärker sein, denn richtige Liebe war wie ein Zauber, gefährlich und feurig, wie ein Blitz in einer heißen schwarzen Sommernacht. Wenn man jemanden liebt, dann sollte man das Gefühl haben, den Blitz in der Hand zu halten.

Clementine schüttelte bei diesen Gedanken den Kopf über sich. ›Den Blitz in der Hand halten ...‹ Wer kann das überleben, dachte sie und lachte stumm. Sie konnte nur hoffen, daß Gott nicht auf ihre dummen Träume achtete, sonst würde er wahrscheinlich auf der Stelle einen Blitz durch das Grasdach der alten Hütte schleudern und sie zu den Huren in die Hölle verbannen, in das Meer des ewigen Feuers.

Die Hure ...

Würde Hannah Yorke in die Hölle kommen? Wenn es nach ihrem Vater ging, bestimmt. Aber ihr Vater würde nie nach Rainbow Springs kommen. Er wußte auch nichts von ›Liebe‹. Clementine überlegte, ob Hannah einen der vielen Männer liebte, mit denen sie für Geld und zum Vergnügen ins Bett ging. Auch das hätte Clementine nicht denken sollen. Sie sollte sich daran erinnern, daß Mrs. Yorke eine schamlose Dirne war. Sie durfte vielleicht für Hannah Yorkes Seele beten, aber natürlich aus sicherer Entfernung, damit der Makel nicht auf sie abfärbte.

Clementine stellte mit Genugtuung fest, daß ihr Vater mit seinen Vorschriften weit weg war. Er konnte ihr nichts mehr vorschreiben. Und so brachte Clementine den Mut auf, sich einzugestehen, daß sie Hannah Yorke Fragen stellen wollte, sehr intime Fragen, die ihr aber auf der Seele brannten, seit sie mit Gus verheiratet war.

›Verraten Sie mir, was Sie empfinden, wenn Sie mit einem Mann zusammen sind. Hoffen Sie vielleicht, daß einer kommen wird, der Sie mit echter Liebe und mit einem Ehering aus der Hölle befreit, eine Hure zu sein? Oder ist das Leben einer Hure schöner als Waschen, Kochen und Kinder großziehen?‹

»Clementine?«

Sie ließ beinahe den Kochtopf fallen und hielt ihn gerade noch an einem Henkel fest, so daß er kippte und das Wasser in das Becken floß. Ihr wurde bei der Vorstellung am ganzen Körper heiß, daß Gus ihre Gedanken hätte erraten können ...

»Komm her, Clem«, sagte er und winkte sie zu sich. »Sieh dir den Sonnenuntergang an.«

Clementine ging mit ihm auf den Hof hinaus. Sie standen nebeneinander und sahen zu, wie die Sonne zwischen den hohen Gipfeln der Berge versank. Der Wind wehte wieder. Er war kalt und roch nach dem Schnee des letzten Winters und dem Schlamm des Frühlings. Der Himmel hatte die Farbe von kaltem, hartem Messing – die Farbe seiner Augen.

Nicht der Augen ihres Mannes.

Sie wollte Gus den Arm um die Hüfte legen. Sie wollte sich an ihn lehnen, ihr Gesicht an seinen Hals drücken und seine warme, salzige Haut küssen. Doch sie hielt sich zurück; die erste Berührung konnte nicht von ihr ausgehen. Aber er berührte sie nicht. Plötzlich fühlte sie sich sehr allein. Gus und alles um sie herum schien mit ihr nichts oder nur wenig zu tun zu haben.

»Clementine ...«

Sie sah den Hunger eines Mannes in seinen Augen, und sie begriff allmählich, wie sie ihn stillen konnte. Aber sie sah auch die Sehnsucht und die Hoffnung seiner Seele, und sie zitterte bei dem Gedanken, ob es ihr je gelingen werde, diese Sehnsucht zu stillen und die Hoffnung zu erfüllen.

Irgend etwas fehlt mir, dachte sie. In meinem Herzen gibt es nur eine große Leere.

Vielleicht war es aber auch so, daß man vor langer Zeit etwas Kaltes in ihr Herz gepreßt hatte. Und jetzt lag es hart und gefühllos in ihrer Brust. Wie sollte sie mit dieser Last einen Mann wie Gus lieben, der aus Angst vor der Kälte und Härte des Lebens in die falsche Hoffnung seiner Träume geflüchtet war?

Draußen in der Prärie heulte ein Kojote. In seinem Ruf liegt Einsamkeit, dachte Clementine, eine verzweifelte Einsamkeit, die den Tod ruft.

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