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Viertes Kapitel
ОглавлениеClementine saß auf dem Wagen und starrte auf das Haus ihres Mannes, das kein Haus, sondern eine Hütte war – eine verwitterte Hütte aus behauenen Baumstämmen, deren Spalten mit Lehm verschmiert waren. Das Dach bestand aus Grassoden. Es hatte keine Veranda mit einem gedrechselten Geländer, noch nicht einmal ein wackliges Podest vor der Eingangstür.
Sie spürte, daß Gus sie ansah. Clementine versuchte krampfhaft, etwas zu sagen. Aber ihre Lippen wollten sich einfach nicht bewegen. Das Schweigen dauerte an. Man hörte nur das traurige Flüstern des Windes in den Pappeln.
Hundegebell zerriß die Stille. Ein großer Mischlingshund mit einem hellgelben Fell stürmte aus der Scheune. Er sprang und hüpfte wie verrückt um Zach Rafferty herum und winselte glücklich, als er sich hinunterbeugte und ihn hinter den Ohren kraulte. »Mein Gott, Atta«, sagte er und lachte wie ein kleiner Junge, als der Hund ihm mit seiner langen Zunge das Gesicht leckte. »Ich glaube, ich hätte besser meinen Regenmantel angezogen.«
Zach hob den Kopf und sah, daß sie ihn beobachtete. Er griff nach einem Stock, richtete sich auf und warf ihn mit soviel Schwung, daß er zerbrach, als er auf der Erde landete. »Geh und bring ihn mir, du alter krummbeiniger Köter«, rief er. Clementine hörte den Zorn in seiner Stimme und wußte, daß sich sein Ärger gegen sie richtete.
Der Hund rannte unsicher in Richtung Stock. Plötzlich flog eine Elster dicht über ihren Köpfen vorbei, und er jagte statt dessen hinter dem Vogel her.
»Na ja, es bringt nichts, wenn wir den Rest des Tages hier auf dem Wagen sitzen«, sagte Gus schließlich.
Er sprang vom Wagen und wickelte die Zügel um die Radnabe. Er half Clementine beim Aussteigen und stand einen Augenblick stumm vor ihr. Seine Hände lagen leicht auf ihren Hüften. Wortlos drehte er sich um und begann, ihr Gepäck abzuladen.
Auf der einen Seite der Koppel stand eine Scheune mit Stallungen. Sie war sehr viel größer als die Hütte und hatte auch eine Werkstatt mit Schmiede. Zach Rafferty führte seinen großen grauen Hengst mit dem neugeborenen Kalb zum Gatter der Koppel. Sein nackter Rücken glänzte vor Schweiß. Die Muskeln seiner Schultern und Arme spannten und dehnten sich, als er den obersten Pfahl hob.
Plötzlich drehte er sich um. Ihre Blicke trafen sich, aber Clementine senkte langsam den Kopf.
Vielleicht ist diese Hütte, das Haus, nicht ganz so schlimm, dachte sie, um sich Mut zu machen.
Zumindest wirkte hier alles ordentlicher als das, was sie auf der langen Fahrt gesehen hatte. Im Hof lagen keine Berge von Flaschen und Blechdosen, und die Glasscheiben der beiden Fenster, die sie sehen konnte, waren alle ganz.
Sie hob die schlammbespritzten Röcke und ging energisch auf die Hütte zu. Über die Tür war ein Hufeisen genagelt. Darüber hingen zwei große Stierhörner. Um den Schädelknochen zwischen den Hörnern befand sich ein Stück Leder mit dem Brandzeichen ›Rocking R‹, das Brandzeichen ihres Mannes und seines Bruders. Gus hatte es für sie einmal in die Erde der Prärie geritzt.
Bei dem Ansturm ihrer Enttäuschung und Empörung verteidigte sie ihn. Sie sagte sich, er habe nicht gelogen, sondern nur einiges ausgelassen. Seine Schilderungen, seine Begeisterung hatten sich auf die guten Dinge bezogen, nicht auf die schlechten. Es war nicht seine Schuld, daß sie mehr erwartet hatte.
Gus ging mit der großen Reisetasche an ihr vorbei. Vor der schiefen Eingangstür hing ein altes Büffelfell. Er schob es beiseite und hängte es über einen Nagel. Er zog den Stift aus dem Schließband und drückte die Tür auf. Die späte Nachmittagssonne versank bereits hinter den Bergen, deshalb war es in der Hütte dunkel. Aber es roch nicht modrig. Es roch sogar angenehm. Die Hütte roch nach Leder und Tabak.
Gus zündete eine Petroleumlampe an und richtete den Docht. Clementine schluckte, denn noch eine Enttäuschung erwartete sie hier.
Die Möbel waren aus Kisten und Blechtafeln gezimmert, abgesehen von einem Tisch auf Holzböcken, auf dem eine braune Wachstuchdecke lag, und vier kleinen Nagelfässern, die als Hocker dienten. Auf einem Bord über dem Herd standen ein Eisentopf und zwei Bratpfannen. Hier und da waren Stücke von Pferdedecken an die Wände genagelt, doch an anderen Stellen bröckelte der Lehm, und durch die Ritzen drang Licht herein.
Wenigstens der Fußboden war aus Dielen und nicht aus gestampfter Erde wie in so vielen Häusern, in denen sie übernachtet hatten. Trotz des Schlamms im Hof war er sauber und geputzt.
Sie folgte Gus, der ihre Reisetasche in einen anderen Raum trug. Er hatte eine schräge Decke wie ein Holzschuppen. Den größten Teil des kleinen Zimmers nahm ein großes altes Eisenbett ein. Gus hängte ihre Tasche in einer Ecke an die Wand und verschwand sofort durch die Tür nach draußen, als könne er nicht schnell genug von ihr und dem Bett wegkommen.
Sie zog Mantel und Handschuhe aus, nahm die Haube ab und legte alles auf den Tisch. Der Herd stand an der Rückwand der Hütte. Dort befand sich auch ein Waschbecken, das aus alten Petroleumkanistern zusammengelötet war. An einem Nagel neben dem Herd hingen eine Wasserschüssel und ein Spüllappen. Sie nahm den Lappen in die Hand. Er war fadenscheinig, aber sauber.
Ihr wurde bewußt, daß der Bruder von Gus in der Hütte gewohnt hatte, solange Gus weg gewesen war. Die Sauberkeit war ihm zu verdanken, und das erschien ihr seltsam. Denn Sauberkeit war beinahe gleichbedeutend mit Rechtschaffenheit, aber dieser Mr. Rafferty sah aus, als sei er davon meilenweit entfernt.
Mit einem kurzen Blick über die Schulter verließ sie das kleine Schlafzimmer.
Durch ein Fenster hinter dem Spülbecken drang schwaches Sonnenlicht herein. Sie mußte sich auf die Zehenspitzen stellen, um hinausblicken zu können. Sie sah, daß der Fluß hinter der Hütte einen Bogen beschrieb. Die Ufer waren dicht gesäumt mit Weiden und Pappeln. Ein schmaler gewundener Pfad führte hinunter zum Abtritt.
Sie hörte Gus erst, als er an ihr vorbei nach dem Pumpenschwengel griff. Mit einem lauten blechernen Klatschen schoß Wasser in das Becken und spritzte Clementines Rock naß.
»Siehst du, Clementine«, sagte er mit gespielter Fröhlichkeit in der Stimme, »es gibt sozusagen fließendes Wasser im Haus.«
Sie trat beiseite und rieb mit der Hand über die Wasserflecken auf ihrem braunen Reisekleid.
Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich um. Er hob ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Es ist wohl nicht gerade ein Palast ...«
»Ich habe keinen Palast erwartet«, erwiderte sie mit erstickter Stimme. Und obwohl es stimmte, klang es wegen ihrer Enttäuschung wie eine Lüge.
»Aber etwas Besseres hast du schon erwartet.«
Sie versuchte, ihre Lüge durch ein Lächeln zu mildern. »Hier fehlt nur die Hand einer Frau.«
Er ließ ihr Kinn los und strich ihr zärtlich über den Hals. »Ich baue uns im Sommer ein besseres Haus. Zach und ich haben uns mit der alten Hütte nur zufriedengegeben, weil wir zuviel Arbeit auf der Ranch hatten, um an etwas anderes zu denken. Ich kann von Deer Lodge gesägtes Holz kommen lassen.« Er kniff die Augen ein wenig zusammen und begann, wieder zu strahlen, wie immer, wenn er von seinen Träumen sprach. »Und wir können uns Möbel aus einem dieser Wunschbücher aus Chicago kommen lassen. Wir bauen das neue Haus zweistöckig, damit wir viele Schlafzimmer haben. Was meinst du ...?« Als sie keine Antwort gab, ließ er den Kopf sinken und verstummte. Er rieb sich den Schnurrbart. »Es wird dir hier gefallen, Clementine, du wirst schon sehen. Du wirst glücklich sein.«
»Oh ...« Ihr war die Kehle wie zugeschnürt, und sie brachte das Wort beinahe nicht hervor. Sie holte tief Luft und sagte mit zitternder Stimme: »Ja ... Gus, das werde ich.«
Seine Miene hellte sich auf, und er lachte. Es war ein lautes, fröhliches Lachen, bei dem die Töpfe und Pfannen über dem Herd mitklapperten. Er schlang die Arme um sie und zog sie an sich, so daß sich sein Körper fest an sie preßte. Seine Hände glitten über ihren Rücken und wärmten sie. »Du hast mich endlich beim Vornamen genannt. Es war auch Zeit, Clem.«
Sie drückte ihre Wange an seinen Hals und spürte seinen Puls. Er schlug stark und gleichmäßig. Gus war ein guter Mann, ein guter Ehemann, und sie wußte nicht, weshalb sie so lange damit gewartet hatte, ihm die kleine Freude zu machen, ihn bei seinem Vornamen zu nennen.
Sie hob den Kopf und blickte zu ihm auf. Er nahm ihr Gesicht zwischen seine großen Hände und lächelte glücklich. Sie bewegte sich nicht, obwohl ihr Herz immer schneller schlug, aber sie hoffte, er werde sie küssen ...
»Läßt du nach der langen Fahrt das Pferd einfach im Geschirr stehen?«
Zach stand in der Tür. Er sprach mit seinem Bruder, doch sein Blick richtete sich anklagend auf die Frau seines Bruders.
»Sklaventreiber!« erwiderte Gus mit einem unbekümmerten Lächeln. »Ich war gerade dabei, meine Frau besser kennenzulernen.« Er beugte sich vor, küßte sie schnell und beinahe lachend, dann schob er sie von sich. An der Tür blieb er kurz stehen, und Clementine glaubte ein triumphierendes Blitzen in seinen Augen zu sehen, als er seinem Bruder einen kurzen Blick zuwarf, bevor er an ihm vorbei in den Hof hinausging.
Zach hängte seinen Hut an einen Haken neben der Tür. Er hatte nicht die hellbraunen Haare wie Gus, sondern dunkelbraune, beinahe schwarze Haare. Er hatte sich gewaschen und umgezogen. Die langen Sporen kratzten auf dem Fußboden. Seine Bewegungen hatten etwas Ruheloses und Unberechenbares. Sie hatte das Gefühl, die Beute eines Raubtiers zu sein. Seine Augen waren ihr unheimlich, denn sie schienen sie zu hypnotisieren. In ihnen lag kein Lachen, sondern nur die Härte der Wintersonne.
Es sind gefährliche Augen, dachte Clementine. Sie sind brutal, wild und so unbezwingbar wie das Regenbogenland. Diese Augen wollen mich besiegen und vernichten.
Er blieb so dicht vor ihr stehen, daß sie die Hand hätte ausstrecken und seine Brust berühren können. Der Stoff seines Hemdes hob sich ein wenig, als er tief einatmete. Der blaue Baumwollstoff lag glatt auf seinem Oberkörper. Sein Geruch nach Leder, Seife und Mann schlug ihr angriffslustig entgegen.
Sie wich einen Schritt zurück. Ihr war heiß, sie fühlte sich ihm unterlegen, aber sie wollte ihre Unsicherheit nicht erkennen lassen. Ihr Blick fiel auf den Tisch mit der häßlichen Wachstuchdecke und den vier Fäßchen, die als Hocker dienten. Sie lächelte über das wacklige, improvisierte Sofa aus Kaffeekisten der Marke ›Arbuckle‹ und ein paar Brettern, über denen ein alter gesteppter Soogan als Polster lag.
Unwillkürlich mußte sie ihn wieder ansehen. In seinen gelblichbraunen Augen spiegelten sich ihre Gedanken.
»Sie werden feststellen, daß es hier nicht so viele Chippendalesofas gibt, wie sie in Boston jeder hat«, sagte er so langsam und gedehnt, daß es klang, als würde er seine Stimme durch zähflüssigen Sirup ziehen.
»Und Sie, Mr. Rafferty, werden bald feststellen, daß ich kein verwöhntes Geschöpf bin, das Chippendalesofas braucht, um glücklich zu sein.«
»Wirklich?«
Er hob die Hand. Sie hielt die Luft an, aber sie wich ihm nicht aus. Als er an ihr vorbeigriff, streifte sein Arm ihre Haare. Er nahm etwas von dem Bord über ihrem Kopf – ein Päckchen strohgelbes Papier und einen dicken Baumwollbeutel mit einer gelben Zugschnur und einem aufgedruckten roten Stier.
Er stand direkt neben ihr. Er war so viel größer und stärker und sich seiner Kraft auf männliche Weise bewußt. Seelenruhig schüttete er aus dem Beutel Tabak auf ein Papierchen, leckte den, Rand und rollte sich eine Zigarette. Seine Finger waren lang und gebräunt, die Hände hatten Schwielen und Narben.
»Mr. Rafferty«, sagte sie und hob herausfordernd das Kinn. »Sie haben doch sicher nicht vor, hier im Zimmer zu rauchen.«
Seine Hand mit der Zigarette verharrte auf halbem Weg zum Mund. Zwischen den dunklen Augenbrauen erschien eine Falte. »Verdammt, da jetzt eine Dame im Haus ist, muß ich vermutlich auch daran denken, nur noch draußen auszuspucken.«
»Ein Gentleman raucht nicht und spuckt bestimmt nicht in Gegenwart von Frauen auf den Fußboden. Ebensowenig hat er es nötig, seinen Gott zu verfluchen, um seinen Gedanken mehr Anschaulichkeit zu verleihen, ganz gleich, wie ungehobelt diese Gedanken auch sein mögen.«
Clementine hatte das kaum ausgesprochen, als sie auch schon wünschte, ihre Worte zurücknehmen zu können. Sie hatte so überheblich geklungen wie Tante Etta. Sie mußte unwillkürlich lächeln. Tante Etta wäre lieber erstickt, als ein Wort wie ›Spucken‹ über die Lippen zu bringen.
Er hatte sie während ihres Vortrags ungezwungen und aufmerksam gemustert – von den schlammigen Lackspitzen der Straßenschuhe bis zu den Haarnadeln. Sein Mund verzog sich ebenfalls zu dem Anflug eines Lächelns.
»Ich habe schon immer gewußt, daß es einen verdammt guten Grund dafür gibt, daß ich mich nie danach gesehnt habe, nach Boston zu gehen.«
Er steckte die Zigarette zwischen die Lippen und beugte sich über die Flamme der Petroleumlaterne, die Gus angezündet hatte. »Hat mein Bruder Ihnen die Geschichte der Hütte erzählt?« sagte er und blies ihr eine dünne Rauchwolke ins Gesicht. »Und was mit dem Mann geschehen ist, der vor uns hier gelebt hat?«
Sie bewegte die Hand hin und her, um den Rauch zu vertreiben, und unterdrückte ein Husten. Sie wußte nicht so genau, ob ihr das gefallen würde, was sie nun zu hören bekam.
»Der alte Henry Arnes war ein Büffeljäger. Man könnte sagen, daß ihn sein Beruf das Leben gekostet hat. Eines Tages hat ihm ein Trupp Rothäute, Indianer von der grausamsten Sorte, einen Besuch abgestattet. Ich nehme an, sie hatten etwas dagegen, daß er ihre Herden dezimierte.« Er machte eine Pause und zog an seiner Zigarette. Seine Stimme bekam einen sanften, gefährlichen Ton. »Sie haben ihn langsam umgebracht ... mit Tomahawks.«
Clementine hatte das Gefühl, ihre Lunge sei geschrumpft und alles Blut sei aus ihrem Herzen geströmt. »In diesem Haus? Sie haben ihn hier umgebracht?«
»Kommen Sie.«
Sie hätte beinahe laut aufgeschrien, als er sie am Ellbogen faßte und zur hinteren Wand führte, wo über dem Sofa aus Kaffeekisten ein Gewehr auf einem Hirschgeweih lag. Er ließ sie los, und sie legte die Hand auf den braunen Stoff, wo er sie angefaßt hatte. Sie rieb heftig, um die unsichtbaren Abdrücke seiner Finger zu beseitigen.
Er wies auf eine tiefe, halbmondförmige Kerbe in der Wand, direkt unter dem glänzenden geölten Gewehrschaft. »Sehen Sie das?«
»Ja«, sagte sie leise.
»Die Männer, die ihn gefunden haben, waren der Meinung, daß er zuerst die rechte Hand verloren hat, weil er nach seiner alten Büchse greifen wollte, die genau hier an der Stelle hing, wo jetzt die Winchester hängt. Er hat sich tapfer zur Wehr gesetzt, das muß man ihm lassen. Wenn Sie sich umsehen, werden Sie die Kerben von den Tomahawks sehen, wo die Indianer den armen alten Henry verfehlt und statt dessen Stücke aus der Wand herausgehauen haben. Zum Teil sind die Treffer weit unten«, fuhr er fort und sah sie dabei an. »Ich meine, dicht über dem Fußboden. Ich vermute, am Ende hat er auf Händen und Knien gekämpft ... oder vielmehr«, sein Mund verzog sich zu einem gemeinen Lächeln, »auf seinen blutigen Stümpfen.«
Clementine versuchte sich zu beherrschen, doch sie zitterte am ganzen Körper. Sie preßte die Finger auf die Lippen. Er war häßlich und gemein. Sie haßte ihn und seine gefährlichen gelben Raubtieraugen.
»Gehen Sie!« stieß sie erstickt hervor.
Er verzog den Mund noch ein bißchen mehr und sprach unbeeindruckt weiter. »Die Indianer haben den armen alten Henry in so viele Stücke gehauen, daß man ihn in einem Eimer einsammeln mußte, um ihn begraben zu können.«
»Verschwinden Sie!«
Er beugte sich so weit vor, daß sie seinen warmen Atem spürte. Mit seinen kalten Augen musterte er sie für zwei lange langsame Herzschläge. »Ich wohne auch hier, verdammt noch mal!«
Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ mit großen Schritten die Hütte. Aber er ging nicht weit. Er lehnte sich mit der Hüfte an den Pfosten, an dem die Pferde festgebunden wurden, schlug die Füße übereinander, steckte einen Daumen hinter den Patronengürtel und starrte über den Hof. Die Zigarette hielt er zwischen den Fingern der anderen Hand. Es war eine entspannte Haltung, doch der Zorn vibrierte in jedem harten Muskel seines Körpers.
Sie folgte ihm durch die Tür. »Ich weiß, was Sie vorhaben, aber es wird Ihnen nie gelingen. Weder Sie noch irgend etwas hier kann mir angst machen. Das schwöre ich Ihnen, Mr. Rafferty, ich werde nicht davonlaufen.«
Ein Windstoß fuhr heiß und trocken über den Hof. Er lächelte boshaft. »Ich wette alles, was Sie wollen, daß Sie bereits lange vor dem ersten Schnee nach Hause zu Ihrer Mama rennen.«
Gus führte gerade die Stute aus den Deichseln des Wagens. Raffertys Pferd, der große graue Hengst auf der Koppel, schlug mit dem Huf gegen einen Pfosten und wieherte. Das Pferd paßte zu seinem Herrn: Es war häßlich und so grau wie eine Ratte, und wahrscheinlich genauso boshaft.
»Ihr Pferd, Mr. Rafferty«, sagte sie. »Wetten Sie um Ihr Pferd?« »Was zum Teufel würde ein kleines Mädchen aus Boston mit einem Pferd anfangen wollen?«
Sie drehte den Kopf und blickte in seine gefährlichen Augen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Er reizte sie. Es gelang ihm, sie zu provozieren, indem er einfach neben ihr stand und dieselbe Luft atmete. Sie mußte zweimal schlucken, bevor sie sprechen konnte. »Ich kann zwar noch nicht reiten, aber ich habe vor, es zu lernen. Gilt die Wette?«
»Na ja, Boston, das hängt natürlich davon ab ...« Er dehnte die Worte und zog sie wie Karamelbonbons in die Länge, um sie zu verspotten. »Was setzen Sie dagegen?«
Sie griff an die Brosche mit der Kamee an ihrem Hals. Beim Gedanken an ihre Tollkühnheit und Verruchtheit wurde ihr beinahe schwindlig. Hatte sie vergessen, daß jede Wette in den Augen Gottes eine Sünde war? Sie betastete das feine Goldfiligran, öffnete den Verschluß und nahm sie vom steifen Samt ihres Kragens. Sie hielt ihm die Brosche unter die Nase. »Ich setze meine Kamee dagegen.«
Er nahm die Zigarette von der Unterlippe, warf sie auf die Erde und zertrat sie mit dem Stiefelabsatz. Er nahm ihr die Brosche ab. Dabei berührten seine schwieligen rauhen Finger ihre Hand. Er fuhr mit dem Daumen langsam über den geschnitzten Achat. »Das ist etwas für Frauen«, sagte er. »Was soll ein Mann damit anfangen?«
»Sie könnten den Schmuck verkaufen«, erwiderte sie, »oder einem Ihrer Flittchen schenken. Ich habe gehört, daß Sie Dutzende solcher Frauen haben. Bestimmt müssen Sie ihnen hübsche Klunker schenken, um sie bei Laune zu halten.«
Er lachte vor Verblüffung. »Als ich das letzte Mal gezählt habe, waren es nur fünf oder sechs. Das Problem ist, sie sind überall im Land verteilt. Sie halten mich ganz schön auf Trab. Ich muß hierhin reiten und dorthin reiten, von dem vielen Reiten ganz zu schweigen, wenn ich bei ihnen bin. Wenn ich zur letzten komme, bin ich normalerweise völlig wundgeritten und schaffe es kaum noch, daß sie am Ende vor Lust stöhnt.«
Clementine erstarrte und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie verstand nicht alles, was er gesagt hatte, aber sein rohes Lachen ließ keinen Zweifel daran, daß es unanständig und schmutzig war.
Er beugte sich vor, und sein Gesicht kam ihr so nahe, daß sie die feinen Linien um seine Augen sah und die Bartstoppeln. Offenbar hatte er sich am Morgen nicht rasiert.
»Ich brauche keine hübschen Geschenke, damit meine Frauen zufrieden sind. Es sei denn natürlich, Sie reden von meinen Klunkern.«
Er packte sie am Handgelenk und drückte ihr die Brosche in die Hand. Ihr Brustkorb hob sich, als sie tief und heftig einatmete. Sie versuchte, die Schauer zu unterdrücken, die sie überliefen. Sie würde ihm nicht zeigen, daß sie seine Berührung abstoßend fand. Diese Befriedigung sollte er nicht haben.
»Also gilt die Wette, Mr. Rafferty? Oder haben Sie Angst, Sie könnten verlieren?«
In seinen Augen loderte etwas auf, als habe jemand ungelöschten Kalk in ein Feuer geworfen. Die Spannung zwischen ihnen war jetzt so groß, daß Clementine nicht erstaunt gewesen wäre, wenn ein Blitz neben ihnen eingeschlagen hätte.
»Wenn Sie heulend davonrennen, Boston ...« Seine Finger glitten über ihr Handgelenk nach oben bis zum engen Ärmelaufschlag. Dann ließ er sie los. Sie umklammerte die Brosche so fest, daß die harte Nadel ihr ins Handgelenk stach und Blut hervorquoll. »Wenn Sie davonlaufen«, sagte er leise und schleppend, »vergessen Sie nicht, Ihren kleinen Klunker zurückzulassen.«
Gus nahm den Eisentopf und stellte ihn mit einem Knall auf den kleinen Herd. Er hockte sich davor, öffnete die Klappe und wedelte mit dem Hut, um das Feuer anzufachen. »Ich glaube, ein guter Eintopf wäre eine schöne Abwechslung nach den dicken Bohnen und dem Dosenmais.«
Clementine saß auf der Holzkiste und hatte die Hände wie ein Kind unter die Kniekehlen geschoben. Sein Gesicht war von der Hitze gerötet.
»In der Vorratskiste ist ein Sack Kartoffeln«, sagte er. Ihr Blick folgte seiner ausgestreckten Hand zu einer alten Apfelkiste unter dem Wasserbecken. »Am Fluß wachsen wilde Zwiebeln, und wie ich Zach kenne, hängt wahrscheinlich im Brunnenhaus frisches Wild.« Er stocherte mit einem Span im Feuer und warf ihn dann hinein.
»Gus ...«
Er sah sie wieder an. Sein Gesicht war immer noch gerötet. Er strahlte. Sie wußte, er hörte es gern, wenn sie ihn beim Namen nannte.
Sie holte tief Luft und stieß sie seufzend wieder aus. »Gus, zu Hause, am Louisburg Square, hatten wir Dienstboten.«
Sein Strahlen verschwand so schnell, als sei eine Kerze gelöscht worden, und er preßte die Lippen zusammen. »Tut mir leid, Clem«, sagte er. »Aber die kann es hier für dich nicht geben, noch nicht. Wenn du nicht bleiben willst, Nickel Annie fährt in der nächsten Woche wieder in den Osten.«
»O nein ...«, sie glitt von der Holzkiste, kniete sich neben ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich werde hierbleiben, selbst wenn du sagen würdest, wir müssen in einer Höhle leben. Ich versuche, dir nur zu sagen, daß ich leider überhaupt keine Ahnung habe, was ich mit den Kartoffeln und dem Topf anfangen soll.«
Die Spannung war wie weggeblasen. Er griff unter das Becken und holte eine Dose aus der Lebensmittelkiste. Er zog ein Taschenmesser aus der Hosentasche und öffnete es mit einem gut geölten Klicken. Dann hielt er die Dose und das Messer mit einem richtigen Gus-McQueen-Lächeln hoch. »Das ist ein Messer, und das ist eine Dose.« Er stieß das Messer in den Deckel der Dose, und die Luft entwich mit einem lauten Zischen. »Gekochte Tomaten.« Er hielt die Dose an die Nase und schnupperte. »Das nehme ich zurück. Es ist schon wieder der verwünschte Mais.«
Er lachte, und sie ließ sich von ihm anstecken. Das Lachen sprudelte aus ihnen heraus wie Zitronenlimonade aus einer Flasche, die man geschüttelt hat.
Er wurde ganz still und sah sie mit ernsten großen Augen an. Er fuhr mit den Fingern die Form ihrer Lippen nach. »Ich wünschte, ich könnte dir ein großes Haus und Dienstboten geben. Und eines Tages werde ich es auch schaffen, das schwöre ich dir.«
»Ich will weder ein großes Haus noch Dienstboten. Ich will nur dich.«
»Meinst du das wirklich, Clem?«
Unter seiner Liebkosung öffnete sie den Mund und lächelte: »Nur dich, Gus. Nur dich.«
Die Petroleumlampe mit ihrem großen, glockenförmigen Papierschirm warf einen warmen Lichtschein. Auf dem Herd wartete ein Topf mit frischem Kaffee. Clementine war mit sich zufrieden, denn es war ihr gelungen, Brötchen in einer Pfanne zu machen, so wie Nickel Annie es ihr gezeigt hatte. Nun ja, beinahe so ... unten waren sie leider etwas angebrannt.
Gus saß hemdsärmlig am Tisch und aß mit großem Appetit Brötchen und Mais. Clementine erinnerte sich, daß ihr Vater bei Tisch immer den Gehrock getragen hatte. Wenn sie darüber nachdachte, so hatte sie ihren Vater eigentlich überhaupt nie ohne Gehrock gesehen. Aber Blechteller und Nagelfäßchen als Hocker waren nicht das gleiche wie gestärktes Leinen, Silber und Porzellan und mit Plüsch bezogene Polsterstühle.
Beim Geräusch der Schritte vor der Haustür zuckte Clementine zusammen und blickte, nichts Gutes ahnend, zur Tür. Draußen winselte der Hund, aber Mr. Rafferty brachte ihn mit einem strengen Zuruf schnell zum Schweigen. Ihr Rücken hatte sich verspannt. Sie atmete erst auf, als die Schritte mit dem nächtlichen Zirpen der Grillen und dem heulenden Wind verschmolzen.
Clementine fiel auf, daß sich auch Gus beim Geräusch der Schritte vorsichtig aufgerichtet hatte und die Spannung erst wieder abnahm, als sein Bruder nicht hereinkam.
»Zach hat angeboten, vorläufig in der Scheune zu schlafen«, sagte er.
»Das klingt nicht sehr bequem«, erwiderte sie, obwohl sie das keineswegs mitfühlend meinte. Sie hoffte, er werde dort draußen schlecht schlafen.
Gus zuckte die Schultern und richtete den Blick wieder auf die Tür, die nun Zach Rafferty aus dem eigenen Haus ausschloß. »Er ist daran gewöhnt, unbequem zu schlafen.«
Gus war beinahe ein Jahr weg gewesen, doch soweit Clementine es beurteilen konnte, hatten die Brüder seit seiner Rückkehr nicht mehr als zwei oder drei Sätze gewechselt. Wenn sie sich nicht vertragen hatten, bevor Gus gegangen war, würde ihre Anwesenheit Unstimmigkeiten und Streit ganz bestimmt verschärfen.
Clementine hoffte darauf. Vielleicht würde Mr. Rafferty und nicht sie das Regenbogenland verlassen. Sie blickte ängstlich durch die Schatten, die das Gebälk warf, nach der Kerbe in der Wand. Sie konnte von einem Tomahawk hineingehackt worden sein. Vielleicht stammte sie aber auch von der harmlosen Axt, die den Balken behauen hatte. Sie hätte Gus gern nach dem Mann gefragt, der vorher hier gelebt hatte, um zu erfahren, wie er gestorben war. Aber sie wollte lieber glauben, die Geschichte sei nicht wahr, und Zach Rafferty habe sie erfunden, um ihr Angst einzujagen und sie zu vertreiben.
»Clementine, wir sind nun da. Wir sind auf der Ranch. Und es ist soweit ...« Die Haut über seinen Backenknochen rötete sich. Er überwand nur mit Mühe seine Verlegenheit, aber dann sagte er: »Ich will dich jetzt richtig zu meiner Frau machen, ich meine ... im Bett.«
Sie konnte nicht schlucken, ja noch nicht einmal atmen. Plötzlich war es wirklich, was zwischen ihnen geschehen würde. Und es würde bald geschehen – endlich, endlich. Sie würde mit ihm in dem großen Eisenbett liegen, und er würde sie richtig zu seiner Frau machen.
›Ich bin die Freude meines Geliebten, und sein Verlangen gilt mir.‹
Sie würde seine Geliebte werden, und er ihr Geliebter.
Mein Geliebter ...
Das Faß knirschte auf dem Boden, als er aufstand. Er kam herüber und stellte sich hinter sie. Sie bewegte sich nicht, als er begann, die Haarnadeln herauszuziehen. Er strich ungeschickt und doch sehr sanft mit den Händen ihre Haare über den Schultern glatt. Im Raum war es so still geworden, daß sie ihren Atem und das unregelmäßige Klopfen ihres Herzens hörte.
Er beugte sich über sie, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Sie legte ihre zitternde, feuchte Hand in die seine. Er führte sie in das Schlafzimmer. Es war kaum groß genug für das Eisenbett. Sie sah die Decken, wie man sie für den Tauschhandel mit den Indianern benutzte, und die Kissen in Bezügen aus alten Mehlsäcken und ...
Sie sah das alles auch wieder nicht.
Clementine spürte Gus hinter sich und hörte seinen Atem. Doch sie brachte es nicht über sich, ihn anzusehen. »Ich ... hm, ich lasse dich ein paar Minuten allein, damit du dich aus ..., nun ja, vorbereiten kannst«, flüsterte er und lachte unsicher.
Sie wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte, erst dann holte sie tief Luft.
Clementine hatte sich nie nackt gesehen. Sie hatte selbst beim Baden ein Unterhemd getragen. Aber diesmal drapierte sie sich nicht das Nachthemd wie ein Zelt um den Kopf, bevor sie die Unterwäsche auszog. Sie streifte Unterrock, Untertaille, Korsett und Unterhemd ab. Bei der langen Unterhose zögerte sie. Doch dann zog sie die Schlaufe des Zugbandes auf und schob die Musselinhose über die Hüften nach unten.
Die Luft drang kalt an die nackte Haut, und sie zitterte. Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen und richteten sich auf. Clementine berührte sie flüchtig. Ihre Hände glitten nach unten über den Leib, aber nicht tiefer.
Schnell nahm sie ein frisches Nachthemd und die Haarbürste aus der Reisetasche. Sie zog das Nachthemd über den Kopf. Der dünne Batist glitt wie eine sanfte Liebkosung über ihren Körper.
Auf einer schmalen, hohen Kommode, die ebenfalls aus Kisten gezimmert war, stand ein Tonkrug unter einem gesprungenen, beinahe blinden Handspiegel, der an einem Nagel an der Wand hing. Sie goß kaltes Wasser in die Blechschüssel und wusch sich schnell Gesicht und Hände. Dann rieb sie sich mit dem rauhen Handtuch trocken. Sie legte sich die Haare über die Schulter und griff nach der Bürste. Ihre Finger umklammerten den Griff so fest, daß die Knöchel weiß hervortraten. Die Haarbürste aus Sterlingsilber war mit einem aufwendigen Rosenmuster verziert und trug ihre eingravierten Initialen. Sie war ein Geschenk ihrer Mutter gewesen. Clementine stand deutlich das Bild ihrer Mutter vor Augen, die mit Tante Etta in der Morgensonne saß. Ihre Mutter lachte und weinte, und Tante Etta sagte: »Wenigstens bleibt dir ab jetzt sein Bett erspart.«
Gus klopfte an die Tür. Sie ließ die Bürste sinken und drehte sich um. Unwillkürlich legte sie die Hände über die Brüste.
Die Tür ging langsam auf. Es machte sie schüchtern, daß sie vor ihm stand und nichts außer ihrem Nachthemd trug. Sie wurde sich deutlich ihres Körpers bewußt, der nackten Beine unter dem dünnen Batist. Sie spürte ihre Brüste, die Spannung in den Brustwarzen. Sie fühlte, wie das Blut schnell und heftig gegen den hohen Spitzenkragen pochte. Unbewußt griff sie sich an den Hals.
Er kam zu ihr. Das Licht in seinem Rücken warf einen riesigen Schatten auf sie. Seine Hände umfaßten ihre Arme, und ihre Lippen bebten.
Er blickte auf ihren Mund und flüsterte: »Clementine.« Er stöhnte leise, als er den Kopf senkte und sie küßte.
Er füllte sie mit seinem Atem und seinem Geschmack. Sie zitterte und spürte tief in ihrem Leib eine Wärme, die seltsam und sehr angenehm war. Sie drückte sich an ihn, bog den Kopf zurück und hielt sich an seinen harten Schultern fest. Durch das weiche Flanellhemd spürte sie seine Haut und fühlte seine Leidenschaft wie ein Erdbeben.
Ein heftiger Schauer überlief ihn, und er löste den Mund von ihren Lippen. »Geh ins Bett.«
Die Matratze knisterte, und die Bespannung aus geflochtenem Leder ächzte, als sie sich auf das Bett legte. Sie zog die Decken bis zum Kinn. Das Bettuch war kalt und kratzte an den nackten Beinen.
Sie sah zu, wie er die Stiefel an den Seiten aufschnürte und sie von sich schleuderte. Sie wußte, Männer waren an ihren intimen Stellen anders als Frauen; doch sie hatte noch nie einen nackten Mann gesehen, um zu wissen, worin sie sich unterschieden. Doch er zog sich nur bis auf die weiße Hemdhose aus, bevor er die Decke zurückschlug und sich neben sie legte. Es war so still, daß sie ihren eigenen Atem hörte. Sie fühlte ihren Körper als Last. Die Haut schien zu heiß und für ihre Gefühle viel zu eng.
Er stützte sich auf die Unterarme, beugte sich über sie und liebkoste mit sanften Fingern ihr Gesicht, die Augenbrauen, Wangenknochen, Nase und Mund. Ihr fiel ein, daß sie ihn ebenfalls berühren könnte, und sie tat es. Sie legte den Zeigefinger auf seine Augenbrauen, die dunkler als seine Haare und über der Nase beinahe zusammengewachsen waren, dann strich sie über die starken harten Knochen unter den Augen, die flachen Wangen, die jetzt am Abend rauh waren, und berührte seinen Schnurrbart, der sich weicher anfühlte, als er aussah, wenn er sie küßte. Sie wünschte, er hätte sie jetzt geküßt.
Sein Mund bewegte sich unter ihren Fingern. »Ich will nicht lügen, Clem. Es wird etwas weh tun.«
Sie lächelte, um ihm zu zeigen, daß es ihr nichts ausmachen würde. »Ich habe gehört, Gus, daß es beim ersten Mal schmerzt. Aber ich habe nie verstanden, warum. Was genau willst du tun?«
»Nur das, was alle Ehemänner tun. Nichts Unanständiges.«
Er lag inzwischen halb auf ihr, und sein großer Brustkorb drohte sie zu zerdrücken. Aber trotzdem gefiel es ihr. Es hatte etwas so ... so Intimes. Er liebte sie, und das allein schien sie mehr zu seiner Frau zu machen, als sie es bis zu diesem Augenblick gewesen war.
Sie flüsterte ihm ins Ohr: »Ich fürchte, das ist wie mit den Kartoffeln und dem Topf. Ich habe auch davon keine Ahnung. Du wirst mir sagen müssen, Gus, was ich tun soll.«
»Ein Mann erwartet von dem Mädchen, das er heiratet, nicht, daß sie all die Tricks der Flittchen kennt, Clementine. Du brauchst nicht mehr zu tun, als ruhig liegenzubleiben. Bleib einfach liegen und entspann dich ...«
Er streichelte sie, als versuche er, ein noch nicht zugerittenes Pferd zu beruhigen, und sie hätte beinahe gelacht. Sie berührte mit dem Finger seinen Mundwinkel und fuhr über seine Unterlippe. Der Mund eines Mannes wirkte härter, als er war. »Wird es dir auch weh tun?«
Die Frage machte ihn verlegen. Er drehte den Kopf zur Seite. »Dann weißt du es also«, sagte sie, »und es ist für dich nicht das erste Mal.«
Er drückte seinen Kopf auf ihren Hals, und sie konnte sein Gesicht nicht mehr sehen. Er seufzte. »Clementine ... das ist einfach nichts, worüber ein Mann so ohne weiteres mit seiner wohlerzogenen, süßen und unschuldigen Ehefrau reden kann.«
Sie wünschte, er würde aufhören, das zu sagen und zu denken. Sie mochte wohlerzogen sein, aber mit Sicherheit wollte sie nicht länger ›süß‹ und ›unschuldig‹ bleiben. Sie wollte wissen, was passieren würde. Sie wurde den Gedanken nicht los, daß ihre Mutter vor Erleichterung geweint hatte, als der Arzt ihr sagte, sie dürfe nicht versuchen, noch einmal ein Kind zu bekommen. Selbst Gus hatte sie davor gewarnt, daß es weh tun werde. Und sie hatte gehört, daß die eheliche Pflicht einer Frau etwas war, was man ertragen mußte. Es klang allmählich so schlimm wie die Hiebe mit dem Stock ihres Vaters.
Sie streckte die Arme aus und schloß die Augen. »Du kannst es jetzt mit mir tun. Ich bin bereit.«
Er lachte und drückte die Lippen auf die weiche Stelle zwischen ihrer Schulter und dem Hals. »Ich liebe dich, Clementine. Du bist schön und rein und ... so gut.«
»Ich bin nicht wirklich rein und gut, Gus.«
»Dann gibst du also zu, daß du schön bist?«
Eine sanfte Röte überzog ihre Wangen. Er küßte sie auf den Mund, und sein leises, rauhes Lachen hüllte sie ein. Sie atmete tief und füllte ihren Kopf mit seinem Geruch.
Er rieb mit der Hand über ihre Brust, drückte sie mit dem Handballen und hob sie dann hoch, wie um zu prüfen, ob sie reif sei. Er preßte die Brustwarze durch den seidigen Batist leicht mit Daumen und Zeigefinger, und eine Hitzewelle durchzuckte sie, spannte ihre Muskeln, bis sie es nicht mehr ertrug. Sie umklammerte sein Handgelenk. Sie glaubte zu sterben, wenn er nicht aufhörte, aber auch dann, wenn er aufhörte. Seine andere Hand legte sich zwischen ihre Beine. Der Schock der Berührung, des Gefühls der Berührung, der köstliche, unerträgliche Schock brachte sie dazu, sich zu wehren und mit den Händen gegen seine Brust zu drücken.
Er keuchte an ihrem Gesicht. »Hab keine Angst.«
»Nein ... es ist nur so ... oh!« Sie stöhnte, als sein Finger gegen ihre weibliche Öffnung stieß, als versuche er, in sie einzudringen. Er wollte in sie hinein! Sie würde nicht einfach ruhig daliegen. Sie konnte es nicht. Eine Spannung, eine Hitze, ein Prickeln, ein Glühen entstand tief unten in ihrem Leib, durchströmte sie und füllte ihre Brust, bis sie nicht mehr atmen konnte und ihr das Blut in den Ohren rauschte.
Seine Haare streiften ihre Wange, als er den Kopf nach unten beugte. Mit einer Hand griff er an die Öffnung seiner Hemdhose, während er mit der anderen den Saum ihres Nachthemdes packte und es über die Hüften schob.
Eine feuchte Hitze breitete sich wie ein Teich zwischen den Beinen aus, als schmelze sie. »Oh, Gus ...«, flüsterte sie, flehte sie noch einmal. Sie wollte etwas, wollte etwas, wollte etwas ...
Er wurde ganz ruhig auf ihr; sein Brustkorb hob und senkte sich schnell, denn er atmete heftig und stoßhaft. Das Licht der Laterne glänzte auf dem Schweiß an seinem Hals. »Es tut mir leid, aber ich muß es jetzt tun, Clem. Ich muß in dich hinein.«
Er tat es. Er schob sein steifes, hartes männliches Ding in sie, und sie hätte beinahe laut aufgeschrien. Aber sie unterdrückte den Schrei, weil sie die Faust auf den offenen Mund preßte. Ihre Augen wurden groß, als er tiefer in sie hineinstieß. Sie hatte das Gefühl, als würde er sie zerreißen. Sie kämpfte gegen die Schmerzen und hob sich ihm entgegen. Er stieß noch einmal in sie, noch einmal, und dann durchlief ein heftiges Zittern seinen Körper. Er richtete den Oberkörper auf, und ein Stöhnen kam ihm über die zusammengepreßten Lippen.
Heftig keuchend sank er auf sie und vergrub das Gesicht in ihren Haaren. Clementine wollte ihm sagen, daß er sie zermalmte, daß sie keine Luft bekam. Es brannte zwischen ihren Beinen, tief in ihrem fraulichen Leib, wo er immer noch war, wo er sie ausdehnte und wohin er vorgedrungen war.
Er nahm sich zurück, rollte auf die Seite und zog sie mit sich, so daß sie Nase an Nase lagen. Das Brennen zwischen den Beinen ließ etwas nach. Sie spürte dort jetzt etwas Heißes, Nasses. Sie fragte sich, ob er etwas in ihr zerrissen habe. Sie hatte das Gefühl zu bluten.
Die Decken lagen inzwischen zusammengeschoben am Fußende des Bettes. Ihr Nachthemd bauschte sich über den Hüften. Die Luft fühlte sich auf der nackten Haut kalt an. Aber sie konnte sich nicht bewegen, nicht einmal, um sich zuzudecken. Sie atmete tief und seufzend. Ihre Kehle war rauh, ihre Brust fühlte sich eng und wund an.
Er fuhr ihr mit gekrümmten Fingern über den Mund und zog sie leicht an der Unterlippe. »Mein Gott, bist du eng. Ich habe ... ich habe noch nie zuvor eine Jungfrau gehabt. Ich hatte nicht erwartet, daß du so eng sein würdest. Ich nehme an, es hat sehr weh getan, hm?«
»Ja.«
»Ach, Clem.« Er richtete sich auf und nahm ihr Gesicht in seine großen Hände. »Ich wollte dich so sehr, daß ich nicht ... Ich verspreche dir, beim nächsten Mal bin ich sanfter zu dir, langsamer ...«
Ihre Augen brannten, und sie schloß sie. Sie wollte weinen, aber nicht wegen der Schmerzen, sondern vor Enttäuschung. Sie hatte geglaubt, dieser Augenblick werde irgendwie alles zwischen ihnen ändern, alles richtig, alles vollkommen machen.
›Von Anbeginn hat Gott sie zum Mann und zur Frau gemacht. Und deshalb wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und zu seiner Frau halten. Und sie sollen eins sein ...‹
Eins sein ...
Er hatte sie und ihren Körper genommen. Sie sollte jetzt eins mit ihm sein. Und doch hatte sie sich nie so allein gefühlt.
Seine Lippen suchten ihren Mund, und sie überließ ihn seinen männlichen Lippen, die nicht so hart waren, wie sie aussahen, sondern warm und tröstlich. Die Enge in ihrer Brust ließ etwas nach.
»Ich liebe dich, Clem«, sagte er und schwieg mit angehaltenem Atem. Sie wußte, worauf er wartete, aber sie blieb stumm. »Ich denke, du könntest dahin kommen, daß du mich auch liebst«, fuhr er fort, als das Schweigen bedrohlich wurde.
Sie öffnete die Augen. Sein Gesicht schwebte über ihr, und er lächelte. Plötzlich dachte sie daran, wie sie ihn das erste Mal gesehen hatte, den Cowboy ihrer Träume. »Ich werde versuchen, dich zu lieben, Gus«, sagte sie. »Ich werde es versuchen.«
Er lachte seufzend. »Clementine ... du bist immer so ernst.« Er hob ihre Hand hoch und fuhr mit dem Daumen über die Narben, an denen ihr Vater schuld war. »Niemand wird dir jetzt noch weh tun, Clem«, sagte er. Doch sie wußte, daß er log. Sogar er konnte ihr weh tun, ohne daß er es wollte.
Später, in der Stille der Nacht, lag sie neben ihm und lauschte auf seinen tiefen, gleichmäßigen Atem. Sie überlegte, was das für Tricks sein mochten. Konnten die Flittchen mit ihren violetten Kleidern, den roten Schuhen und dem rauhen Lachen etwas dagegen tun, daß es so weh tat? Das Nachthemd bauschte sich immer noch um ihre Hüften. Sie berührte ihren nackten Leib und tastete langsam nach unten, bis die Finger die Haare zwischen den Beinen erreichten. Sie spürte etwas nachklingen, das seltsamerweise mehr Genuß als Schmerz war.
Sie stützte sich auf einen Ellbogen, um Gus zu betrachten. Doch es war zu dunkel, um sein Gesicht zu erkennen. Sie wußte, daß das Lachen selbst im Schlaf um seine Augen herum zu sehen war. Dieses Lachen, das so sehr Teil seines Wesens war und das inzwischen auch Teil ihres Wesens wurde. Ein Leben ohne dieses Lachen konnte sie sich nicht mehr vorstellen. Ihre Hand verharrte in der Luft über seiner Wange. Sie wußte nicht warum, aber sie wollte ihn berühren. Scheu und Zurückhaltung hinderten sie jedoch daran. Es fiel ihr schwer, ihm zu zeigen, was sie empfand, und noch schwerer war es, diese Empfindungen zu verstehen.
Clementine setzte sich langsam auf, schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Ihre Haut war heiß und feucht, und sie hatte ein hohles, leeres Gefühl in der Brust.
Sie tastete im Dunkeln nach dem Wasserkrug und wischte sich mit dem Handtuch die klebrige Feuchtigkeit zwischen den Beinen ab. Dann ging sie leise aus dem Zimmer und durch die Hütte zur Tür. Sie nahm den Mantel vom Haken und zog ihn über das Nachthemd. Die ledernen Türangeln quietschten, und sie schloß die Tür so leise wie möglich hinter sich.
Die stillen Berge warfen lange dunkle Schatten über das Land. Der harte kalte Mond verschwand hinter den Wolken und tauchte kurz darauf wieder auf. Die Pappeln rauschten im leichten, nach Gras duftenden Wind. Der Weg, die Koppel und die Weiden waren mit Mondlicht gesprenkelt. Die Nacht war schön und doch beinahe unheimlich. Sie empfand eine Einsamkeit, die gleichzeitig traurig und kostbar war.
Der Mond lockte sie, und sie ging auf den Hof hinaus. Sie schlug den Weg zur Koppel ein. Ihre Füße versanken im kühlen Schlamm, und kalte Schauer liefen ihr über den Rücken. Ein heftiger Windstoß blies ihr ins Gesicht. Sie blieb stehen, denn sie hörte die nächste, noch stärkere Böe auf sich zukommen. Es klang fast so dunkel und dumpf wie Donner. Als der Wind durch die dichten Pappeln jagte, wurde ein summendes Heulen daraus. Sie hörte, wie der Wind ihren Körper traf. Es war, als wollte er sie von der Erdoberfläche fegen. Irgend etwas in ihr wollte zurück oder mit dem Wind die Stimme erheben.
Ein Wolkenschleier legte sich um den Mond, und das Land versank in Dunkelheit. Der Wind erstarb und hinterließ eine Stille, die in sich selbst ein Geräusch war. Sie hörte tief in ihren Ohren ein Brausen, das nicht von dieser Welt zu sein schien.
Ein Kojote brach mit seinem Heulen den Bann. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie hatte in Shonas Romanen gelesen, daß die Indianer Tierlaute nachahmten und damit Signale gaben, wenn sie sich mit ihren Skalpiermessern an die Siedlungen der Weißen heranschlichen.
Ein trockener Zweig knackte, etwas im Busch raschelte. Ein stummer Schrei stieg in ihrer Kehle auf und nahm ihr die Luft. In der Dunkelheit glühte etwas auf ... und der Wind trug den Geruch von Tabak mit sich.
Die Wolken zogen weiter und enthüllten den Mond. Die Umrisse seines Körpers zeichneten sich klar und dunkel vor dem schwarzen Hintergrund ab. Er stand so bewegungslos wie die Kiefern. Doch sie wußte, er sah sie. Er hatte sie die ganze Zeit beobachtet.
Der glühende rote Punkt beschrieb einen Bogen, leuchtete heller und sprühte Funken. Der Schatten bewegte sich und kam näher. Sie drehte sich schnell um und rannte zur Hütte. Sie warf die Tür hinter sich zu und lehnte sich zitternd mit fest geschlossenen Augen dagegen.
Sie preßte die zitternde Faust an die Brust, um ihr Herz zu beruhigen.
Er hat damit geprahlt, daß die Frauen bei ihm vor Lust stöhnen ...
Warme Luft und der Geruch von billigem Whiskey und altem Schweiß schlug Zach Rafferty entgegen. Er ließ die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zufallen, und alle drehten sich nach ihm um. Alle, bis auf die Frau mit den leuchtend roten Haaren, die am Tisch neben dem Ofen saß und Solitär spielte.
Er hängte den Patronengurt an das Elchgeweih unter dem Schild ›Schußwaffen sind hier abzulegen‹. Er ging in Richtung Bar und wich dabei einer Pfütze aus.
»Guten Abend, Saphronie«, sagte er zu der Frau, die den Fußboden putzte. Ein etwa dreijähriges Mädchen klammerte sich an ihren Rock. Es blickte mit großen blauen Augen zu Rafferty auf und verzog den Mund um den Daumen, an dem es lutschte, zu einem Lächeln. Zach fuhr dem Kind mit der Hand durch die blonden Locken, zupfte an seinem Ohr, und wie durch Zauberei erschien eine Münze in seiner Hand. »Sieh mal an, kleine Patsy, du hast ja Nickel in den Ohren.«
Das Mädchen nahm das Fünfcentstück und lachte glücklich. Die Frau senkte den Kopf und murmelte etwas. Ihr Atem bewegte kaum den schweren schwarzen Netzschleier vor ihrem Gesicht.
Zach warf eine Fünfundzwanzigcentmünze auf die Bar mit den klebrigen Ringen der Gläser. »Den Guten,
Shiloh«, sagte er zu dem Mann hinter der Theke, »nicht den Fusel aus dem Faß.«
Der Mann schüttelte den Kopf und lachte, denn sie wußten beide, daß die Flaschen unter der Theke nichts anderes enthielten als das Faß auf dem Holzklotz hinter der Bar. Es war alles nur billiger Whiskey. Shiloh zog den Kork mit den Zähnen heraus und stellte die Flasche vor Rafferty hin, damit er sich selbst eingießen konnte. Er schob mit einer Handbewegung die Münze in die Geldschublade.
Zach legte noch einmal fünfundzwanzig Cents auf die Theke. »Gieß dir auch einen ein, Shiloh.«
Das runde schwarze Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln. »Ich sage nicht nein, Sir, denn ich möchte Ihre Gefühle nicht verletzen, indem ich ablehne. Nein, das möchte ich nicht.«
Shiloh goß sich ein und hob das Glas. »Zum Wohl.«
»Zum Wohl«, sagte Rafferty. Er kippte das halbe Glas auf einmal hinunter und schüttelte sich. Jemand hatte Cayennepfeffer in den Whiskey getan, um ihm Feuer zu geben. Das Gesöff brannte beim Schlucken in der Kehle. Aber nachdem es im Magen war, beruhigte es sofort die Nerven, die so gespannt waren wie die Saiten einer Geige.
Zach drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Bar, um das aufregende Geschehen im ›Best in the West Casino‹ zu verfolgen.
Der Wind heulte unter den Rinnen des Blechdachs, und es zog überall. Die beiden Messinglampen mit den roten Glasschirmen, die an zwei Balken hingen, quietschten und schwankten und verbreiteten ein gespenstisches Licht. An der Wand gegenüber stand ein neues Klavier, dessen Tasten stumm zu grinsen schienen.
Saphronie war mit dem Aufwischen fertig und leerte jetzt die Spucknäpfe in einen Eimer. Ihre Tochter hing ihr immer noch am Rock. Rafferty überlegte, wie hungrig er wohl sein müßte, bevor er zu so etwas bereit wäre. Vermutlich gar nicht so hungrig, denn wenn er es sich genau überlegte, hatte er Schlimmeres getan. Im roten Licht verlieh der schwarze Schleier der Frau etwas Geheimnisvolles, Exotisches. Sie sah aus wie ein Haremsmädchen in einem billigen Zirkus. Er hatte das Gesicht unter dem Schleier einmal gesehen. Er wußte, was man ihr angetan hatte. Es hatte ihn traurig gemacht.
Zwei der Mädchen rekelten sich auf Stühlen und langweilten sich. Da es normalerweise drei waren, mußte eine wohl mit einem Kunden im Hinterzimmer sein. Nur ein Tisch war besetzt; dort spielten drei Männer Poker. Offenbar waren sie ganz vertieft in ihr Spiel, denn sie redeten nicht. Einer verriet durch seinen auffälligen Anzug, daß er Berufsspieler war.
Shiloh hatte seine Fiedel bereits aufgehängt, und deshalb tanzte niemand. Das einzige Geräusch kam von einem Schafhirten mit einem schwarzen Zylinder und seiner Sonntagslatzhose. Er stand am anderen Ende der Bar und führte Selbstgespräche, weil sich niemand mit ihm unterhalten wollte. Schafhirten waren in einem Rindergebiet ungefähr so willkommen wie eine Hure im Wohnzimmer eines Pfarrers. Rafferty beschloß, sich damit zu amüsieren, daß er Mrs. Yorke beobachtete. Die unnahbare, verführerische Mrs. Yorke, die sich immer große Mühe gab, ihn zu ignorieren.
Eines der Mädchen – er glaubte, sie hieß Nancy –stand auf und schlenderte zu ihm herüber. Ihre Lippen waren so rot wie ein Feuerwehrwagen. Sie verzog sie zu einem müden Lächeln. »Fühlst du dich heute abend einsam, Rafferty?«
Er schüttelte den Kopf und lächelte, um die Ablehnung weniger schroff wirken zu lassen. Sein Blick richtete sich wieder auf Hannah Yorke. Sie mußte ihr Spiel verloren haben, denn sie mischte die Karten. Ihre schlanken weißen Hände bewegten sich anmutig wie die Flügel einer Taube. Sie hatte Augen, die einen Mann erregten, und flammend rote Haare, die ins Blut gingen.
Der Schafhirte stieß sich von der Theke ab und zog den Gürtel hoch. Nancy sah ihn kommen und verschwand sofort. Einen Augenblick später stieg Rafferty der Gestank ungewaschener Wolle in die Nase, und eine Stimme, die wie ein rostiges Gartentor klang, drang an seine Ohren. »Wenn Sie sich für die Hannah aufsparen, Mister, dann können Sie es gleich vergessen.«
Rafferty drehte sich um und blickte in ein Gesicht, das von Wind und Sonne vertrocknet war. »Ach ja«, sagte er. »Und wieso, bitte?«
»Sie hält auf sich, die Hannah Yorke. Sie läßt keinen Mann mehr in ihr Bett, nicht für Geld und gute Worte. Man sagt, noch vor zwei Jahren ist sie drüben in Deadwood auf den Strich gegangen. Jetzt hat sie ein Vorhängeschloß zwischen den Beinen und ist zu fein, um ›Guten Tag‹ zu sagen.« Er seufzte. »Verdammt blöd! Was für eine Verschwendung bei einer so guten Hure.«
Rafferty entblößte die Zähne zu einem Lächeln. Aber der Schafhirte sah seine zornigen Augen und wurde blaß. Er blinzelte und fuhr sich mit der Hand über den Mund. »Das war nicht so gemeint, Mister. Nur so dahergeredet.« Er wich einen Schritt zurück und dann noch einen. »Es war nicht so gemeint ...« Er wankte so weit zurück, bis er wieder an seinem alten Platz stand. Dort murmelte er wieder vor sich hin.
Zachs Blick fiel wieder auf Mrs. Hannah Yorke. Die Lampen warfen einen roten Schein auf ihre weißen Schultern und ließen ihre Haare feurige Funken sprühen. Sie wußte, daß er sie beobachtete, daß er sie wollte. Trotzdem saß sie dort drüben und spielte Solitär, als sei sie ganz allein auf der Welt. Und als sei sie damit völlig zufrieden.
Er hatte seit Monaten mit all seinem Charme erfolglos versucht, in das Bett dieser Frau vorzudringen. Vielleicht hatte der Schafhirte recht, und ein direkteres Vorgehen war angebracht.
Er stellte das Glas behutsam auf die Theke. »Gib mir eine Flasche, Shiloh.«
»Sicher doch.« Der Barmann holte unter der Theke eine leere Flasche hervor, füllte sie aus dem Fäßchen und verkorkte sie mit den Zähnen. Dann fragte er Rafferty, ob er sie einwickeln sollte.
»Nein, danke. Gute Nacht, Shiloh.«
»Gute Nacht, Cowboy.«
Rafferty steckte die Flasche in die Manteltasche und nahm beim Hinausgehen seinen Revolver mit. Er blickte nicht zu Hannah Yorke hinüber, und wie immer beachtete sie ihn nicht.
Ein vorwurfsvolles Muhen begrüßte Rafferty am Anbindepfosten. Im Lichtschein, der durch die Fenster des Saloons fiel, blickte ein braunweißer Kopf mit traurigen Augen zu ihm auf. Rafferty hängte seufzend den Patronengurt über die Schulter und ging in die Hocke, um das Kalb hinter den braunen Ohren zu kraulen. »Ich habe dich mitgenommen und dir gesagt, ich würde nicht lange bleiben. Du bist schlimmer als eine Frau, weißt du das? Du blökst schon, nur wenn ich kurz mal einen trinke.«
Er nahm das Kalb auf die Arme und richtete sich auf. Er ging um den Saloon herum und zu dem zweistöckigen weißen Holzhaus dahinter. An das Haus war ein kleiner Pferdestall angebaut. Dort stand an diesem Abend kein Pferd, aber es gab genug Stroh, um dem Kalb ein Lager für die Nacht zu machen.
Als das geschehen war, ging Zach nicht zur Haustür, sondern nahm die seitliche Treppe nach oben. Er drückte auf die Klinke und stellte ohne Überraschung fest, daß die Tür verschlossen war. Er zog einen kleinen Bohrer und ein Stück gebogenen Draht aus der Tasche. Das Schnappschloß öffnete sich kurz darauf mit einem leisen Klicken, und er war im Haus.
Als er in einem kleinen Wohnzimmer stand, wartete er, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Auf dem dicken Orientteppich machten seine Stiefel kein Geräusch, als er durch die Tür in das Schlafzimmer trat. Er zündete eine Lampe mit einem bauchigen Glasschirm an, die einen sanften gelben Lichtschein verbreitete. Sein Blick glitt über weiße Tüllgardinen, die leuchtend roten Übergardinen, über die rote Seidentapete, rote Samtkästchen, über einen mit Pfauenfedern beklebten Wandschirm und einen zierlichen schwarzen Lackschreibtisch, der mit Rosen, Ranken und Goldornamenten verziert war.
Er hängte den Patronengürtel an einen Pfosten des Bettes, dessen geschnitztes Kopfteil Schleifen und Blumen zeigte, und warf den Hut auf den Kopf eines Porzellanhundes, der auf einem niedrigen Tischchen neben dem Kamin hockte. Er zog den langen Mantel aus und ließ ihn auf eine schwarze Roßhaarliege fallen. Die Whiskeyflasche stellte er auf einen Papiermaché-Tisch neben dem Bett und warf sich auf die Federmatratze, die so dick war, daß sie unter seinem Gewicht ächzte. Er schüttelte die bestickten Kissen auf, legte sie sich hinter Kopf und Rücken und schlug die Stiefel mit den Sporen auf der Überdecke mit Perlstichstickerei übereinander. Er zog Papier und Tabak aus der Tasche, rollte sich eine Zigarette und zündete sie an.
Dann verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und wartete. Er zwinkerte dem Amor aus Keramik zu, der auf der drapierten Decke auf dem Kaminsims stand.
Er mußte nicht lange warten. Er hörte, wie unten die Haustür geöffnet wurde und ihre Absätze auf dem Boden der Diele klapperten. Dann dämpfte der Teppich ihre Schritte, und Lampenlicht erhellte das angrenzende Wohnzimmer.
Ihr Schatten kam zuerst über die Schwelle.
Im schwachen Licht waren ihre Augen zwei schwarze Höhlen in einem Gesicht, das so weiß wie ein Birkenstamm war. Ihre Lippen sahen aus, als seien sie mit Blut verschmiert. Sie zog eine kleine Pistole mit einem Elfenbeingriff aus der Tasche ihres violetten Kleids und zielte auf seinen Bauch. »Stehen Sie auf, Mister«, sagte sie mit einer rauchigen Stimme, die ihn erregt hätte, wenn er es nicht bereits gewesen wäre. »Ganz langsam und ruhig.«
Er stand langsam und ruhig auf. Trotzdem verfing sich das Rädchen einer Spore in der fein genähten Decke und riß ein Loch hinein. Die kleine Pistole in ihrer Hand war eine zweischüssige Waffe und konnte aus dieser Entfernung tödlich sein.
»Gehen Sie in die Mitte des Zimmers.« Sie bewegte die Pistole, um ihm zu zeigen, wohin er sich stellen sollte.
Er ging dorthin, aber er konnte nicht verhindern, daß seine Mundwinkel zuckten. »Wollen Sie mich mit dem blöden Ding begrüßen, Mrs. Yorke, oder mich damit erschießen?«
Der Keramik-Amor auf dem Kaminsims hinter ihm zersprang in tausend Stücke. Der Knall dröhnte in seinen Ohren, und er lachte. Er hatte den Luftzug der Kugel gespürt, als sie an seiner Wange vorbeigeflogen war. Aber er hatte sich nicht um Haaresbreite bewegt. »Sie haben danebengeschossen«, sagte er.
Sie richtete den Lauf der Pistole seitlich und tiefer, bis sie genau auf seine Männlichkeit zielte. »Ich schieße niemals daneben, Cowboy.«
Er zog an der Schnalle seines Gürtels und ging auf sie zu. »Und ich auch nicht. Ich heiße Zach, Liebling.«