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Fünftes Kapitel
ОглавлениеDer Wind stand direkt auf die Hütte. Die Wände ächzten und bebten. Der Wind war etwas Beständiges. Er kam auf und legte sich, kam auf und legte sich. Clementine versuchte, im Rhythmus des Windes zu atmen. Sie fürchtete, der Wind werde sie irgendwann zum Wahnsinn treiben.
Sie bearbeitete einen Ballen Teig, knetete und drückte ihn. Er drang weich, warum und klebrig zwischen ihren Fingern hervor und machte sie eigenartig unruhig. Sie schlug mit der Faust auf den Teig und blickte zu ihrem Mann am anderen Ende des Tischs. Der saure Geruch des Biers, das sie anstelle von Hefe benutzt hatte, stieg ihr unangenehm in die Nase. Es half alles nichts, denn draußen heulte der Wind.
Sie sah ihn an und spürte einen heißen Schmerz in ihrer Brust, als hätte sie das Korsett zu eng geschnürt.
Seine nackten Unterarme lagen auf der abgenutzten braunen Wachstuchdecke, und er schob sich das letzte Stück Pfannkuchen in den Mund. Er hatte einen ganzen Stapel vertilgt. Er hatte den Hut aus dem verschwitzten Gesicht geschoben. Sein Kragen lag aufgeknöpft auf dem schmuddeligen Rand seiner Hemdhose. Er sah groß, roh und so durch und durch männlich aus, wie er da andern Tisch saß. Clementine hatte nicht gewußt, daß Männer so wie er aussehen und so wie er sein konnten.
Gus hob den Kopf; ihre Blicke trafen sich, und er lächelte. Die eigenartige, prickelnde Unruhe in ihr legte sich zwar etwas, doch die Erinnerung daran klang nach wie ein Schmerz vom Vortag.
Er stand auf, und der Faßhocker schabte über den Fußboden. »Wie wäre es, wenn ich dir noch etwas von meinem berühmten Hufeisenkaffee eingieße?« fragte er. Seine Stimme klang überlaut in der kleinen Hütte.
Sie schob sich eine Haarsträhne aus den Augen, und dabei entstand eine Mehlspur auf ihrer Wange. Sie beobachtete seine Hände, als er den Kaffee einschenkte. Sie waren rauh, schwielig und stark. Es waren Hände, die ihren Körper bearbeiteten, wie sie den Teig bearbeitete, und die sich bemühten, sanft und geduldig zu sein, wenn sie Clementine nachts berührten.
Ein Gentleman ...
Ihr Vater war ein Gentleman, aber seine einzige Berührung, an die sie sich erinnerte, waren die Hiebe mit dem Stock.
Gus schüttete eine Menge Dosenmilch in den Kaffee und reichte ihr den Blechbecher. Dabei ließ er seine Hände flüchtig auf ihren Händen liegen. Ein typisches Gus-McQueen-Lächeln bedachte sie mit einem Strahlen wie der Sonnenaufgang, und seine Augen lachten. »Ich muß dir eine Milchkuh kaufen, damit du immer frische Milch für deinen Kaffee hast ... vielleicht auch ein paar Hühner.«
»Wenn du nicht aufpaßt, dann verwöhnst du mich«, sagte Clementine. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man eine Kuh melkt. Und Hühner? Was würde sie mit den Hühnern anstellen müssen, damit sie Eier legten? Aber wenn andere Frauen solche Dinge gelernt hatten, würde sie es auch können.
Sie spürte den Blick ihres Mannes auf sich gerichtet. Seine Augen hatten sich zu zwei Schlitzen verengt. Er schien zu vibrieren. Sie kannte diesen Blick. Sie wußte, er sah den Körper einer Frau, die ihm gehörte, und er wollte sie haben.
Sie wandte sich ab und blätterte mit klopfendem Herzen in ihrem Kochbuch. Sie stellte es gegen den Schmalztopf. An ihren Fingern klebte der trocknende Teig, und sie hinterließen Flecken und auf den Seiten. Sie hörte, wie Gus hinter ihr seufzend den Atem ausstieß.
Das Buch hieß Leitfaden für die Hausfrau. Es enthielt Anweisungen für verheiratete Frauen. Montags waschen, dienstags bügeln, mittwochs backen und die Fußböden schrubben. Erst am letzten Freitag des Monats würde sie sich hinsetzen und ein wenig ausruhen können, denn der Tag war laut Buch dazu vorgesehen, um das Silber zu putzen und die Kristallüster zu säubern. Selbst Clementine wußte, daß Blechlöffel nicht geputzt werden mußten, und sie bezweifelte, daß es im Westen von Montana auch nur einen einzigen Kristallüster gab.
Jede Seite enthielt Sprüche für den Tag. An diesem Tag riet man ihr: ›Es ist besser, ein Ding hundertmal zu tun, als hundert Dinge gleichzeitige.‹
Das erschien ihr albern, besonders, wenn man hundert Dinge zu tun hatte. Das Buch mit seinem schulmeisterlichen Ton ärgerte sie. Aber der Wind und überhaupt alles machte sie an diesem Tag gereizt und unruhig.
Sie hatte das Buch aus der Küche ihres Elternhauses am Louisburg Square mitgenommen. Damals hatte sie geglaubt, sie könnte es bei ihren Abenteuern in der Wildnis von Montana brauchen. Das war sehr weitsichtig gewesen. Doch die Rezepte, die es enthielt, duldeten keine Unerfahrenheit. Das Brot, das sie am Vortag gebacken hatte, war so hart wie das Holzbrett auf Nickel Annies Wagen geworden.
Sie stellte den gekneteten Teig zum Gehen hinten auf den Herd. Dann schob sie den Eintopf an eine Stelle mit größerer Hitze und goß Wasser nach. In drei Stunden würde sie den Tisch für das Mittagessen decken. Es war Montag, und eigentlich hätte sie waschen müssen. Sie konnte am nächsten Tag waschen, aber wann sollte sie dann bügeln? Es gab so viel zu tun ...
Sie wollte die Kamera aus dem Koffer holen, damit sie Gus nicht unter die Augen kam. Sie würde die Hütte photographieren, die Pappeln und die dunklen Berge, die das Tal umgaben und die mit ihren weißen, schneebedeckten Gipfeln aussahen wie ein Nonnenchor. Aber die Wäsche wartete, dann kam das Bügeln, danach das Kochen und das Backen.
Gus hatte sich hinter sie gestellt, und sie erstarrte. Sie wollte, daß er sie berührte, wollte es aber auch nicht. Er legte den Arm um sie und fuhr mit dem Finger langsam über die mehlbestäubte Wange. »Eine Frau, die bis zu den Ellbogen ins Backen vertieft ist, hat etwas, das einen Mann wirklich auf andere Gedanken bringt ...« Er verstummte, und sein Atem drang warm an ihren Nacken. Sie spürte die Hitze und das Drängen in ihm und lehnte sich zurück.
»Du riechst gut«, sagte er.
»Ich rieche nach Bier.«
Er summte und drückte den Mund an ihren Nacken. »Bier ist gut.«
Er drehte sie um, so daß sie sich gegenüberstanden. Ihre Brüste spannten sich, und die Brustwarzen richteten sich unter seinen Fingern auf. Sie entzog sich ihm. »Doch nicht am hellichten Tag. Das gehört sich nicht«, sagte sie, obwohl sie wollte, daß er sie ins Schlafzimmer trug, auf das große Eisenbett legte und eins mit ihr wurde.
»Ich wollte dich nur küssen. Du willst doch, daß ich dich küsse, nicht wahr, Clementine? Gib es zu. Und wenn du ehrlich bist, dann willst du, daß ich dich nicht nur küsse.«
»Vielleicht ...‹‹ Sie senkte den Kopf, um zu verbergen, daß sie errötete. Allmählich gefiel ihr, was er nachts im Bett mit ihr tat, obwohl sie nicht sicher war, warum sie es mochte, oder ob sie es überhaupt wirklich mochte. Er weckte in ihr eine fiebrige Unruhe, eine Hitze im Blut, aber danach fühlte sie sich innerlich leer, irgendwie traurig und einsam.
Er stieß ein lautes Seufzen aus, das zum größten Teil gespielt war. »Vermutlich sollte ich wieder hinausgehen und den Weidezaun reparieren.«
Er nahm seine Arbeitsstiefel, die zum Trocknen vor dem Herd standen, setzte sich auf die Holzkiste und zog sie an den Lederschlaufen über die Füße. Trockene Erdklümpchen rieselten auf den Küchenboden. Es hatte am Vortag heftig geregnet, und vom Grasdach war nasser Lehm heruntergetropft. Sie hatte Stunden damit verbracht, den Boden zu putzen, und nun machte Gus ihn schon wieder schmutzig.
Sie wies mit dem Finger auf den Schmutz. »Wenn du den Boden selbst geschrubbt hättest, Gus, würdest du besser aufpassen, wo du mit deinen dreckigen Schuhen hintrittst.«
Er blickte überrascht auf. »Wieso bist du denn heute so ge ...«
Ein lautes Geheul unterbrach ihn mitten im Wort. Es war ein langgezogenes, hohes Jaulen und klang, als heulten hundert einsame Kojoten gleichzeitig.
Clementines Blick richtete sich unwillkürlich auf die Kerbe in der Wand. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu und nahm ihr den Atem.
Indianer ...
Das Heulen verstummte, und einen Herzschlag lang war alles still. Dann begann der wilde Lärm direkt vor der Tür. Clementine hatte nur den einen Gedanken: Weglaufen! Aber sie war wie gelähmt und konnte sich nicht von der Stelle rühren.
»Was zum Teufel ...?« Gus stampfte mit den Füßen auf, um schneller in die Stiefel zu kommen. Er legte Clementine die Hände auf die Schultern. »Es klingt, als wollte uns jemand ein Ständchen bringen, obwohl das in unserer Hochzeitsnacht hätte geschehen sollen und nicht eine Ewigkeit später.«
Er riß die Tür auf und schob Clementine vor sich her nach draußen. Sie glaubte, ihn lachen zu hören, doch bei all dem Gejohle und Geheul war sie nicht sicher.
Pogey und Nash, die beiden alten Goldsucher, tanzten im Hof herum, und der Schlamm spritzte unter ihren genagelten Schuhen. Dazu machten sie Begleitmusik mit klappernden Blechdosen an langen Schnüren und einer verstimmten Fiedel.
Als sie die Zuschauer bemerkten, brachen sie ab und grinsten. Sie schienen stolz auf den gelungenen Überfall, aber auch etwas schuldbewußt, wie zwei Füchse, die in den Hühnerstall eingedrungen sind.
Gus legte Clementine den Arm um die Taille und sagte lachend: »Es ist schon vorgekommen, daß empörte Bürger Halunken für diese Art Ruhestörung geteert und gefedert haben.«
Pogey fuhr sich mit den schmutzigen Fingern durch den Bart, während er Gus demonstrativ von Kopf bis Fuß musterte. »Der Cowboy sieht sehr zufrieden aus mit seinem neuen Ehestand, findest du nicht, Nash? Geradezu unverschämt zufrieden, könnte man sagen.«
Nash nickte ernst. Die großen Eulenaugen in seinem knochigen Gesicht wirkten so unschuldig, als könnten sie kein Wässerchen trüben. »›Zufrieden‹, richtig, nach dem Wort habe ich gesucht. Zufrieden wie ein Frosch mit dem Bauch voller Mücken.«
»Zufrieden wie eine Biene im Klee.«
»Zufrieden«, sagte Nash, »zufrieden wie ein totes Schwein im rosa Schlamm.«
Pogey schüttelte ärgerlich den Kopf. »Wie zum Teufel kann ein Schwein zufrieden sein, wenn es tot ist? Und wer hat jemals etwas von ›rosa‹ Schlamm gehört? Du redest nur Unsinn, Nash. Dein Kiefer macht klapp-klapp, deine Zunge macht flapp-flapp, und es gelingt dir nie, daß auch nur ein vernünftiges Wort dabei herauskommt. Glaubst du, die Sonne geht morgens nur auf, um dich krächzen zu hören?«
Nash nahm den Schlapphut vom Kopf und schlug Pogey damit auf den Bauch. »Halte deine Zunge im Zaum. Du hattest versprochen, heute ausnahmsweise nicht zu fluchen.«
Pogey blickt auf die Spitzen seiner schäbigen Schuhe. Er zog an seinem langen Ohrläppchen und sah Clementine verstohlen von der Seite an. »Ich glaube, ich bin es nicht gewöhnt, eine echte Lady um mich herum zu haben.«
Clementine hatte die Arme auf dem Rücken verschränkt. Sie stand aufrecht und mit hoch gehobenem Kinn vor den zwei Spaßvögeln. Sie wirkte noch damenhafter, obwohl ihr das nicht bewußt war. »Danke, Mr. Pogey, daß Sie so große Rücksicht auf die Empfindlichkeiten eines Neuankömmlings nehmen.« Sie verblüffte die beiden, indem sie strahlend lächelte. »Ich freue mich, Mr. Nash, daß es Ihnen gelungen ist, Ihre Zähne zurückzubekommen.«
Nash starrte sie verblüfft an. »Hm? Oh!« Er nahm das Gebiß heraus und betrachtete es, als habe er nicht damit gerechnet, es in seinem Mund zu finden.
Pogey kratzte sich das Kinn unter dem Bart. »Na ja, zum Teu ..., also wir haben Ihnen ein kleines Hochzeitsgeschenk mitgebracht, Mrs. McQueen.«
Die Männer waren mit einem alten Esel gekommen, der angebunden vor der Hütte stand. Der Esel trug zwei kleine Körbe. Aus einem nahm Pogey ein in Leinen eingeschlagenes Päckchen. Er grinste über beide Ohren, als er es Clementine gab.
Es fühlte sich weich an, als sie es langsam auspackte. Der Geruch von blutigem Fleisch stieg ihr in die Nase. Das Stück Fleisch war dick, flach und schwarz. Blut tropfte auf ihren grauen Satinrock. Es sah aus wie die Zunge eines riesigen Tieres.
Sie versuchte, ihren Abscheu nicht zu zeigen. »O ... vielen Dank, die Herren.«
Gus sah sie mit lachenden Augen an. »Es ist ein Biberschwanz, Clementine. Man macht Suppe daraus. Für die Trapper ist das eine große Delikatesse.«
»Ich ... ich bin sicher, das Fleisch schmeckt köstlich.«Clementine überlegte, ob es in ihrem Buch ein Rezept für Biberschwanzsuppe gab. Bei dem Gedanken mußte sie beinahe laut lachen.
Nash ging zu dem Korb auf der anderen Seite des Esels und brachte einen Tonkrug mit einem Korkstopfen zum Vorschein. »Wir wissen, daß du nicht trinkst, Gus. Deshalb haben wir unsere Erfrischung selbst mitgebracht.«
»Steht nicht hier draußen im Schlamm herum«, sagte Gus lachend. »Kommt herein.«
Die beiden alten Männer folgten Gus durch die Tür und hinterließen auf dem Fußboden noch mehr Dreckspuren. Clementine wollte es nicht sehen. Sie freute sich, daß jemand zu ihnen gekommen war, um sie zu besuchen. Sie bezweifelte, daß noch viele andere Leute auf die Ranch kommen würden, denn es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, was alle im Regenbogenland über sie dachten. Sie war eine Außenseiterin, eine zerbrechliche Dame, die keinen Mumm in den Knochen hatte. Deshalb machte man sich über sie lustig. Manchmal hatte sie das Gefühl, daß selbst die Berge und der Wind über sie lachten.
Gus füllte sich einen kleinen Blechbecher mit selbstgebrautem Bier. Er trank jeden Mittag zum Essen zwei Becher davon. Abends, wenn Clementine das Geschirr abwusch, ging er mit einem Becher hinaus und beobachtete den Sonnenuntergang. Bier galt in Montana nicht als Alkohol.
Die Männer setzten sich an den Tisch. Die Hütte schien zu klein für den starken Geruch der Goldsucher. Sie trugen nicht nur die gleichen Sachen wie Nickel Annie, sondern schienen sich wie sie auch nie zu waschen. Clementine legte den Biberschwanz ins Spülbecken. Sie hoffte, Gus werde nicht erwarten, daß sie daraus wirklich eine Suppe kochte.
Pogey hob den Whiskeykrug. »Zum Wohl, Cowboy! Das hat mich vielleicht umgehauen, als du uns das hübscheste Mädchen, das Rainbow Springs je gesehen hat, als deine Frau vorgestellt hast.«
Nash rieb sich die Hakennase und lachte schallend. »Jawohl, Pogey war so überrascht, daß ihm die Augen wie einem Frosch hervorgequollen sind.«
Pogey schlug seinem Partner mit dem Krug gegen die knochige Brust. »Stopf dir das zwischen die Lippen, du altes Schandmaul. Manche Männer machen den Mund auf, wenn sie etwas zu sagen haben. Du machst ihn auf, weil du glaubst, du müßtest immer etwas sagen.«
Clementine begriff, daß die Leute in Montana ihre eigene Art im Umgang miteinander hatten. Dazu gehörten Fluchen und Whiskeytrinken. Sie beobachtete Nash, der den Zeigefinger um den Henkel legte, den Krug auf den angewinkelten Ellbogen stellte, den Mund an die Öffnung führte und den Arm hob. Er trank lange und sichtlich mit großem Genuß. Als er den Krug absetzte, verzog er den Mund, als seien ihm die Lippen mit einer Schnur zusammengebunden. Er schluckte, schüttelte sich und schmatzte. »Warum hackst du so auf mir herum, Pogey? Niemand erwartet, daß man stumm wie ein ausgestopfter Vogel herumsitzt, wenn man zu Besuch ist.«
»Aber es erwartet auch niemand, daß man wie ein lebender Vogel singt oder wie eine Ente schnattert. Gib mir den Krug, bevor du alles austrinkst.«
Clementine ging zu dem niedrigen Kaffeekisten-Sofa und setzte sich auf die wattierte Decke. Ihr Satinrock raschelte in der Stille. Sie beugte sich vor und schlang die Arme um die angezogenen Knie. Sie wünschte, Gus würde etwas sagen, aber er brütete plötzlich mit zusammengekniffenen Augenbrauen vor sich hin. Er saß da, hielt den Becher zwischen den großen Händen und starrte in das dunkle Bier.
»Ich nehme an. Sie sind schon sehr lange Freunde«, sagte sie zu den beiden alten Goldsuchern, um das Schweigen zu beenden.
Pogey fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund. »Ich löffle mit diesem Kerl schon seit beinahe fünfzig Jahren Suppe aus einem Topf.«
Die beiden sind demnach wie miteinander verheiratet, dachte Clementine. Das ständige Schimpfen war offenbar nur eine Form der Zuneigung, die sich im Laufe der Zeit und durch gemeinsame Erinnerungen entwickelt hatte. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie sie und Gus in fünfzig Jahren miteinander umgehen würden. Aber es gelang ihr nicht, ihre gemeinsame Zukunft über den nächsten Becher Bier und den Sonnenuntergang hinaus zu sehen. »Und wie kommt es, daß Sie hier in Rainbow Springs sind?«
Nash grinste. Er freute sich, daß sie auf dem Weg zu einer Unterhaltung waren. »Na ja, wir sind eines Tages hier vorbeigekommen. Pogey hatte Durst, und da haben wir beschlossen, uns die Kehle im ›Best in the West‹ etwas anzufeuchten. Wir haben angefangen, Karten zu spielen, und wie es der Teufel will, haben wir einem alten Gauner eine Silbermine abgewonnen. Der Trottel hätte es besser wissen müssen, als zu versuchen, einen vierten Buben zu ziehen, nachdem Pogey drei Königinnen auf dem Tisch liegen hatte.« Er lachte leise und schüttelte den Kopf. »Wir haben die Mine ›Die Vier Buben‹ genannt, um uns immer daran zu erinnern, daß wir uns beim Kartenspielen nicht genauso dumm verhalten wie der Kerl, der uns reinlegen wollte.«
Er schwieg und sah Clementine treuherzig an. In seinem Blick lag so etwas wie Verstehen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, er wisse um die schmerzenden, leeren Stellen in ihrem Herzen und um ihre Kindheit, die sie dazu getrieben hatte, Gus zu heiraten und ihm hierher in die Wildnis zu folgen. Sie glaubte, er könne ihr sagen, was ihr fehlte und wo sie es finden werde.
Nash blinzelte und wandte den Blick ab. Sie sah nur noch einen alten Mann, der Silber schürfte, der nach Schweiß roch und gerne redete. »Da fällt mir übrigens ein, Gus, warum wir hergekommen sind.« »Halleluja!« rief Pogey. »Endlich kommst du zur Sache.«
Nash blickte seinen Partner mit großen traurigen Augen an. »Du gehst mir auf die Nerven mit deinem Gemecker. Immer behauptest du, ich würde zuviel reden. Glaubst du, ich kann nicht mit wenigen Worten ›zur Sache‹ kommen? Wenn du es kurz und knapp willst, dann werde ich von jetzt an kurz und knapp sein. Ich sage über die ganze verdammte Geschichte nur noch ein einziges kurzes und knappes Wort!« Er sah Gus an, leckte sich die Lippen und holte tief Luft. »Glück.«
Gus schüttelte lachend den Kopf. »Was?«
»Da siehst du, Pogey, was geschieht, wenn man kurz und knapp ist. Man wird nicht verstanden.«
»Du wirst nicht verstanden, weil du nicht vernünftig redest. Laß mich es ihm sagen, sonst erfährt er es doch nie.« Pogey stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und beugte sich vor. »Du kennst ›Die Vier Buben‹?«
»Das denke ich schon«, sagte Gus. »Abgesehen davon, daß Nash gerade davon geredet hat, bin ich an der Mine angeblich mit zwanzig Prozent beteiligt, weil ich euch seit zwei Jahren die Ausrüstung und das Essen bezahle. Bis jetzt waren es leider nur zwanzig Prozent von dem Geröll und der Gangmasse.«
»Na ja, ich hatte allmählich auch schon geglaubt, in dem Loch wäre ungefähr soviel Saft wie im Schwanz eines Toten ... au!« Er sah Nash wütend an, der ihm den Krug in den Magen gerammt hatte. Dann wurde er über und über rot. »Entschuldigung, Mrs. McQueen.«
»Ich werde es jetzt erzählen«, sagte Nash. »Damit der Missis deine dreckigen Reden erspart bleiben. Wir stochern also im Geröll herum, und da stößt Pogey auf eine Quarzader, die vielversprechend aussieht. Da sind wir zu Sam Woo gegangen und haben uns ...«
»Dynamit geholt«, fuhr Pogey fort. »Wir haben Sam gesagt, er soll es auf deine Rechnung setzen, Gus. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.«
Gus winkte ab. »Warum soll ich etwas dagegen haben? Die ›Rocking R‹ ist schon so verschuldet, daß es auf ein paar Dollar mehr nicht ankommt.«
»Das haben wir uns auch gesagt.« Pogey trank einen ordentlichen Schluck Whiskey und stellte den Krug auf seinem dicken Bauch ab. »Wir haben ein Stück von dem Quarz abgesprengt und zum Prüfbüro drüben in Butte Camp geschickt. Und zum Teufel noch mal, es hat sich herausgestellt, daß es Silber enthält.«
Nash zog einen kleinen flachen Stein aus der Westentasche. Er glänzte wie ein neues Zehncentstück, als er ihn Gus in die Hand gab. »Da, wo das herkommt, ist noch eine ganze Menge mehr. Es sieht aus, als ob die Ader überhaupt nicht mehr aufhört.«
Gus rieb das Silber zwischen den Fingern. Clementine zuckte erschrocken zusammen, als er aufsprang und einen lauten Freudenschrei ausstieß. Er nahm sie in seine Arme und tanzte mit ihr um den Tisch. Als er sie losließ, wurde ihr schwindlig. Ihre Wangen glühten, und die Haare hatten sich aus dem straffen Knoten im Nacken gelöst. Gus strahlte wie ein kleiner Junge. »Hier, das ist für dich, Clem!« rief er und warf ihr den Silberbrocken zu.
So gefiel ihr Gus am besten. Das war der Gus, der träumte und lachte. Diesen Gus würde sie eines Tages lieben können. Sie hielt den Stein an das Fenster und staunte über den Glanz.
»Ich verstehe nicht ... Was ist das?«
»Ein Prüfkorn.«
»Aber was heißt das?« Der Stein lag warm in ihrer Hand. »Sind wir reich?«
Gus klatschte in die Hände und lachte. »Das heißt, daß wir vielleicht zu zwanzig Prozent reich sind.«
»Die Sache ist nur, daß Zeug ist nicht alles hochwertiges Silber«, sagte Nash. »Es ist harter Stein, und es wird teuer werden, das Silber abzubauen.«
Gus setzte sich wieder auf den Hocker. Er war ruhiger geworden, doch seine Augen glänzten noch immer. »Das heißt, man braucht die richtigen Maschinen, um durch den Fels an die Adern heranzukommen. Und man braucht Mahlwerke und Chemiker, um aus dem Erz Metall zu machen. Das können wir nicht selbst tun. Man muß die Mine an ein Konsortium verpachten.«
Pogey riß die Augen auf. »Was?«
»Ein Konsortium ist eine Gruppe von Geldgebern. Männer mit dem Geld, das man braucht, um einen solchen Betrieb zu finanzieren. Es funktioniert folgendermaßen: Du verpachtest die ›Vier Buben‹ an ein Konsortium gegen einen Anteil am Ertrag der Mine. Du erhältst gewissermaßen einen Prozentsatz vom Gewinn.«
Nash bekam große Augen. »Hm ... also, wir haben irgendwie gehofft, Gus, daß du das für uns machst. Wir haben uns gesagt, mit deiner gebildeten Art kommst du besser mit den Geldleuten in Butte Camp und Helena zurecht.« Nash seufzte traurig. »Es ist nicht leicht, reich zu sein. Es ist schon jetzt alles schwierig für uns geworden. Dabei haben wir noch nicht einmal mit dem Reichsein angefangen. Es hat einmal eine Zeit gegeben, da konnte ein Mann einen Salbeibusch ausreißen, Gold im Wert von einem Dollar zwischen den Wurzeln in seine Pfanne schütteln und zufrieden nach Hause gehen.«
Pogey warf sich in die Brust und hakte die Daumen in die schwarzen Hosenträger. »Also, mir gefällt das Gefühl, reich zu sein. Manche Leute, die es nicht besser wissen, sagen vielleicht, es sei schwierig. Die anderen von uns, die mit ihrem Kopf etwas anfangen, die nennen es Fortschritt.«
»Ich glaube, ich könnte nach Butte Camp hinüberreiten und mit ein paar von diesen großen Gesellschaften reden«, sagte Gus. »Aber das muß warten, bis wir das Vieh zusammengetrieben haben.«
»Richtig, mit den Rindern solltest du dich beeilen«, sagte Nash. »Sonst tragen die Kälber, die jetzt von deinen Kühen gesäugt werden, das Brandzeichen von irgendeinem Viehdieb.«
»Ja«, sagte Pogey und nickte ernst. »Dieser Iron Nose ist ein wahrer Zauberkünstler mit dem Brandeisen.« Er beugte sich zu Gus hinüber und senkte die Stimme zu einem Flüstern, als stünden die Viehdiebe an den Fenstern. »Hast du gehört, was mit dem armen alten MacDonald passiert ist? Es ist davon die Rede, daß für gewisse Rothaut-Rinderdiebe eine besondere Veranstaltung stattfinden soll.« Er machte eine Faust und hob sie in die Luft, als ziehe er eine Schlinge zu. »Es gibt Leute, die sagen, wir sollten gleich mit Joe Proud Bear anfangen. Andere meinen, wir warten ab, bis er uns zu seinem Papa führt, dann können wir die ganze Familie hängen.«
Bei der Erwähnung von Indianern richtete sich Clementines Blick unwillkürlich auf die Kerbe in der Wand. Sie überlegte, wie MacDonald gestorben war. Hatten sie ihn mit dem Tomahawk in Stücke gehackt? Dann fiel ihr ein, daß Jeremy gesagt hatte, der Mann sei erschossen worden.
Seit Clementine in Montana lebte, hatte sie Angst vor den Indianern. Wenn sie nachts neben Gus lag, wurde der Wind, der leise in den Pappeln rauschte, zum Rascheln von nackten Füßen im Gras vor dem Fenster. Doch sie mußte auch an die Indianerin und an ihre beiden Kinder denken, die von ihrem Mann wie ein Stück Vieh mit dem Lasso eingefangen und davongezerrt worden war, und keiner in Rainbow Springs hatte etwas getan, um der Frau zu helfen – auch sie nicht.
Sie legte Gus die Hand auf den Arm. »Dieser junge Indianer«, sagte sie, »hat Frau und Kinder. Wenn er stiehlt, tut er es vielleicht, damit sie etwas zu essen haben. Es ist nicht richtig, daß normale Bürger das Recht selbst in die Hand nehmen. Dafür sind Gerichte, Richter und Geschworene da.«
»Ihr aus den Städten versteht das nicht. An den Verladebahnhöfen gibt es Viehzüchter, die alles, was vier Hufe hat, billig aufkaufen und keine Fragen stellen. Sie verfrachten das Vieh nach Chicago und streichen große Gewinne ein. Es sind dieselben Viehzüchter, die alle Gerichte, Richter und Geschworenen gekauft haben, Clementine. Sie lassen die Rinderdiebe seit Jahren laufen, weil sie die gestohlenen Rinder noch billiger kaufen können. Ein Mann muß sein Eigentum schützen, sonst ist er ein Schwächling und kann hier nicht leben.«
»Viehdieben hat man immer zuerst die Schlinge um den Hals gelegt und dann Gericht über sie gehalten«, sagte Pogey. »Und die Gauner, von denen wir reden, sind Verräter, widerliche Halbblütige. Außerdem sagen die meisten, daß eine Rothaut kein Recht auf ein Gerichtsverfahren hat.«
»Es sind Wilde, die man nicht mit uns vergleichen kann.« Gus nahm Clementine am Arm und zog sie an sich, als könnte er sie damit zwingen, auf seiner Seite zu stehen. »Mach dir darüber keine Sorgen, Clem. Das ist Männersache und hat nichts mit dir zu tun.«
»Aber es hat etwas mit mir zu tun. Was du vorhast, ist nicht richtig ...«
»Genug!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Dabei warf er ihr Rezeptbuch um, und das Mehl wirbelte auf. »Genug von Rinderdieben«, sagte er etwas ruhiger. »Ich mach das, was getan werden muß. Und du überläßt das mir.«
Sie befreite sich aus seinem Griff und schluckte eine ärgerliche Bemerkung. Er hatte gewissermaßen das Recht, sie zurechtzuweisen. Sie hatte sich vor anderen Männern mit ihm gestritten. Er war ihr Mann und mußte wissen, was richtig war. In diesem Fall konnte sie ihm jedoch nicht zustimmen. Es fiel ihr sehr schwer, sich zu fügen.
Gus griff wieder nach seinem Becher Bier, das er kaum angerührt hatte. »Habt ihr irgendwann in den letzten drei Tagen meinen Bruder in Rainbow Springs gesehen?« fragte er schließlich, nachdem das Schweigen fast unangenehm geworden war.
Pogey räusperte sich. »Gesehen nicht gerade. Wir haben ihn gehört, das heißt, von ihm gehört.«
Gus starrte auf den Tisch. »Ich habe gehört, im ›Best in the West‹ gibt es ein neues Mädchen.«
»Du meinst Nancy? Nein, die genügt Raffertys Ansprüchen nicht. Ihre Zähne stehen nicht nur so weit vor, daß sie einen Apfel durch ein Schlüsselloch essen könnte, sie ist auch so abgenutzt wie ein Paar Cowboystiefel ... Entschuldigung, Mrs. McQueen. Nein, nein, die ganze Zeit, während du in Boston gewesen bist, war bis auf Rafferty jeder Mann im Regenbogenland hinter Hannah Yorke her und hat sich eine Abfuhr geholt. Dann, am letzten Freitag, kommt Rafferty einfach in den Saloon, sieht sie an, und ich will verdammt sein, wenn sie nicht weich geworden ist. Seitdem verläßt er nicht mehr ihr Bett, als wollte er alles nachholen, was er bis jetzt versäumt hat ... Entschuldigung, Mrs. McQueen.«
Gus verzog kaum den Mund unter dem dichten Schnurrbart. Ein Schatten fiel über sein Gesicht. Clementine mußte ihn nicht ansehen, um zu wissen, was er dachte. Sein Bruder sündigte mit Mrs. Yorke, einer Frau, die violette Seidenkleider und rote Schuhe trug. Mr. Rafferty schlief mit Hannah Yorke, der Hure.
»Ich glaube, wir sollten uns auf den Weg machen«, sagte Nash. Er stand auf und zog seinen Gürtel hoch. »Beweg deinen Hintern, Partner.« Pogey trennte sich rülpsend und kratzend von seinem Platz auf dem Nagelfäßchen und schwankte leicht, als er sich aufgerichtet hatte. Die beiden Männer verabschiedeten sich und zogen Gus noch einmal mit seinem ›Ehestand‹ auf, während sie durch die Tür gingen.
Clementine beobachtete sie im Schatten unter dem Dachvorsprung. Gus begleitete sie bis zur Koppel. Pogey ritt auf dem Esel mit dem Senkrücken, und Nash ging zu Fuß. Der Krug mit dem Whiskey wechselte zwischen ihnen hin und her. Sie sahen nicht aus wie die Besitzer einer Silbermine. Clementine überlegte, ob der Reichtum die beiden verändern würde.
Der alte Hund hob müde den Kopf und sah ihnen nach. Aber er verließ seinen Platz im Schatten der Scheune nicht. Er lag dort stundenlang flach auf dem Bauch und preßte die Schnauze zwischen die Vorderpfoten. Er wartete auf Zach, der seit Tagen verschwunden war und Mrs. Yorke, der Hure, den Hof machte. Der Hund war zur Begrüßung einmal um Clementine herumgegangen und hatte sie beschnuppert. Seither beachtete er sie nicht, als rechne auch er nicht damit, daß sie lange bleiben würde. Der Hund hatte ein merkwürdig verschleiertes Auge. Gus sagte, er sei von einer Klapperschlange gebissen worden und hätte eigentlich daran sterben müssen. Statt dessen sei er nur auf dem einen Auge blind oder zumindest beinahe blind.
Gus kam nicht zur Hütte zurück, sondern ging auf die Seite der Scheune, wo der Wagen stand. Er murmelte etwas davon, er müsse Jeremy den Wagen zurückbringen oder ihn kaufen. Clementine wußte, was er vorhatte. Er fuhr in die Stadt, um seinen Bruder zurückzuholen, bevor dieser Mr. Rafferty sie alle in Verruf und noch mehr Schande über die Familie brachte, die jetzt auch ihre Familie war.
Das dunstige Morgenlicht war der Sonne gewichen. Die Wiesen im Tal wogten im Wind. Clementine roch das süße grüne Gras. Sie hob den Kopf und beobachtete einen einsamen Habicht, der am Himmel Kreise zog. Der Himmel, der blaue Himmel. Die unendliche Leere des Himmels betäubte sie und machte sie benommen.
Sie hob die Röcke und ging durch den schlammigen Hof zu Gus. Sie spürte, wie ihr die Berge mit den dichten Kiefernwäldern über die Schulter blickten. Der Wind, der Himmel und die Berge machten sie unruhig. Sie lockten, sie erhoben Anspruch auf sie und machten ihr angst. Sie weckten in ihr die gleiche Art Ruhelosigkeit wie Gus nachts im Bett. Und neben der Ruhelosigkeit gab es immer noch die leeren, hallenden Räume in ihrem Herzen, die gefüllt werden mußten. Die Sehnsüchte ihrer Kindheit waren ihr nach Montana gefolgt, oder Clementine hatte sie mitgebracht.
»Gus?
Sie schrie beinahe und erschreckte sie damit beide. Sie umklammerte die Kamee-Brosche an ihrem Hals und spürte das leichte, verräterische Flattern tief hinten in der Kehle.
»Du willst mich doch nicht allein hier lassen.«
Die Kette des Geschirrs hatte sich verschlungen, und er war gerade dabei, den Knoten zu lösen. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich nach ihr umblickte. Seine breiten Schultern verdeckten die Sonne, durch seine Haare zogen sich Goldfäden. Sein Mund und seine Augen waren angespannt und verrieten den Zorn.
»Natürlich nicht. Es ist für dich zu gefährlich.«
Sie atmete tief ein und langsam wieder aus. »Dann zieh ich mich schnell um.«
»Beeil dich. Ich will vor dem Dunkelwerden wieder hier sein.«
Sie wollte gerade zur Hütte gehen, als er sie zurückhielt. »Clementine, du darfst dich nie mehr gegen mich stellen.«
Sie biß die Zähne zusammen, um den inneren Aufruhr zu unterdrücken, der sie zu ersticken drohte.
»Es sieht nicht gut aus, wenn du mir so rundheraus widersprichst. Es sieht aus, als wäre ich nicht der Herr im Haus.«
Sie stand wie erstarrt vor ihm und versuchte, das innere Zittern zu beruhigen. Sie würde sich nicht entschuldigen, und sie würde auch nicht zugeben, daß er recht hatte. Statt dessen sagte sie: »Ich muß meinen Hut und die Handschuhe holen.«
Sie drehte sich um und ging hoch aufgerichtet über den Hof. Dabei spürte sie, daß er sie mit wütenden Blicken durchbohrte. Sie mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut zu schreien.
In dem kleinen Schlafzimmer mit der schrägen Decke machte sie sich zurecht, damit sie sich in der Stadt sehen lassen konnte. Der Wind und das Tanzen mit Gus hatten ihre Frisur durcheinandergebracht. Sie hängte die Brennschere in den Glaszylinder der Lampe. Während sie heiß wurde, wusch sie sich Gesicht und Hände. Der gesprungene Spiegel zeigte ihr ein Gesicht, das vom Wind geschlagen zu sein schien, von der Sonne verbrannt war und nach dem Streit mit Gus verbittert wirkte.
Ihr Mantel hing an einem Haken neben dem improvisierten Kleiderschrank. In dem Mantel befand sich das herzförmige Kissen, das tief in seiner Tasche verborgen war. Sie nahm den Beutel heraus und hielt ihn in der Hand. Sie spürte das Gewicht und hörte das Klimpern der Münzen.
Sie würde Gus nicht verlassen, soviel wußte sie bereits. Aber sie hatte es satt, sich ständig Sorgen darüber zu machen, was schicklich oder passend sei. Sie wollte nicht länger daran zweifeln, ob sie eine gute Ehefrau war. Sie war eine erwachsene Frau, und es mußte ihr erlaubt sein, eigene Gedanken zu haben. So, wie die Waldläufer und Trapper, die vor ihr in diese unbekannte Wildnis gekommen waren, wollte auch sie ihre Spuren vergessen.
Sie trennte mit einem großen Messer den Saum des Beutels an einer Stelle auf und nahm eine goldene Fünfdollarmünze heraus. Dann sah sie sich in der Hütte nach einem geeigneten Platz um, wo sie den Rest verstecken konnte.
Der Cowboy lag nackt auf ihrem Bett. Er war groß, schlank und stark.
Es lag auf ihrem Bett und beobachtete sie mit seinen wilden goldenen Augen. Hannah Yorke lag in dem warmen Wasser der Zinkbadewanne. Sie erhob sich betont langsam und stieg so verführerisch, wie sie es gelernt hatte, aus der Wanne. Das Wasser lief ihr sanft über die Haut. Es war wie eine Liebkosung, so wie seine Hände, die sie erst vor kurzem liebkost hatten. Duftender Dampf vertrieb den Geruch nach abgestandenem Whiskey und Sex. Es war spät am Vormittag, und die Sonne schien durch die Marquisettevorhänge vor dem Schlafzimmerfenster, setzte die roten Seidenwände in Flammen und verlieh ihrer Haut einen weichen rosa Schimmer.
Sie spürte seinen Blick, während sie sich abtrocknete. Sie zitterte, aber das lag an der kühlen Frühlingsluft, vielleicht aber auch ein wenig an seinen eigenartigen gelblichbraunen Augen. Er war wild wie Joe Proud Bear und Iron Nose und so ungezähmt wie ein Wolf. Seinem Wesen nach war er wie ein Raubtier und ein Einzelgänger, für den es nur die eigenen Regeln gab.
Sie zog einen seidenen japanischen Morgenmantel an und setzte sich auf das Sofa, um ihre lockigen dichten Haare zu bürsten. Sie ringelten sich um ihre Handgelenke und lagen seidenweich auf ihren Händen. Ihre Brüste hoben und senkten sich langsam. Sie stießen gegen die glatte Seide. Er beobachtete sie, und sie wußte, das Weibliche, das sie freizügig seinen Blicken bot, erregte ihn. Ein wohliges Prickeln überlief sie. Ihre Haut spannte sich in Erwartung und Erinnerung an seine Leidenschaft.
Hannah streckte die Beine aus und stieß die Zehen in den dicken Orientteppich. Sie liebte das Schlafzimmer, obwohl es mit den roten Seidentapeten und dem verschnörkelten Himmelbett aussah, als gehöre es in ein Bordell. Bevor sie das Haus gekauft hatte, war es ein Bordell gewesen. Jetzt war es jedoch nur noch ein Zimmer in einem Haus, in ihrem Haus, und sie lebte allein darin. Nach fünfzehn Monaten in Rainbow Springs war der Cowboy der erste Mann, den sie in ihr Leben, in ihr Bett gelassen hatte.
Eine anständige Frau, das wußte sie, würde denken, Hannah Yorke sei durch ihr altes Leben unrettbar verdorben. Vielleicht stimmte das auch. Sie hatte ihm zwar lange widerstanden, doch in Wahrheit ... in Wahrheit hatte sie den Cowboy haben wollen, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Sie hatte von Anfang an gewußt, daß sie ihn oder daß er sie haben würde. In den vergangenen drei Tagen hatten sie sich gefunden und es miteinander getrieben, als wäre die Liebe durch sie beide erst entdeckt worden.
In Wahrheit ...
Hannah versuchte, sich nicht mehr selbst zu belügen. Vor langer, langer Zeit hatte sie geglaubt, nichts könnte ihr Herz berühren, ganz gleich, was sie tat, ganz gleich, was ihr angetan wurde.
Das waren Lügen, alles Lügen. Alle Tage und Nächte ihres Lebens hatten sie berührt.
Wenn sie aufhörte, sich die Haare zu bürsten, und den Kopf drehte, dann würde sie ihr Spiegelbild in dem großen Spiegel mit dem gekehlten Goldrahmen sehen, der auf dem Toilettentisch stand, und dann würde sie das Gesicht und die Augen einer Hure sehen.
Als wollte sie sich beweisen, daß sie stark genug sei, um das zu ertragen, hob sie den Kopf und blickte in den Spiegel. Sie sah ihr Gesicht und dahinter das Spiegelbild des Mannes auf dem Bett.
Ihre Blicke trafen sich im Glas. Der beinahe brutale Ausdruck der Leidenschaft auf seinem Gesicht erschreckte und erregte sie, und sie wandte den Blick ab.
Der Cowboy kümmerte sich nicht um zerbrechliche Dinge wie Herzen.
Er liebte sie mit einem so verzweifelten Hunger, als könnte er am nächsten Tag sterben.
»Komm her!« sagte er ... befahl er ihr.
Weil sie es so wollte, reagierte sie nicht. Statt dessen ging sie zum Toilettentisch mit dem goldgerahmten Spiegel. Auf dem Tisch lag ein Schal mit langen Fransen. Darauf stand eine Porzellandose mit Kokosbutterzäpfchen in Borwasser. Bei dem starken, süßsauren Geruch wurde ihr beinahe übel. Sie legte die Hände auf ihrem Leib und war sicher, daß sie die Leere dort spüren konnte. Das, was sie und der Cowboy in ihrem Bett taten, würde nicht zu einem Kind führen.
Neben der Dose lag unter einem Glassturz ein Sträußchen Wachsblumen von einem Hochzeitskuchen. Die Veilchen waren einmal leuchtend violett und die weißen Rosen so makellos wie der erste Winterschnee gewesen. Inzwischen hatten die Veilchen eine fahle braunrote Farbe, und die Rosen waren vergilbt. Ihre Finger glitten über das glatte Glas. Nichts, nicht einmal ein Glassturz, konnte etwas vor den Verwüstungen der Zeit bewahren. Die Jahre vergingen, und Erinnerungen verblaßten wie Blumen. Deshalb zwang sie sich Tag für Tag, diese Blumen anzusehen, sie zu berühren und sich daran zu erinnern, daß sie niemals Lügen glauben durfte – selbst den eigenen nicht.
Sie drehte sich um und blickte zu dem Mann auf ihrem Bett. Er war jung, sah gut aus und wartete auf sie. Sie lächelte, als sie zu ihm hinüberging.
»Hannah«, sagte er voll Leidenschaft in der Stimme.
Sie setzte sich neben ihn. Er richtete sich auf, und sie beugte sich hinunter, bis ihre Lippen sich trafen. Sein Kuß war gierig. Der Geruch seiner Haut stieg ihr in die Nase. Sie überließ sich der Hitze, dem Mann und der Lust. Er stieß die Zunge in ihren Mund, und sie schlang die Arme um seinen Hals. Sie liebte das Gefühl, ihn unter ihren Händen zu spüren, die harten, glatten Muskeln unter der warmen elastischen Haut. Hannah wehrte sich nicht gegen den Wunsch, ihren Körper an seinen zu pressen und ihn an sich zu drücken.
Er zog sie sanft neben sich auf das Bett. Sein Mund und seine Hände glitten tief unten über ihren Leib. Sie hatte auf der Innenseite des Oberschenkels eine tätowierte Rose. Seine feuchte heiße Zunge fuhr die Umrisse jedes Blütenblatts nach, leckte am gebogenen Stiel und verschwand in den dichten Haaren.
Lust ...
Sie hatte vergessen, daß Lust nicht nur verkauft, sondern auch geschenkt werden konnte. Zwei Jahre lang war sie ein Mädchen im Rotlichtviertel gewesen. Sie war in Deadwood auf den Strich gegangen und hatte ein Zimmer gemietet, das diesen Namen kaum verdiente und in dem außer einem Bett kaum etwas war. Ihr Name war in das Holz über der Tür eingebrannt gewesen. Natürlich nicht ihr richtiger Name, sondern der, unter dem sie gearbeitet hatte ... Rosie.
Die Tätowierung faszinierte ihn, doch er fragte sie nicht danach. Sie war es nicht gewohnt, daß ein Mann nicht ihre Lebensgeschichte hören wollte, nicht erfahren wollte, daß sie im Grunde keine richtige Hure sei, sondern das Mädchen von nebenan, das Mädchen, das man hatte sitzenlassen.
Er kam wieder nach oben, um sie auf den Mund zu küssen. Und sie schmeckte sich auf seiner Zunge. Sie liebte seinen Körper, sein Gewicht. Ihre Brust zog sich genußvoll zusammen. Es war so lange her, daß ein richtiger Liebhaber sie in den Armen gehalten hatte, daß sie mit Zärtlichkeit berührt worden war.
Plötzlich konnte sie das Gefühl der überwältigenden Zärtlichkeiten nicht mehr ertragen. Sie löste ihren Mund von seinen Lippen und rang nach Luft.
»Was willst du hier, Rafferty?«
»Du meinst, du hast es noch nicht herausgefunden? Dann muß ich mir wohl größere Mühe geben.« Er leckte die Mitte ihrer Wange, wo sich eine halbmondförmige Falte bildete, wenn sie glücklich war. »Du hast ein Lächeln, für das ein Mann in die Hölle gehen würde, Liebling.«
»Du mußtest dafür nicht in die Hölle gehen, sondern nur bis Rainbow Springs.«
Er rollte von ihr herunter, legte ihr einen Arm unter den Rücken und drückte sie an sich. Er griff nach ihrer Brust und streichelte die Brustwarze, bis sie sich aufrichtete und hart wurde. Er berührte sie gern. Das hatte sie schon in der ersten Nacht herausgefunden. Sie wußte bald, irgendwann hatte ihm eine Frau beigebracht, es gut zu machen.
»Du bist seit drei Tagen hier«, sagte sie. Ihre Finger fuhren durch die Haare auf seiner Brust. »Das ist um diese Jahreszeit sehr lange, um von einer Ranch wegzubleiben.«
Sein Oberkörper bewegte sich unter ihrer Hand, als seufzte er, obwohl sie nichts hörte. »Mein Bruder hat sich aus Boston eine Frau mitgebracht. Da draußen bei uns ist das Leben zu einer Abstinenzlerhölle geworden. Ich habe sofort begriffen, wie es laufen würde. ›Putz dir die Schuhe ab, bevor du hereinkommst, nimm im Haus den Hut ab, iß, als wärst du nicht hungrig, und sag nicht Scheiße, selbst wenn es stinkt ...‹«
Was er sagte, war gemein, aber sie hörte eine Spur Besorgnis darin. Die Rückkehr seines Bruders nach Rainbow Springs beunruhigte sie ebenfalls; vielleicht, weil Mrs. McQueen nur die Vorbotin einer ganzen Schar respektabler, lästiger Anstandsdamen war, die bald in Rainbow Springs einfallen würden. Sie würden entsetzt mit dem Zeigefinger auf Hannah Yorke deuten und sie als eine ›Schande‹ für die Stadt, als eine ›gefallene Frau‹ bezeichnen.
Nun ja, Hannah Yorke war eine gefallene Frau, aber sie war allein wieder aufgestanden. Sie hatte Geld, und es machte ihr nichts aus, daß sie es mit dem Saloon verdiente, einem ehemaligen Bordell mit Hinterzimmern für die Kunden. Die respektablen Ehefrauen mit ihren gerümpften Nasen konnten alle zum Teufel gehen, auch Mrs. McQueen. Hannah Yorke gefiel es, ihr eigenes Geld zu haben und ihren eigenen Weg zu gehen. Besonders jetzt, nachdem sie leben konnte, ohne jeden Abend auf dem Rücken liegen zu müssen.
Sie legte sich ein paar seiner Brusthaare um ihren Finger und zog fest genug daran, um die Haut mit hochzuziehen. Er zuckte nicht mit der Wimper. »Die neue Frau deines Bruders ist eine echte Lady«, sagte sie. »Ein bißchen Kultiviertheit würde dir ganz gut tun, Cowboy.«
»O ja, sie ist so steif und vornehm wie ein Spitzenvorhang. Natürlich wird sie für uns hier draußen in der Wildnis genauso nützlich sein.«
Sie betrachtete seine schwielige Hand mit den langen Fingern, die ihre Brust liebkosten. Ihr gefiel es, wie die Hand aussah, wenn er sie berührte. Sie war so stark und schlank, so dunkel auf ihrer blassen Haut.
»Aber sie hat wirklich ein hübsches Gesicht«, sagte sie.
»Ich hoffe nur, Gus ist damit zufrieden, ihr hübsches Gesicht anzusehen ...« Er stützte sich auf einen Ellbogen, beugte sich über sie und verzog die Lippen zu einem gemeinen Lächeln, das ganz und gar Zach Rafferty war. »Ich kenne nämlich Frauen wie sie. Und ich prophezeie ihm, an sechs von sieben Tagen wird er nicht mehr dürfen, als sie anzusehen.«
Er hatte genug geredet. Er legte sich auf sie, und sie spürte, wie er sich hart und heiß zwischen ihre Schenkel preßte. Sie spreizte die Beine und zog sich zurück, um ihn in sich aufzunehmen. Sie preßte die Finger in seine Schultern. Er drang tief in sie ein. Er konnte es gut, ein langsames Stoßen und Zurückziehen, bis die Welt versank, bis Hannah nur noch das heftige Klopfen ihres Herzens wahrnahm und ihren keuchenden Atem, der sie auf dem Weg zum Gipfel ihrer Lust begleitete.