Читать книгу Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers - Pernille Juhl - Страница 14
Kollund, Dezember 1941
ОглавлениеChristian bedankte sich bei dem Mann, der ihn auf seinem Pferdewagen mitgenommen hatte, und legte die letzten Kilometer bis zur Hühnerfarm zu Fuß zurück. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihm jemals so kalt gewesen war. Sein ganzer Körper war steif gefroren, die Füße in den Stiefeln schienen zu Eisklumpen geworden zu sein. Er schlug den Kragen hoch und träumte von einer Pelzmütze anstelle der Strickmütze, die er trug und die der Wind vollkommen ignorierte. Die Böen wirbelten Schneeflocken durch die Luft, sodass er eine Hand an die Stirn legen musste, damit sie ihm nicht in die Augen wehten. Seine Pflegeeltern hätten ihn natürlich abgeholt, besonders bei diesem Wetter, doch wussten sie nicht, dass er einen Tag früher als geplant Weihnachtsurlaub bekommen hatte. Natürlich würden sie sich freuen.
Er war fest entschlossen, die vorweihnachtliche Stimmung nicht zu verderben, indem er Alma und Jes davon erzählte, was in Kopenhagen vor sich ging. Sie machten sich ohnehin schon genug Sorgen.
Er kämpfte sich vorwärts und schob die freie Hand in die Manteltasche. Zu seiner Überraschung bekam er ein Stück Papier zu fassen, einen Handzettel, den er vor Wochen eingesteckt hatte. Tatsächlich hatte er ihn einem Kameraden weitergeben wollen, hatte es aber schlichtweg vergessen. Damals, als er den Zettel bekommen hatte, war er sehr aufgebracht gewesen. Er war in einer Angelegenheit der Offiziersanwärterschule in der Hauptstadt unterwegs und auf ein paar unvorhersehbaren Umwegen am Schlossplatz vor Amalienborg gelandet, wo hunderte von Studenten gegen den Antikominternpakt demonstrierten, einer Vereinbarung zur Ausweitung der Kooperationspolitik.
In den folgenden Wochen kam es immer wieder zu Unruhen. In der Kaserne sprachen sie darüber, dass genau das die Dinge waren, die zu illegalen Aktionen führten. Christian konnte es den Saboteuren nicht einmal verdenken.
Jetzt bog er auf den Feldweg ein und erinnerte sich an die Zeit, als er hier jeden Tag mit dem Rad entlang gefahren war. Es war mehr ein Hindernisrennen gewesen, aber heute überzog eine Schneeschicht die vielen Löcher und Unebenheiten.
Er dachte an die Hühnerfarm und den Traum, den Alma und Jes sich im Laufe der ersten zehn Jahre seines Lebens vom Munde abgespart und dann verwirklicht hatten. Für Christian bedeutete es, dass der Weg zu Oma Botilla und zur Schule länger wurde. Er fand, seine Pflegeeltern hatten einen verfallenen Hof gekauft, aber während er heruntergekommene Gebäude sah, sahen Alma und Jes Möglichkeiten. Danach verband ihn nur noch ein unendlich langer und im Winter dunkler Feldweg mit dem Rest der Welt.
Durch die Hühnerfarm hatte Christian gelernt, was früh aufstehen hieß. Hatte sich an den enormen Lärm gewöhnt, der ihm entgegenschlug, sobald er das große Gebäude betrat, in dem das Federvieh zu tausenden gackerte und krähte. An den Geruch und die staubige, stickige Luft. Und natürlich an die Hühner, die pickten und sich gegenseitig Federn ausrupften.
Einen Augenblick lang stand er im Innenhof und betrachtete sein Zuhause. Das kleine Wohnhaus und die Hühnerfarm gegenüber. Er konnte den Lärm der Hühner beinahe hören, wenn er sie nur sah.
Jetzt sah Alma aus dem Küchenfenster und bemerkte ihn. Sie schlug die Hände vor den Mund und verschwand im nächsten Moment aus seinem Blickfeld, sicher auf dem Weg zur Tür so schnell sie konnte.
Seine Tante umarmte und küsste ihn auf beide Backen. Jes kam gerade aus dem Stall, seine Augen glänzten feucht, als er seinem Pflegesohn kräftig auf den Rücken klopfte. Sein charakteristischer Duft drang Christian sofort in die Nase.
„Na komm, Kedde, jetzt tauen wir dich erst mal auf. Was für ein Wetter! Gib mir deinen Mantel und setzt dich an den Ofen.“ Seine geliebte Tante hielt immer noch seine Hände. „Wenn du wüsstest, wie froh wir sind, dich zu sehen! Komm, lass mich dir ...“
Er spürte, wie der Schnee in seinen Haaren schmolz und das Wasser seinen Nacken hinunter und unter sein Hemd rann, als er ihr den Mantel reichte.
„Jes, setzt doch schon mal Wasser auf“, sagte Alma, während sie Christians Mantel nahm.
„Aber das kann ich doch machen“, sagte Christian und lächelte über den Eifer, den sie an den Tag legte.
„Nein, du wärmst dich jetzt erst mal auf. Ist das ein Winter! Ich kann mich nicht erinnern, dass wir so was schon mal erlebt haben, und jetzt sollen wir auch noch Kohlen und alles andere sparen. Das hier ist das einzige warme Zimmer im ganzen Haus.“ Sie verschwand mit seinem Mantel, kehrte aber einen Augenblick später zurück und sagte: „Jes, zieh doch endlich deine Sachen aus, du stinkst ja fürchterlich.“
Sie lachten, und Christian sagte schnell: „Jetzt fühl' ich mich so richtig zu Hause.“
Wenig später saßen sie um den Esstisch herum und tranken Muckefuck, Christian in eine Wolldecke gehüllt mit einem Paar warmer Pantoffeln an den Füßen. Alma stellte eine Dose ihrer leckeren Plätzchen auf den Tisch, die es normalerweise immer erst am Weihnachtsabend gab.
„Ah, unübertrefflich“, sagte Christian, nachdem er ein Plätzchen in den Mund gesteckt hatte, und Alma strahlte. „Auf die Plätzchen freue ich mich zu Weihnachten immer am meisten.“
„Ach, lass mal gut sein“, sagte Alma lächelnd. „Du weißt schon, wie du mir schmeicheln kannst. Aber am meisten freust du dich doch auf Omas Weihnachtsgans, gib's ruhig zu.“
„Und zu dem Kaffee brauchst du gar nichts zu sagen“, sagte Jes, der sich seiner Arbeitskleidung entledigt hatte und jetzt beinahe eine Grimasse schnitt. „Ist mit Roggen gebrüht und schmeckt einfach scheußlich … pfui, Teufel … ja, Entschuldigung bitte ...“ Er streckte den Arm nach Alma aus.
„Hat man Töne! Er mag nicht mal meinen Kaffee“, sagte sie lachend. „Aber er schmeckt mir ja selbst nicht.“ So kam Christian wenigstens drum herum, ein Urteil über den Kaffee abgeben zu müssen, der tatsächlich widerlich war.
„Aber Roggen habt ihr also reichlich?“, fragte er und bemühte sich dabei, optimistisch zu klingen.
„Nicht sehr viel … Mal sehen, was das nächste Jahr bringt. Sie machen es uns nicht gerade leicht“, murmelte Jes. „Den größten Teil des Getreides, das wir produzieren, muss ich an den Staat abgeben, und es ist schwierig, Futter für die Hühner zu beschaffen. Jedenfalls können wir nicht so viele haben, wie wir gerne hätten. Das Ganze ist ein Teufelskreis.“
„Ich habe ein paar Lebensmittelkarten für euch mitgebracht“, sagte Christian und bemerkte, wie ein Lächeln über Almas Gesicht huschte.
„Und? Wie läuft's in Haderslev?“, fragte Jes.
„Ganz ausgezeichnet“, antwortete er kurz angebunden.
„Vielleicht ist es gut, dass du nicht mehr in Kopenhagen bist. Es sind unruhige Zeiten, seit das Außenministerium in Berlin diesen Pakt unterzeichnet hat“, sagte Jes und hob dabei die Augenbrauen. Offenbar verfolgten sie das politische Geschehen intensiver, als Christian es angenommen hatte.
Christian seufzte. „Ja, du hast recht. Seit Scavenius den Antikominternpakt unterschrieben hat, jagt eine Demonstration die andere. Die Leute sind wütend darüber, dass die Kooperationspolitik noch einmal verschärft wurde.“
„Und was hältst du davon? Hat Dänemark sich für eine Seite entschieden?“, fragte Jes.
Seine Pflegeeltern sahen ihn eindringlich an, und ihm wurde klar, dass sie das Thema nicht zum ersten Mal diskutierten. Sie waren beunruhigt, er könnte von den Folgen des Pakts betroffen sein. Er war jung und er war beim Militär. Er entschied sich, ihnen ihre Sorgen zu nehmen, zumindest was das anging, auch wenn er nicht meinte, was er sagte.
„Du meinst, es könnte bedeuten, dass Dänemark Truppen an die Ostfront schickt?“
Jes nickte mit ernster Miene und sah Alma an.
„Das glaube ich nun nicht“, sagte Christian und wünschte, er könnte sich seiner Sache sicher sein.
„Es ist ja schon allerhand, dass sich junge Dänen freiwillig zu diesem Freikorps melden“, meinte Alma. „Stell dir vor, Jessens Sohn hat sich letzten Sommer gemeldet, und jetzt läuft die gute Frau Jessen die ganze Zeit herum und macht sich Sorgen, dass ihm etwas passiert ist. Sie traut sich kaum noch, die Post aufzumachen, aus lauter Angst, eine Benachrichtigung zu bekommen, er sei gefallen.“
„Er hätte es auch nicht besser verdient“, murmelte Jes, wobei ein kaum merkliches Lächeln in seinen Mundwinkeln lauerte. Er warf Christian einen raschen Blick zu. Diese Dinge waren trotz allem wohl zu viel für Alma.
Christian kannte Jessens Sohn aus gemeinsamen Schulzeiten. Er sagte lieber nichts dazu. Alle wussten, dass Jessens gute, aufrichtige Dänen waren und ihr Junge sich von Frits Clausen und seinem Gerede von König und Vaterland und dem Zusammenhalt unter den nordeuropäischen Ländern hatte einfangen lassen. Das machte ihnen ganz sicher sehr zu schaffen, und ihr Sohn würde hoffentlich anders denken, wenn er irgendwann einmal von der Ostfront zurückkam. Um den Aufenthalt dort war er jedenfalls nicht zu beneiden.
„Der Bursche ist Frits Clausen schon immer hinterhergelaufen, verstehe das, wer will“, sagte Jes.
„Aber du weißt schon, dass er es nur für Gott, König und Vaterland tut … und für Frits Clausen“, sagte Christian und zwinkerte Jes zu. Beide brachen in Gelächter aus.
Alma schüttelte den Kopf. „Ihr seid doch nicht ganz gescheit.“ Etwas später beugte sie sich zu Christian und sagte mit einem Lächeln: „Ich soll dich auch schön grüßen.“
Er wollte gerade die Tasse zum Mund heben, hielt aber mitten in der Bewegung inne und erstarrte, und als sie „Von Gerda“ hinzufügte, beschleunigte sein Herzschlag.
„Sie meinte, vielleicht hätte sie Zeit, Heiligabend bei Oma vorbeizuschauen, jetzt, wo du schon mal da bist.“
Christian riss sich zusammen und antwortete so leichthin wie möglich: „Na, das wäre doch schön.“