Читать книгу Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers - Pernille Juhl - Страница 5

Haderslev, 1937

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„Kompanie aufstehen!“

Fast im selben Moment sprang Christian aus dem Bett. Der erste Morgen in der Haderslev Kaserne. Draußen vor dem Fenster schien eine gutgelaunte Sonne, obwohl es erst halb sechs war. Die übrigen elf Kameraden auf seiner Stube waren ebenfalls aufgestanden und sahen sich schlaftrunken um.

Eine Tür am anderen Ende der Stube führte in den Waschraum. Der Boden war aus Zement, die Wände weiß getüncht, und die Mitte des Raums dominierte eine Art längliches Waschbecken mit einer Reihe Hähne darüber. Christian schob sich zwischen einigen seiner Kameraden, die sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzten, rasierten oder im einzigen Spiegel mit einem raschen Blick Frisur und Scheitel überprüften, hindurch und stellte sich in die kleine Schlange vor der einzigen Dusche, die nur eiskaltes Wasser bereithielt. Feixend warteten er und die anderen, während ihr Kamerad unter der Dusche vor Kälte keuchte und japste.

Zurück auf der Stube war es höchste Zeit, das Bett zu machen.

„Das kann doch jeder“, flüsterte ihm einer der Kameraden zu, aber nur wenige Augenblicke später wurden sie eines Besseren belehrt.

Gefreiter From war die Freundlichkeit in Person, als er sie im Bettenbau unterwies. Eine Seegrasmatratze, ein Betttuch, ein Keilkissen, ein Plumeau und zwei Decken waren zu arrangieren. Es schien ganz einfach zu sein, und Christian und seine Kameraden waren schnell fertig. Kurz darauf stand From vor ihm und sagte mit weniger freundlicher Stimme: „257, nennen Sie diesen Kasten da etwa ein gemachtes Bett?“

Christian blickte zu Boden und versuchte es erneut, wobei ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Als sie sich endlich auf den Weg zum Frühstück machten, war er sich darüber im Klaren, dass es sich beim Bettenbau offensichtlich um eine Disziplin handelte, die einiges an Übung verlangte, wollte man einen Gefreiten zufriedenstellen.

Das Frühstück war überraschend gut. Zunächst aßen sie schweigend, dann löste sich allmählich die Anspannung und erste Bemerkungen wurden ausgetauscht. Eine optimistische Stimmung breitete sich am Tisch aus. Es würde schon alles gut laufen, er hatte die richtige Entscheidung getroffen, man musste sich nur erst einmal zurechtfinden. Und wenn er an die Bäckerei dachte, verflogen ohnehin die letzten Zweifel. Wenn es mal schwierig werden sollte, dann erinnere dich einfach an Ivar, sagte er zu sich selbst und musste lächeln.

Dann rief einer der Gefreiten: „Antreten auf dem Exerzierplatz!“

Ein wenig kam er sich vor wie ein Schüler in der ersten Klasse. Er und seine Kameraden wussten nichts, mussten das militärische Grüßen lernen, in Reih' und Glied zu stehen und zu marschieren. Der Vormittag verging mit der Ausgabe der Uniformen und der Waffen. Beinahe ehrfürchtig traten die Rekruten vor der Waffenkammer an, und stolz nahm Christian ein Gewehr, ein Bajonett im Futteral und einen ledernen Gürtel mit zwei Magazintaschen entgegen. Das Gewicht des Gewehrs überraschte ihn. Er konnte es kaum heben und stellte sich vor, wie es sein würde, damit zu exerzieren, wie die lang gedienten Soldaten es taten. Hantierten sie mit dem Gewehr, sah alles spielerisch leicht aus.

Ob das Soldatenleben so werden würde, wie er es sich vorgestellt hatte? Jeden einzelnen Tag seiner Lehre als Bäckergeselle hatte er davon geträumt, Kollund den Rücken zu kehren. Während er Teig knetete, verwandelte sich die Backstube in seiner Fantasie in ein umkämpftes Schlachtfeld, auf dem die Guten auf die Bösen trafen. Schwitzend schob er Bleche in den Ofen und zog sie mechanisch wieder heraus, während vor seinem geistigen Auge ein Film ablief, der das Militär als eine einfache, aber harmonische Gemeinschaft mit klaren Regeln zeigte. Er sah sich in einer langen Reihe Kameraden in schneidigen Uniformen marschieren, Männer, die zusammenstanden und Dänemark und ihre Familien verteidigten. Freiheit und Ehre waren unverbrüchliche Werte für sie. Sie hatten eine Mission.

Es galt, Südjütland zu verteidigen! Oma würde stolz auf ihn sein. Als Kind hatte er es geliebt, auf der Eckbank in ihrer mollig warmen Küche zu sitzen und ihr zuzuhören, während sie Töpfe, Schüsseln, Pfannen und alles Mögliche aufräumte. Sie erzählte immer wieder die gleichen Geschichten. Über die Grenze, die entlang des Kongeå, des Königsbachs, verlief, damals, 1916, als er geboren wurde. Über die Zeit, in der Sütjütland ein Teil Deutschlands gewesen war, und über den Tag, als sie darüber abstimmen durften, ob ihre Heimat wieder zu Dänemark gehören sollte. Die Straßen waren mit Fahnen geschmückt, und als das Ergebnis bekanntgegeben wurde, feierten sie tagelang.

Oft tauchte ihr Lieblingslied in seiner Erinnerung auf, und dann war er mit einem Mal zurück in der Küche, spürte die Wärme des Herds, der mit Holz beheizt wurde, und roch den Duft von Kaffee und Zimt.

„Na, Kedde, wollen wir singen?“, würde Oma fragen.

„Gerne“, hätte Christian geantwortet und die kurzen Beine von der Bank baumeln lassen.

Und dann hätten sie gesungen, Oma mit einer hohen, klaren Stimme, als seien sie in der Kirche, und Christian mit der zerbrechlichen Stimme des Jungen, der er war.

Regen fällt in dichten Schauern,

Sturm peitscht über unser Land und Grund.

Fegt über Zäune und Mauern,

sein Joch im Nacken, und stumm unser Mund.

Doch das Jahr nimmt seinen Lauf,

bald leuchtet hell das Laub,

ach, nicht lange, und wieder ist alles des Sturmes Raub.

Schon als kleines Kind hatte er das Lied auswendig gekannt und begriffen, wie viel Oma ihr geliebtes Südjütland bedeutete.

„Wir dürfen dieses Lied nie vergessen“, sagte sie ein paar Mal. „Es wurde gegen Ende des letzten Jahrhunderts geschrieben, als Südjütland noch deutsch war und man von der Polizei verhaftet wurde, wenn man auf Dänisch sang.“

Wie oft hatte er es vor sich hingesummt, während er in der Bäckerei seinen Tagträumen nachhing?

Vier Jahre lang überließ er sich beinahe täglich seine Träumereien, und einige Monate bevor er den Gesellenbrief in Händen hielt, hatte er eine Bewerbung ans Militär geschickt. Jeden Tag brannte er darauf, nach Hause zu kommen, und jeden Tag fragte er Alma, ob ein Brief für ihn gekommen sei. Sie lachte und sagte: „Lieber guter Kedde, ich werde es dir schon sagen, wenn Post für dich da ist.“

An dem Tag, als der Brief endlich eintraf, kam sie ihm schon auf dem Hof entgegen und schwenkte das weiße Kuvert in der Luft. Sie strahlte. Nicht weil sie meinte, er solle zum Militär gehen, sondern weil sie wusste, dass es sein größter Wunsch war.

Sie umarmten sich, und er rief „Hurra!“, bevor er zur Hühnerfarm hinüber rannte, um es Onkel Jes zu erzählen.

Nicht mehr lange, und er würde seinen Gesellenbrief überreicht bekommen, und dann würde er als Rekrut in die Haderslev Kaserne einrücken. Sie lag ganz in der Nähe von Lindholm Herregård. Ganz in Gerdas Nähe. An dem Tag, als er zum letzten Mal die Bäckerei verließ und daran dachte, dass er nie wieder in einer Backstube arbeiten würde, spürte er ein sonderbares Kribbeln im Magen.

Freiheit und Ehre - Roman nach der wahren Geschichte eines dänischen Freiheitskämpfers

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