Читать книгу Bleihaltige Rechnung: Cowboy Western Sammelband 7 Romane - Pete Hackett - Страница 12
4.
ОглавлениеHenry führte sie ins Haus. Das Erstaunen Frank Dinars beim Anblick des Mädchens ließ ihn wie einen vom Lehrer getadelten Schüler erröten.
„Onkel Henry“, sagte sie, als der Onkel ihr den neuen Mann vorgestellt hatte, „ich habe nicht im Stuhl gesessen, ich habe alles mit angehört. Ist es wirklich so schlimm?“
„Ja“, gestand Henry Carter ohne lange Umschweife. „Deine Wissbegier erspart mir die Mühe, es dir in umständlicher Art beizubringen. Die Unfähigkeit deines Vaters, sich gegen seine beiden Brüder durchzusetzen, ist nicht zu leugnen. Er war stark, als er noch ein junger Mann war, doch er ist zu gutgläubig. Er verehrte deine Mutter sehr. Nach ihrem Tode war es, als wäre er so gebrochen, dass er sich unnütz auf der Welt vorkam. Die straffe Zügelführung ließ nach. Er kümmerte sich nicht mehr genug um das, was auf den Vorwerken vor sich ging. Er nahm nur noch die Berichte in seinem Büro entgegen und wetterte über die Verluste im Rindergeschäft. Er versuchte zwar, die Ursache zu erforschen, doch hatte er wenig Erfolg. Seine Brüder verstanden es, ihn einzuwickeln und gegen mich zu hetzen. Einige geschickte Täuschungen brachten ihn dazu, sich hierher zu bemühen. Ein Sattel, der von meinem Corralzaun geraubt und ihm am Tatort gezeigt wurde, eine verlorene Treiberpeitsche, das war ihm Beweis genug, um ihn aus der Ruhe zu bringen und ihn gegen mich zu hetzen. Wir hatten eine wenig erfreuliche Aussprache, Darling. Er schnitt das Tischtuch zwischen uns entzwei. Durch deinen Ritt hierher hast du ihm sicherlich wenig Freude bereitet.“
„Er hat mir die Treiberpeitsche und auch den Sattel gezeigt, Onkel“, erwiderte sie sehr ruhig und strich sich eine Strähne ihres goldgelben Haares aus der hohen Stirn. „Er sprach davon, dass er dir deine kleine Ranch zu einem Überpreis habe abkaufen wollen. Er sagte, dass du ihn daraufhin ausgelacht und ihm die Tür gewiesen habest.“
„Ich habe ihn hinausgeworfen, Mädel, und ich bereue es nicht. Es wäre zu einfach für Skip und Hod gewesen, wenn ich deines Vaters Wunsch erfüllt hätte. Sie hätten sich eins ins Fäustchen gelacht. Sie wissen ganz genau, wo das Haar in der Suppe liegt. Ich bin noch nicht alt genug, um mich für dumm verkaufen zu lassen. Irgendwie fühle ich mich meinem Bruder John auch nach dem Tode noch verbunden. Ich kann nicht mit ansehen, wie die Zahl der Rechtlosen immer mehr wächst, wie es immer mehr Männer gibt, die sich beugen müssen und keine Chance mehr haben, die ausgenützt und betrogen werden. In seiner Engstirnigkeit übersieht dein Vater, was wirklich auf der Weide und in der Stadt gespielt wird.“
„Onkel Henry, warum hast du ihm nicht die Augen geöffnet?“, fragte Virginia erstaunt. Sie ließ keinen Blick von dem alten Mann, der bis ins hohe Alter hinein ungebrochen an Ausdauer, Kraft und Geist war. „Du hättest es tun müssen, ganz gleich, wie es aufgenommen worden wäre. Mein Vater hätte die bittere Pille schlucken müssen, Onkel Henry.“
„Es hätte keinen Sinn gehabt, Mädel. Sein Hass gegen mich ist größer, als es sein Wille zum klaren Denken ist. Vielleicht werden sich eines Tages ganz von selbst seine Augen öffnen, doch dann könnte es zu spät für ihn sein. Ich will ihm gegen seinen Willen mit meinen Reitern helfen, doch macht er es mir verteufelt schwer.“
„Vielleicht schenkt er mir Gehör, Onkel Henry“, warf sie ein. Ihre Augen waren fest auf Henry Carter gerichtet. Beide, Buck sowohl als auch Frank bewunderten sie. Beide mochten wohl spüren, dass Virginia Bruce ein besonderes Mädel war, das es gegen den Willen ihres Vaters wagte, nach hier zu kommen. Henry Carter schüttelte den Kopf.
„Erspare dir die Mühe. Du wirst nur das Gegenteil erreichen“, erwiderte er ruhig. „Du hast nicht die List und Verschlagenheit von Skip und Hod in Rechnung gestellt. Mädel, die Dinge werden sich weiter entwickeln und auf uns zukommen. Wir können nur eins tun, nämlich warten und bereit sein. Schweige du und halte die Augen und Ohren offen.“
Virginia antwortete nicht. Sie mochte erkannt haben, dass Henry Carter die Wahrheit sagte, dass ein Eingreifen von ihrer Seite zu diesem Zeitpunkt das Gegenteil von dem bewirkt hätte, was sie erreichen wollte. Ihr Vater war ihr nach den Jahren ihres Fernseins wie ein Fremder vorgekommen. Die Zeit war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, und obgleich er bedeutend jünger war als Onkel Henry, konnte er es mit diesem an vitaler Lebenskraft keineswegs aufnehmen. Sie atmete tief und hob ihre Schultern. Einen Moment lang sah sie sehr hilflos und unglücklich aus, doch dann straffte sie sich und richtete sich stolz empor.
„Onkel Henry, ich werde achtgeben. Ich bin nicht gewillt, Unrecht hinzunehmen.“
„Gut so, Darling! In dir ist das alte Pionierblut erhalten geblieben, und das ist gut so. Nicht nur du stehst auf einsamem Posten, jeder von uns ist einsam: Frank Dinar, der eine Siedlerstelle besaß und aus ihr vertrieben wurde, Tom Lewis, der in Warso einen gutgehenden Store sein Eigen nannte und aus ihm vertrieben wurde, Jim Drake, mein dritter Reiter, der Hod und Skip im Wege stand, noch bevor er festen Fuß in der Stadt oder auf der Weide fasste. Sie stellten ihn und verprügelten ihn so, dass er halbtot zu mir getragen wurde und ein halbes Jahr brauchte, um wieder auf die Beine zu kommen. Und das alles nur, weil er in Hod den Mann erkannte, der ihn in Texas um sein Claim brachte. Mein vierter Reiter, Buck Jones, wird von den Leuten der Stadt und von seinem Vater verdammt, weil er in seiner Not mehr trank, als er vertragen konnte, und Amok lief. Alle meine vier Reiter sind in den Augen der anderen Aussätzige. Es wird sicherlich nicht mehr lange dauern, dann wird man sie für vogelfrei erklären. Der Sheriff ist auf dem besten Wege dazu. Alle Trümpfe dieses Spiels sind offensichtlich bei der Gegenpartei. Nicht einmal ich weiß, wie viele Menschen in der Stadt sich auf unsere Seite schlagen würden, wenn der große Bruch zur letzten Abrechnung zwingt. Vielleicht sind es nicht einmal ein Dutzend Männer, und was ist das schon gegen eine solche Übermacht, Mädel?“
„Es ist nicht ermutigend, das alles zu hören, Onkel Henry“, entgegnete sie.
„Du sollst die Wahrheit wissen, Virginia. Fünf Reiter stehen gegen eine Barriere von Dummheit, Angst und Misstrauen. Der Mut könnte einem sinken, und doch – irgend etwas muss wohl an uns sein, dass sogar zwei so unverfrorene Burschen wie Skip und Hod stark beunruhigt sind. Unser Dasein allein macht die Kerle nervös. Du sollst wissen, Mädel, dass wir immer für dich da sind, dass wir kämpfen werden, um dein Erbe zu erhalten. Du wirst dir eines Tages einen Mann nehmen, der stark genug ist, in die Fußstapfen deines Großvaters zu treten. Wenn das erfüllt ist, Mädel, habe ich auch mein Leben erfüllt. Jetzt wirst du wieder heimreiten. Frank und Buck werden dich bis in die Nähe der Topfhenkel-Ranch bringen. – Freunde, achtet mir auf das Mädel! Es ist das prächtigste Mädel, das je unter dem Arizonahimmel ritt. Bevor ihr aufbrecht, wollen wir uns aber erst allesamt stärken.“
Henry Carter schaute zu den auf dem Herde stehenden Kochtöpfen hin, die unter der Hitze kochten und dampften. Seine Erinnerung an das leibliche Wohl schien die Spannung, die sich aller bemächtigt hatte, zum Abklingen gebracht zu haben.
Virginia betätigte sich als Hausfrau. Sie deckte den Tisch und setzte das Essen auf. „Wohl bekomm‘s!“, sagte sie zu den Männern. Henry Carter griff als erster zu. Während des Essens wurde nicht mehr gesprochen. Nach dem Essen spülten Buck und Frank das Geschirr ab, dann erst holten sie die Pferde. Alle drei schwangen sich in die Sättel. Henry war hinaus auf die Veranda getreten und sah ihnen zu.
„Frank, du weißt, was noch zu erledigen ist?“
„Gewiss, Boss“, erwiderte Frank vom Sattel her.
„Buck reitet mit, Frank!“, bestimmte Henry.
„In Ordnung, Boss“, entgegnete Frank und rückte seine Winchester im Sattelschuh zurecht.
Auch Buck war jetzt zusätzlich mit einer Winchester ausgerüstet. Henry hatte ihm die Waffe, dazu Munition für Winchester und Colt, gegeben. Dabei hatte er gesagt: „Wir haben überall im Lande kleine Verstecke mit Proviant und Munition. Du wirst noch erfahren, wo sie sich befinden. Es ist schon etwas Wahres dran, wir sind wirklich eine geheimnisvoll wirkende Gruppe. Kein Wunder, dass man in uns eine Räuberbande vermutet. Auch du hast das ja angenommen. Dein Besuch damals, als du noch für Asa Melvis rittest, hat mir wirklich Spaß gemacht. Was sagte Asa dazu?“
„Er lachte mich aus, Boss“, erwiderte Buck. „Ja, er hat mich richtig ausgelacht, als ich ihm erzählte, wo ich die Rinderdiebe vermutete. Ich entsinne mich auch noch dessen, was er zu mir sagte: Es ist schon schlimm genug, dass auch du darauf hereinfällst, Buck!“
„Er wusste zu viel in den Augen der anderen. Es nützte ihm nichts mehr, dass er verkaufte. Man
machte ihn für immer mundtot. Vor ihm stand nicht Dan Bruce, und ihn schützten keine verwandtschaftlichen Bande. Hod und Skip brauchten also keine Fragen von Dan zu befürchten. Höre mir genau zu, mein Junge! Von jetzt an halte dir immer den Rücken frei. Das ist sehr wichtig! Du gehörst jetzt zu einem besonderen Haufen, und ich spüre, dass ich mit deiner Aufnahme in meine Crew den Teufel selbst herausforderte.“ Henrys Hand legte sich schwer auf Bucks Schulter. Mit sanftem Druck schob er Buck, der Waffen und Munition an sich genommen hatte, zur Tür hin.
Buck entgegnete: „Ich möchte damit nicht belastet sein, Boss. Noch kannst du es ändern.“
„Du Narr!“, erwiderte der Alte. „Du bist es nicht allein, wir alle sind nur Werkzeuge. Es kommt, wie es kommen muss. Dein Auftauchen hier bildet nur ein Glied in der großen Kette, die sich einmal schließen muss. Du hast einen Fehler, Amokläufer. Einmal bist du zu bescheiden, dann wieder zu anmaßend. Versuche, stets das Richtige zu treffen. Du hast mehr für mich getan, als ich es je für dich tun könnte. Und nun halte die Ohren steif, eine lange Nacht liegt vor dir.“
„Ich weiß noch immer nicht, wo Tom Lewis und Jim Drake sind?“
„Diese Frage musste kommen, sie lag dir schon lange auf der Zunge, ich habe es deiner Nasenspitze angesehen. Nun, Tom und Jim erkundeten, wohin man Asa Melvis sterbliche Überreste geschafft hat. Sie hatten Erfolg und fanden das Grab. Man verscharrte Asa Melvis. Man hat dem Toten nicht das Recht, auf dem Stiefelhügel von seinen Freunden begraben zu werden, eingeräumt. Es könnte sich zu viel Dynamit anhäufen. Man befürchtet, dass es doch noch rechtschaffene Männer gibt, die nur noch auf einen Anlass warten, um sich zu erkennen zu geben. Das möchte man vermeiden. Den Kerlen lag viel daran, unsere Männer der grausigen Tat zu verdächtigen. Auf uns kann man Dreck und Schmutz nach Belieben abladen. Dan Bruce lässt es zu. Er glaubt, was man ihm erzählt.“
Mit der geballten Faust schlug Henry durch die Luft. Er drohte, die Beherrschung zu verlieren. Man sah ihm an, dass er in den vergangenen Jahren viel zu schlucken bekommen hatte, so viel, dass er sich immer mehr verschloss und verhärtete.
„Henry, du hast mir noch immer nicht gesagt, wo Tom und Jim sind“, sagte Buck erneut.
„Du wirst sie noch in dieser Nacht zu sehen bekommen, mein Junge“, sagte der alte Mann rau. „Jetzt beeile dich, sonst lasse ich Frank allein mit Virginia reiten. Ich glaube, das würde ihm sehr gefallen.“
„Zum Teufel!“
„So ist es richtig, mein Junge! In deinem Alter hätte ich wohl ebenso geantwortet. Ich hätte mich auch sehr gewundert, denn blind bist du nicht, und sie hat dir nicht einmal einen Vorwurf gemacht, dass eine Kugel von dir ihren Vater ankratzte. Wenn das kein gutes Zeichen ist.“
„Henry, mit deinen Reden machst du mich noch krank.“
„Auch das ist ein gutes Zeichen, mein Junge“, erwiderte Henry, der den Zornesausbruch des Jüngeren nicht weiter übelnahm. „Virginia soll sich den besten Mann hier nehmen, und den kann sie nur in meiner Crew finden. Eines Tages wird dir das einleuchten.“
Buck atmete schwer. Seine Nasenflügel bebten.
„Du bist ein Teufel, Alter. Ich glaube, ich habe dir wohl meine Seele verschrieben. Wenn du bei den Apachen geblieben wärst, hättest du sicher Geronimo bald ausgestochen!“
„Sicher, mein Junge, ganz sicher! Geronimo muss es gewusst haben und war froh, dass ich ihm seine Stellung nicht streitig machte.“
Aus schmalen Augenlidern blickte Buck den alten Mann an. Er schaute in die eiskalten Gletscheraugen hinein. Ein kalter Schauer rann über seinen Rücken. Ein wenig zu hastig wandte er sich ab. Es sah aus, als ob er sich zur Flucht wende. Diese Unterhaltung hatte stattgefunden, bevor Frank und Buck die Pferde aus der Box geholt hatten.
Jetzt sagte Henry Carter von der Veranda her zu ihnen: „Haltet euch aufrecht, Boys, und nun los, sonst zeigt euch Virginia noch, wie man reiten muss.“
„Sie werden sich anstrengen müssen, deine Reiter, Onkel Henry. Ich habe nichts verlernt, und mein Pferd ist eine Klasse besser.“