Читать книгу Bleihaltige Rechnung: Cowboy Western Sammelband 7 Romane - Pete Hackett - Страница 13
5.
ОглавлениеVirginias Pferd war wirklich eine ganze Klasse besser. Das stellte sich bereits nach einigen Meilen heraus, als ihr prächtig gebauter Rappe mühelos die beiden Begleitpferde abhing.
„Was ist das für ein Renner!“, hörte Buck seinen Begleiter voller Begeisterung sagen. „Mit so einem Pferd ist man jeder Verfolgermeute weit überlegen und kann sie mühelos abhängen.“
Was er noch weiter sagte, war für Buck im Reitwind unverständlich. Mit jedem Hufschlag gewann der Rappe des Mädchens mehr Raum. Virginia hielt sich prächtig im Sattel. Sie konnte reiten, dass es eine Freude war, ihr zuzuschauen. Ihr Vorsprung war bald so groß geworden, dass kein Ruf sie mehr erreichen konnte.
„Verteufelt leichtsinnig ist das!“, schrie Frank Dinar. „Sie ist im Mädchenpensionat nicht gezügelt worden und ist noch wilder als zuvor. Wenn sie uns ganz abhängt, dann …“ Seine Stimme brach mit einem merkwürdigen Laut ab.
Beide, Frank und Buck, stiegen im Sattel auf, als hätte eine Tarantel sie gestochen. Beide sahen zur gleichen Zeit, wie Virginia im hohen Bogen aus dem Sattel flog, als ihr Rappe stolperte. Sie war so weit entfernt, dass man nur die Silhouette des Mädchenkörpers durch die Luft fliegen sah. Der Rappe, nun reiterlos geworden, brach mit aufgeworfenem Kopf und langgestrecktem Hals zur Seite aus, um dann still stehenzubleiben. Buck und Frank waren so erschreckt, dass sie an den Zügeln rissen und lospreschten, als wäre der Teufel selbst hinter ihnen. Kein Wort war zwischen ihnen gefallen, keiner brauchte den anderen anzufeuern. Sie jagten los und schwangen sich im vollen Jagen aus den Sätteln heraus, stürzten fast und rannten auf das in einem Strauch gelandete Mädchen zu, das mit ausgestreckten Armen und Beinen am Boden lag. Sie erreichten Virginia zur gleichen Zeit. Beide streckten ihre Hände aus, um das Mädchen aufzuheben. Beide sahen sich plötzlich in die Augen … Einen Sekundenschlag lang glomm es wie versteckte Feindschaft in beiden Augenpaaren auf, doch dann war das verweht und die Hilfsbereitschaft wichtiger geworden als Rivalitätsgefühle. Vereint griffen sie zu. Sie hoben die Ohnmächtige vorsichtig vom Boden auf. Sie schlug dabei die Augen auf und wimmerte leise.
„Mein Bein“, sagte sie gequält. „Mit meinem rechten Bern ist etwas nicht in Ordnung.“
„Nur Ruhe“, sagte Frank. Beide sahen sich das Bein an. Das Fesselgelenk schwoll zusehends an.
„Einer von uns holt den Doc, Madam“, sagte Frank, dabei die Betonung auf „Madam“ legend. „Haben Sie sich sonst nirgends verletzt?“
„Ich glaube nicht“, erwiderte sie. „Ich weiß nicht, was über mich kam, dass ich alle Vorsicht vergaß. Ich hätte damit rechnen müssen, dass ein Nachtritt bei diesem Tempo nicht gut enden kann. Was soll jetzt nur geschehen?“
„Sie müssen zur Ranch und in Behandlung des Doc, Madam. Für Buck wäre es nicht gut, wenn er Sie zur Ranch bringen würde. Ihr Vater wird nicht gut auf ihn zu sprechen sein. Buck reitet am besten in die Stadt und benachrichtigt den Doc.“ Er wandte sich an Buck: „Zuvor hilf mir aber, das Unglückskind in den Sattel zu bringen.“
Buck entgegnete nichts. Er sah ein, dass Frank recht hatte. Sein Eintreffen auf der Topfhenkel hätte Alarm ausgelöst, doch war er in der Stadt ebenso ungern gesehen. Jetzt bekam er zum ersten Mal etwas von der Härte zu spüren, die in der kleinen Crew steckte. Selbst das Unmöglichste wurde gefordert, als handele es sich um eine Bagatelle. Frank tat ganz so, als stünde Buck nur ein
gewöhnlicher Spazierritt bevor. Vielleicht tat er auch nur so, um die Angst Virginias zu dämpfen.
„Buck Jones, nehmen Sie meinen Rappen“, wandte sie sich an ihn. Sie schien ihre Benommenheit völlig überwunden zu haben. „Setzt mich auf den Falbwallach, er hat einen weicheren Schritt als der Rappe. Sicherlich lässt sich der Falbwallach leichter lenken. Nehmen Sie den Rappen“, drängte sie, als sie Bucks Zögern bemerkte. „Er macht Sie schneller, Buck. Vielleicht ist das wichtig für Sie.“
„Vielleicht, Madam.“ Buck fühlte sich durchschaut und schämte sich ein wenig. Es sollte doch so einfach sein, eine wirkliche Pflicht zu erfüllen. Er gab sich einen Ruck. „Ich nehme den Rappen, Madam. Ich bringe Ihnen den Rappen zurück, lassen Sie meinen Falbwallach abholbereit stehen.“
„Kommen Sie nicht zur Ranch, Buck. Die Pferde können wir später einmal bei Onkel Henry wechseln. Bitte, gehen Sie kein Risiko ein.“
„Ganz wie Sie wünschen, Madam.“
Zum zweiten Mal wird man mich zum Pferdedieb stempeln, dachte er grimmig. Was bedeutet nur der Wirbel, in den ich hineingeraten bin? Der alte Hexer Henry hatte recht, es muss wohl so sein. Ich spüre, wie ich immer mehr in den Strudel komme. Lassen wir uns überraschen.
Vorsichtig hoben sie Virginia auf und setzten sie auf den Falbwallach. Sie hatte sich in der Gewalt und biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie blutete, aber sie gab keinen Schmerzenslaut von sich. Sie lächelte den beiden tapfer zu.
„Kommen Sie, Frank, reiten wir“, sagte sie und fuhr zu Buck gewandt fort: „Es hat keine Eile mit dem Rappen. Ich werde meinem Vater sagen, warum ich Ihnen das Tier überließ.“
„Ihrem Vater wird es genügen, Madam“, antwortete Buck. Er verbeugte sich leicht und schritt dann zu dem Rappen, nachdem er die Winchester aus dem Sattelschuh des Falbwallachs genommen hatte. Der Rappe wich vor ihm zurück und spitzte die Ohren, dann blähte er weit die Nüstern auf. Buck fing die Zügel ein, zog den Pferdekopf dicht an sich heran und blies dem Tier seinen Atem ein. Der Rappe hatte die Vorderhufe eingestemmt und die Oberlippe hochgezogen, so dass seine starken Zähne entblößt waren.
Es war ein Risiko, den Pferdekopf an sich heranzuziehen, ihm seinen eigenen Atem einzublasen. Die starken Zähne waren nur Zentimeter entfernt.
Leise sprach Buck auf den Rappen ein, ganz leise, mit melodisch weicher Stimme. Plötzlich änderte sich die abwehrende Haltung des Tieres. Die Oberlippe legte sich über die Zähne, mit weichen Nüstern stieß der Rappe Buck mitten ins Gesicht hinein.
Buck hörte den schrillen Aufschrei des Mädchens. Frank und sie hatten die Verwandlung des Tieres nicht mitbekommen, und so war sie im Glauben, der Rappe habe zugebissen. Sie hatte die Schmerzen vergessen, sie hatte wie Frank ringsum alles vergessen und mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen zugesehen, wie Mensch und Tier sich begegneten. Sie war so voller Schrecken gewesen, dass es ihr zu spät einfiel zu sagen, Buck möge sich von der Seite her in den Sattel schwingen und nicht erst versuchen, die Freundschaft des Tieres zu gewinnen. Jetzt fühlte sie sich schuldig an dem schrecklichen Geschehen, das Buck widerfahren sein musste.
Ihr Schrei hatte Buck herumwirbeln lassen. Unverletzt stand er da, und der Rappe stupste ihn mit den Nüstern in den Nacken, als wollte er um weitere leise Worte bitten. Für Virginia war das einfach nicht zu fassen. Ihre Tränen lösten sich von selbst und liefen ihr über die Wangen. Frank Dinar, der neben seinem Reittier stand, stieß jetzt hörbar die angehaltene Luft durch die Lungen.
„Ich hole den Doc“, hörte er Buck mit erregt klingender Stimme sagen. Dann warf sich Buck in den Sattel. Der Rappe wieherte, stampfte auf der Stelle und brauste aus dem Stand heraus mit seinem Reiter davon, als hätte ein ganz besonderer Wille sich auf ihn übertragen. Nicht ein einziges Mal schaute Buck sich um. Es war ihm, als ob sich ihm eine neue, größere Welt offenbarte. Die Schnelligkeit des Pferdes berauschte. Der gestreckte Leib unter ihm jagte mit trommelnden Hufen, so dass die Meilen unter ihm schier hinwegzurollen schienen. Virginia sollte schnelle Hilfe haben. Die Angst vor der Stadt war wie weggewischt. Was immer auch kommen mochte, was immer sich gegen ihn stemmen würde und ihn tief in den Strudel zu reißen versuchte, niemals würde er ihren Angstschrei vergessen. Der Schrei hatte nur ihm gegolten, er hatte ihm mehr verraten, als tausend Worte es vermocht hätten.
Es gab jemanden auf dieser Welt, dem sein Leben nicht gleichgültig war. Ja, er ritt jetzt wie in einem Fieberrausch. Der kalte Nachtwind kühlte ihn nicht ab, um so stärker jedoch der Anblick der Stadt, die er nach zwei vollen Stunden erreichte. Jetzt lag sie vor ihm, die kleine Rinderstadt, aus der er geflohen war. Dass er sie so bald schon wieder aufsuchen würde, hatte er sich gewiss nicht träumen lassen. Die Karbidlaternen brannten. Licht drang aus Fenstern und Türen, zu viel Licht, wie es Buck dünkte. Er ritt dennoch schnell weiter und erreichte die ersten Häuser, ohne dass etwas geschah. Er ritt am Tingel-Tangel-Saloon vorbei, dessen Schwingtür weit offen stand. Männer waren damit beschäftigt, neue Möbel hineinzutragen. Auf der falschen Fassade war ein Schild angebracht, auf das jemand in ungelenker Schrift geschrieben hatte: „Wegen Umbrucharbeiten vorübergehend geschlossen.“ Ein Spaßvogel hatte mit roter Kreide darunter geschrieben: „Damit Buck Jones Spuren verwischt werden.“
Buck erreichte die Gasse, in der der Doc wohnte, ohne von vorübergehenden Passanten erkannt zu werden. Doch dann erschrak Buck plötzlich. Das kleine Haus des Doc in einem kleinen Winkel der Rinderstadt lag wie tot da. Kein Lichtschein erhellte eines der Fenster der abbruchreifen Bude. Nur der Teufel mochte wissen, in welchem der Saloons der Doc sich jetzt volllaufen ließ.
„Jetzt wird es bitter“, murmelte Buck vor sich hin. Einen Augenblick lang wollte ihn Furcht überkommen, doch er stemmte sich dagegen. Mein Vater wird ihn benachrichtigen müssen, dachte er und ritt auch schon wieder an. Er erreichte das Haus, in dem sein Vater wohnte. Es gehörte einem Sattler, und Bucks Vater hatte dort zwei kleine Zimmer gemietet. Es war ein Glück, dass sich die Jammerhütte des Sattlers in der gleichen Gasse befand wie das Haus des Doc.
Einst bildeten die alten Häuser den Kern der Stadt, jetzt zählten sie zu den Randbezirken. Sie waren fast ohne Ausnahme baufällig. Mit einem kräftigen Stiefeltritt hätte man sie aus den Fugen heben können. Hier wohnten die ärmsten Leute der Stadt. Sie waren meist so arm, dass sie nicht die Mittel hatten, nachts Karbidlaternen auszuhängen. Die Dunkelheit kam Buck jetzt sehr zustatten. Er ließ den Rappen über den Zaun hinwegsetzen und ritt zur Hinterseite des Sattlerhauses, wo er sich aus dem Sattel schwang. Die Tür war unverschlossen, ganz so, wie er es erwartet hatte. Er zögerte keinen Augenblick und trat in den dunkel daliegenden Hausflur. Das Schnarchen des Sattlers drang ihm aus der kleinen Werkstatt, die auch gleichzeitig Schlafraum war, entgegen. Der Werkstatt gegenüber lagen die Zimmer des Vaters. Ohne anzuklopfen trat er ein. Er schloss die Tür ebenso lautlos, wie er sie geöffnet hatte, wieder hinter sich. Dann blieb er an der Tür stehen.
Der alte Mann stand mit gebeugtem Rücken am Ofen. Ganz langsam drehte er sich jetzt um, so dass der Lichtschein der Petroleumlampe sein Gesicht beleuchtete.
„So musste es kommen, genau so“, hörte Buck seinen Vater mit vor Wut heiserer Stimme sagen. „Mein Sohn schleicht sich wie ein Dieb in der Nacht zu mir. Hat dir Gail Datrys nicht ausgerichtet, um was ich ihn bat? Mein ganzes Leben lang habe ich geschuftet und gerackert, mein ganzes Leben war darauf eingestellt, einen Sohn zu erziehen, auf den ich stolz sein könnte. Du hast das Gegenteil bewerkstelligt. Die ganze Stadt geht mir aus dem Wege, die ganze Stadt verhöhnt mich.“
„Das mag stimmen, Vater, doch vergiss es nur für fünf Minuten und höre mich an“, unterbrach Buck ihn.
„Ich will nichts von dir hören, hinaus mit dir!“, begehrte der Alte wütend auf. „Ich will dich nicht mehr sehen, du hast mir die letzte Lebensfreude genommen. Ich brauche keine Erklärungen von dir, ich weiß, was du für ein Bursche bist. Hinaus!“
Die Wut leuchtete aus den Augen des Mannes. Drohend wies sein Arm zur Tür. Ein dünner, von Gicht und Rheuma geschwächter Arm zeigte den tiefen Verfall seines Körpers. Sein Gesicht war grau und wie aus Stein gehauen. Die Augen in den tiefen Höhlen funkelten. Das alles sah Buck und war tief erschüttert.
„Ich weiß, ich habe deinen Stolz verletzt, Dad, ich habe die ganze Stadt in Aufruhr gebracht. Das alles ändert aber nichts daran, dass ich dein Sohn bin. Ich brauche deine Hilfe dringend, nicht für mich, sondern für Virginia Bruce. Sie braucht dringend den Doc.“
„Dann reite zu ihm“, unterbrach sein Vater ihn rau, „suche den versoffenen Kerl selbst! Doch du traust dich nicht, dein schlechtes Gewissen lässt es nicht zu. Du hast plötzlich vor deiner eigenen Courage Angst bekommen. Solange du unter Brandy standest, hättest du am liebsten alles zerreißen mögen, jetzt bist du nüchtern und hast Angst, gemeine, hündische Angst. Jetzt soll ich eine Aufgabe für dich übernehmen. Warum schickt Dan Bruce nicht einen seiner Reiter aus, den Doc zu holen, warum hast ausgerechnet du diese Aufgabe übernommen? Du lügst, mein Junge! Du versuchst nur.
herauszubekommen, wie weit du bei mir gehen kannst. Ich will dir selbst darauf antworten, was du von mir zu erwarten hast: Ich möchte dich nie mehr vor meinen Augen sehen! Und jetzt raus! Du hältst mich nur auf und nimmst mir meine Ruhe.“
Die Rechte des Alten zeigte mit einer unmissverständlichen Gebärde zur Tür. Heller Zorn loderte in seinen Augen. Buck sah ihn schweigend an. Was immer er auch denken mochte, er behielt es für sich. Er versuchte nicht weiter, seinen Vater zu überreden, es hätte keinen Sinn gehabt. Die Kälte, die ihm von seinem Vater entgegenschlug, ließ ihn bis ins Mark erschauern.
„Ich bin dein Sohn“, sagte er mit einer Stimme, in der ein stählerner Klang mitschwang. „Ich stehe als Bittender vor dir; nicht für mich, sondern für ein Mädel, dem rasch Hilfe zuteil werden muss. Nun gut, ich hole selbst den Doc, ich brauche dir nicht erst zu sagen, dass es gewisse Elemente gibt, die nur auf mein Erscheinen warten.“
„Du hast es dir selbst eingebrockt, nun löffle es auch aus“, wurde ihm kalt erwidert. „Ich will vergessen, dass ich einen Sohn hatte.“
Bucks Lippen bebten. Es hatte keinen Zweck, weitere Worte zu verschwenden. Sein Vater schien sich endgültig von ihm losgesagt zu haben. Er war immer stolz darauf gewesen, in seinem Leben einen geraden Weg geritten zu sein. Buck gegenüber war er immer unduldsam gewesen. Als er noch jung war, hatte er als Pionier im Indianerland einen großen Namen gehabt. Später war er als Digger von einer Bande überfallen worden, ausgeraubt und halbtot liegengeblieben. Er ritt dann lange Jahre als Kopfgeldjäger, bis er alle an dem Überfall beteiligten Männer gestellt und dem Gesetz überantwortet hatte. Dann nahm er mehrere Stellen als Nachtmarshal und als Sheriff an. Er war alt im Amt geworden. Er hasste nichts so sehr wie ein Vergehen. Selbst die kleinste Untat war in seinen Augen schon übel und wert, ausgerottet zu werden. Seine Härte hatte ihn immer unnahbar für seinen Sohn gemacht.
Vielleicht dachte Buck daran, als er den Raum verließ. Er legte wie bei seinem Eintritt die Tür leise ins Schloss. Leise, wie er gekommen war, schritt er durch den dunklen Korridor zurück. Das Schnarchen des Sattlers übertönte die wenigen von Buck verursachten Geräusche. Er erreichte die Haustür und trat ins Freie. Im gleichen Augenblick wollte er wieder zurück in den Hausflur schnellen, doch rechtzeitig erkannte er, dass es ihn das Leben gekostet hätte.