Читать книгу Bleihaltige Rechnung: Cowboy Western Sammelband 7 Romane - Pete Hackett - Страница 20
12.
ОглавлениеAls der Morgen graute, hatte Frank Dinar eine schier über seine Kräfte gehende Kletterarbeit hinter sich gebracht. Einige Minuten lang lag er, als er aus dem Kamin ausgestiegen war, vor demselben und blickte in die schwindelerregende Tiefe hinab. Das schmale Felsplateau, auf dem er lag, war weiter im Hintergrund von Felsmassiven abgeschlossen, an denen Frank uralte in den Stein gehauene Symbole erblickte. Hier, hoch oben, wo Adler und Geier nisteten, hatten längst von der Erde verschwundene Völker ihren Häuptlingen die letzte Ruhestätte bereitet. Frank störte die unmittelbare Nachbarschaft der Gräber nicht, deren in Stein gehauene Ausgänge so glatt von Künstlerhand geschlossen worden waren, dass man sie nicht mehr erkennen konnte. Die Natur hatte ein Weiteres dazu getan, dass die Ruhe der in Felsgrüften bestatteten toten Herrscher nicht durch Menschen gestört werden konnte.
Uralt waren die Gräber, uralt die versunkenen Kulturen. Die einstigen Herrscher des Landes waren nicht mehr, doch er, Frank Dinar, lebte und wollte weiterleben. Er kroch zum Rand des Canyons und schaute wieder in die Dunkelheit der Schlucht hinab. Reiter bewegten sich durch das Steinlabyrinth. Sie hatten Henry Carter auf ein Pferd gebunden und in die Mitte genommen. Der Trupp bog in einen Seitencanyon ein. Drei Banditen blieben zurück. Sie suchten mit gezogenem Colt das Gelände mit peinlicher Sorgfalt ab. Immer noch glaubten die Kerle ein Versteck übersehen zu haben und ihn dort aufstöbern zu können.
Zerschrammt und zerschunden waren Frank Dinars Hände. Die hochhackigen Cowboystiefel eigneten sich nicht für einen Fußmarsch. Bei den Häuptlingsgräbern angelangt hielt er an und zog die Stiefel aus. Jetzt ließ es sich leichter marschieren. Er folgte hoch auf dem Felsplateau der Richtung, die auch die Reiter unten im Canyon eingeschlagen hatten. Er musste über Geröllmassen hinwegklettern, musste springen und balancieren. Der Gedanke, Henry Hilfe zu bringen, trieb Frank an. Nachdem etwa eine halbe Stunde vergangen war, sah Frank Dinar den Reitertrupp wieder tief unter sich im Nebencanyon auf eine Felswand zureiten, von der man annehmen konnte, dass sie der Abschluss eines Sackcanyons war. Zwei Reiter stiegen von den Pferden und machten sich an den Ranken zu schaffen, die unten im Canyon einen Teil der Felswand verdeckten. Frank traute seinen Augen nicht, als wenig später der ganze Reitertrupp in das Rankengewirr hineinritt und nicht wieder zum Vorschein kam. Kein Wunder, dass Frank Dinar sich über die Augen rieb und am hellen Morgen zu träumen glaubte. Himmel und Hölle, auf so einfache Weise war das Geheimnis der Banditen zu lösen. Als er weiter vordrang, konnte er aus seiner Sicht genau feststellen, was die Ursache zu dem grün überwucherten Felsentor war. Vor Jahrtausenden vielleicht hatte ein Creek die Bergscheide geschaffen. Der Nebencanyon war der weitere Abfluss des Creeks gewesen. Doch bevor der längst versiegte Fluss sich weiter ins Gestein hatte fressen können, hatte er vor der Bergscheide ein gewaltiges Staubecken geschaffen. In dieses nun längst trockene Becken konnte Frank hineinsehen und war überrascht über das saftige Grün, das sich dort auf dem einstigen Seegrund ausbreitete. Er war auch überrascht, als er einen breiten Bach hell im Tageslicht blitzen sah, an dessen Ufer eine Anzahl Blockhütten stand. Von dem einst machtvollen Fluss war der Bach übriggeblieben, der am Ende des Tales in Felsspalten versicherte. Mit aller Vorsicht näherte Frank sich jetzt dem Beckenrand und zuckte zusammen, als er eine große Herde dort weiden sah. Es gab Rinder und Pferde, Blockhütten und Corrals. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass es sich dort unten um eine friedliche Ranch handelte. Doch dem war nicht so. Dort unten gab es keine Gastfreundschaft, dort unten lag eine Banditenranch. Die im Talkessel weidenden Rinder würden, wenn man sie aus der Nähe betrachtete, unterschiedliche Brandzeichen aufweisen. Frank konnte verschiedene Rassen ausmachen, Shorthorn- und Hereford-Rinder, aber auch Longhorns, Rinder der alten Rassen, wie sie von Klein-Ranchern noch gehalten wurden.
Jetzt begriff er, warum alles Suchen nach diesem gewaltigen Rindercamp nutzlos verlaufen war. Man war zwar auch in den Sackcanyon eingeritten, aber in dem Glauben umgekehrt, dass man überall suchen musste, nur nicht hier. Frank stellte sich die Frage, ob es nur diesen einen Weg in den Kessel gab. So weit er blicken konnte, war das Land schier endlos. Der Eindruck der mächtigen Weite, der Grate und Zinnen ließ das Tal unter ihm zusammenschrumpfen. Die Ranch und die Herde dort unten wurden vor diesem Eindruck winzig klein. Noch nie hatte Frank von der Macht der Berge einen so gewaltigen Eindruck bekommen. Er kam sich klein und winzig vor. Was galt das eigene Leben in dieser Welt, in der große Kulturen, ohne große Spuren zu hinterlassen, sang- und klanglos untergegangen waren?
Was seine Gedanken auch bewegte, der Hunger und der Durst meldeten sich mit dem Fortschreiten der Stunden. Er hatte nach einer Möglichkeit Ausschau gehalten, von den Klippen her in das Banditental zu kommen. Er wusste, dass es völlig aussichtslos war, vom Sackcanyon in das Tal gelangen zu wollen. Solange man ihn nicht gefunden hatte, würde höchste Alarmbereitschaft herrschen. Er kam ganz nahe an den Felsenkessel heran, so dass er das Treiben unten im Tal beobachten konnte. Henrys Pferd, das erkannte er, war in einem der hinter den Hütten liegenden Corrals untergebracht worden. Von Henry selbst war nichts zu erblicken. Es war nicht festzustellen, in welche der Hütten man ihn gebracht hatte. Die Rinder waren sich selbst überlassen, denn kaum ein Reiter ritt in die Herde hinein. Diese Tatsache verriet doch nichts anderes, als dass man genau wusste, dass die Tiere aus dem Tal nicht ausbrechen konnten. Frank folgerte hieraus, dass es ringsum nur Steilwände geben musste.
Dass dem nicht so war, stellte er eine Stunde später fest. Er hätte am liebsten laut vor Freude aufgeschrien, als er aus dünnen Bäumen errichtete Absperrungen sah. Ähnliche Barrieren hatte er selbst oft geschaffen. Ihr Anblick bewies, dass das Tal noch eine weitere, empfindliche Stelle hatte, doch nur für Gegner, die über Felsen geklettert kamen.
Er vergaß Hunger und Durst und begann sogleich mit dem Abstieg, dabei immer bedacht, von dem Banditental aus nicht gesehen zu werden. Rauchgeruch kam näher, und das Rinderbrüllen verstärkte sich. Als er sich wieder einmal ausruhen musste, schaute er auf seine Hände hinab. Sie waren arg zerschunden und gefühllos geworden. Für einen Mann, der sein Eisen ziehen musste, waren die Hände jetzt denkbar ungeeignet. Er würde sie nur mit Mühe und Not fest um die Kolben schließen können.
Für Minuten war er ein wenig hoffnungslos. Die schier ausweglose Situation, in die er geraten war, schien ihm eine Belastung, die er kaum tragen konnte. Doch dann rappelte er sich wieder hoch, sagte er sich doch, dass ein Mann, solange er lebte, nicht aufgeben durfte. Vielleicht war es ein Glück, dass er nicht wusste, was sich in den frühen Morgenstunden mit der Hereford-Rinderherde der Carter-Ranch ereignet hatte, was mit Tom, Jim und Buck geschehen war. Es hätte seinen Mut sicherlich noch mehr gedämpft.
Es dämmerte, als er in mühsamer Klettertour schließlich in der Nähe des Zaunes angelangt war. Versteckt hinter Felsen schaute er zu den nahegelegenen Blockhütten hin. Gelächter drang zu ihm herüber. Es brach plötzlich ab, als sich Hufschlag näherte und Reiter auf die Hütte zuhielten.
„Wir haben Frank Dinar nicht finden können, Stuart“, meldete sich einer der Reiter. „Hod hat uns zwar unterstützt, doch es war vergeblich.“
„Hod, du kommst ohne Skip?“, meldete sich eine tiefe Bassstimme von der Hütte her. „Soll das heißen, dass euer Anschlag auf Henry Carters Herde missglückte?“
Das glucksende Lachen, das Hod Bruce ausstieß, ließ Frank einen kalten Schauer über den Rücken jagen.
„Es klappte!“, erwiderte Hod Bruce den Revolvermännern vom Sattel her. Die Männer waren aus der Hütte gekommen und blickten ihn erwartungsvoll an. „Dan schluckte die Pille, die wir ihm gaben. Er schluckte sie ohne lange Überlegungen, und wir hatten Grund, den Reigen zu eröffnen. Jim Drake und Tom Lewis reagierten prompt, wie man es nicht anders erwarten konnte. Sie nahmen Gail Datrys und Dick Andrew mit auf die lange Reise. Der dritte, das Greenhorn der Carter-Crew, geriet mitten in die Stampede, und der Teufel wollte es, dass die Stampede ihn irgendwo ausspie, ohne dass er zu Schaden kam und mit den Rindern auf die steilen Abgründe zutrieb.“
„Mit anderen Worten, Hod, den gefährlichsten Burschen der Crew habt ihr nicht erwischen können?“
„Zum Teufel, nein! Aber was macht das schon aus? Carters Truppe ist zerschlagen, ist erledigt und ausgeschaltet. Henry Carter ist in unserer Gewalt, und mein Bruder Skip ist dabei, Dan völlig auszuschalten. Es ist niemand mehr da, der sich vor diesen Schwächling stellen könnte. Jetzt frage
ich mich nur, warum wir so lange gezögert haben, Carter anzugehen. Seine harten Burschen erwiesen sich als ziemlich anfällig. Seine Beziehungen waren sehr dürftig. Der große Boss Carter ist doch sehr alt und schwach geworden. Ihm konnten auch die harten Burschen nicht mehr helfen, die er in seiner Crew anstellte. Ich bin sicher, dass sich Buck Jones und auch Frank Dinar in den tiefsten Winkel verkriechen. Das Spiel ist aus, Freunde! Noch ein paar Tage, dann könnt ihr aus dem Kessel heraus. Das Land gehört uns, und was sich uns noch entgegenstellt, wird weggefegt. Wir werden das Land unter uns aufteilen, jeder bekommt seinen Anteil, so wie es vorher ausgemacht wurde.“
Frank Dinar war während des Gespräches näher an den Zaun herangekrochen. Jetzt konnte er die Kerle nicht nur hören, sondern auch sehen. Einige der angekommenen Reiter hatten sich bereits aus den Sätteln geschwungen. Nur zwei Reiter saßen noch auf. Einer von ihnen war Hod Bruce, der, stutzerhaft gekleidet, nicht so recht in die raue Umgebung passen wollte. Obwohl es dämmerte, konnte Frank ihn deutlich erkennen. Hochmütig und arrogant saß er im Sattel, ein Mann, der sich äußerlich in der Gewalt hatte und kaum einer inneren Regung fähig war. Er sprach von seinem
Stiefbruder Dan, als wäre dieser ein wildfremder Mensch, nicht sein Bruder, der ihn und Skip aufgenommen hatte und auf den Vorwerken Posten gegeben hatte, auf denen er sie frei schalten und walten ließ. Das Mädchen Virginia erwähnte er nicht. Sie war ihm sicherlich so gleichgültig wie Dan. Ihn interessierte es nicht, dass ihre Zukunft zugrunde gerichtet war, dass sie und ihr Vater alles verlieren sollten.
„Dan war nicht der Mann, um seine große Ranch länger zu bewirtschaften. Er war nicht der Mann, um die große Carter-Ranch zu halten. Die Menschen erkannten das bald, und es war unser Glück, dass sie ihn hassten, weil sie ihren Hass gegen die Carters nicht begraben hatten. Wir profitierten davon. Jetzt wird es für die armen Narren zu spät sein, ihren Irrtum einzusehen.“
Hod Bruces Lachen fand keinen Widerhall. Befremdet schaute er in die fast starren Gesichter der Banditen. Er verstummte jäh. Frank sah, wie er heftig schluckte. Er sah aber auch, wie Stuart Black seinen Kumpanen Pete Smith und Jubal Hollinar einen Wink gab, so dass die beiden daraufhin auseinander traten.
„Was soll das, Stuart?“, schnappte Hod Bruce verwirrt. Die kehlig klingende Stimme verriet deutlich seine Erregung und Überraschung. Der neben ihm auf seinem Pferd haltende Larry Nelson grinste schief.
„Ich kann es dir sagen, Hod. Man hält hier nicht viel von dir und hat nicht die Absicht, mit dir und deinem Bruder zu teilen. Ihr habt zu viel durchgebracht.“
„Wer will sich hier in ein besonderes Licht stellen?“, platzte Hod wütend heraus. „Ziehen wir nicht alle am gleichen Lasso?“
Wieder war es Nelson, der die Antwort gab und dabei sein Pferd von Hods Pferd wegdrängte, als wäre ihm die Nähe plötzlich unangenehm geworden, als könnte er den Geruch des Nachbarn nicht mehr ertragen.
„Wir zogen an einem Lasso, Hod“, antwortete Nelson ohne Hod dabei anzublicken. „Ja, wir alle zogen daran, und die Einigkeit machte uns stark. Doch jetzt, jetzt ist es, wie du sagst. Es ist alles entschieden und nichts mehr zu befürchten, oder?“
„Was willst du damit sagen, Nelson. Warst du es nicht, der Asa Melvis und den ehemaligen Sheriff Jones niederschoss? Warst du es nicht, der …“
„Fange jetzt nicht mit mir an, Hod“, unterbrach Nelson ihn wütend. „Ich bin viel zu schnell für dich. Stuart dagegen wollte es immer schon mit dir aufnehmen. Er vergisst dir die Äußerung nicht, dass er dich nicht schlagen könnte.“
„Du bist wahnsinnig, Nelson!“ Die Stimme von Hod Bruce überschlug sich fast. Totenbleich saß er im Sattel. Seine Augen öffneten sich weit und irrten von einem zum anderen. „Steckt Miland etwa dahinter? Glaubt er, dass Skip und ich ihn eines Tages bei Virginia verraten könnten?“
„Genau das glaubt er, Hod!“, unterbrach ihn Nelson mit klirrender Stimme, dass selbst ein weniger Begabter ihn verstanden hätte. „Dein Bruder und du, ihr beide habt uns wohl ins Land geholt, aber das ist auch alles, zu was ihr euch bequemt habt. Alles andere habt ihr beiden uns überlassen, ihr habt euch immer schön im Hintergrund gehalten. Ihr habt nur darauf gewartet, dass sich alles zu euren Gunsten entscheiden wird, und streckt jetzt die Hände aus. Hod, die Rechnung geht nicht auf.“
Hod schluckte, als hätte er ein großes Knäuel in der Kehle. Wen er auch anschaute, er fand kein Verständnis, kein Mitleid. Die Geier, die er ins Land geholt hatte, standen eindeutig gegen ihn.
„Ihr könnte das doch nicht wahrmachen!“, wandte er sich an Nelson. „Es wurde vorher alles besprochen und ausgemacht.“
„Was schert uns das, Hod!“
„Du bist ein Betrüger und Gauner!“
„Hast du von uns etwas anderes erwartet?“, grinste Jubal Hollinar. „Glaubst du, wir haben monatelang die Einsamkeit ertragen, damit dir und Skip alles in den Rachen fällt?“