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7. Kapitel
Kein „Gasstaat“

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Einen Griff des Staates nach der Gaswirtschaft, die in den Zwanziger Jahren entstand, hat es nie gegeben. Das lässt sich an der Gründung der Ruhrgas AG gut nachvollziehen. Die Gründung der Ruhrgas war seinerzeit unternehmerisch geradezu geboten. Den Herren der Ruhrgebietszechen war nämlich klar, dass man das beim Verkokungsprozess anfallende Gas nicht nur in den eigenen Zechen verwenden, sondern die Überschüsse auch verkaufen konnte, und zwar an die Städte, die Stadtgas schon seit langem einsetzten. Daher gründeten die Zechen im Jahr 1926 die Ruhrgas als Gemeinschaftsunternehmen. Die Idee hatten wiederum ein Stinnes-Mann, nämlich Alfred Pott, der Generaldirektor des Bergbauzweiges des Stinnes-Konzerns, und Albert Vögler, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke AG, die mit der Idee einer großräumigen Ferngasversorgung bei den Zechen um Unterstützung warben. Und sie hatten Erfolg. 1928 wurde das 300 km lange Leitungsnetz der RWE AG übernommen und die „Aktiengesellschaft für Kohleverwertung (AGKV)“ in Ruhrgas AG umbenannt. Bis zum Ende des Jahrzehnts waren Verträge für die Gasversorgung der Städte Köln, Düsseldorf, Hannover und Saarbrücken unter Dach und Fach. 1930 betrug der Gesamtabsatz 0,3 Mrd. cm3 (3,8 Mrd. kWh). Das Leitungsnetz umfasste 857 km. Die Ruhrgas beschäftigte 385 Mitarbeiter und hatte einen Umsatz von 13 Mio. RM.

Noch im selben Jahr, in dem die Ruhrgas AG die Gasleitungen des RWE übernommen hatte, schloss sie Lieferverträge mit den im Norden und Osten angrenzenden Gebietsversorgern. Das war zum einen die Westfälische Ferngas AG, die am 24.7.1928 von Kommunen zur Versorgung Süd- und Ostwestfalens mit Ferngas gegründet wurde. Zum anderen handelte es sich um die Vereinigte Gaswerke AG (VGW), die 1927 als Tochter der „Elektrizitätswerke Westfalen“ (VEW) entstand, um in deren Gebieten den Ausbau der Ferngasversorgung zu forcieren. Die VGW verband ihre lokalen Verteilernetze durch Fernleitungen, legte zahlreiche örtliche Kraftwerke still und belieferte ihre Abnehmer fortan mit Kokereigas an der Ruhr. Weitere Verträge schloss die Ruhrgas mit Hannover, Düsseldorf, Köln und anderen Städten. Ein wichtiger Schritt war die Verbindung zu den Kokereigas-Leitungen des Aachener Reviers.5

1921 entstand die Thyssengas GmbH, und zwar durch Ausgliederung der Abteilung Gas- und Wasserwerke der „August-Thyssen-Hütte, Gewerkschaft“. Auch sie übernahm und verteilte Kokereigas insbesondere in den Revieren Duisburg, Mülheim, Wuppertal mit Ausdehnung an den Niederrhein. In Alsdorf bei Aachen wurde das Ferngaswerk II errichtet und das Gas vom Eschweiler Bergwerks-Verein übernommen. Später ging die Thyssengas GmbH im RWE-Konzern auf.

Eine ganz andere Geschichte hatte die BEB Erdgas und Erdöl GmbH (BEB). Ihre Geschichte beginnt mit der Gewerkschaft Brigitta: Im Jahr 1867 verlieh das Oberbergamt in Bonn J. Clever aus Werden das Blei- und Kupfererzbergwerk Brigitta. Clever nutzte diese Schürfkonzession aber nicht. Im Jahr 1874 wurde das Erdölfeld Wietze im Raum Hannover entdeckt, dem drei weitere folgten. 1921 gründete eine Maklerfirma, der die Kuxe (so werden bei einer Gewerkschaft die Anteile bezeichnet) gehörten, die Gewerkschaft Brigitta. 1932 übernahmen Esso/Shell die Kuxe zu je 50 %. 1936 entdeckten und erschlossen sie das erste Erdölfeld in Steimbke bei Hannover, 1952 folgte das erste Erdgasfeld in Thönse. 1958 wurde erstmals Erdgas verkauft. Das Geschäft gedieh prächtig. Daher konnte sich die Brigitta 1965 mit 25 % an der Ruhrgas AG beteiligen.

Auch das andere Standbein der BEB, die Gewerkschaft Elwerath, entstand als Erzbergwerk, aber für Eisenerz, gegründet am 30.10.1866. Sie stieg in das Erdölgeschäft auf der Basis von Grundeigentümer-Verträgen in den Jahren 1920–1933 ein. 1936 übernahm die Wintershall AG Kassel 312 Kuxe an der Gewerkschaft. Es schließt sich die Ära der „Reichsbohrungen“ an, in den Jahren 1934–1945. Der Höhepunkt der Bohraktivität und die Zeit der großen Ölentdeckungen fällt in 1946–1959. Im Jahr 1969 wurde schließlich die „BEB Gewerkschaften Brigitta und Elwerath Betriebsführungsgesellschaft“ gegründet, die BEB. Die andere Hälfte des in Deutschland geförderten Erdgases wird über die Erdgas Münster mit den Gesellschaftern BEB, DEA, ENGIE, ExxonMobil, Vermilion und Wintershall verteilt.

An dieser Entstehungsgeschichte ist erkennbar, dass die Gaswirtschaft nie bedeutenden Einfluss des Reiches und der Länder aufwies. Es gab keinen „Gasstaat“. Deswegen ticken in der Gaswirtschaft „die Uhren anders“. Rechtlich hat sich die Gaswirtschaft aber der Monopol- und Kartellstrukturen bedient, die sich die Stromwirtschaft geschaffen hatte; vor allem mit Hilfe der kommunalen Unternehmen, die keinen Anlass für unterschiedliche rechtliche Strukturen sahen. Mit der Ruhrgas AG entstand so in aller Stille das beherrschende deutsche Gastransport- und -handelsunternehmen mit einem Marktanteil von schließlich 80 %.

Wie machte das die Ruhrgas? Der deutsche Markt wurde großflächig aufgeteilt, und zwar zwischen der NAM, der Gasunion, Shell und Esso und der Ruhrgas, mit wechselseitigen Andienungs- und Abnahmepflichten.

5 Zum Vorstehenden: Wikipedia „Kohle-Syndikat gründet Ruhrgas AG“.

Vom Stromkartell zur Energiewende

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