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9. Kapitel
Weltwirtschaftskrise: Die Konzerne bleiben ungeschoren

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Das Kartell war, wenn man den Konzernherren glaubt, ein Kind der Not. Aber Not litten andere. Nur kurz nach dem Vertragsabschluss in Paris erreichte die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland den neuen Höchststand von 5 Mio. Erst in diesen Wintermonaten brach die Weltwirtschaftskrise in Deutschland voll aus. Die Industrie nutzte sie zu einem Großangriff auf die sozialen Errungenschaften seit der November-Revolution. Der rheinische Braunkohlenkönig Paul Silverberg erklärte als Präsidiumsmitglied des Reichsverbands der Deutschen Industrie (RDI): „Eine private, individualistische, kapitalistische Wirtschaft kann nicht erfolgreich sein, wenn der Staat gleichzeitig eine kollektivistische und sozialistische Wirtschaftspolitik verfolgt, speziell auf den Feldern der Sozial-, Steuer- und Fiskalpolitik.“ Was darunter zu verstehen war, sagten die Ruhrindustriellen vom RDI: „Alle kollektivistischen und Zwangsmaßnahmen wie Schlichtung, hohe Löhne, Arbeitszeitgesetzgebung, Sozialversicherung, öffentlicher Wohnungsbau etc. müssen mit hohem Tempo beseitigt werden.“ Die Strategie: „Die Gewerkschaften sind noch zu stark für Verhandlungen. Zuerst müssen wir im ganzen Land eine harte Konfrontationsstrategie in allen Fragen verfolgen. Wir müssen eine Situation schaffen, in der die Arbeiter sich enttäuscht von ihren politischen und gewerkschaftlichen Führern abwenden.“

Deswegen kam es bei diesem Klassenkampf von oben schon zu Beginn der Krise zu Massenentlassungen, bei denen der Siemens-Konzern vorne mit dabei war: Siemens hatte, wie er in einem Brief an Reichskanzler Heinrich Brüning Ende Juli 1930 zugeben musste, in wenigen Monaten von den 51.300 Arbeitern in seiner Berliner Werken 17.450 – also 34 % – gekündigt. Im gleichen Jahr sank der Umsatz nur um 6 %. Der als Siemens & Halske firmierende Konzern zahlte noch 7 % Dividende. Das Ergebnis dieser Konfrontationspolitik war eine sich immer schneller steigernde Radikalisierung der Massen. Sie wurde durch eine Währungskrise verschärft: Das Problem der Auslandsleihen der Industrie und des Reichs war, dass sie in Dollar zurückzuzahlen waren. Aber Dollars wurden wegen der Wirtschaftskrise nicht verdient. Die Lage gleicht der heutiger Entwicklungs- oder Schwellenländer: Sie müssen ihre Schulden in Dollar bezahlen, haben aber keine Möglichkeit, Dollar zu verdienen. Das Ergebnis war eine Währungskrise, der der Zusammenbruch des deutschen Bankensystems folgte. Die Banken konnten nur durch massiven Einsatz von Steuergeldern gerettet werden, was den „gestürzten Halbgöttern“ aus den Vorstandsetagen äußerst peinlich war.

Der Bankenkrach war Resultat einer krassen Missachtung der Grundregel des Geldgeschäfts, wonach man kurzfristige Kredite nicht langfristig anlegen darf. Diesen Fehler hatten fast alle Großbanken gemacht. Eine Ausnahme war die Berliner Handels-Gesellschaft unter ihrem Chef Fürstenberg. Anfang Juli 1931 hatten die Großbanken kurzfristig rückzahlbare Devisenschulden in Höhe von 5,5 Mrd. Mark. Die Gold- und Devisenreserven der Reichsbank waren auf 1,7 Mrd. zusammengeschmolzen. Die Regierung wurde darüber nicht informiert. Das führte zum „Schwarzen Samstag des Deutschen Bankgewerbes“. Die DANAT-Bank (Darmstädter und Nationalbank) teilte dem Finanzminister am 11.7.1931 die Zahlungsunfähigkeit mit. Der liberale Minister Dietrich warnte seine Kollegen: „Der Sturz der DANAT-Bank wäre eine ernste Gefahr für den Kapitalismus!“ Die Regierung sprang als Nothelfer der Großbanken ein: Der freie Zahlungsverkehr wurde eingestellt und erst nach drei Wochen wieder zugelassen. Die Großbanken erhielten enorme Geldinfusionen; mit dem Ergebnis der praktischen Verstaatlichung:

Die Reichsbeteiligung bei der Dresdner betrug 91 %, bei der Commerzbank 70 % und bei der Deutschen Bank 35 %. Insgesamt hatte die Regierung Brüning den Banken 1,25 Mrd. zur Verfügung gestellt, ohne das verantwortliche Personal auszuwechseln. Zugleich hielt die Regierung aber am rigorosen Sparkurs gegenüber den Arbeitslosen fest, was im Februar 1932 zu einer Rekordmarke von 6,1 Mio. führte. Ergebnis: Die NSDAP erhielt eine wunderbare Agitationsbasis. Bei den Landtagswahlen im April 1932 wurde sie – außer in Bayern – überall im Reich stärkste Partei.

Die Abläufe hatten allerdings ein Gutes: Es wurde nur zu deutlich, wo die Verantwortung für die Krise lag: „Das privat-wirtschaftliche System ist nur zu halten, wenn es gegen jene Kapitalisten geschützt wird, die nur Gewinn machen, Verluste aber dem Staat aufbürden wollen“, erklärte Wirtschafts-Staatssekretär Trendelenburg im Februar 1932 im Kabinett. Doch kaum waren die Worte verhallt, kam es zu einem Vorgang, der kaum rational erklärlich ist. Der Industrielle Friedrich Flick hatte sich verspekuliert und wurde ein Opfer der Kreditkrise. Daher wandte er sich an die Reichsregierung um Hilfe – und wunderlicherweise griff das Reich, das kein Geld für die Arbeitslosen hatte, Flick unter den Arm. Das Reich kaufte dem reichen Stahlindustriellen für 96 Mio. heimlich ein Paket Gelsenberg-Aktien ab, das nach Börsenkurs höchstens 30 Mio. wert war. Das war nicht geheim zu halten und umso empörender, als sich Flick gerade ein dreistöckiges Schloss an der Ruhr bauen ließ. „Flick beruhigte die Parteien nach Art des Hauses mit Spenden.“ Damit wurde aber auch – wieder einmal – ein Aktientausch möglich:

Flick verschaffte sich – auf Kredit – RheinBraun-Aktien im Nennwert von 21 Mio., was eine Sperrminorität war. Silverberg nahm das gelassen zur Kenntnis, wunderte sich aber, weil Flick eigentlich nicht Braun-, sondern Steinkohle für seine Hüttenwerke brauchte. Silverberg hatte aber ein Aktienpaket der Harpener Bergbau, das eingetauscht werden konnte. Die Wertdifferenz war allerdings hoch: Flick besaß 21 Mio. RheinBraun, Silverberg 36 Mio. Harpener. Silverberg lehnte das Angebot ab.

Jetzt kam das RWE ins Spiel: Flick bot RWE die RheinBraun-Aktien an und verpflichtete sich, ihm nach der Übernahme von RheinBraun die von Silverberg gehorteten Aktien der Harpener Bergbau zu geben. Allerdings fehlte noch ein Rhein-Braun-Paket, das der fanatische Nazi Fritz Thyssen geerbt hatte. Es galt eigentlich als unverkäuflich. Aber das RWE bekam es, weil Fritz Thyssen Silverberg schaden wollte: „Auch Silverberg selbst hat später angedeutet, dass der Intervention Thyssens gegen die Rheinische Braunkohle primär politische Motive zugrunde gelegen haben.“ Thyssen finanzierte nämlich die Nazis zusammen mit dem Kohlensyndikat-Gründer Emil Kirdorf schon seit 1923. So kam es zur RheinBraun-Mehrheit in den Händen des RWE. Dann händigte RWE Flick das Aktienpaket an der Harpener Bergbau aus. Bei der Abwicklung gab es allerdings Schwierigkeiten, in denen auch Konrad Adenauer, Kölner Oberbürgermeister, eine Rolle spielte. Silverberg konnte nämlich in der Aufsichtsratssitzung vom 14.1.1933 einen Vertrag präsentieren, in dem Flick sich verpflichtet hatte, nur einvernehmlich mit der RheinBraun-Leitung (also Silverberg) zu handeln. Dabei wurde er von Adenauer unterstützt, der Führer der kommunalen Minderheits-Aktionäre des RWE war. Nach der Machtübernahme wurde von dem Kölner Bankier Kurt von Schröder „der Pöbel“ gegen Silverberg mobilisiert. Am 13. März wurde Konrad Adenauer aus dem Amt gejagt. Damit brach der Widerstand der Aktionäre gegen die Übernahme ihres Unternehmens zusammen. Silverberg trat als Aufsichtsratsvorsitzender von RheinBraun, als Präsident der Industrie- und Handelskammer und als stellvertretender Vorsitzender des Reichsverbands der Deutschen Industrie zurück.

Kirdorf gingen erst jetzt die Augen auf. Für ihn, den unangefochtenen Sprecher der Kohlenbarone, war dies der Augenblick der Wahrheit. Das sagte er nicht nur, sondern schrieb daraufhin einen offenen Brief an die Rhein-Westfälische Zeitung in Essen, wo es u.a. hieß: „Als ein Verbrechen erachte ich das unmenschliche Ausmaß der fortgesetzten antisemitischen Hetze ... Der Dolchstoß, den man diesem wertvollen Menschen versetzt, hat auch mich getroffen.

Die Transaktion wurde dann abgewickelt wie vereinbart: „Nachdem die RWE-Verwaltung, dank der Majorität, zu der ihr Flick verholfen hatte, über RheinBraun verfügen konnte, löste sie das Wort ein, das sie Flick gegeben hatte: Sie übereignete ihm – nachträglich, nota bene – das Harpener-Paket der RheinBraun. Ein gutes Geschäft für die beiden Partner, deren einer mit geliehenem Geld und deren anderer ohne überhaupt Geld einzusetzen zu einem überaus wertvollen Besitz gekommen war. Im Ergebnis führte dieses Geschäft dazu, dass das RWE bis heute den billigsten deutschen Strom erzeugen kann.

Vom Stromkartell zur Energiewende

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