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4. Kapitel
Der Stromkrieg von 1901

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Der beispiellose Erfolg des Wechselstroms in den USA ging auch an der deutschen Stromwirtschaft nicht vorbei. Siemens und auch Rathenau waren zwar Anhänger des Gleichstroms. Rathenau aber war klar, dass nur Wechselstrom ohne größeren Spannungsverlust über weite Strecken zu transportieren war. Er holte einen brillanten russischen Techniker, Michael von Dolivo-Dobrowolsky, in sein Konstruktionsbüro. Dieser entwickelte in kurzer Zeit ein neuartiges System, bei dem drei Phasen verschobene Wechselströme einen „Drehstrom“ erzeugten, der einen einwandfrei laufenden Motor antrieb. Die Präsentation übernahm Oskar von Miller, der im August 1891 Drehstrom, der im Wasserkraftwerk Lauffen am Neckar erzeugt worden war, mittels Hochspannung von 16.000 Volt über 175 km Freileitung zur Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt am Main transportierte, wo der erste große Drehstrommotor der Welt angeschlossen war und die Pumpe eines künstlichen Wasserfalls antrieb. Das war damals eine Weltsensation.

Siemens konnte da nicht mithalten. Dafür war vor allem verantwortlich, dass der geniale Senior, gerade geadelt, die Leitung des Unternehmens seinem nur mittelmäßigen Sohn Wilhelm von Siemens überlassen hatte. Das war auch von außen zu erkennen: Die Siemens-KG hatte 14 Mio. verantwortliches Kapital, während Rathenaus AG sich auf 20 Mio. stützen konnte.

Auf dem Kraftwerksmarkt kam es zu einem ungezügelten Wettbewerb. Als Hamburg den Bau der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) ausschrieb, bewarben sich neben der Arbeitsgemeinschaft AEG/Siemens (eine Folge der Kartellabsprache) auch Schuckert, Nürnberg und Helios, Köln. Obwohl Helios die Günstigsten waren, schied das Unternehmen aus, weil es eine Wechselstromversorgung vorschlug. Die Berater des Senats meinten aber, „solche Anlagen seien für Hamburg nicht geeignet“. Den Zuschlag erhielt dann Schuckert, weil er der Stadt zusätzlich zur 20 %igen Konzessionsabgabe eine Gewinnbeteiligung bis zu 50 % einräumte. Das hatten AEG/Siemens nicht nötig. Den Siemensleuten passte allerdings Rathenau bei Angeboten des Konsortiums allzu oft. Der Kartellvertrag wurde aufgelöst. Rathenau erhielt damit das Recht, auch große Generatoren zu bauen. Siemens hielt das Risiko für verkraftbar, weil man glaubte, der AEG überlegen zu sein. Aber die Großaufträge in Italien und Südamerika verhalfen der AEG zu einem unglaublichen Erfolg, für den auch der Umstand verantwortlich war, dass ihm die beiden wichtigsten deutschen Bankiers als Aufsichtsratsvorsitzende zur Seite standen: Bis 1896 Georg Siemens, danach Carl Fürstenberg, Inhaber der Berliner Handels-Gesellschaft. Der Wettbewerb, wie er sich beispielsweise bei der HEW-Ausschreibung dargestellt hatte, konnte der AEG nichts anhaben. Das wussten schon frühzeitig nicht nur Rathenau, sondern auch seine Bankiers.

Die Konkurrenten beklagten sich über den Wettbewerb. Schuckert kritisierte: „Die Eifersucht der Konkurrenz bringt unnötige Preisschleudereien hervor“, Siemens sehnte sich nach amerikanischen Verhältnissen, wo „die elektrische Industrie bekanntlich von einer geringen Anzahl größerer Gesellschaften monopolisiert wird, die sich auf Preiskonventionen stützen und daher Lieferung zu hohen Preisen abschließen könnten“. Rathenau beteiligte sich an dem ruinösen Wettbewerb nur am Rande. Er versteckte mit Bilanzierungstricks große Gewinne vor den Aktionären und legte sie für schlechte Zeiten zurück. Dabei wurden sogar die Aktionäre getäuscht, indem in den Bilanzen nur die Produktionsgewinne ausgewiesen waren, nicht aber die aus Finanzierungsgeschäften und eigenen Aktien. Aufsichtsratsvorsitzender Fürstenberg kannte diese Manipulation nicht nur, sondern gab später zu, dass sie „zum Teil sogar auf meinen Rat“ erfolgten. Rathenau konnte so seine Kriegskasse mit Barem füllen. Dafür wurde auch das Instrument genutzt, Maschinen und Werkzeuge im Jahr der Anschaffung voll abzuschreiben.

Rathenau stand daher viel besser da als viele andere. Georg Siemens, als Bankier sehr hellsichtig, erwartete „in den nächsten drei Jahren eine ganz kolossale Pleite und befürchtete das Schlimmste für Helios, Kummer, Lahmeyer et tutti quanti“. Dieses Zitat aus einem Brief aus dem Vorstandsbüro der Deutschen Bank an Siemens vom 6.10.1900 war als Warnung gedacht. Aber die Firma Siemens hörte nicht darauf. Die Firmen Schuckert, Kummer und andere gerieten in Not; auch Siemens & Halske, die nur von ihrer Schwachstromabteilung gerettet wurde. Nur der AEG konnte der Konjunktureinbruch nichts anhaben. AEG vielmehr investierte, und zwar in die neuartige Dampfturbine, die für alle größeren Elektrizitätswerke äußerst vorteilhaft war. Die Banken rieten den Konzernchefs in aller Verschwiegenheit zu Arrondierungen und einem Kartell: Siemens schluckte Schuckert, AEG wollte Lahmeyer/Frankfurt kaufen. Doch die Firma wurde von dem großen Kabelhersteller Felten & Guilleaume gekauft. AEG kaufte sich dafür beim Schweizer Konkurrenten BBC ein. Helios wurde hingegen von Siemens und AEG aufgekauft und liquidiert, es wurde „Kapazität vom Markt genommen“.

Als die Konjunktur nach der Krise 1904 wieder ansprang, war Rathenau voll da. Von der Konkurrenz hatten außer Siemens nur noch Lahmeyer im Verbund mit Felten & Guilleaume und Bergmann/Berlin überlebt. Rathenau reiste im Herbst 1904 in die USA, um dort „mit General Electric über die Verteilung der elektrischen Welt zu verhandeln“. Tatsächlich schlossen die beiden Weltkonzerne einen Vertrag über den Austausch ihrer Patente und Erfahrungen, legten die Grenzen zwischen ihren Einflussgebieten weltweit fest und sicherten Heimatmarktschutz zu. In der ersten großen Untersuchung des Wettbewerbs auf dem amerikanischen Elektromarkt schrieb die Federal Trades Commission als Kartellbehörde der USA: „Durch diese Verträge wird nicht nur jede ausländische Konkurrenz in den USA ausgeschaltet. Sie verhindern auch, dass andere amerikanische Hersteller in den Besitz wichtiger ausländischer Patente und Fabrikationsgeheimnisse kommen, da diese exklusiv an die beiden großen Gesellschaften übergehen.“ Dasselbe gilt natürlich auch für die deutsche Stromwirtschaft. Gegen Ende der ersten Krise war „die elektrische Welt“ verteilt und die größte wirtschaftliche Machtkonzentration etabliert. Es begann die Herrschaft der Kartelle.

General Electric und Westinghouse in den USA beherrschten den amerikanischen Markt. AEG und Siemens beherrschten rund 75 % des deutschen Marktes. Siemens hatte 1900 rund 16.000 Arbeitnehmer, 1913 gab es schon 82.000. Die Krise wurde von beiden Unternehmen aber auch benutzt, um die Durchschnittsverdienste der Angestellten und Arbeiter zu drücken. Die Siemens-Arbeiterinnen in den Lampenfabriken hatten noch einen Stundenlohn von 32 Pfennig. Das Einkommen des Konzernchefs belief sich in der gleichen Zeit jährlich auf 1,1 Mio. Mark.

AEG, Siemens sowie Felten & Guilleaume bildeten ein Kabelkartell: Die Geschäftsführung verteilte alle Kabelaufträge nach festen Quoten auf die Mitgliedsfirmen und sorgte für ein stark überhöhtes Preisniveau. Dem gleichen Zweck dienten das Isolierrohrkartell und das Drahtsyndikat. Über den nationalen Rahmen hinaus ging das europäische Glühlampenkartell, für das wiederum die USA das Vorbild lieferten:

Mehrere kleine Unternehmen schlossen sich zur National Electric Lamp Company zusammen, die einen Marktanteil von 38 % erwarb. General Electric hatte 42 %, Westinghouse 13 %. Der Chef von General Electric, Coffin, hatte aber bereits bei der Gründung der National Electric heimlich 72 % des Aktienkapitals der kleinen Gesellschaften aufgekauft. Er hielt später sogar 100 %. Der ganze Wettbewerb war also nur vorgespielt. In den USA wurde statt der Kohlefaden- die Wolframfaden-Lampe entwickelt. General Electric schloss mit AEG, der Auer-Gesellschaft und Siemens Abkommen über den Austausch von Metallfaden-Rechten. Alle Patentpiraten wurden per Gerichtsbeschluss zur Aufgabe gezwungen. Glühlampenbau war nur noch aufgrund von Lizenzen von AEG und Siemens möglich.

Die Zeit war reif für einen Schritt über die Grenzen: AEG und Siemens gründeten 1903 das Europakartell mit den 16 wichtigsten Glühlampenherstellern: Gründung der „Verkaufsstelle Vereinigter Glühlampenfabriken“ mit Sitz in Berlin. Gemeinsam lieferten Siemens und AEG fast die Hälfte der in Europa verkauften Glühbirnen.

Ein Kind der Krise war schließlich die Gründung der „Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen“. Zweck war „die Herbeiführung und Aufrechterhaltung angemessener Preise für ihre Erzeugnisse“. Auch die Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen war ein Kartell. Man traf sich regelmäßig in Berlin zum Mittagessen (anglisierend Frühstück genannt). Ein Kölner Konkurrent, Herr Geist von der gleichnamigen Elektrizitätsgesellschaft, fand das „Frühstückskartell“ ausgezeichnet. Er hatte aber nicht rechtzeitig gemerkt, dass AEG, Siemens und Felten & Guilleaume-Lahmeyer innerhalb des Kartells ein Geheimkartell gebildet hatten, das gegen seine Firma vorging. Als er das schließlich merkte, schaltete Geist eine Anzeige, in der seine Preise für einen Motor und zwei Maschinen als 100 % gesetzt und die Preise der Konkurrenten damit verglichen werden. AEG schoss mit 175 % den Vogel ab. Geist war es ein leichtes, das als „Geheimkartell“ anzuprangern. Die Anzeige erzeugte ungeheures Aufsehen, nicht nur in der Branche, sondern auch in der Öffentlichkeit. Für Geist hatte sein Coup allerdings eine unliebsame Folge: Geist wurde aus dem „Frühstückskartell“ ausgeschlossen. Bei der Erteilung von Aufträgen wurde er zukünftig geschnitten. Immerhin prangerte das Berliner Tageblatt diese Vorgehensweise an.

Die Konzerne setzen außerdem auf Dumping. Ein Beispiel bot die Ausschreibung der Lichtanlage im Bahnhofsgebäude von Bad Homburg. Das Elektrizitätswerk der Stadt bot die Ausführung für 11.800 Mark an. AEG wollte für nur 4.500,70 Mark arbeiten, Siemens gar für nur 4.498,14 Mark: Unterschied: 2,56 Mark. Die Bad Homburger machten das publik, was für ungeheure Aufregung sorgte. Der Preußische Minister für öffentliche Arbeiten wies auf ein Reichsgerichtsurteil hin, wonach eine Absprache unter Ausschreibungsbeteiligten gegen die guten Sitten verstieß, wenn mit der Vereinbarung eine Täuschung des Auftraggebers bezweckt würde. Juristen der Konzerne stritten jede Täuschungsabsicht ab. Aber unter Ziff. 7 ihrer Kartellvereinbarung hieß es: „Der Schutz ist im Interesse der Geheimhaltung des Schutzabkommens nach Möglichkeit zu verschleiern.“ Das war Strategie der Konzerne also bereits seit 1901.

Auf dieser Basis wurden auch die überall im Reich errichteten Überlandzentralen ausgeschrieben. Die Handelskammer Aachen, ein preußisches Staatsorgan, veröffentlichte 1909: „Die Verkaufspreise erfuhren durch die Großfirmen eine derartige Herabsetzung, dass es unmöglich war, bei kleinen Maschinen die Gestehungskosten mit dem Marktpreis in Einklang zu bringen.“ Die Monopolbestrebungen der Großkonzerne setzen sich durch.

Die kleinen Unternehmen prangerten den „verzweifelten Kampf zwischen Spezialfabriken und den Großfirmen“ an, der aber schließlich doch zugunsten des Großkapitals entschieden wurde. Die preußische Regierung sollte Maßnahmen zum Schutz treffen. Doch die preußische Regierung machte nichts. Das Dumping brachte allerdings auch Kartellmitglieder in Schwierigkeiten. Felten & Guilleaume-Lahmeyer gerieten in eine wirtschaftliche Schieflage. Als Retter sprang wiederum Rathenau mit seiner AEG ein, der Aktien des Unternehmens übernahm und den Kabelkomplex in das Firmengebäude der AEG eingliederte. Die Dynamowerke von Lahmeyer wurden als lästige Überkapazität aus dem Verkehr gezogen.

In einer großen Reichstagsrede gegen „die monopolistische Ausbildung des Elektrizitätswesens“ wurden diese Zustände angesprochen. Der Reichstag wurde aufgerufen, die Gewerbefreiheit „gegen die Übermacht des koalierten Großkapitals“ zu schützen. Der zuständige Staatssekretär des Innern sagte, es handele sich „zweifellos um eine Konsequenz der bei uns bestehenden schrankenlosen Gewerbefreiheit“. August Bebel (SPD) rief dazwischen: „Der kapitalistischen Ordnung!“ Der Abgeordnete Delbrück sprach an, ob man nicht „derartige Betriebe zu Monopoleinrichtungen des Reiches oder der Bundesstaaten machen“ soll. Es handele sich schließlich um öffentliche Interessen. Deswegen müssten sie aus der Hand der Privaten in die des Staates gelegt werden. In seltener Einmütigkeit wollte der Reichstag den Vormarsch der Monopole blockiert sehen.

Während im Reichstag die Verstaatlichungsdrohung ertönte, beschlossen die Monopole, den letzten Konkurrenten, den Bergmann-Konzern, auszuschalten. Bergmann war nach der Krise sehr groß geworden, und zwar mit massiver Unterstützung durch die Deutsche Bank. Bergmann hielt sich nicht an die Preisvereinbarungen und unterbot AEG und Siemens häufig um 10 bis 20 %. Aber: Während im Reichstag der Vernichtungskampf der Monopole verdammt wurde, erschien Wilhelm von Siemens in der Vorstandsetage der Deutschen Bank und verlangte, dass dem letzten Konkurrenten der Geldhahn abgedreht werde.

Denn Bergmann hatte sein Kampf um Marktanteile massive Finanzprobleme eingebracht. Die Deutsche Bank sollte helfen. Wilhelm von Siemens legte ein Veto ein. Aber die Deutsche Bank reagierte, wie bei der Großfinanz üblich, ausgewogen. Es wurde ein Kompromiss arrangiert: Siemens hob sein Veto auf und kaufte ein Drittel der neuen Bergmann-Aktien aus einer von der Deutschen Bank gestützten Kapitalerhöhung. Ergebnis: Bergmann blieb nominell an der Spitze des Konzerns, sein Stellvertreter wurde ein Siemens-Mann. AEG und Siemens beherrschten den deutschen Markt.

Es hatte also keine zwanzig Jahre gedauert, bis die großen Industriellen den Strommarkt unter sich aufgeteilt hatten: In Deutschland gab es ein Kabel- und ein Isolierrohrkartell: das Drahtsyndikat. Die Preise für viele weitere Produkte wurden von der „Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen“ festgelegt; auch diese war ein Kartell. Die Preise für Glühlampen wurden sogar europaweit festgelegt, und zwar mit dem 1903 gegründeten europäischen Glühlampenkartell. Der amerikanische Markt wurde beherrscht von General Electric und Westinghouse. Rathenau und Siemens, Herrscher über den deutschen Markt, sprachen sich schließlich mit den beiden US-Giganten ab. So teilten die weltweit führenden Industrien in Europa und den USA den Markt unter sich auf und schufen so lange vor dem Ersten Weltkrieg ein System, mit dem Wettbewerb systematisch ausgeschaltet wurde.

Vom Stromkartell zur Energiewende

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