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5. Woran sind die Reformpläne gescheitert?

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Die Antwort ist einfach: Am Staat in seiner Eigenschaft als Stromversorger. Etwa 50 % des gesamten Stromabsatzes stellen die Kommunen sicher, und zwar damals vor allem in der Rechtsform des Eigenbetriebs, in dem die Energie- und Wasserversorgung rechtlich in der Hand der Gemeinde liegen und lediglich wirtschaftlich wie ein Unternehmen geführt wird. Bis heute gibt es noch zahlreiche Eigenbetriebe insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg. Die Münchener Stadtwerke, der größte kommunale Energieversorger überhaupt (wenn man einmal von den Hamburger Elektrizitätswerken und der Berliner BEWAG absieht, die sich gerne zu den acht Verbundunternehmen zählten), waren bis 1998 noch Eigenbetrieb. Gegen die Städte und Gemeinden und ihre mächtigen Verbände, den Deutschen Städtetag und die Städte- und Gemeindebünde, lief in der Gesetzgebung nichts. Und die Mehrzahl der Verbundunternehmen gehörte ebenfalls der öffentlichen Hand: Die Macht beim RWE lag selbst dann, als in steigendem Umfang der Aktienbesitz privatisiert wurde, in der Hand der Kommunen mit ihren Mehrfachstimmrechten, die PreussenElektra gehörte über die VEBA dem Bund, das Bayernwerk dem Bund und dem Freistaat Bayern, die Energieversorgung Schwaben (EVS) und das Badenwerk mehrheitlich dem Land Baden-Württemberg bzw. Kommunen und Kreisen, die Hamburger Elektrizitätswerke und die BEWAG der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Land Berlin usw. Darauf wies die Monopolkommission in ihrem Hauptgutachten erstmals in aller Offenheit hin.42 Emmerich kommentiert diesen Befund in seinem Gutachten von 1978, das er im Auftrag des Niedersächsischen Wirtschaftsministers verfasst hat, wie folgt: „In erster Linie hieraus (aus den Eigentumsverhältnissen, d. Verf.) resultiert der ganze ungewöhnliche Einfluss der Versorgungswirtschaft auf den Gesetzgeber, der schließlich auch die Bundesregierung veranlasst hat, alle Überlegungen zu einer Auflockerung der Gebietsmonopole aufzugeben. ... Nur das letzte Beispiel dieser Kette immer neuer, von der Versorgungswirtschaft erkämpfter Privilegien, die von den Bereichsausnahmen im Wettbewerbsrecht bis zu den Tarifordnungen reichen, ist die namentlich von den Verbänden der Elektrizitätswirtschaft durchgesetzte Freistellung dieses Wirtschaftszweiges von dem AGB-Gesetz.“

Emmerichs Gutachten, ein spannendes Plädoyer für die Liberalisierung der Energiemärkte, rational kaum zu widerlegen, blieb ergebnislos. Der Grund liegt auf der Hand: Die Liberalisierung, insbesondere deren Folge, dass sich Energiepreise im Wettbewerb bilden müssten und nicht von Monopolisten gesetzt würden, die sich immer darin einig waren, weit über den Produktionskosten liegende Preise zu nehmen, die Unwirksamkeit der Preisaufsicht, das Ausbleiben wirksamer Fusionskontroll- oder gar Entflechtungsmaßnahmen, all das ist darauf zurückzuführen, dass die Maßregeln sich gegen den Staat selbst gerichtet hätten. Warum sollte er ein über hundert Jahre altes System von Monopolen, die ja immerhin die Energieversorgung sichergestellt hatten, aufgeben und sich selbst Zwänge auferlegen?

Diese Form insbesondere der Stromversorgung in der Hand faktisch eines gigantischen staatlichen Monopols hatte noch ein weiteres Gutes. Die Aufsichtsbehörden von Bund und Ländern, seien es die Kartellbehörden oder die eigentlichen Energieaufsichten, kamen mit einem Minimum an Personal aus. Selbst beim Bundeskartellamt gab es, wie erwähnt, bis vor wenigen Jahren nur eine einzige Beschlussabteilung mit fünf bis sechs Beamten, die die gesamte Energiewirtschaft mit einem Umsatz von – geschätzt – der Hälfte des Bundeshaushalts zu überwachen hatten. Und die Preisaufsichtsbehörden der Länder, die pro Land – auf dem Papier – die Strompreise von teilweise über hundert regionalen und kommunalen Stromversorgern zu genehmigen hatten, kamen mit ein bis zwei Beamten aus. Man ging so vor, dass die Preise eines einzigen Unternehmens, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen des RWE oder in Hessen der Energie-Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM), die zu 54 % Landkreisen gehörte, geprüft wurden. Alle anderen Unternehmen erhielten sogenannte „Erstreckungsgenehmigungen“. Damit wurde unterstellt, dass die Kostensituation bei dem einzigen geprüften Unternehmen in etwa auch bei den anderen Unternehmen vorlag – was klar gesetzeswidrig war. Aber dass Verbraucher gegen ein solches System geklagt hätten, ist nicht bekannt geworden. Die Rechtsprechung half ihnen jedenfalls nicht. Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts43 können Verbraucher die Preisgenehmigung der Aufsichtsbehörde nicht vor den Verwaltungsgerichten anfechten. Dem Verbraucher bleibe ja noch der Zivilprozess gegen den Strompreis. Ein solcher Prozess hätte freilich große Probleme verursacht, hätte doch der Verbraucher die Kosten- und Gewinnsituation des versorgenden Monopolisten darlegen müssen, um die Gerichte zu einer Monopolpreiskontrolle zu bewegen. Das scheiterte schon an den Beweisproblemen.

Es gibt nur einen einzigen Prozess, in dem die Stromkonzerne kräftig Federn lassen mussten. Das war der Stromstreit vor dem Bundesverfassungsgericht (s. dazu das nächste Kapitel), in dem ostdeutsche Städte und Gemeinden sich die Stellung erstritten, die sie noch in der Nazi-Zeit hatten, die aber von der DDR beseitigt worden war: die kommunale Strom- und (in der Folge des Stromstreits vor dem Bundesverfassungsgericht) Gasversorgung. Die westdeutschen Stromkonzerne hatten sich anlässlich der Deutschen Einigung die gesamte Stromversorgung in den Neuen Ländern einverleiben wollen. Aber sie erlitten eine Niederlage. Denn sie hatten nicht damit gerechnet, dass der Rechtsstaat, den sie eigentlich von Anbeginn in der Hand hatten, plötzlich gegen sie eingesetzt werden sollte.

Vom Stromkartell zur Energiewende

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