Читать книгу Parodontologie von A bis Z - Peter Eickholz - Страница 70

Оглавление

Einleitung

Bei parodontal normalen Verhältnissen liegt der Gingivarand etwa 0,5 bis 1 mm koronal der Schmelz-Zement-Grenze. Der Zahnhalteapparat bedeckt die Zahnwurzeln vollständig (Abb. 1). Wenn es infolge von Parodontitis zu erheblichen Attachmentverlusten und Knochenabbau gekommen ist, zieht sich zumeist auch die Gingiva zurück, und die Zahnhälse werden freigelegt. Es entstehen Rezessionen. Nach Parodontitistherapie und daraus resultierendem Abschwellen des Gewebes tritt dieser Effekt häufig noch deutlicher zutage (Abb. 2).

Abb. 1 Klinisch entzündungsfreie Gingiva einer 26-jährigen Frau: Es liegen keine Zahnhälse frei.

Abb. 2 Zustand 2 Jahre nach systematischer Therapie einer generalisierten Parodontitis (Stadium III, Grad C) bei einer 50-jährigen Patientin: Im Oberkiefer und im Unterkieferfrontzahnbereich liegen zirkulär die Zahnhälse frei (gingivale Rezessionen RT2 und RT3).

In der Nomenklatur werden gingivale Rezessionen ohne (Rezessionstyp [RT] 1) und mit approximalem Attachmentverlust (RT2 und RT3) unterschieden1. RT1 bezeichnet dabei Attachmentverluste und Knochenabbau streng fazial und/oder oral bei intaktem approximalem Gewebe (Abb. 3).

Abb. 3 Patientin mit generalisierten gingivalen Rezessionen (RT1) im Ober- und Unterkiefer bei völlig intaktem interdentalem Gewebe.

Betrachtet man die Prävalenz dieser beiden Rezessionsformen, so zeigt sich, dass in einem Kollektiv ohne individuelle Plaquekontrolle und mit genereller Gingivitisprävalenz zirkuläre Rezessionen (RT2 und RT3) vorherrschen2, während bei nordeuropäischen Akademikern mit umfassender zahnärztlicher Versorgung und effektiver individueller Mundhygiene die Häufigkeit von Rezessionen insgesamt geringer ist. In dieser Gruppe werden überwiegend gingivale Rezessionen vom Typ RT1 (oral/fazial) gefunden, während approximaler Attachmentverlust (RT2 und RT3) selten ist3. Aus dieser Beobachtung lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass fazialen/oralen und approximalen (zirkulären) Rezessionen unterschiedliche ätiologische Mechanismen zugrunde liegen. Während gingivale Rezessionen mit approximalem Attachmentverlust, insbesondere RT3, in den allermeisten Fällen infolge einer Gewebezerstörung durch Parodontitis auftreten, spielt in der Pathogenese der fazialen/oralen Rezessionen vom Typ RT1 eine traumatisierende Putztechnik eine wesentliche Rolle. Es werden auslösende und prädisponierende pathogenetische Faktoren unterschieden.

Prädisponierende pathogenetische Faktoren

Knöcherne Dehiszenzen

Zu den anatomischen Normvarianten des Parodonts gehören knöcherne Dehiszenzen, das heißt Stellen, an denen die Zahnwurzel bukkal oder oral nicht von Knochen bedeckt ist (Abb. 4). An diesen Stellen ist die Gingiva zumeist dünn und fragil und deshalb anfällig für Traumata wie auch für plaqueinduzierte Entzündung.

Abb. 4 Intraoperative Ansicht einer knöchernen Dehiszenz bukkal von Zahn 32 am Boden einer Rezession vom Typ RT2.

Phänotypen der Gingiva

Das Erscheinungsbild der Gingiva zeigt deutliche interindividuelle Variationen. Es lassen sich verschiedene genetisch determinierte Phänotypen der Gingiva, insbesondere hinsichtlich der Schleimhautdicke, unterscheiden. Schlanke Zahnformen sind mit dünner, fragiler Gingiva und eher quadratische Zahnkronen mit dicker und breiter Gingiva assoziiert. Individuen mit eher dicker, derber Gingiva weisen im Durchschnitt höhere Sondierungstiefen auf4. Während eine dicke, derbe Gingiva mechanische Traumata besser toleriert und auf subgingivale Infektion eher mit Taschenbildung als mit Rezessionen reagiert, prädisponieren die Phänotypen mit dünner Gingiva zur Rezessionsbildung1.

Marginal einstrahlende Lippen- und Wangenbändchen

Die Durchführung einer effektiven und atraumatischen Plaquekontrolle kann durch marginal einstrahlende Lippen- und Wangenbändchen lokal behindert werden (Abb. 5). Werden Lippe bzw. Wange durch die Zahnbürste abgedrängt, spannen sich diese Schleimhautbänder und springen ins Vestibulum vor. Deshalb können sie die korrekte Bürstbewegung (z. B. Bass-Technik) behindern. Dies kann zum einen dazu führen, dass an der betreffenden Stelle nicht effektiv geputzt wird, sich Plaque akkumuliert und eine subgingivale Infektion entsteht. Zum anderen kann eine primär horizontale Schrubbtechnik resultieren, bei der das Bändchen nicht stört, aber die Gingiva traumatisiert wird. Die subgingivale Infektion wie auch die traumatisierende Putztechnik können zur Entstehung gingivaler Rezessionen führen.

Abb. 5 Interdental der Zähne 11 und 21 marginal einstrahlendes Oberlippenbändchen.

Auslösende pathogenetische Faktoren

Traumatisierende Putztechnik

Mechanische Faktoren sind der Hauptauslöser gingivaler Rezessionen. Hier steht eine traumatisierende Putztechnik mit zu hohem Anpressdruck und horizontaler Bewegungsrichtung im Vordergrund. Oft sind insbesondere Zähne betroffen, die sich an exponierter Stelle befinden, wie die Eckzähne (Abb. 6), bei denen die Zahnreihe ihre Richtung ändert. Deshalb wird der Anpressdruck der Zahnbürste ungleichmäßig verteilt. Häufig zeigen die freigelegten Wurzeloberflächen horizontale Rillen (Abb. 6) oder sogar keilförmige Defekte. Es konnte gezeigt werden, dass die Prävalenz fazialer/oraler Rezessionen bei Verwendung von Zahnbürsten mit harten Borsten erhöht war5. Aber auch Manipulationen an der Gingiva und oraler Schmuck (Piercings)6 können die Ursache von Rezessionen sein.

Abb. 6 Faziale Rezession am Zahn 23 mit schmalem Band keratinisierter Gingiva und horizontalen Rillen auf dem freiliegenden Zahnhals. Am Zahn 24, der keine Rezession aufweist, findet sich ein deutlich breiterer Saum keratinisierter Gingiva. Es ist sehr wahrscheinlich, dass am Zahn 23 vor Entstehung der Rezession ein ähnlich breiter Saum keratinisierter Gingiva existierte.

Plaqueakkumulation

Lokalisierte Plaqueakkumulation mit daraus resultierender subgingivaler Infektion kann insbesondere bei Vorliegen einer dünnen, fragilen Gingiva zur Entstehung fazialer Rezessionen führen. Wenn das subgingivale entzündliche Infiltrat bei dünner Gingiva den gesamten bukkooralen Durchmesser der Gingiva einnimmt, kann es zu Nekrosen des Gewebes kommen.

Subgingivale Restaurationsränder

An Zähnen mit subgingivalen Restaurationsrändern (Abb. 7) sind insbesondere bei Vorliegen einer dünnen Gingiva häufiger entzündliche Veränderungen beobachtet worden als an Zähnen mit supragingivaler Randgestaltung1,7,8. Restaurationsränder sind Plaqueretentionsstellen. Diese Plaqueretention kann bei Vorliegen prädisponierender Faktoren, wie einer dünnen, fragilen Gingiva, zur Ausbildung von gingivalen Rezessionen führen.

Abb. 7 Kronen an den Zähnen 11 und 21 mit subgingivaler Kronenrandgestaltung und RT1-Rezessionen.

Kieferorthopädische Zahnbewegungen

Insbesondere an Unterkieferschneidezähnen lässt sich im Zuge kieferorthopädischer Bewegungen häufig die Ausbildung fazialer Rezessionen beobachten (Abb. 8). Dies kann zum einen daran liegen, dass Knochendehiszenzen entstehen können, wenn Zähne aus dem Alveolarfortsatz heraus bewegt werden.

Abb. 8 Faziale Rezessionen an den Zähnen 31 und 41 bei einer Patientin während einer kieferorthopädischen Therapie.

In zahlreichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass unabhängig von der koronoapikalen (Höhe) oder vestibulooralen (Dicke) Ausdehnung der befestigten Gingiva körperliche Zahnbewegungen durchgeführt werden konnten, ohne dass es zu Rezessionen kam, wenn eine effektive Plaquekontrolle und dadurch Entzündungsfreiheit gewährleistet war. Bei bakterieller Exposition und Vorliegen von Entzündungszeichen besteht allerdings ein erhöhtes Risiko für gingivale Rezessionen infolge kieferorthopädischer Labialbewegungen, insbesondere bei Vorliegen einer dünnen Gingiva1.

Fazit

Früher war ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer schmalen keratinisierten bzw. befestigten Gingiva und der Entstehung gingivaler (insbesondere fazial gelegener) Rezessionen angenommen worden. Querschnittsstudien hatten ergeben, dass an Stellen, die faziale Rezessionen aufwiesen, zumeist auch nur ein schmales Band oder gar keine befestigte Gingiva zu finden war. Mittels Querschnittsstudien lässt sich allerdings keine Kausalität belegen. Eine ebenso schlüssige Interpretation solcher Befunde wäre, dass die geringe koronoapikale Ausdehnung der befestigten Gingiva Folge und nicht Ursache der Rezession ist (Abb. 6). Longitudinale Studien bei Patienten mit Stellen mit schmaler befestigter Gingiva konnten kein erhöhtes Risiko für die Entstehung gingivaler Rezessionen an diesen Stellen zeigen9.

Die Entstehung von gingivalen Rezessionen spielt sich in diesem Spannungsfeld aus prädisponierenden und auslösenden Faktoren ab (Tab. 1). Eine traumatisierende Zahnbürsttechnik mit harten Borsten allein reicht möglicherweise nicht aus, um Rezessionen hervorzurufen. Bei Vorliegen eines oder mehrerer prädisponierender Faktoren, beispielsweise auch in Kombination mit weiteren auslösenden Faktoren (z. B. ineffektive Plaquekontrolle, subgingivale Restaurationsränder), besteht allerdings eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine traumatisierende Putztechnik zur Ausbildung von Rezessionen führt.

Tab. 1 Pathogenetische Faktoren für gingivale Rezessionen.

Prädisponierende FaktorenAuslösende Faktoren
knöcherne DehiszenzenPlaqueakkumulation
Phänotypen der Gingivatraumatisierende Putztechnik
marginal einstrahlende Bändersubgingivale Restaurationsränder
kieferorthopädische Zahnbewegungen

Literatur

1. Jepsen S, Caton JG, Albandar JM et al. Periodontal manifestations of systemic diseases and developmental and acquired conditions: Consensus report of workgroup 3 of the 2017 World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri-Implant Diseases and Conditions. J Clin Periodontol 2018;45(Suppl 20):S219–S229.

2. Yoneyama T, Okamoto H, Lindhe J et al. Probing depth, attachment loss and gingival recession. Findings from a clinical examination in Ushiku, Japan. J Clin Periodontol 1988;15:581–591.

3. Löe H, Anerud A, Boysen H. The natural history of periodontal disease in man: prevalence, severity, and extent of gingival recession. J Periodontol 1992;63:489–490.

4. Müller H-P, Heinecke A, Schaller N et al. Masticatory mucosa in subjects with different periodontal phenotypes. J Clin Periodontol 2000;27:621–626.

5. Khocht A, Simon G, Person P et al. Gingival recession in relation to history of hard toothbrush use. J Periodontol 1993;64:900–905.

6. Levin L, Zadik J. Oral percing: Complications and side effects. Am J Dent 2007;20:340–344.

7. Valderhaug J. Periodontal conditions and carious lesions following the insertion of fixed protheses: a 10-year follow-up study. Int Dent J 1980;30:209–213.

8. Stetler KJ, Bissada NB. Significance of the width of keratinized gingiva on the periodontal status of teeth with submarginal restorations. J Periodontol 1987;58:696–700.

9. Freedman AL, Green K, Salkin LM et al. An 18-year longitudinal study of untreated mucogingival defects. J Periodontol 1999;70:1174–1176.

Parodontologie von A bis Z

Подняться наверх