Читать книгу Kurz angebunden - Peter Franz Schmitt - Страница 30

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Utopia im Kleinen

Gehören Sie auch zu denen, die nur ganz selten eine Teigwarenverkaufsstelle – fälschlicherweise Bäckerei genannt – aufsuchen, um dort Kuchen zu kaufen? Selten soll heißen: immer dann, wenn Ihr Gehirn Sie im Stich gelassen hat und die Erinnerung daran getrübt ist, welch halbgare Fertigteigpampe, durchtränkt mit Geschmacksverstärkersauce und gefüllt mit Sirupklärschlamm heutzutage als Kuchen verkauft wird.

Als Großstadtbewohner kann dem Desaster nur entkommen, wer die Strapaze auf sich nimmt, selber zu backen. Aber welches Alleinmitglied eines Singlehaushalts kann sich schon dazu aufraffen? Im ländlichen Raum sieht es hingegen besser aus. Man schaue in Inseratenblättern nach oder höre sich um, wo an den Wochenenden Kinderbasare abgehalten werden. Dort wird man unmittelbar fündig. Es treffen sich dort nämlich jung und alt nicht nur zu dem Zweck, gebrauchte Kinderkleidung und Spielsachen zu tauschen oder preiswert zu erstehen. Es gibt darüber hinaus, und dies ist die eigentliche Sensation, den schönen Brauch, dass sich diverse Mütter und Großmütter zusammentun und selbstgebackenen Kuchen mitbringen, um ihn zum Schleuderpreis von 50 Cent das Stück zu verkaufen. Der Erlös dabei wird einem guten Zweck zugeführt. Geboten wird die ganze Bandbreite an Köstlichkeiten, vom Hefeteigblechkuchen bis zu raffiniertesten Torten. Schon der Duft verrät einem, dass die ehrgeizigen Hauskonditorinnen an Zutaten und Fachkompetenz nicht gegeizt haben. Dementsprechend auch der rege Zuspruch. Man kann sich diese Manifestation an Geschmackserlebnis zum Mitnehmen einpacken lassen oder selbige an Ort und Stelle an vorhandenen Stehtischen zusammen mit einem ebenso wohlfeilen Becher Kaffee verzehren und dabei entspannt dem bunten Treiben des Basars zusehen.

Ich habe über das Phänomen lange nachgedacht. Mir scheinen die Kuchenbackaktivistinnen neben der Erfüllung ihrer eigenen Anerkennungswünsche von dem Anliegen getrieben, Privatinitiative und Gemeinnützigkeit abseits schnöder Profitmaximierung höchst verantwortlich auf einen Nenner zu bringen. Kommt dies nicht in die Nähe jenes utopischen Zukunftsmodells, wonach wir für Staat und Gesellschaft seit langem suchen? Wir wollen dabei keineswegs stillschweigend übergehen, dass die backenden Frauen bei dieser Erzählung quasi modellhaft Selbstausbeutung begehen. Als gedankliche Synthese zu einem utopischen Zukunftsentwurf wäre das Bild also nur dann tauglich, wenn wir uns alle ein Vorbild nähmen und alle gleichermaßen wechselseitig in die Selbstausbeutung zugunsten strikter Gemeinnützigkeit eintreten würden. Ohne dieses Prinzip ist das Verfassungsgebot der Gleichheit nicht zu haben.

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