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Schattenboxen

Gestatten, mein Name ist Schatten, und ich bin bekanntlich der treueste Begleiter des Menschen. Ein Witzbold wollte dazu kürzlich eine sprachgeschichtliche Ableitung herausgefunden haben. Demnach stamme das Wort Schatten ursprünglich aus dem altnordischen skatt und wäre dem gleichen semantischen Feld zuzuordnen wie Schatz, Staatsschatz, Finanzamt. Wer also bei Sonnenschein seinen Schatten bemerkt, weiß was die Glocke geschlagen hat und sollte sicherheitshalber gleich an seine nächste Steuererklärung denken.

Recht unangenehm auch der Tag, an dem man feststellt, dass der eigene Schatten plötzlich ein Doppelkinn bekommen hat. Es soll schon welche gegeben haben, die ihrem Schatten mit dem Hochdruckreiniger zuleibe gerückt sind. Wer schon mal gegen seinen Schatten geboxt hat, weiß auch, dass gegen ihn kein Ankommen ist. Achtgeben muss man, weil dies ungesund sein dürfte, dass man nicht zum Schatten seiner selbst wird.

Psychologen sollen mittlerweile das Schattenboxen sogar empfehlen, um Frustrationen abzureagieren und zu vermeiden, dass man krank und depressiv wird angesichts all der gravierenden Steuer- und Abgabenungerechtigkeit, die die Parteienvertreter zu Wahlzeiten nicht müde werden, teilweise zu bedauern, teilweise kleinzureden oder gar abzustreiten. Die hartgesottensten Hardcore-Politiker unter ihnen, die noch am ehesten mit der Vergesslichkeit der Wähler rechnen, erkühnen sich gar mit Versprechungen, mit den gröbsten Ungereimtheiten radikal aufräumen zu wollen. Nach der Wahl bleibt davon nicht einmal mehr ein Schatten.

Die Wichtigkeit des Schattens in einer Gesellschaft, in der es viel zu verbergen gibt, steht außer Frage. Schon in der Dreigroschenoper heißt es: „doch die im Schatten sieht man nicht.“ Abgasmanipulationen, Kartell- und Steuerhinterziehungsmachenschaften haben lange im Schatten ihr Unwesen getrieben. Wie kam es bloß, dass der sonst so zuverlässige Schatten die Herrschaften plötzlich so schmählich im Stich gelassen hat?

Reichlich inflationären Gebrauch vom Schatten in allen Variationen macht seit jeher auch das Krimigenre. Das ist die Branche, die aus dem beträchtlichen Gesamtaufkommen an gesellschaftlicher Delinquenz Kapital schlägt und uns diese als allabendliche TV-Zerstreuungsware verkauft. Ungezählt die Filmtitel, die das Schattenparadigma im Namen führen oder darauf anspielen. Das Schattenreich des Todes wiederum kann als Paradoxie gelten, denn wo überhaupt kein Licht ist, kann auch kein Schatten fallen. Den bittersüßen Schlager „Alles Glück ist nur ein Schatten” als seichten Schwulst zu empfinden, sei bedenkenlos jedem freigestellt. Obwohl Dummheit im Schlager nicht nur erlaubt sondern von Natur aus sogar geboten ist. Dass Exkremente stinken, ist schließlich die Voraussetzung dafür, dass Millionen Fliegen darauf stehen. Ich benutze diese Formulierung allerdings nur, um mir den Vorwurf elitären Hochmuts einzuhandeln, um denen umso entschiedener entgegenzutreten, die so gern von der nahezu vorhandenen Gleichheit schwärmen, wogegen letztere in Wahrheit keine ist, weil den Bildungsfernen selbige vorenthalten wird. Ihnen bleibt dann meist nur das triviale abgeschmackte Gefilde schrammelmusikalischen Schrotts.

Die Schattenforschung hat herausgefunden, dass es neben Schattengeschäften mittlerweile sogar regelrechte Schattenbanken gibt. Folglich müsste es auch Schattenbanker geben. Aber ein Schattendasein führen die bestimmt nicht, allenfalls eine etwas rampenlichtscheue der Öffentlichkeit abgewandte Existenz.

Die Schatten der Vergangenheit spuken derweil in unserem illustren Unterbewusstsein herum und halten uns davon ab, uns selber Rede und Antwort zu stehen, wie wir es anstellen sollen, aus dem Schatten der herrschenden Verhältnisse herauszutreten. Jene Verhältnisse, die uns umklammert halten, vielleicht gerade wegen der Kreuzchen, die wir alle 4 Jahre auf einem Wahlzettel machen dürfen - und dann auch noch an der falschen Stelle anbringen.

Im Schatten stehen, einem solchen nachjagen oder aus ihm heraustreten, bezeichnet jeweils psycholabile Zustände unterschiedlichen Grades, denen schwerwiegende Prüfungen vorausgegangen sein mögen. Große Ereignisse, wenn sie etwas taugen sollen, werfen quasi obligatorisch ihre Schatten voraus. Große Brüste hingegen, der Sonne im Liegen zugewandt, werfen ihre Schatten nach hinten, was ich persönlich bezeugen kann, seit ich mich einmal mit der Sonne im Gesicht an solche herangeschlichen habe, damals im vorpubertären Knabenalter, als in Sachen Erkenntnisgewinn erste Kühnheit in mir erwachte. Diejenigen unter den Lesern, die sich jetzt dabei ertappen, sich den Vorgang in räumlicher Konstellation dreidimensional und winkelgerecht korrekt vorzustellen, dürften höchstwahrscheinlich männlichen Geschlechts sein. Wie es sich schattenmäßig bei Bierbäuchen verhält, habe ich noch nicht untersucht. Nur die allerwenigsten können über ihren Schatten springen, der große Rest braucht unser christliches Erbarmen, eine Eigenschaft, die sich mit dem Verschwinden ihres religiösen Ursprungs mehr und mehr verliert. Sich bei ausgeschaltetem Licht im schwärzesten Schatten zu begatten war früher die häufigste Kopulationsform. Der Evolution ist allerdings kein Vorwurf zu machen, denn gar kein Schatten wäre natürlich auch keine Lösung. Man stelle sich eine Welt ohne Schattenspender vor, ohne große Kastanienbäume, ohne eine Deckadresse auf den Kaiman Islands. Der Imperativ, wonach der Letzte stets das Licht auszumachen hat, hat vermutlich nichts mit Stromersparnis zu tun, sondern ist durch den Drang nach dem absoluten Schatten motiviert. Die Schattierung wiederum stellt einen Sonderfall dar, den hauptsächlich die Maler und Zeichner hervorgebracht haben. Der geplagte Kunststudent quält sich damit durch mehrere Semester.

Die Seinsweise des Schattens bei Kant ist problematisch. Einerseits kann er nicht einfach als „Ding“ gelten, andererseits hat er doch eine gewisse Realität, die macht, dass er angeschaut werden kann. Kant definiert den Schatten als „leeren Gegenstand eines Begriffs“. Wie kann aber ein Gegenstand „leer“ genannt werden und trotzdem Gegenstand bleiben? Warum soll der Schatten als Beispiel eines solchen „leeren Gegenstandes“ gelten? In einem zweiten Beispiel seiner vorkritischen Schrift „Versuch den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen“ hatte Kant über die Kälte geschrieben, dass sie als negative Größe angesehen werden kann, nämlich als „negative Wärme“. Kann man dementsprechend den Schatten als negative Größe, als „negatives Licht“ deuten? Der Schatten der Ungereimtheit schwebt also schon über den Anfängen des transzendentalen Idealismus als philosophischer Pleitegeier.

Ein kluges englisches Sprichwort kritisiert die kühne Behauptung, wonach im Universum nichts so schnell sei wie das Licht. Dabei würde die Geschwindigkeit des Schattens glatt übersehen.

Im Internet gar will uns ein Lehrbuch der Technik des Beschattens gar etwas vom rasanten Fortschritt bei Jalousien und Markisen weismachen. Wenn diese Einseitigkeit keine Beleidigung Erich Mielkes ist.

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