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7.

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Mit dem Weg veränderte sich auch die Landschaft. Nach der Autobahn dominierten zunächst noch größere Städte mit Industrieanlagen, Einkaufparks und Autohändlern an den Stadträndern und langen Geschäftszeilen im Zentrum. Hohe Wohnhäuser prägten die Stadtbilder, die typischen Bauten der Genossenschaften, umrahmt von Wohnsiedlungen mit Einfamilienhäusern.

Seit Radek auf die Bundesstraße abgefahren war, verfolgten ihn großflächige Werbeplakate mit lachenden und vergnügten Menschen. Wanderer in grünen Bergwelten, einmal dynamisch über einen Bach setzend, ein andermal rastend und voller Ehrfurcht die Landschaft bewundernd und alles versehen mit dem in leuchtendem Gelb gehaltenen Titel »Wanderbares Niederösterreich«.

Dann wurden die Ortschaften kleiner, die Häuser niedriger. Die Berge rückten näher an die Straße, gewannen an Höhe und zeigten sich dicht bewaldet. Anstelle der Industrieanlagen waren nun holzverarbeitende Betriebe zu sehen. Sägewerke mit weit ausladenden Holzplätzen oder Zimmereien und Tischler. Die Lokale verloren ihren mondänen Charakter, waren nicht mehr Restaurants, sondern Gasthäuser, nicht mehr Cafés, sondern Konditoreien. Die Werbetafeln wurden spezifischer. Nicht mehr das ganze Bundesland wurde angepriesen. Die regionalen Ausflugsziele gewannen an Bedeutung. »Erlebniswelt Ötschergräben« konnte er auf einer Tafel lesen und wenige Kilometer weiter: »Ski- und Wanderparadies Hochkar«.

Die Straße zog sich in sanften und langen Kurven durch das Tal, folgte dabei dem Lauf eines Flusses und querte ihn immer wieder, sodass er einmal zu Radeks Linken floss und wenig später zu seiner Rechten.

Der Altweibersommer zeigte sich von seiner schönsten Seite, schenkte den Menschen noch einige Tage sommerlicher Wärme und ließ die Wälder in zarten Rottönen, in Gelb und Ocker leuchten.

Als er die Hinweistafel mit der Aufschrift »Wanderarena Schandau« sah, wusste Radek, dass er am Ziel war. Aber das hätte er auch ohne diese Hilfe bemerkt, denn das Erste, was ihm auffiel, war eine Burg, die linker Hand auf einer felsigen Anhöhe über dem Ort thronte wie der düstere Wächter eines Feldlagers. Die Burg selbst schien nicht allzu groß, keine stattliche Festung. Die Anlage wurde von einem gedrungenen, jedoch mächtig wirkenden Bergfried dominiert, der ihr einen bedrohlichen Charakter verlieh, flankiert von schroffen, hoch aufragenden Mauern mit Wehrgängen, schnörkellos, ohne Türmchen oder Erker.

Am Fuße der Burg präsentierte sich Schandau wie erwartet als ein kleiner, überschaubarer Ort. Die Hauptstraße führte zum Zentrum. Der Hauptplatz war ein längliches Oval, mit einer Grünfläche und drei großen Laubbäumen in der Mitte. Darunter standen mehrere Sitzbänke. Am hinteren Ende beherrschte eine gotische Kirche den Platz, an der breitesten Seite stand ein massiges Rathaus.

Rundum fädelten sich Geschäfte auf, ein Wirtshaus, eine Bäckerei, eine Tabak-Trafik, eine Papier- und Schreibwarenhandlung, eine Konditorei, ein Friseur, ein Kaufhaus und ein weiteres Wirtshaus.

Einige der Häuser machten den Eindruck, als wären sie ebenfalls Überbleibsel aus der gotischen Hochblüte oder der frühen Neuzeit, jedenfalls schienen sie sorgsam restauriert worden zu sein und bildeten ein traditionelles Ensemble mit altmodischem Charme. Neuere Gebäude fügten sich perfekt in die Gebäudefront.

Radek gefiel die altmodische Bescheidenheit, die von diesem Hauptplatz ausging. Es kam ihm vor, als sei die Zeit stehen geblieben, sogar die Aufschrift »Kaufhaus« schien aus vergangenen Jahrzehnten in die Gegenwart gerettet worden zu sein. Es überraschte ihn, dass sich hier bisher keine Lebensmittelketten oder Drogeriemärkte angesiedelt hatten. Vielleicht war der mögliche Kundenkreis zu klein für die großen Konzerne.

Ein idyllisches Plätzchen am Ende der Welt, dachte Radek. Das war ein Ort für gestresste Manager, um ein paar Tage abzuschalten und zu verhindern, dass sie ins Burn-out kippten. Oder für Schriftsteller, die eine ruhige Ecke suchten, um ihren nächsten Roman zu schreiben. Aber sicher nicht, um hier zu leben. Und schon gar nicht, um hier als Jugendliche aufzuwachsen. Er verstand plötzlich, dass Bernadette abgehauen war, um in der Stadt einen draufzumachen.

Er bezweifelte, ob er hier überhaupt Empfang für sein Handy hatte.

Das Gasthaus »Falk«, in dem Radek ein Zimmer reserviert hatte, befand sich schräg gegenüber der Kirche. Er parkte neben dem Haus.

Vor dem Lokal befand sich eine große Terrasse mit Tischen, Stühlen und aufgespannten Sonnenschirmen. Drei junge Männer saßen an einem Tisch, unterbrachen ihr Gespräch, als Radek die Treppe hochstieg, und beobachteten ihn schweigend, als er in das Lokal ging. Dann stand er in einem Gang, an dessen Ende eine Treppe hochführte, links eine Tür mit der Aufschrift »Gaststube«, rechts eine zweite mit dem Schild »Speisesaal«.

Er ging in die Gaststube, ein langer Raum, der sich um die Ecke zog, im Stil der 80er-Jahre mit viel Holz an Decke und Wänden eingerichtet. Gleich rechts neben der Tür war ein großer Ausschank, der erste Teil als Rezeption gestaltet, mit einem Schlüsselboard und Postfächern sowie einer Art Schreibtisch mit Computer. Ein Mann saß davor, blickte kurz auf, als er Radek bemerkte, erhob sich und begrüßte ihn freundlich.

»Ich habe ein Zimmer reserviert«, sagte Radek und nannte seinen Namen.

Der Mann reichte ihm die Hand und stellte sich als Herr Falk, der Wirt, vor. Er war Anfang 40, untersetzt. Mit seiner Trachtenweste, der Lesebrille auf der Nase und dem schütteren Haar machte er den Eindruck eines gemütlichen und umgänglichen Landbewohners, der fernab von Stress und Hektik ein beschauliches Dasein fristete.

Wie ein Klischeebild aus dem Prospekt des örtlichen Tourismusverbands, dachte Radek.

Falk gab ihm einen Schlüssel. »Zimmer 105, im ersten Stock«, erklärte er. Dann reichte er ihm den Block mit dem Meldeformular über den Tresen. »Vielleicht können wir die Formalitäten gleich erledigen«, sagte er. »Wie lange wollen Sie bleiben?«

»Ich weiß noch nicht, aber ich denke, mindestens bis Dienstag. Möglicherweise auch noch ein paar Tage länger.«

Der Wirt zuckte mit den Schultern. »Kein Problem, lassen Sie das Feld für die Abreise frei und bleiben Sie, solange Sie wollen.«

»Nicht viel los in der Nachsaison?«, fragte Radek.

»Das ist unterschiedlich. Hängt vom Wetter ab. Momentan ist es ein bisschen ruhiger. Im Sommer allerdings waren wir gut belegt.«

Radek begann das Meldeformular auszufüllen. »Ich nehme an, Ihre Gäste sind Wanderer und Städter auf Sommerfrische?«

»Da nehmen Sie richtig an. Sie sind aus Wien?«

Der spöttisch-verächtliche Tonfall in der Stimme des Wirtes entging Radek nicht. »Aus Niederösterreich. Sankt Pölten«, erklärte er.

»Ja, nett«, sagte Falk. »Kenn ich. Da gehen viele von uns hin. Oder nach Wien. Es ist hier ein großes Problem, dass die Jungen lieber in die Stadt ziehen, weil es dort die besseren Jobs gibt. Den Jungen ist das Dorf nichts mehr wert.«

»Schade. Die Gegend ist wunderbar.«

»Zum Wandern schon«, sagte der Wirt bitter. »Aber nicht zum Arbeiten.«

Falk wirkte immer verdrießlicher, daher wollte Radek dieses Thema nicht länger strapazieren. »Haben Sie eine Empfehlung, welche Wanderungen lohnenswert sind?«, fragte er.

»Sicher.« Falk suchte aus einem Ständer unter dem Schlüsselboard eine Broschüre und schob sie Radek über das Pult.

»Wenn Sie sich die Gegend ansehen wollen, finden Sie hier drinnen bestimmt die richtige Wandertour dafür.«

Radek blätterte in der Broschüre, auf deren Titelseite ein großes Logo des Tourismusvereins Schandau prangte und die eine Kombination von Fremden- und Wanderführer war. »Danke«, sagte er. »Ist die Burg Rotenstein eigentlich zu besichtigen?« Er fragte es beiläufig, obwohl er aus dem Internet wusste, dass es dort keinen Zutritt gab. Aber möglicherweise wurde es vor Ort anders gehandhabt, er wollte sich diesbezüglich noch einmal erkundigen.

Der Wirt wurde hellhörig und warf ihm einen misstrauischen Blick zu, als wäre es verboten, über die Burg zu sprechen. Schon einen Moment später entspannte sich seine Miene wieder, als schien es ihn nichts anzugehen, und er antwortete in gleichmütigem Ton: »Nein, eine Besichtigung ist nicht möglich. Die Burg ist bewohnt und der Herr Baron wünscht das nicht.«

Damit war für ihn die Sache erledigt. Er drehte sich um, begann den Spüler für die Gläser auszuräumen und nahm von Radek keine Notiz mehr, als hätte sich sein Gast in Luft aufgelöst.

Der Herr Baron wünscht das nicht, dachte Radek. Offensichtlich wollte er nicht gestört werden. Und offensichtlich funktionierten hier in der tiefsten Provinz die Untertänigkeit der vergangenen Jahrhunderte und die Autoritätshörigkeit des alten Österreichs noch immer problemlos, hatten sich vererbt und fortgesetzt bis ins digitale Zeitalter. Die Leute kommunizierten zwar mit ihren Smartphones rund um die Welt und buchten über das Internet Abenteuerurlaube in Kanada, aber wenn der Herr Baron seine Ruhe haben wollte, dann waren alle ganz artig und folgsam.

Radek füllte das Meldeformular fertig aus. Als er im Feld mit dem Beruf angelangt war, überlegte er einen Moment, ob er Polizist angeben sollte, entschied sich jedoch dagegen und schrieb »Beamter«.

Radek nahm den Schlüssel. »Im ersten Stock, sagten Sie, ist das Zimmer?«

»Ja, erster Stock links.« Der Wirt bestätigte das, ohne sich umzudrehen oder seine Tätigkeit zu unterbrechen. »Frühstück von 7.30 Uhr bis 11 Uhr im Speisesaal.«

Den hatte Radek beim Hereinkommen auf der anderen Seite des Gangs gesehen. Er holte seine Reisetasche aus dem Auto und ging hinauf in sein Zimmer. Das war so einfach, aber gemütlich, wie er es aus anderen Gasthäusern auf dem Land kannte. Ein kleiner Vorraum, Kasten, Bad und WC, Tisch mit zwei Stühlen, eine Ablage für die Reisetasche, ein Fernseher mit Museumsreife. Auf dem Balkon ein alter Gartensessel und ein kleiner Blechtisch mit einem Aschenbecher.

Radek richtete sich im Zimmer ein, räumte seine Tasche aus, und als er sein Gewand im Kasten verstaut hatte, ging er wieder nach unten. Er setzte sich auf die Terrasse vor dem Gasthaus und bestellte eine Tasse Kaffee. Die Gäste von vorhin waren mittlerweile gegangen. Er genoss den warmen Herbstnachmittag. Auf dem Hauptplatz waren keine Leute unterwegs. Es war kurz nach 14 Uhr und die Geschäfte hatten bereits geschlossen.

Nachdem er seinen Kaffee getrunken hatte, entschied er sich, spazieren zu gehen. Er zog im Zimmer seine Wanderschuhe an und machte sich auf den Weg. Wie magisch zog es ihn hinauf zur Burg Rotenstein. Lag es daran, dass er sich durch das geplante Studium beinahe als Historiker fühlte und die geschichtlichen Orte ganz automatisch seine Aufmerksamkeit erregten und einen unwiderstehlichen Reiz entwickelten?

Er stieg die Zufahrtsstraße hoch. Oben, hinter der Burg, vom Dorf aus nicht zu sehen, befand sich ein großer Parkplatz, von niedrigen Hecken umgeben und mit Bäumen bewachsen. Am Ende des Parkplatzes sah er eine Garage und ein Wirtschaftsgebäude. Auf dem Parkplatz standen mehrere Autos.

Hinter der Burg führte eine Wiese zunächst flach und dann etwas ansteigend hinauf zum Waldrand. Ein Teil der Wiese, nahe den Gebäuden, war als Koppel abgezäunt, Radek sah dort zwei Pferde grasen. Ein idyllisches Fleckchen.

Die Burg überragte die Landschaft, und der mächtige viereckige Bergfried, der Radek schon aufgefallen war, als er in die Ortschaft kam, klotzte vor ihm wie ein unüberwindbares Hindernis. Die Burg war auf einem Felsmassiv aus rötlichem Stein erbaut. Jetzt wusste er auch, woher sie ihren Namen hatte.

Bevor sich Radek weiter der Betrachtung des gewaltigen Bauwerks hingeben konnte, stand plötzlich ein Mann vor ihm. Schwarzes Hemd, Jeans, ein dunkles Sakko. Groß, kräftig gebaut, kurz geschorenes Haar. Er trug einen Ohrhörer, ein Spiralkabel führte unter sein Jackett.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Mann bestimmt, aber nicht unhöflich. »Das hier ist ein Privatgrund.«

Radek war überrascht. Der Typ sah aus wie ein Bodyguard oder der Türsteher einer Diskothek in der Großstadt und passte überhaupt nicht in diese Gegend.

»Ich wollte mir die Burg ansehen«, sagte Radek wahrheitsgemäß, dennoch alarmiert. »Und ich dachte, es gibt einen Weg rundherum.« Er machte auf naiven Touristen, das konnte nie schaden.

»Nein, es gibt keinen Weg um die Burg. Die Burg ist bewohnt und Privatbesitz. Der Herr Baron wünscht nicht, dass sich Leute hier herumtreiben.«

Aha, wieder der Herr Baron, der was nicht wünscht, dachte Radek.

»Sie müssen zurück ins Dorf. Von dort haben Sie mehrere Möglichkeiten, um im Wald oder auf den umliegenden Bergen zu wandern«, erklärte ihm der Mann. Er sprach wie mit einem ungezogenen Kind und baute sich vor Radek auf.

Radek war klar, dass der Parkplatzwächter ihn ohne zu zögern mit Gewalt am Weitergehen hindern würde. »Danke für die Auskunft«, sagte er deshalb und warf noch einen Blick auf die Autos. Euer Hochwohlgeboren wünscht gewiss, mit seinen Gästen ungestört zu sein, lag ihm auf der Zunge. Aber er schluckte die Bemerkung hinunter, weil er den Großen nicht unnötig provozieren wollte. Er machte brav kehrt, ging die Straße zurück ins Dorf und suchte sich von dort einen Wanderweg in den Wald.

Finsterdorf

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