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17.

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Holzbau Lenkstein umfasste ein riesiges Areal am Ortsrand von Schandau. Im mittleren Bereich des Firmengeländes stand ein einstöckiges Büro- und Verwaltungsgebäude, rechts davon waren Garagen und die Werkstätten des Holzverarbeitungsbetriebs, im linken Teil befand sich das Sägewerk. Radek konnte die Holzplätze für Rund- und Schnittholz sehen, zwei große Sägehallen und mehrere Werkstätten.

»Das ist ja ein Riesending«, sagte Radek, als sie den Wagen auf dem Parkplatz abstellten. Seine Überraschung war echt. Bei der Fahrt nach Schandau war er an einigen ähnlichen Betrieben vorbeigekommen, aber keiner hatte über eine vergleichbare Größe verfügt.

»Ja, Lenkstein ist das größte Unternehmen hier in der Region. Ein Wirtschaftsmotor«, erklärte Steiger. »Ich glaub, das halbe Dorf ist bei ihm beschäftigt.«

Im Eingangsbereich war eine Art Empfangshalle eingerichtet, in der mehrere Bürokräfte arbeiteten. Eine der Sekretärinnen erhob sich und kam zu ihnen, mit einem Ausdruck in den Augen, als hätten sich die Ankömmlinge in der Tür geirrt. Vielleicht war es auch die Uniform von Steiger, die sie verwundert wirken ließ.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie freundlich.

»Wir hätten gerne Ihren Chef, Herrn Lenkstein, gesprochen.« Radek hielt es für ratsam, zunächst den Chef zu kontaktieren, bevor er mit Veronika Schächter sprach.

»Herr Lenkstein ist momentan bei einem Termin außer Haus«, entgegnete die Sekretärin. »In welcher Angelegenheit wollen Sie den Herrn Baron sprechen? Vielleicht kann Ihnen jemand anderer weiterhelfen.«

»Wir würden gerne mit Frau Veronika Schächter reden«, kam Radek zum eigentlichen Grund ihres Kommens.

»Ah, ich verstehe. Hat sie etwas angestellt?« Die Frage klang ironisch und die Sekretärin musterte Steiger misstrauisch.

»Nein, da kann ich Sie beruhigen«, antwortete Steiger. »Wir wollen ihr nur einige Fragen stellen. Als Zeugin.«

»Ich verstehe«, wiederholte die Sekretärin distanziert. »Da muss ich kurz nachfragen.«

Sie ging an ihren Arbeitsplatz zurück und telefonierte. Sie erklärte zunächst das Anliegen der beiden Polizisten und hörte dann ihrem Gesprächspartner aufmerksam zu. Radek konnte sich nicht erschließen, was tatsächlich gesprochen wurde, denn außer einigen Jas sagte die Sekretärin kein Wort. Allerdings musterte sie die Polizisten streng.

»Ja, kein Problem«, sagte sie anschließend zu Steiger und Radek. »Wenn Sie mit Frau Schächter sprechen wollen, können Sie das oben im Besprechungszimmer tun. Allerdings wünscht der Herr Baron, dass Sie ihn über die Gründe und den Verlauf des Gesprächs informieren. Er ersucht Sie, sich morgen bei ihm vorzustellen.«

Sie klickte an ihrem Computer herum. »Würde Ihnen 14 Uhr passen?«

Steiger blickte Radek fragend an. »Ich hab morgen frei, das wirst du alleine machen müssen.«

»Ja, das geht in Ordnung«, antwortete Radek.

»Der Herr Baron erwartet Sie dann auf seiner Burg.«

»Auf der Burg?«, fragte Radek ungläubig.

»Ja. Einfach hinauffahren und beim Tor läuten.« Die Sekretärin winkte einem jungen Mädchen, wahrscheinlich ein Lehrling. »Conny, kannst du die Herrschaften bitte ins Besprechungszimmer führen?« Und zu den Polizisten gewandt: »Ich schicke Ihnen Fräulein Schächter hinauf.« Schon griff sie zum Telefon und wählte eine Nummer.

Das Besprechungszimmer war unerwartet groß, in der Mitte standen mehrere zusammengeschobene Tische. Radek zählte 20 Stühle, die rundum aufgestellt waren. Er hätte nicht vermutet, dass Holzbau Lenkstein derart große Meetings durchführte.

Ihre Begleiterin ließ sie alleine zurück und sie warteten, bis Veronika Schächter auftauchte. Nach einer kurzen Begrüßung setzten sie sich an eine Ecke des Besprechungstisches.

Schächter trug das typische Outfit eines Goths. Schwarze Kleidung, schwarzes, kurz geschnittenes Haar, dunkler Lidschatten, mehrere Piercings im Gesicht und ein schwarzer Lippenstift. An den Ohren hingen zwei verkehrte Kreuze. Das bemerkte Radek, weil sie ihm als satanistische Symbole sofort ins Auge stachen. Trotzdem wirkte die Frau hübsch. Groß, schlank, Anfang 20. Sie trug Jeans und ein hautenges ärmelloses Top – beides in Schwarz.

Radek war überrascht, denn er hätte alles andere erwartet als eine junge Frau, die mit ihrem Aussehen so auffallend gegen die Konventionen ihrer ländlichen Umgebung verstieß. Dass sie dies tat, daran zweifelte er keinen Moment.

Auch Schächter musterte die Polizisten aufmerksam. Als sie bemerkte, wie die beiden ihr Erscheinungsbild betrachteten, nahm ihr Blick einen verächtlichen Ausdruck an. Spießer wie die im Dorf, dachte sie. Kaum läuft man nicht in Lederhose, Lodenjanker oder Dirndl herum, wird man schief angesehen. »Was wollen Sie von mir?«, fragte sie und machte sich keine Mühe, ihre Feindseligkeit zu verbergen.

»Wir würden gerne mit Ihnen über Bernadette Lindner reden.«

Ihre Miene wurde noch abweisender. »Und was wollen Sie wissen?«

»Sie sind mit Bernadette Lindner befreundet?«

»Ich nehme an, deswegen sind Sie hier.«

Radek überging ihren Sarkasmus. »An jenem Abend, an dem Bernadette verschwunden ist, waren Sie mit ihr im Gasthaus ›Falk‹. Können Sie mir erzählen, was an diesem Abend passiert ist?«

»Nichts Großartiges. Wir sind gegen 20 Uhr zum ›Falk‹ und haben dort einige Freunde getroffen. Die sind aber früher gegangen, weil sie nach Scheibbs fahren wollten. Wir sind etwa bis Mitternacht sitzen geblieben.«

»Haben Sie das Lokal gemeinsam verlassen?«, fragte Radek, obwohl er die Antwort kannte.

»Nein. Bernadette ist allein gegangen, weil ich an der Theke von einem Freund aufgehalten und auf ein Glas Wein eingeladen wurde.«

»Und da haben Sie sich getrennt.«

»Genau. Wir haben uns verabschiedet. Bernadette sagte, sie müsse am nächsten Tag arbeiten, und ist gegangen. Ich bin noch ungefähr eine halbe Stunde geblieben und dann ebenfalls nach Hause abgerauscht.«

»Hat Bernadette eine Andeutung gemacht, dass sie weglaufen wollte?«

»Nein.«

»Hat sie an diesem Abend komisch gewirkt, ist Ihnen etwas an ihrem Verhalten seltsam vorgekommen, etwas, das nicht zum gewohnten Bild passte?«

»Nein«, antwortete Schächter, ohne nachzudenken.

Warum ist sie sich dessen so sicher, fragte sich Radek. Warum nahm sie sich nicht einen Moment lang Zeit, den Abend in Gedanken durchzugehen, bevor sie antwortete? »Bernadettes Verschwinden war demnach auch für Sie überraschend?«

»Ja.«

»Wann haben Sie erfahren, dass sie weg ist?«

»Als mich ihre Mutter am nächsten Nachmittag angerufen hat.«

»Was haben Sie sich dann gedacht?«

»Nichts.« Schächter blickte ihr Gegenüber unverwandt an.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Was hätte ich mir denken sollen? Sie ist abgehauen. Wahrscheinlich in die Stadt, um Party zu machen. Das ist nicht schlimm. Hab ich auch schon getan.« Sie zuckte mit den Schultern, als wäre es das Selbstverständlichste, dass ein junges Mädchen eine Woche lang spurlos verschwindet.

»Waren Sie nicht besorgt, als Sie tagelang nichts von ihr hörten?«

»Nein, natürlich nicht. Warum?«

»Sie ist Ihre Freundin«, mischte sich Steiger ins Gespräch, ihre Empörung war deutlich zu hören.

Schächter strafte sie mit einem abfälligen Blick. »Ja, klar ist sie das. Aber Bernadette ist kein kleines Kind mehr. Sie wird schon wissen, was sie tut.«

»Hatten Sie in der Zeit, in der Bernadette verschwunden war, Kontakt zu ihr? Telefonisch oder per SMS oder per E-Mail?«

»Nein.«

»Haben Sie sie angerufen?«

»Nein.«

Radek merkte den deutlichen Unwillen, mit dem die junge Frau seine Fragen beantwortete. Und einmal mehr wurde ihm klar, dass es keinen Sinn hatte, weiterzubohren. Ja, nein, weiß nicht – das waren keine brauchbaren Auskünfte.

»Haben Sie Bernadette gesehen, seit sie wieder da ist?«

»Ich habe sie ein Mal besucht.«

»Was hatten Sie für einen Eindruck?«

»Sie ist ein bisschen durch den Wind, aber sonst geht es ihr gut.«

Radek glaubte, sich verhört zu haben. Er bemerkte, dass auch Steiger durchatmete, doch bevor sie einen Kommentar abgeben konnte, fragte er Schächter: »Überrascht Sie das nicht? Also dass Ihre Freundin durch den Wind ist, meine ich.«

»Nein, vielleicht hat sie das falsche Zeug geraucht oder zu viel Ecstasy eingeworfen. Das gibt sich wieder.«

Die Kaltblütigkeit, mit der Schächter über ihre angebliche Freundin sprach, verblüffte Radek. Daher konnte er sich eine andere Frage nicht verkneifen: »Haben Sie schon öfters Drogen genommen?«

Veronika Schächter überlegte einen Augenblick, dann lächelte sie ihn an. »Natürlich nicht, was denken Sie. Das ist verboten. Und ich bin ein braves Mädchen.«

»Ich habe nichts anderes erwartet.« Radek lächelte ebenfalls, aber da steckte keine Freundlichkeit dahinter.

»Fällt Ihnen sonst noch etwas ein, das für uns interessant sein könnte?«, fragte er die junge Frau, und auch diesmal wusste er die Antwort bereits im Vorhinein.

»Nein«, sagte sie, ohne eine Sekunde zu zögern.

Finsterdorf

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