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(4) Heilende Erfahrungen bei Amma
ОглавлениеKomm in meine Arme
Die Ahnenarbeit bewirkt viel in mir. Begleitet werde ich ab 2000 von einem alternativen Heilpraktiker, der mir mit geeigneten Substanzen, mit Homöopathie, mit Aura-Soma-Flaschen, Bachblüten und mit Akupunkturnadeln dabei hilft, dass sowohl der Körperschmerz endgültig verschwindet, als auch meine Psyche diesen fundamentalen Weg nach innen, diese Innenschau, gut bewältigt. Er widerspricht der gängigen Ansicht vieler Orthopäden, dass ein einmal lädierter Knieknorpel nie mehr heilen könne.
Durch diesen intensiven Prozess geht mein Herz immer weiter auf – für die Verstorbenen, in meinen alltäglichen Beziehungen, vor allem aber zu mir selbst. Es ist daher kein Wunder, dass ich sofort neugierig werde, als mir der Heilpraktiker eines Tages von „Amma“ erzählt. Sie ist eine indische spirituelle Lehrerin und Heilerin, die alle Jahre auf Weltreise geht und auch nach München kommt. Ihr Markenzeichen ist es, alle Besucher zu umarmen und an ihr Herz zu drücken.
Sie initiiert große Sozialprojekte für alleinstehende Frauen in Indien, gilt weltweit, vor allem jedoch in ihrem eigenen Land, als Frauenrechtlerin und ist die vierte Preisträgerin des alljährlich von der UNO initiierten „Gandhi-King-Awards“.7 Sofort rufe ich: „Führen Sie mich zu Amma!“ Ja, ich möchte diese ungewöhnliche Frau, die von vielen Indern, aber auch von Anhängern in aller Welt wie eine Heilige verehrt wird, selbst kennenlernen. Doch ich muss mich noch einige Monate gedulden. Erst im Oktober wird sie wieder nach München kommen. Zehn Jahre lang werde ich ab 2000 die Veranstaltungen von Amma besuchen, wenn sie während ihrer Europa-Tour in München weilt.
München, Zenithalle, ein Wochenende im Oktober 2005. Amma ist wieder da. Ihr eigentlicher Name lautet Mata Amritanandamayi. Amma ist im Grunde ein Kosename und bedeutet in der indischen Kindersprache „Mama“. Er möchte Vertrautheit und Nähe zu den Menschen ausdrücken. Amma selbst hat keine eigenen Kinder, wird aber von manchen ihrer Anhänger wie das Symbol der weiblichen Seite des Göttlichen, als „göttliche Mutter“, verehrt. Sie selbst sagt immer wieder, dass Hindus Hindus und Christen Christen bleiben sollen. Ihr gehe es allein um die Vermittlung der einen universellen göttlichen Liebe, nicht um dogmatische Wahrheiten in den Lehren der großen Religionen. Sie versteht ihre Mission ganz praktisch: Sie möchte diese göttliche Liebe fühlbar zu allen Menschen bringen, die dafür offen sind.
Durch ihre im Hinduismus eher unüblichen Umarmungen will sie den Menschen – wie eine echte Mutter ihrem Kind – das Göttlich-Mütterliche, den mütterlichen Aspekt Gottes, vermitteln. Nach ihrer Meinung besteht das Mütterliche, das in Männern und Frauen gleichermaßen vorhanden ist, in Mitgefühl und Liebe allen Kreaturen gegenüber. Darum engagiert sich Amma in Indien auch für einen nachhaltigen Umweltschutz. Über 25 Millionen Menschen hat diese kleine Frau in den vergangenen zwanzig Jahren bei all den Treffen in Indien, in den USA und in Europa schon an ihre Brust, an ihr Herz, gedrückt. Damit will sie die Menschen die göttliche Liebe in sich selbst spüren lassen, Zugang zu ihrem Inneren herstellen und sie dazu motivieren, Liebe an andere weiterzugeben. Einige christliche Anhänger haben daher schon etwas augenzwinkernd die Frage aufgeworfen, ob Amma womöglich eine Art Wiedergeburt Christi darstellen könnte, diesmal aber in weiblicher Gestalt. Denn ihre Botschaft ist auch zutiefst im Sinne von Jesus. Deepak Chopra sagt über sie: „Amma … ist eine außergewöhnliche Frau, deren einfache Botschaft von Liebe und Mitgefühl zahllose Leben gewandelt und Licht in die Welt gebracht hat. Amma ist die Verkörperung reiner Liebe. Ihre Gegenwart heilt“.8
Freitag Abend. Das Programm beginnt um 19.30 Uhr. Die ganze Veranstaltung ist kostenlos. Etwa fünftausend Menschen haben auf Stühlen oder auf Decken am Boden im vorderen Bereich der Halle Platz genommen. Es herrscht eine gelöste, freudige Stimmung. Amma sitzt auf dem Bühnenboden, umringt von etwa zehn Männern und Frauen – ihren Begleitern aus Indien –, einer großen Musikgruppe und von vielen Kindern. Sie fühlen sich in Ammas Nähe anscheinend sehr wohl und sind bei Amma besonders willkommen. In der südindischen Muttersprache Malayalam, die in ihrem Bundesstaat Kerala verwendet wird, versucht Amma eindringlich, ihre Botschaft zu verkünden: dass vor Gott Männer und Frauen gleichwertig seien, dass Gott alle seine Wesen liebt, dass wir Menschen ebenfalls unsere Herzen öffnen sollen für die Not der leidenden Kreatur. Es ist eine einfache und klare Botschaft. Eine ältere Dame übersetzt abschnittsweise ins Deutsche. Nach etwa einer Dreiviertelstunde beginnt das Singen: einfache mantraartige Weisen, die zuerst von den indischen Sängern und von Amma vor- und dann von allen nachgesungen werden. Eineinhalb Stunden geht das so. Nach einem kurzen abschließenden Feuerritual setzt sich Amma auf einen Sessel vor die Bühne und der sogenannte „Darshan“ beginnt – die persönliche Begegnung Ammas mit den Menschen.
Schon vor Beginn der Veranstaltung haben alle Besucher, die zu Amma persönlich kommen wollen, eine Nummer gezogen. Diese Zahlen werden auf großen Tafeln jeweils in Hunderterschritten angezeigt, so dass man sich rechtzeitig auf die Begegnung mit der „Meisterin“ vorbereiten und einstimmen kann. Amma umarmt etwa 300 bis 400 Menschen pro Stunde, die sich ihr auf den Knien nähern und so etwa auf Augenhöhe mit der sitzenden Amma sind. In dieser Nacht kommen über 5000 Menschen zu ihr, sie sitzt von 22.00 Uhr abends bis um ca. 12.30 Uhr des nächsten Tages auf ihrem Stuhl, mehr als 14 Stunden also, während oben auf der Bühne die Musikgruppe intensiv weiter spielt und singt. Niemand wird abgewiesen. Amma erhebt sich am Mittag des nächsten Tages erst, als wirklich alle dran gekommen sind und sich die lange Schlange vor ihr endlich aufgelöst hat.
Ich selbst habe an diesem Tag Glück gehabt. Denn an jedem Tag werden vor Beginn der Veranstaltung fünfzig Lose ausgegeben, eine Mitarbeiterin im Tross von Amma zieht dann nach dem Ende des offiziellen Programms davon fünfzehn Nummern. Diese ausgewählten Personen dürfen sich Amma seitlich nähern und ihr eine persönliche Frage stellen, während sie gleichzeitig mit ihren Umarmungen fortfährt. Etwa zehn Helfer sind beim Darshan nötig, damit alles reibungslos ablaufen kann. Sie sprechen mit den Menschen, bevor diese sich in die Reihe begeben, sie teilen Taschentücher aus, damit sich jeder vor dem körperlichen Kontakt mit Amma den Schweiß von der Stirn wischen kann. Brillen müssen abgeben werden, damit sie nicht bei der kräftigen Umarmung durch Amma zerdrückt werden. Zwei eher zackige junge Inderinnen schieben die Personen, die in der Reihe ganz vorne angekommen sind, hin zu Amma und ziehen sie dann nach etwa zehn oder zwanzig Sekunden wieder weg, damit die Nächsten zur Umarmung kommen können.
Nach etwa einer Stunde darf ich von der Seite her zum Stuhl von Amma vorrücken und meine Arme sogar auf die Stuhllehnen stützen. Ich bin jetzt weniger als 30 Zentimeter von Amma entfernt, bin ihr somit sehr, sehr nahe. Anscheinend ist dies von Amma so gewünscht und beabsichtigt. Sie lächelt mir kurz zu, während sie mit ihren Umarmungen fortfährt. Ich bringe einer deutschen Helferin mein Anliegen vor: nämlich, dass ich Knieprobleme habe. Die jahrelangen Dauerschmerzen seien zwar weg, aber ich könne leider überhaupt keinen Sport und keine Outdoor-Aktivität mehr machen, was mir unendlich schwerfällt und mein Leben sehr einschränkt. Denn ich bin so gerne in der Natur, möchte wieder wandern und vielleicht sogar kleinere Berge besteigen können. Seit 1994, also seit mehr als zehn Jahren, ist dies jedoch gänzlich unmöglich. Eine kleine Verkantung, ein falscher Tritt und schon werden wieder Knieschmerzen ausgelöst.
Die Frau übersetzt meinen Wunsch einem neben Amma stehenden etwa 50-jährigen Swami,9 einem Mitglied ihres Ashrams in Indien, der seit fast 20 Jahren mit ihr unterwegs auf Reisen ist. Im Gegensatz zu Amma versteht er gut Englisch. In den sehr kurzen Pausen, während eine Person weggezogen wird und eine andere auf Knien direkt vor Amma hinrutscht, teilt der Inder von der Seite her Amma mein Anliegen mit: meinen Wunsch, wieder freier gehen zu können. Ich erhoffe mir, dass Amma mir irgendwie helfen und mir womöglich sogar die Ursachen für die Knieblockaden nennen kann. Wieder sieht mich Amma an, diesmal voll Mitgefühl. Dieser Blick geht mir tief ins Herz und ich beginne zu weinen, ich kann gar nicht anders. Ich weiß aber gar nicht, warum ich weinen muss. Womöglich liegt es daran, dass ich mich instinktiv von Amma durchschaut, gesehen, angenommen und verstanden fühle.
Seltsamerweise bekomme ich keine Antwort. Ich darf jedoch direkt neben Amma knien bleiben. Und nun sehe ich ihr Tun aus einer ganz anderen Perspektive. Denn wenn ich wie am Tag zuvor, wie hunderte anderer Menschen auch, von vorne in der Schlange zu Amma komme, bleiben höchstens 15 Sekunden Zeit. Dabei wurde ich von ihr an ihren Körper gedrückt, konnte sie deshalb gar nicht richtig sehen. Außerdem war ich zu aufgeregt. Und dann war es auch schon wieder vorbei. Jetzt aber ist Zeit, ich kann das ganze Geschehen in aller Ruhe beobachten und auf mich wirken lassen.
Und dieses Geschehen rührt mich im Innersten an. Immer wenn ein Paar zu Amma kommt, drückt sie zuerst jeden einzelnen und sagt zu ihm „my son“ oder „my daughter“. Danach drückt sie das Paar nochmals gemeinsam von links und rechts gleichzeitig an sich. So viele Paare weinen danach. Weil ich dies nun so hautnah mitbekomme, muss auch ich immer wieder weinen. Die Frauen und Männer spüren instinktiv, dass Amma ihre Partnerschaft soeben gesegnet hat. Danach haben viele offensichtlich tiefe Sehnsucht. Meist bekommen sie dann noch – als sehr einfaches und natürliches Zeichen der Ganzheit und Harmonie ihrer Partnerschaft – von Amma einen Apfel geschenkt, den ihr eine Helferin soeben über die Schulter gereicht hat. Eltern, die mit ihren kleinen Kindern kommen, übergeben diese für einen kurzen Moment Amma, die sie ans Herz drückt und sehr liebevoll auf die Stirn küsst. Allen „Besuchern“ gibt Amma nach der Umarmung ein Bonbon und ein angenehm duftendes Rosenblatt. Sie möchte mit diesen kleinen materiellen Dingen ihre Liebe und ihr Mitgefühl symbolisch ausdrücken und ein Andenken an die Begegnung hinterlassen.
Viele Menschen strahlen nach der Begegnung Freude, Erleichterung und Dankbarkeit aus und diese Stimmung überträgt sich immer mehr auf mich selbst. Am meisten berührt mich aber ein über siebzig Jahre alter großer Mann. Obwohl auch er sich wie alle dem Stuhl von Amma auf Knien nähern muss, ist er immer noch einen Kopf größer als sie. Sie zieht ihn zu sich heran. Und er lässt sich von dieser deutlich jüngeren und viel kleineren Frau umarmen wie ein kleines Kind. Danach beginnt dieser große alte Mann hemmungslos zu weinen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Womöglich hat er sein ganzes Leben lang immer nur stark sein und für seine eigene Familie sorgen müssen und durfte als Mann nie solche Gefühle zeigen. Vielleicht hat man privat und im Beruf von ihm erwartet, dass er immer nur den Starken gibt. Das kann ich nur vermuten. Ich kann jedoch unmittelbar beobachten, dass er sich in diesem Augenblick total fallen lässt. Dies löst seinen Tränenstrom aus und wäscht offensichtlich all die Verspannungen, seine innere Not und seine unterdrückten Gefühle heraus.
Dieser Mann könnte mein Vater sein, den ich bis heute nie habe weinen sehen. Ich bekomme einen Stich ins Herz und es berührt in diesem Moment meine Beziehung zu meinem Vater. Denn dieser mir unbekannte Mann erinnert mich sehr an meinen Vater, der auch nie weinen durfte oder konnte. So oft hätte ich mir gewünscht, ihn einmal weinen zu sehen. In diesem Augenblick löst sich in meiner Tiefe eine Spannung. Jetzt weine ich schon wieder. Diesmal weine ich mit dem Mann direkt neben mir, der noch in Ammas Armen liegt, einfach mit und niemand stört sich daran. Alle, die um Amma herumstehen, empfinden dies als völlig normal. Es weinen ja so viele, sobald Amma sie umarmt hat – vor Ergriffenheit, weil ihnen dadurch das Herz aufgeht und weil sie sich endlich von jemandem tief innen verstanden fühlen. Das kann wirklich die Tränen lösen. Dennoch werde ich langsam ungeduldig. Ich möchte ja Hilfe für meine Knie bekommen, vor allem für das linke. Ich möchte konkrete Antworten hören. Es scheint mir so, als ob Amma mich in dem ganzen Umarmungstrubel vergessen hätte, obwohl ich ihr doch so nahe bin. Statt sich um mich zu kümmern, umarmt sie unentwegt andere Menschen. Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf. Ich werde sogar eifersüchtig auf all die anderen Menschen.
Nach etwa einer halben Stunde wendet sich mir Amma plötzlich völlig unvermittelt während eines „Personenwechsels“ zu, schaut mir nochmals tief direkt in die Augen und gibt mir eine kleine Tüte mit von ihr gesegneter Asche. Dann wird mir von dem Swami freundlich aber bestimmt erklärt, dass ich mich nun von Amma entfernen solle, weil die Begegnung beendet sei und Amma sich um mein Problem gekümmert habe. Meine Energieblockaden in den Knien seien karmisch bedingt gewesen, also Blockaden aus früheren Leben. Diese seien jetzt aber aufgelöst worden. Die kommende Woche solle ich dreimal täglich etwas von der Asche mit etwas angefeuchteten Händen auf meine Knie streichen. Amma habe ihm versichert, dass ich nun wieder gehen könne und dass das Problem sich auch körperlich schnell lösen werde. Ich bin sehr erstaunt. Wie soll denn dies plötzlich geschehen, was in den vergangenen zehn Jahren unmöglich war? Amma hat doch gar nichts gemacht. Ich bin ein bisschen enttäuscht und zweifle daran, ob die Begegnung wirklich die ersehnte Heilung gebracht hat.
Von einer Helferin an der Bühne wird mir versichert, dass es eine absolute Gnade gewesen sei, dass ich so lange im unmittelbaren Energiefeld von Amma habe bleiben dürfen. Ich solle mir doch klar machen, dass es nicht um eine rationale, nüchterne Antwort oder um eine bloße Diagnose bezüglich meiner Knie ging, sondern vielmehr darum, dass sich in mir im starken Energiefeld von Amma psychische Blockade lösen konnten, die in Vorleben verursacht worden waren. Ich muss zugeben, dass ich ja immer wieder weinen musste und dass ich von Ammas Mitgefühl, das ich wohl instinktiv erfasst habe, sehr angerührt worden bin. Das wirkt nach. Ich bleibe noch bis zum Ende der Veranstaltung in der Halle, die die ganze Nacht hindurch bis zum Mittag des nächsten Tages von mantraartigen Gesängen und Weisen erfüllt wird. Mehrere Musikgruppen lösen sich ab. Die Besucher, die noch immer da sind, beklatschen Amma voll Dankbarkeit, als diese mittags schließlich mit ihren Begleitern abzieht. Sehr nachdenklich fahre ich nach Hause. Ich muss erst einmal alles verdauen. Die Begegnung mit Amma hat mich emotional sehr mitgenommen. Jetzt will ich nur noch schlafen – mitten am Nachmittag.
Neugeburt – eine unerwartete Bergwanderung
Erst am nächsten Morgen wache ich wieder auf. Es ist Sonntag. Fast 15 Stunden lang habe ich geschlafen. Ich spüre eine unerwartete Vitalität in mir. Ich streiche etwas von der geweihten Asche auf meine beiden Knie. Spontan entscheide ich mich dann dafür, noch heute in die Alpen zu fahren. Ich weiß plötzlich, dass ich den Herzogstand, einen der bekanntesten Hausberge Münchens, besteigen muss. Wird es klappen? Ich muss dazu fast 800 Höhenmeter überwinden. Natürlich habe ich vorher über beide Knie Bandagen gezogen. Aber ich habe seit zwölf Jahren keine Übung mehr mit dem Bergwandern. Da das Herabsteigen für die Knie eine viel stärkere Belastung darstellt, möchte ich nach dem Aufstieg mit der Gondel wieder herabfahren.
Es geht erstaunlich gut. Amma hat mir am Tag zuvor anscheinend die Angst genommen. Ich traue mir plötzlich das Bergwandern wieder zu. Ich lasse mir Zeit, mache immer wieder Pausen und überlege mir, was ich tun könnte, falls plötzlich wieder die mir so bekannten und vertrauten Schmerzen einsetzen sollten. Nach etwa vierhundert Höhenmetern weiß ich, dass ich jetzt nur noch nach oben weitergehen kann. Denn ein Abstieg um vierhundert Höhenmeter würde für die Knie eine viel größere Belastung darstellen als weitere vierhundert Höhenmeter Aufstieg. Es ist wie bei einem Geburtsvorgang. Auch hierbei gibt es für den Embryo nur noch eine Wegrichtung – nach draußen. Dieser Vergleich erscheint mir nicht übertrieben. Die heutige Bergwanderung wird für mich tatsächlich zu einer Art von Neugeburt. Die Schmerzen bleiben seltsamerweise komplett aus. Ich gewinne meinen Körper und mein Vertrauen zu ihm zurück. Dafür muss ich sowohl eine Denkblockade abwerfen als auch durch die Angst gehen, dass meine Muskeln nach all den Jahren nicht stark genug sein könnten, meinen Körper zu tragen und die Knie zu stabilisieren. Denn so oft haben die Muskeln schon bei einer kleinen Wanderung im flachen Gelände nachgegeben. Dann hat Knochen auf Knochen gerieben und es wurde jedes Mal eine Knieentzündung ausgelöst.
Für normale Wanderer ist der Weg hoch zur Berghütte mit etwas mehr als zwei Stunden ausgeschrieben. Ich lasse mir Zeit und brauche knapp drei Stunden dafür. Ich bin einfach nur noch begeistert. Damit hatte ich nicht mehr gerechnet. War mir doch sieben Jahre zuvor von Fachleuten eine unheilbare Arthrose bescheinigt worden. Viele meiner gesunden Altersgenossen – ich bin zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt – würden sich so eine Bergtour sowieso nicht zutrauen und die Strecke körperlich womöglich auch gar nicht schaffen. Elektrisiert von diesem Erfolg setzte ich noch eins drauf: Nun will ich sogar zum Gipfel empor – nochmals 180 Höhenmeter. Ich empfinde tiefes Glück und große Dankbarkeit, als ich auf dem Gipfel stehe und über das wunderbare Voralpenland schaue – Dankbarkeit gegenüber Amma, die mir so Mut gemacht, das Vertrauen zu mir selbst zurückgegeben und meine Blockaden im Kopf gelöst hat; Dankbarkeit gegenüber dem Universum, weil ich nach fast 14 Jahren seit der ersten Operation überhaupt wieder solch eine Bergtour machen kann.
Dann muss ich wieder vom Gipfel hinunter zur Berghütte. Auch das geht ohne Probleme. Danach kann ich gar nicht anders: Ich erzähle mehreren Gästen an meinem Esstisch in der Hütte und später Wanderern bei der Abfahrt in der Gondelbahn von dem Wunder, das sich gerade in meinen Knien ereignet hat. Mein Herz ist voll Freude und Glück. Ich habe etwas scheinbar Unmögliches geschafft und das Gefühl bekommen, heute nach 12 Jahren voll von Schmerz und Leid soeben meinen persönlichen Mount Everest bestiegen zu haben. Meine Knie sind wieder heil!
Was hat dies möglich gemacht? War es wirklich die geweihte Asche von Amma? Das wäre aber doch Zauberei. Ich weiß es nicht. Jedenfalls hat diese Substanz geholfen. Mehr bewirkt hat jedoch vermutlich die Begegnung mit Amma selbst am Tag zuvor. Da ist offensichtlich das Heilende passiert. Denn durch sie habe ich mein Urvertrauen zurückbekommen, ich habe dabei tiefen Kontakt zu mir selbst gekriegt. Der Glaube, dass Amma meine Knie heilen kann, und dieser Glaube in mir selbst, dass meine Knie nun wieder heil werden, haben mir geholfen, denke ich. Ich werde unmittelbar an biblische Heilungsgeschichten mit Jesus erinnert. Vor allem muss ich an die Geschichte von dem Gelähmten denken, der auf eine Bahre vor Jesus gelegt worden war und zu dem Jesus sagte: „Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh nach Hause.“10 Geschichten wie diese fangen jetzt an, in mir zu wirken und erscheinen mir sehr plausibel. Jedenfalls bin ich sehr, sehr dankbar für die nicht mehr erwartete Heilung meiner Knie geworden.
Eingeständnis
Meine Knie erreichten trotz der erfolgten systemischen Heilung durch die Gedenkmessen und die spirituelle Heilung durch Amma nie mehr den elastischen und stabilen Zustand wie vorher. Ich bin ja auch älter geworden und ich muss mir sportlich und körperlich nichts mehr beweisen. Es sind in beiden Knien Ersatzknorpel gewachsen. Damit kann ich aber wieder in der freien Natur ohne Schmerzen wandern. Dabei habe ich zunehmend eine neue Sicht der Natur und einen neuen zärtlichen Zugang zu ihr und ihren Wesen bekommen: Ich will jetzt schauen, empfinden und wahrnehmen, anstatt in der Natur nur „sportlich durchzurasen“. Ich bin dankbar dafür, dass ich überhaupt wieder ohne Schmerzen viel in der Natur ohne Schmerzen unternehmen kann: Wandern, Radfahren, Zelten, Ski-Langlauf, einfache Bergwanderungen.
Meine Knieheilung hat sehr lange, fast 14 Jahre, gedauert. Viel wichtiger aber war: Auf der schon verzweifelten Suche nach Heilung bin ich in Berührung mit ganz anderen und tieferen Schichten in mir selbst gekommen. Meine Knie haben mich jahrelang angetrieben, nach Heilung zu suchen. Dabei bin ich „zwangsweise“ ein sehr spiritueller Mensch geworden. Ich habe festgestellt, dass ich dies schon als kleines Kind gewesen bin. Dies hatte ich jedoch so viele Jahre lang vollkommen vergessen.
Aus jetziger Sicht erscheint mir der Weg zur Knieheilung fast wie ein Nebenprodukt. Denn viel wichtiger war für mich, auf einen spirituellen Pfad zu gelangen, auf dem ich eine tiefe Sinn- und Gotteserfahrung machen durfte und immer noch machen darf. Da ich in meiner geistigen Einstellung ein „harter Hund“ war, hat es anscheinend bei mir massiver Schläge und heftiger Schmerzen bedurft, um auf diese anderen inneren Ebenen geschoben werden zu können. Nur in der Innenschau ist eine Gottesbegegnung möglich, wonach ich heute zutiefst Sehnsucht habe. Neue Welten haben sich mir aufgetan, während ich akribisch und im Wettlauf mit der Zeit nach Heilungsmöglichkeiten für meine Knie suchte, angetrieben durch den von ihnen verursachten Dauerschmerz. Ich konstatiere für mich, dass ich mich geistig-seelisch geöffnet und verändert habe. Ich habe Zeitgenossen erlebt mit ähnlichen oder noch schlimmeren Problemen, die weiter verstockt und frustriert blieben und sich nicht vorstellen wollten oder konnten, dass Heilung möglich ist, wenn man nur die richtige Ebene sucht. Vielleicht ist es Gnade, dass ich neue, unübliche, alternative Wege gehen durfte.
Wichtig war auch, dass ich während meiner Suche nach einer Knieheilung auch auf das Werkzeug des sogenannten „Medizinrads“ gestoßen bin. Dieses Wissen der indigenen Völker half mir enorm, ein geistiges System dafür zu bekommen, in das ich meine Erfahrungen mit alternativen Medizinern, Heilern und Heilmethoden einordnen und deuten konnte. Dadurch konnte ich viel konsequenter und zielstrebiger nach Lösungen suchen. Darum soll im nächsten Kapitel dieses Medizinrad vorgestellt und die verschiedenen Heilungsebenen an Hand des Medizinrads erläutert werden.