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Ouvertüre

Weihnachten 1973: Meine musikbegeisterte Mutter initiiert eine geraffte Aufführung von Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel im heimischen Wohnzimmer. Meine Schwester, ihre Klassenkameradinnen und ich haben die »Bühne« gestaltet – ein Hexenhaus aus Styropor, ein zum Käfig umfunktionierter Tisch, eine mit rotem Krepppapier abgedeckte Lampe für den Ofen, verschiedene Requisiten und Kostüme. Die Dialoge haben wir gesprochen, die eingängigen Lieder wie »Suse, liebe Suse«, »Brüderchen komm tanz mit mir« oder auch den »Abendsegen« zum Kassettenrekorder-Playback gesungen. Das Publikum: Klassenkameraden, Geschwister, Nachbarn. Mein Vater hat diese Aufführung vor den Eltern und Geschwistern der beteiligten Künstler auf Super-8-Film festgehalten (freilich ohne Ton, aber noch heute sind mir die Melodien lebendig im Ohr).

Dies war mein persönlicher Einstieg in die Welt der Oper. Drei Jahre später: Mozarts Zauberflöte. Ich ging mit meiner Mutter und meiner Schwester ins Kino; denn dort wurde die Filmfassung des Regisseurs Ingmar Bergman (Originaltitel: Trollflöjten) gezeigt – in schwedischer Sprache mit deutschen Untertiteln. Der Film vermittelt nicht nur die Magie des Werks, sondern ermöglicht auch im wahrsten Sinne des Wortes einen Blick hinter die Kulissen. Gedreht wurde im Rokoko-Theater des schwedischen Schlosses Drottningholm aus dem Jahr 1766, dessen originale Bühnentechnik mit Falltüren, künstlichen Wellen und der Möglichkeit rascher Verwandlungen des Bühnenbildes durch Muskelkraft noch heute erhalten ist. Während der Ouvertüre richtet sich die Kamera auf die Faszination in den Gesichtern der Zuschauer. Die Wiedergabe der Handlung selbst wird mit Szenen hinter der Bühne überblendet, man sieht die Künstler in der Maske oder vor ihrem Auftritt und erlebt die Maschinerie eines Barocktheaters. Zudem ergänzt Bergman die Bühnenhandlung durch Außenaufnahmen, etwa von einer Schneeballschlacht der drei Knaben. Dieser Film hat mir die Magie des Musiktheaters vermittelt.

Hänsel und Gretel und Die Zauberflöte sind jene Werke, mit denen Kinder und Jugendliche gerne an die Oper herangeführt werden: Beide Werke erzählen musikalische Märchen, und viele ihrer Melodien können Kinder nachsingen; die Eignung als »Oper für Kinder« darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um durchaus komplexe Kompositionen handelt. Der sinfonische Orchesterklang von Hänsel und Gretel ist stark von Wagner beeinflusst, die zeitlose Musiksprache der Zauberflöte lotet zugleich die Extreme der Stimmfächer aus: Die Königin der Nacht mit Spitzentönen und Koloraturen auf der einen Seite, auf der anderen Sarastro als Pendant in der Tiefe. Das Werk setzt sich sehr bewusst mit der Tradition des Singspiels auseinander, aber auch mit der Tradition der Oper an sich. Vor allem aber enthält es Melodien, die man nicht vergisst.

Bei einer Klassenfahrt besuchte ich dann zum ersten Mal ein »richtiges« Opernhaus. Die Vorstellung in Berlin war ausverkauft, eine freundliche alte Dame schenkte mir eine Karte, Loge, 1. Rang, 1. Reihe. Auf der Bühne gab es – so die Erinnerung – eine dramatische Handlung mit einiger Künstlichkeit und natürlich viel Pathos, laute Sängerinnen und Sänger, dazu einen wuchtigen Orchesterklang, Gewalt, Mord und schließlich Selbstmord: Puccinis Tosca.

Dies war der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft. Kein Weg war mir zu weit, kein Werk zu lang (Richard Wagners Ring des Nibelungen hat eine Spieldauer von insgesamt 16 Stunden), keine Handlung zu abstrus (man behauptet gelegentlich, die von Verdis Trovatore sei völlig unverständlich). Mit der Oper ist es wie mit manchen Delikatessen. Man liebt sie oder man hasst sie. Rational kann man sich diesem »unmöglichen Kunstwerk« (so der Kunsthistoriker Oskar Bie zu Beginn seiner Operngeschichte) nur bedingt nähern. Aber wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, der kann sich kaum entziehen.

Um die Faszination der Oper soll es in diesem Buch gehen, nicht behandelt werden die anderen Gattungen des Musik-Theaters, Tanztheater, Musical und Operette. Die Oper ist eine der aufwändigsten Theaterformen, sie erfordert Sänger, ein mehr oder weniger großes Orchester, Regiearbeit, Kostüme und Bühnenbilder.

Jeder weiß, dass das, was auf der Bühne passiert, Spiel ist, dass man nicht wie Pamina und Papageno in der Zauberflöte auf der Flucht singend über sein Schicksal sinnieren würde oder als Schwindsüchtige noch sterbend schöne Melodien auf den Lippen hätte wie Mimì in Puccinis La Bohème oder Violetta in Verdis La Traviata.

Und doch zieht uns das Musiktheater in seinen Bann. Die oftmals archaisch grundierten Geschichten um Themen wie Liebe, Hass, Treue, Verrat und Tod wirken berührend, lösen bei Publikum wie Mitwirkenden mitunter starke Emotionen aus. Gesellschaftlich genießt die Oper einen hohen Stellenwert, sie gilt als edel, luxuriös, anspruchsvoll, als Ort der Reichen und Schönen, kurz: als etwas Besonderes. Für den Adel, wohlhabende Bürger und Staatsmänner war sie seit jeher ein Inbegriff der Hochkultur.

Man darf sich jedoch nicht von medial inszenierten Events wie den Festspieleröffnungen in Bayreuth oder Salzburg täuschen lassen: Ein Opernbesuch muss keine teure Angelegenheit sein. Natürlich kann ein Platz im Parkett zur Saisoneröffnung der Mailänder Scala schon mal bis zu 2500 € plus 10 % Vorverkaufsgebühr kosten, in der Spielzeit selbst sind es dann aber »nur« noch maximal 250 €. Das Preisspektrum der Wiener Staatsoper reichte in der Saison 2018/2019 von 2 € für die günstigsten Stehplätze bis zu 500 € für Parkettplätze bei Jubiläumsvorstellungen.

Viele Opernhäuser bieten Repertoirevorstellungen zu moderaten Preisen und entsprechende Ermäßigungen für Studierende und Empfänger von Sozialleistungen an. Dann sind Karten bereits zu einstelligen Europreisen zu haben, durch Abonnements kann man zusätzlich sparen. Und mit etwas Glück bekommt man über Last-Minute-Tickets gelegentlich sogar Spitzenplätze zu einstelligen Eurobeträgen.

Oper. 100 Seiten

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