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Tage auf MS Elfriede und der Augenarzt von Rouen
ОглавлениеDiese Geschichte widme ich den Hafenarbeitern von Rouen, zwei hilfsbereiten Krankenschwestern einer dortigen Ambulanzstation und nicht zuletzt einem freundlichen Augenarzt, der wenn er noch lebt, noch immer auf sein ärztliches Honorar wartet. - All diesen Personen bin ich dankbar, denn ich verdanke Ihnen die Sehkraft meines linken Auges.
Von Dünkirchen ging es zunächst nach Rouen. Wir luden dort Stückgut und im Nachhinein wundere ich mich noch heute, dass die Agentur überhaupt anständige Ladung für unseren Zampan auftreiben konnte. Jedenfalls vertraute man uns jede Menge Bier in Schachteln an. "Stella d'Artoise", "Biere de l'Alsace". - Glauben Sie bloß nicht, daß nur "German beer" im Ausland gefragt ist. - Mich hatte Kraake, unser Bootsmann, als "Raumwache" in eine Luke beordert und nun hieß es, sich mit den französischen Schauerleuten zu arrangieren. Das waren freundliche Männer mit blauen Hosen und Hemden und Baskenmützen auf dem Kopf und roten Gesichtern vom Wein trinken. Es wurde ohne Eile gearbeitet und zwischendurch tranken sie Rotwein in erstaunlichen Mengen aus großen, grünen Flaschen ohne Etiketten. Am Bier hatten sie wenig Interesse und wenn man hin und wieder in ein Gespräch verwickelt wurde - da waren einige, die halbwegs gut Deutsch sprachen - und es in einer Ecke verdächtig knackte, hörte man einfach nicht hin. Wir kamen blendend miteinander aus. - Sollen doch die Büroknüppel von den Versicherungen, die die Ladung versichern, im Sommer acht Stunden lang Bierkartons stapeln. Noch dazu bei dreißig Grad im Schatten in einem staubigen Laderaum. Dann sieht die Welt sicher ganz anders aus und die meisten von denen dürften danach allenfalls noch für den Sperrmüll taugen. Das gilt selbstredend nicht nur für die von den Versicherungen, sondern betrifft die Büromenschen im allgemeinen. - Die Raumwache verfolgt eher den Zweck, den versicherungstechnischen Vorschriften aus Sicht der Schiffsleitung Genüge zu tun. - Also wie überall, immer schön mit dem Hinterteil an der Wand. - Natürlich muss alles im Rahmen bleiben. Wenn große Kisten auf einmal leer sind, oder die Hafenarbeiter schreiben einladend auf die Abfahrtstafel an der Gangway: "Here you can drink German beer" und sind alle besoffen, ist das übertrieben und eine Sauerei. - Ich hatte jedenfalls mit den Rouaner-Hafenarbeitern keine Probleme und als ich am zweiten Tag unserer Liegezeit morgens wieder meine Raumwache bezog, wurde ich freundlich begrüßt. Man wusste sehr wohl zu schätzen dass ich mich nicht wie ein pingeliger Blödmann anstellte.
Alles war bestens bis auf mein linkes Auge. Da hinein mussten mir Rostsplitter geflogen sein, weil es an Bord keine Schutzbrillen gab was Vorschrift gewesen wäre. Vielleicht gehörten die Schutzbrillen einst bei der Indienststellung zur Grundausrüstung unseres Schiffes; jetzt jedenfalls waren sie weg und mein Auge wurde rot, brannte und tränte ohne dass sich etwas besserte. Ich konnte keinen Splitter entdecken, hatte aber dauernd das Gefühl, Fremdkörper im Auge zu haben. Die Franzosen sahen, dass ich ständig in meinem Auge herum wischte und schließlich fragten sie mich, ob ich nicht besser zur Ambulanz gehen wolle. - Wie das, ich war doch Lukengast und überhaupt, wo gab es hier eine Ambulanz und wie sollte ich dahin kommen? - Da solle ich mir mal keine Gedanken machen, das wollten sie schon arrangieren, erwiderten mir die Männer.
Als Kraake das nächste Mal an der Luke vorbei kam, sagte ich ihm das mit dem Auge und nachdem er wohl begriffen hatte, dass ich mit nur einem Auge auf Dauer weniger für die Reederei arbeiten konnte ließ er mich widerstrebend durch meinen Macker ablösen.
In Amsterdam kamen die Hafenarbeiter damals mit dem "Brummfiez", sprich Moped. In Rouen mit dem Fahrrad. - Wenn ich daran denke, dass heutzutage schon der dümmste Schammako wie Graf Rotz mit eigenem Auto herum kreuzt, frage ich mich, ob es noch eine Gerechtigkeit gibt. - Kurz, einer der Arbeiter radelte mit seinem Fahrrad vornweg und ich mit dem seines Kollegen achteran in Richtung Ambulanz. Dort verarzteten mich zwei freundliche französchische Schwestern - ohne Wenn und Aber - leider auch ohne Erfolg. Dannach wurde beraten, was mit mir weiter geschehen sollte.
Nun lassen Sie mich erklären. Mein Schulfranzösisch war schon immer dürftig und im Laufe der Zeit hatte ich das mühsam Eingepaukte erfolgreich vergessen. Was nützen einem in der Praxis schon angelernte Sätze wie: "Madame Dujardin est furieuse, elle achete ou Magazin du Louvre un fer electric, et cet fer ne fonctionne pas". Da kommt man mit dem Satz: "Bonjour Monsieur Stemmperlein; asseyez-vous", schon etwas weiter. Man kann wenigstens das Wort: "Bonjour" gebrauchen. Man sieht, meine französischen Sprachkenntnisse waren katastrophal. Es wurde mir aber klar gemacht, daß die Ambulanz hier nicht weiter käme und ich umgehend nach Rouen zu einem Augenarzt müsse bevor es für das Auge zu spät ist. - Mit einmal saß ich in einem Taxi und fuhr Richtung City; die Krankenschwestern hatten das bestimmt und kurzer Hand für mich gemanagt.
Es gibt Städte, da stimmt die Bezeichnung: "Hafenstadt" noch. Man denke nur an Antwerpen und die alten Scheldekai Liegeplätze. Da pulsiert das Leben noch unmittelbar zwischen Stadt und Hafen und die Menschen die dort leben und arbeiten sind stolz darauf. Da sieht man abends von Bord aus die Lichter der Bars und Pinten. Es sind nur ein paar Schritte bis zum nächsten gemütlichen Tresen und die Wirtin wird auch von Glas zu Glas schöner. An warmen Sommerabenden laufen Touristen auf den langgestreckten Aussichtsterrassen entlang und betrachten die Schiffe und Seeleute. Man stelzt ordentlich breit herum auf dem Dampfer und macht ein wichtiges Gesicht, wenn man etwa die Vorspring durchholt oder einen Fender zwischen Pier und Bordwand richtet. Die Leute schauen dann ganz ehrfürchtig und der eigene Rostdampfer kommt einem plötzlich gar nicht mehr so heruntergekommen und schäbig vor. Andere Städte hingegen - und diese sind leider in der Überzahl - verdienen die Bezeichnung "Hafenstadt" nicht. Es ist so, als würde sich die Stadt ihres Hafens schämen. Er liegt irgendwo weit draußen; niemand, der nicht da arbeitet kommt jemals dort hin. Der Hafen ist vorhanden, man weiß es, das genügt. Was soll man dort, man macht sich nur dreckig und das Sprichwort: "Er sank von Stufe zu Stufe - zuletzt wurde er im Hafen gesehen", ist keine Erfindung von mir, sondern leider an der Küste ein verbreitetes Vorurteil.
Nun, von den Hafenanlagen von Rouen bis in die Innenstadt muss es auch ein ordentliches Stück gewesen sein. Jedenfalls fuhr ich einige Zeit mit dem Taxi durch die Gegend. Schließlich hielt der Wagen vor der Praxis eines Augenarztes. Es war um die Mittagszeit und der Taxifahrer der gottlob! bei mir blieb, musste eine Weile klingeln, bis uns jemand aufmachte. Der Augenarzt war ein feingliedriger Mann im dunklen Anzug, der geflissentlich über mein schäbiges Aussehen hinweg sah, obgleich ich ihm wahrscheinlich den Mittagsschlaf verdorben hatte. Vom Taxifahrer wusste er, dass ich vom Hafen kam, das genügte ihm. Dass ich unmittelbar aus der Ladeluke eines deutschen Frachters gestiegen war, der Bierkisten für Conakry in Guinea geladen hatte, interessierte ihn nicht. Ich hätte es ihm auch beim besten Willen nicht erklären können. - In einem dunklen Raum mit kompliziertem Gerät, holte mir der Doktor - dessen Namen ich leider vergessen habe - in einer längeren Aktion drei Rostsplitter aus dem linken Auge, die tief in die Hornhaut eingedrungen waren. Danach kam das, was man bei uns vornehm mit "ärztlicher Liquidation" bezeichnet. Der Augenarzt schien einigermaßen fassungslos und fragt immer wieder: "No l'argent?" "No money?" No plata?" - No! Nichts! Nada! Was sollte ich auch aus meinen verstaubten Hosentaschen hervor zaubern. Da gab es keine Piselotten, lediglich ein Taschenmesser mit eingebautem Flaschen- und Dosenöffner. Der Doktor gab sich damit naturgemäß nicht zufrieden. "Quelle est le nombre de Companie?" Oh weh! "Memel Transportschifffahrts GmbH und Co". "C'elle"? Ja Donnerschlag, ich konnte doch nichts dafür, dass ich nicht Kapitän der Messagerie Maritime war. "Quelle est le nombre de bateau?" "Shipsname, you know?" Schon gut, schon gut - in Bitching-Inglish war ich dem Mann garantiert überlegen - ich hatte verstanden. "Bateau Elfried!" Diese Information erschien dem Doktor wiederum zu dürftig, vielleicht hatte er auch andere Vorstellungen und erwartete einen eindrucksvolleren Namen. "Quelle est le nombre de Capitaine?" - "Jan Qualsterkamp!", log ich jetzt dreist. Der Doktor stand mir quasi Auge in Auge mit hängenden Schultern gegenüber. Jetzt nachdem alles wieder in Ordnung war, konnte ich ihn schon besser erkennen. Wir starrten uns schweigend an. Ich hätte ihm allenfalls noch sagen können, dass Madame Dujardin furieuse ist, weil man ihr im Kaufhaus Louvre ein kaputtes Bügeleisen angedreht hat. Aber das ließ ich lieber bleiben. Schließlich verabschiedete er mich mit einem hilflosen Kopfnicken und sah noch ganz verdutzt aus, als ich ihm ein schulmäßiges: "Bonjour, Monsieur Docteur, merci beaucoup" an den Kopf warf. - Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Reederei jemals eine Rechnung in meiner Angelegenheit bekommen, geschweige denn bezahlt hat.
Zurück an Bord wollte mich Kraake gleich zusammen schxxxen, wo ich denn solange abgeblieben sei. Aber da ließ ich mir nicht an den Wagen fahren und wurde ganz pampig und den Taxifahrer schickte ich auf die Brücke zu unserem Alten von wegen der Rechnung. Der Alte staunte nicht schlecht, denn da kam sicher einiges zusammen, was meine monatliche Heuer überstieg.
Kurz danach liefen wir aus und waren mit unserem langsamen Zossen fast drei Wochen auf See nach Westafrika. Da hätte ich ganz schön Schwierigkeiten bekommen mit meinem Auge, oder um es deutlich zu sagen, das Auge wäre mit Sicherheit nicht mehr zu retten gewesen.
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