Читать книгу Der 7. Himmel hat ein Loch - Peter Rogenzon - Страница 10
Lotteriespiel
ОглавлениеEigentlich hatte er in seiner Mittagspause nur schnell etwas zum Rauchen holen wollen, um dann in der Kantine zu essen. Aber es regnete so sehr, dass er sich auf dem Weg zum nächsten Zigarettenautomaten nasse Füße geholt hatte, und als er an einem Schuhgeschäft vorbei ging, sah er in der Auslage ein paar Schuhe mit einem großen Schild:
„Wettertrotzer 79.90 Euro“
Es waren genau die Schuhe, die er jetzt brauchte, um sich keine Erkältung zu zu ziehen. So betrat er das Schuhgeschäft, in dem es zuging, als würde dort etwas verschenkt. Anscheinend hatten sich viele Frauen bei ihrem Einkaufsbummel hierher geflüchtet, um die Zeit zwischen zwei Regenschauern zu überbrücken. Sie thronten auf ihren Sesseln inmitten von Schuhhaufen und das Personal lief mit frustrierten Mienen herum, um die Damen zu bedienen.
„Herrenschuhe — erster Stock“, rief ihm eine Verkäuferin zu.
Einen Stock höher herrschte Ruhe. Männer haben nämlich normalerweise etwas anderes zu tun, als in einem Schuhgeschäft herum zu sitzen. Ein junges Mädchen fragte ihn nach seinem Wunsch.
„Bitte die Wettertrotzer für 79.90 DM in Größe 44“, antwortete er.
Während die Verkäuferin verschwand, um die Schuhe zu suchen, räkelte er sich gemütlich in seinem Sessel, die nassen Füße auf dem Schemel. Dann kam sie zurück mit einem Karton unter dem Arm und nahm auf dem Schemel Platz — direkt neben seinen Füßen. Sie ergriff einen und sagte:
„Oh Gott, Sie haben ja ganz nasse Füße. Nehmen Sie doch bitte diese Probiersocken!“
Und während sie ihm seine Strümpfe auszog und ihn in die Socken schlüpfen ließ, nahm er sie erstmals bewusst richtig wahr: Da saß sie zu seinen Füßen und bediente ihn mit einer verblüffenden Ergebenheit. Und dann schaute sie ihn von unten mit einem Blick an, der ihn zutiefst rührte. In diesem Blick lag eine fast schon totale Unterwürfigkeit, wie man sie heute bei dem Bedienungspersonal an sich nicht mehr findet. Und in Gedanken war ihm fast, als würde sie sich mit diesem Blick sogar selbst als Geschenk anbieten. Ein verdammt hübsches Geschenk wäre das, dachte er, als sie ihn mit ihren leicht mandelförmigen Augen anblickte, während er in den dargebotenen Schuh schlüpfte und dabei versuchte zu ergründen, was sich in ihrem schmalen Ausschnitt verbarg, der sich bei ihren Bewegungen immer ein wenig öffnete.
„Kathrin, ich gehe!“ rief eine weibliche Stimme aus dem Nebenraum.
Die Verkäuferin zu seinen Füßen antwortete, sie komme gleich nach. Er meinte, sie könne doch sofort mit ihrer Kollegin gehen; er wolle nur noch ein bisschen mit den Schuhen auf und ab gehen und werde sie dann an der Kasse bezahlen. Er entschuldigte sich dafür, dass er ihre Mittagspause gestört hätte.
„Ach“, meinte sie, „so genau geht das hier nicht. Wir können immer erst dann zum Mittagessen gehen, wenn wir einen Kunden fertig bedient haben. Lassen Sie sich also ruhig Zeit mit dem Probieren.“
Die Schuhe passten doch nicht so ganz, und sie holte ein anderes Paar. So verstrich doch mehr Zeit, als ihm recht war.
„Ich könnte auch morgen wieder kommen“, bemerkte er zwischendurch im Hinblick auf ihre Mittagspause.
Aber sie wehrte ab. Als er dann ein geeignetes Paar Schuhe gefunden hatte und sie ihn zur Kasse begleitete, fragte er sie, ob er sie nun zum Essen einladen dürfe als Entgelt für die Beeinträchtigung der Mittagspause. Sie war zu schüchtern, um so einfach zuzusagen und meinte, das ginge wohl nicht, denn sie habe Hunger wie eine Bärin und würde ihn arm essen. Und sie fügte etwas schelmisch hinzu, außerdem habe ihre Mutter gesagt, sie dürfe nicht mit fremden Männern gehen.
„Sie sieht's ja nicht! Ich würde viel lieber mal eine hungrige Bärin essen sehen, als allein am Mittagstisch sitzen“, probierte er es noch einmal.
„Na gut! Unsere Chefin sagt immer, wir sollen nach Möglichkeit auf alle Wünsche unserer Kunden eingehen, selbst auf die ausgefallensten. “ Sie lachte sie fröhlich.
Er half ihr in den Mantel, und als sie das Geschäft durch die überfüllte Damenabteilung verließen, spürte er in seinem Rücken die Blicke ihrer Kolleginnen.
„Na, die werden 'was zu Ratschen haben“, sagte sie, als sie auf die Straße traten.
Ihm fiel plötzlich das Lied ein: „Mein Mädel ist nur eine Verkäuferin in einem Schuhgeschäft...“ Es klang recht fröhlich, wenn er sich recht erinnerte und passte zu seiner Stimmung.
Beim Essen plauderte sie mit einer unglaublichen Ungezwungenheit drauf los. Obwohl es lauter Belanglosigkeiten waren, über die sie sprach, war er fasziniert von ihrer Lebendigkeit. Er dachte an den vorigen Tag, an dem er mit einer Kollegin am gleichen Tisch gesessen hatte. Was für ein Unterschied zwischen den beiden Frauen, schon fast genauso groß wie der zwischen Mann und Frau, dachte er. Am Tag zuvor bei seinem Beisammensein mit seiner Kollegin war ihm erstmals ernsthaft die Idee gekommen zu heiraten, denn schließlich wurde es bei seinem Alter von 30 Jahren langsam Zeit. Die Kollegin war unter den Frauen, die er kannte, die — wie er es mit Understatement ausdrückte — „Vorzeigbarste“: schön, damenhaft, voll Esprit. Und doch hatte er das Gefühl, er hätte vielleicht noch etwas mehr verliebt sein müssen in die Frau, die er zu heiraten gedachte, so wie er es jetzt auf einmal bei dieser Verkäuferin spürte. Aber die hatte nun wieder den Nachteil, dass sie mit etwas geringeren Geistesgaben ausgestattet zu sein schien: Als er bei einem Blick auf eine herumliegende Zeitung eine Äußerung über ein politisches Ereignis machte, sagte sie:
„Ach, dafür interessiere ich mich nicht!“
Unglaublicherweise kannte sie nicht einmal den Namen des neuen Bundespräsidenten. Als er ihr deswegen vorsichtig Vorwürfe machte und sie von der Wichtigkeit der Politik auch für ihr Leben zu überzeugen versuchte, zählte sie die Namen von einigen Popstars auf und fragte ihn, ob er die kenne. Er musste verneinen. Sie neckte ihn damit, dass er also genau so große Bildungslücken aufweise wie sie.
„Na, dann ergänzen wir uns ja prima!“ scherzte er.
„Das habe ich auch schon gefunden!“ nahm sie den Scherz auf und hakte sich lachend bei ihm ein, als sie das Lokal verließen. Er spürte, wie sie ihren Busen an seinem Arm rieb, aber so zart, als komme dies vom Rhythmus des Gehens.
Er brachte sie zum Schuhgeschäft zurück und verabschiedete sich mit den Worten:
„Also, dann bis zum nächsten Schuhkauf!“
Sie war enttäuscht, denn sie hatte sich mehr erwartet.
In dieser Nacht waren es wieder zwei junge Menschen mehr, die sich schlaflos, unruhig und unglücklich im Bett hin und her wälzten: Sie hatte in ihrer sensiblen Art gespürt, dass etwas schief gelaufen war. Wie dumm war sie gewesen, das zuzugeben, was in seinen Augen ein Manko war. Hätte sie nicht einfach vom Thema Politik ablenken können? Und dann kam sie zu einer wahrhaft philosophischen Erkenntnis: Das Blöde am Leben ist, dass man Fehler machen kann, die sich nicht reparieren lassen. Oder vielleicht doch?
Auch er war an diesem Abend total verwirrt. Früher hatte er sich die Liebe so vorgestellt, dass es für jeden Menschen einen Partner gibt, der genau zu ihm passt, so wie wenn man zwei Papierhälften auseinandergerissen hätte; man müsse also nur schauen, dass man seine eigene zweite Hälfte findet. Nun plötzlich fand er, dass es bei jeder Frau ein „aber“ gab, wenn er ans Heiraten dachte. Die beiden Frauen, die ihm den Schlaf raubten, waren eigentlich so geartet, dass erst eine Kombination ihrer positiven Eigenschaften die ideale Ehefrau ergab. Was also tun?
Am Morgen hatte er die Frage endlich beantwortet. Er ging wieder ins Schuhgeschäft, wo sie ihn mit einem so freudigen Schreck begrüßte, dass sie innerlich zu zittern begann.
„Ich habe ja gestern ganz vergessen, mir Hausschuhe zu kaufen“, lachte er.
Nach dem Kauf erzählte er ihr, dass es in seiner Familie Sitte sei, jede größere Anschaffung hinterher mit einem Lokalbesuch ausklingen zu lassen, und er fragte sie, ob sie mitkomme.
„Gern, so ein Hausschuhkauf ist ja auch wirklich ein Ereignis, das man feiern sollte“, lachte sie. „Ich komme aber nur mit, wenn Sie sich dieses Mal von mir einladen lassen!“
„Natürlich, aber Sie werden sich wundern, wie ich beim Essen zuschlagen kann, wenn ich eingeladen werde! Ich bin da nicht so bescheiden wie Sie.“
Sie plauderten beim Essen über persönliche Themen, und die Zeit verging wie im Fluge. Obwohl er nun erst zum zweiten Mal mit diesem Mädchen beisammen war, hatte er das Gefühl, mit ihr schon sehr vertraut zu sein. Irgendwie brachte er es doch nicht übers Herz, sich das Essen von diesem jungen Mädchen, das offensichtlich in bescheidenen Verhältnissen lebte, bezahlen zu lassen. So täuschte er einen Gang zur Toilette vor und beglich heimlich die Rechnung. Hinterher protestierte sie energisch. Aber er lachte nur und sagte:
„Das nächste Mal sind Sie dran — Ehrenwort!“
Beim Gehen fragte er sie, ob sie wisse, was denn heute mit seinem rechten Arm los sei, wobei er ihn ein wenig hin und her schüttelte, als habe er ihn irgendwie verletzt.
„Aber natürlich!“ lachte sie und hängte sich bei ihm ein, dieses Mal aber schon etwas anschmiegsamer, indem sie seinen Arm fest an ihren Busen zog. Er war fasziniert davon, dass sie seine etwas linkische, fast unverständliche Andeutung richtig erahnt hatte.
„Ich lasse Sie nicht eher los, bis Sie mir versprechen, meine Einladung anzunehmen.“ Mit diesen Worten packte sie noch fester zu.
„Nun gut, wenn ich schon verhaftet worden bin, bleibt mir nichts anderes übrig.“
„Übrigens koche ich wahnsinnig gern. Nur für mich alleine lohnt es sich nicht. Wenn Sie sich einmal von mir bekochen lassen würden, würde es mich sehr freuen. Sagen wir morgen?“
Er war sprachlos über diese für ihn ungewohnte Direktheit, mit der sie ihn schon nach so kurzer Bekanntschaft zu sich einlud. Eigentlich wollte er nichts anderes, als mit dieser quicklebendigen jungen Frau plaudern, denn es schien ihm, als sei sie wie ein Lebenselixier. Doch nun stand er sozusagen am Scheideweg: Sollte er zulassen, dass mehr daraus wurde? Würde das gut gehen? Er verscheuchte diese Gedanken und verließ sich auf sein Bauchgefühl: Er sagte einfach zu.
Sie hatte gelogen. Sie konnte gar nicht kochen und rief ihre Mutter an. Sie sagte ihr, dass sie einen Mann zum Heiraten gefunden habe. Ihre Mutter war natürlich neugierig, und als sie alles bis ins kleinste Detail aus ihrer Tochter herausgekitzelt hatte, sagte sie:
„Du spinnst ja. Verbrenn' dir bloß nicht wieder die Finger. Pass auf dich auf!“
Wenn die Mutter auch fand, dass das Ganze so nicht zu billigen war, kochte sie doch ein Menü, mit dem sie schon öfter bei großen Einladungen hohes Lob geerntet hatte. Die Tochter kümmerte sich inzwischen um die Tischdekoration, deren Schmuckstück zwei vielarmige silberne Kerzenleuchter waren, zwei alte Erbstücke, die sie von ihrer Freundin ausgeliehen hatte.
„Soll ich dableiben — als Anstands-Wau-Wau?“ fragte die Mutter noch zum Schluss ihre Tochter, doch die lehnte ab: „Lieber nicht, sonst sieht es so offiziell aus, als ob du ihn schon als Schwiegersohn beschnuppern willst.“
„Na, nun lass mal die Kirche im Dorf.“ Mit diesen Worten versuchte die Mutter, ihre in Hochstimmung befindliche Tochter auf den Boden der Tatsachen herunterzuholen.
Abends kam er mit einer Flasche unter dem Arm.
„Zum Nachspülen!“ sagte er, als er ihr dieses Mitbringsel übergab.
„Na ja, so schlimm wird das Essen wohl nicht sein“, erwiderte sie.
Der Besuch nahm in jeder Beziehung einen ganz anderen Verlauf, als er erwartet hatte. Zunächst einmal hätte er nie geglaubt, dass sie eine so geschmackvoll-gemütliche Wohnung besitzen würde. Irgendwie kam ihm sein eigenes Zuhause demgegenüber ein wenig kahl und nüchtern vor. Ja er ertappte sich bei Gedanken, dass er sich hier mehr daheim fühlen könnte als in seiner eigenen Wohnung. Und das Essen war wie ein Fest — in jeder Beziehung.
Nach der Nachspeise fragte sie ihn, ob er nun „nachspülen“ wolle.
„Aber gern“, antwortete er. „Lassen wir den Abend mit einem Gläschen ausklingen.“
„Machen Sie dann den Mundschenk, bitte! Aber für mich nur ganz wenig — ich vertrage nämlich keinen Alkohol.“
„Nanu, so etwas habe ich ja noch nie gehört.“
„Doch, das gibt's! Das ist bei mir wie eine Allergie. Ich brauche nur an einem Korken zu riechen und schon bin ich betrunken.“
„Das kann ich einfach nicht glauben. Ich habe Ihnen nur einen kleinen Fingerhut voll eingeschenkt, zum Anstoßen.“
Es war schon etwas mehr als ein Fingerhut voll gewesen, den sie getrunken hatte, aber doch ganz wenig, und tatsächlich konnte er zu seiner Verblüffung feststellen, dass sie sich verändert hatte. Eine unheimliche Lustigkeit hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie lachte und lachte, und wenn er fragte, warum, bekam er Antworten wie:
„Wir beide hier in der Wohnung! Wo wir uns doch gerade erst kennen gelernt haben.“
„Irgendwie kommt es mir so vor, als ob wir uns schon lange kennen würden“, sagte er und leitete vorsichtig dazu über, dass sie auf „Brüderschaft“ anstoßen könnten. Mit schon etwas schwererer Zunge protestierte sie:
„Schwesternschaft!“ und lachte wieder so aus vollem Herzen, dass er mitlachen musste.
Sie machte ihm klar, dass er keinesfalls mehr nach schenken dürfe, sondern dass für das „Du“ der letzte Tropfen in ihrem Glas ausreichen müsse, und sie fuhr fort:
„Schließlich braucht man dafür keinen Alkohol, sondern es geht auch so.“
Mit diesen Worten drückte sie ihm einen „schwesterlichen Brüderschaftskuss“ auf die Lippen. Wie eine Barriere standen die beiden Lehnen ihrer beiden Sessel zwischen ihnen. Sie setzte sich auf das Sofa gegenüber:
„Ich will Dir in die Augen schauen.“
„Und ich will ganz nah bei Dir sein“, sagte er und folgte ihr.
Je später es wurde, umso näher kamen sich die beiden. Sie war in ihrem Zustand die personifizierte Hingabe. Er dachte einerseits, dass er diesen Zustand nicht ausnutzen dürfe, hatte aber andererseits das Gefühl, sie zu enttäuschen, wenn er es nicht täte: Es wäre ihm fast so vorgekommen, als hätte er vorher von dem üppigen Essen nichts genossen und dazu gesagt:
„Nein danke, ich esse jetzt nichts!“
In seinem Hirn schossen die zwiespältigsten Gedanken durcheinander: Er dachte auf einmal ans Heiraten. Wäre sie überhaupt eine geeignete Ehefrau? Er hoffte auf eine große Karriere, die sich jetzt schon abzeichnete. Wäre sie dann so eine Art von Eliza Doolittle, aus der sich etwas machen lässt? Oder wäre nicht alles einfacher, wenn er sich mit seiner Kollegin verbinden würde? Jetzt, mit 30 Jahren, musste er entscheiden - am besten heute.
Plötzlich fiel ihm ein Satz ein, der sich in seinem Gedächtnis eingeprägt hatte. Nach seiner Erinnerung stammte er aus der Bibel:
„...und sie erkannten sich.“
Es war nicht davon die Rede, dass sie sich verliebten oder heirateten, sondern nur von der Erkenntnis zweier Menschen, dass sie zusammen gehörten. Und weil ihm dieser Satz einfiel, wusste er: Sie war wie die „zweite Hälfte“ des zerrissenen Papiers, nach der er immer gesucht hatte.
Es war nicht aufzuhalten: sein dahinschmelzendes Gegenüber und er ...
„Bitte tu mir nichts, was dir deine Achtung vor mir nehmen würde“, flüsterte sie, als er sich über sie beugte.
„Niemals könnte ich so etwas tun!“
Nun „es“ passierte. Und er dachte sich am Anfang: das ist nun die Lotterie des Schicksals; wenn sie ein Kind bekommt, lasse ich sie nicht im Stich, sonst heirate ich die Kollegin.
Nach einem Monat, als das junge Paar spazieren ging, gestand sie ihm, sie habe Angst, schwanger zu sein.
„Wieso Angst?“ fragte er. „Du weißt doch, dass du dich auf mich verlassen kannst.“
„Und wie sieht das aus, wenn man sich auf dich verlassen kann?“
„Du kriegst natürlich Unterhalt“, antwortete er und wollte damit einen Scherz machen. Aber der kam nicht so recht an.
Sie erwiderte nur kühl:
„Wie großzügig!“
Er spürte, dass er einen Fehler gemacht hatte und sagte:
„... und wenn du besonders lieb bist, bin ich vielleicht noch großzügiger.“
„Weißt du, wegen einem ‚vielleicht‘ lohnt sich das Lieb-sein für mich nicht.“
„Du erpresst mich ja direkt. Also dann: ‚bestimmt!‘“
Sie fand, dass es Zeit war, diese Diskussion, die etwas entgleist war und zu keinem Ergebnis führte, zu beenden und schnitt ein anderes Thema an.
Sie ließ einen Schwangerschaftstest machen. Wie vom Blitz getroffen las sie das Ergebnis, das ihr schon vorher klar gewesen war: Sie erwartete ein Kind!
Aber sie hatte ihren Stolz. Beim nächsten gemeinsamen Spaziergang sagte sie ihm gleich zur Begrüßung:
„Es ist noch mal gut gegangen: Blinder Alarm!“
Er wusste natürlich gleich, wovon sie sprach und erwiderte:
„Schade! Ich hatte mich schon gefreut.“
„Aufs Unterhaltszahlen?“
„Du weißt genau, was ich meine: auf unser Kind und unsere gemeinsame Zukunft.“
„Dann hab’ ich was für dich zum Lesen.“ Und sie gab ihm das Ergebnis des Schwangerschaftstests.
Er hatte es sowieso gewusst, was dort stand, denn er hatte ihr ihren Zustand angesehen, obwohl die hormonellen Veränderungen nur kaum merkliche Veränderungen in ihrem Gesicht gezeigt hatten. Er sagte fast feierlich:
„Ich glaube, der Liebe Gott will, dass wir zusammen bleiben.“
„...und was Gott zusammenfügt, das soll der Mensch nicht scheiden“, ergänzte sie.
„Das hört sich ja wie ein Heiratsantrag an!“
„Nein, da bin ich altmodisch, den muss der Mann machen.“
„Also, ich habe dir meinen Antrag schon gemacht.“
„Das ist mir neu!“ scherzte sie. „Ich habe nichts davon mitbekommen.“
„Nichts mitbekommen, ist gut! Du trägst die Folgen davon in dir.“
„Irgendwie habe ich mir einen Heiratsantrag doch ein bisschen anders vorgestellt.“
„Ich bin da vielleicht ein wenig ungeschickt: Ich habe so etwas noch nicht gemacht. Also gut, dann komme ich morgen mit einem Blumenstrauß zu deinen Eltern und bitte sie um deine Hand.“
„Das klingt schon besser!“ Und dann besprachen sie die Einzelheiten.
Am Schluss sagte sie noch:
„Ich habe übrigens nur noch eine Mutter, und ich glaube, die fällt in Ohnmacht! Die weiß von nichts.“
Sie war überglücklich, denn sie hatte den Traum ihres Lebens erreicht — die große Liebe gefunden und dabei eine unwahrscheinlich gute Partie gemacht, wie man zu sagen pflegt.
„Wes das Herz voll ist, geht der Mund über“, heißt es in einem Sprichwort. Und so berichtete sie alles haarklein ihrer Mutter.
„Mein Gott, wenn das nicht gut ausgegangen wäre, hätte ich wohl gesagt: Du hast ja alles falsch gemacht. Sag mal: Und da hat er nie Zweifel an seiner Vaterschaft gehabt?“
„Nein, wieso? Er liebt mich doch und vertraut mir!“
„Dann brauche ich wohl auch nicht zu fragen, ob du nicht Angst gehabt hast, dass er dich sitzen lässt. Mein Gott, das ist ja fast so...“
Und sie musste daran denken, wie es damals mit ihr und ihrem inzwischen verstorbenen Mann angefangen hatte. Sie versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken, und ihre Tochter umarmte sie liebevoll.
Als das junge Paar nach ein paar Monaten mit dem Kinderwagen im Stadtpark spazieren ging, kam ihnen die Kollegin entgegen, die er einmal hatte heiraten wollen. Man grüßte sich.
„Wer war denn das?“ fragte die junge Ehefrau.
„Ach, nur eine Kollegin“, antwortete er.
„Und ich dachte, es wäre eine Verflossene gewesen, weil sie so sauer geschaut hat.“
„Das war wohl ihre Dienstmiene“, lachte er.
Moral: Diejenigen, die gemeinhin als dumm gelten, sind oft wesentlich gescheiter als diejenigen, die wer weiß was studiert haben.
Und noch eine Moral hat die Geschichte: Man soll nicht auf einen Partner warten, der perfekt ist, sondern sich mit einem begnügen, aus dem sich etwas machen lässt.