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Das Traumpaar

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Wenn überhaupt ein Ehepaar geeignet war, den Neid seiner Mitmenschen zu erwecken, dann war es dieses: Beide lebten in blendenden Einkommens- und Vermögensverhältnissen, hatten zwei reizende Kinder und sahen so gut aus, wie man es für sich selbst immer schon gewünscht hätte: Wenn sie Arm in Arm in der Badeanstalt erschienen, sahen ihnen die Menschen nach und tuschelten. Sie hatte eine perfekte Bikinifigur; ihr Haar hing in einem langen Zopf bis über die Gürtellinie herunter und endete mit einer roten Schleife, die beim Gehen zwischen den reizenden kleinen Grübchen oberhalb ihres Pos hin und herpendelte. Er ging neben ihr wie ein Turner, der gerade für eine perfekte Kür die Traumnote 10,0 kassiert hat.

Was aber am meisten an den beiden auffiel, war die Art, wie sie einander zugetan waren: Sie spazierten so eng umschlungen durch die Badeanstalt, wie es den meisten wohl das Schamgefühl verboten hätte. Wenn sie dann aber ihre Liege erreicht hatten, ging es erst richtig los: Die beiden hatten offenbar ihre beiden kleinen Kinder ganz vergessen und widmeten sich nur noch einander in einer Weise, die von den übrigen Badegästen ein wenig neidisch als anstößig empfunden wurde. Wenn auch beide die Badehosen an behielten, so glaubten doch einige, dass „es“ passiert sein müsse, als das Paar fast ineinander verkeilt auf seiner Liege schmuste und dabei einen Bademantel zum Zudecken über sich zog.

Den Gesichtern der Beobachter konnte man eine gewisse Enttäuschung darüber entnehmen, dass in ihrer Liebe dieses unheimliche Feuer, das hier noch brannte, erloschen war oder nur noch glimmte. Alsbald entspann sich bei den umliegenden Paaren eine lebhafte Diskussion darüber, warum es bei ihnen nicht mehr so war, wie bei diesen beiden. Die Ehefrauen warfen ihren Männern vor, sie ließen es an der notwendigen Zärtlichkeit fehlen, um die Liebe so richtig zum Entflammen zu bringen. Umgekehrt wehrten sich die Männer mit dem Hinweis, ihre Partnerinnen sollten sich doch eine „Scheibe“ von dieser Frau abschneiden.

Nur eine ältere Dame, die sich in die Diskussion einmischte, meinte, das Ganze sei nicht normal, denn wenn die beiden ein erfülltes Eheleben führen würden, bräuchten sie sich nicht in aller Öffentlichkeit so aufzuführen.

Irgendwelche Rücksichten kannte unser junges Paar auch weiterhin nicht. An einem Winterabend holte die junge Frau ihren Mann aus der Bank ab, in der er arbeitete. Sein Büro war hell erleuchtet, als sie und ihr Ehemann am Fenster (ja, man muss es so ausdrücken:) übereinander herfielen. Die Angestellten der Bank, die zu diesem Zeitpunkt aus dem Hauptausgang strömten, bekamen dieses Liebesleben der beiden natürlich mit. Im Nu hatte sich eine Menschentraube gebildet, die mit Beifall und Gejohle das begleitete, was sich da oben am Fenster abspielte. Am nächsten Tag wurde in der Bank weniger gearbeitet als sonst, denn es gab nur ein Gesprächsthema, das wohl nicht näher beschrieben werden muss. Abgesehen von ein paar älteren Angestellten, welche die „Aufführung“ des jungen Paares als deplaziert betrachteten, herrschte Bewunderung vor. Zum einen bestaunte man, dass die Liebe dieser beiden auch noch nach Jahren so heftig war. Zum anderen fand man es „toll“, dass sich das junge Paar einen Dreck um die anderen Leute scherte.

Dann plötzlich ereignete sich etwas, was wie eine Bombe einschlug: Die junge Frau hatte Klavierunterricht bei einem alten „Pfuideibel“, wie ihn eine Nachbarin beschrieb. Er war jedenfalls der absolute Antityp im Verhältnis zum Ehemann: klein, krumm, ausgemergelt, schon etwas ältlich mit schütteren langen, öligen Haaren und einem ungepflegten, grau-meliertem Bart, der den Eindruck machte, als stammten seine Verfärbungen vom letzten Essen. Eines Tages bemerkte die erwähnte Nachbarin, dass das Klavierspiel schon sehr früh verklang. Neugierig ging sie auf ihre Terrasse und lauschte an der Trennwand zum anderen Garten. Was sie hörte, war so eindeutig, dass sie nichts Eiligeres zu tun hatte, als den jungen Ehemann in seiner Bank anzurufen: er solle doch einmal nach seiner Frau schauen; da würden ihm die Augen übergehen. So war es dann auch, als der Mann — von finsteren Vorahnungen getrieben — nach Hause raste: Er erwischte die beiden „in flagranti“.

Das Ereignis verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Die Kommentare der Menschen waren unterschiedlich:

„Das kann doch nicht wahr sein!“ meinten die einen. Andere mutmaßten, dass die junge Frau vielleicht eine Nymphomanin sei. Weder das eine noch das andere stimmte, wie sich im Scheidungsverfahren herausstellte. An sich sind ja Richter zur Verschwiegenheit verpflichtet. Doch gilt dies nur für den Normalfall, nicht aber für einen Prozess, der überall in der Stadt das Thema war, über das man sprach. So sickerte durch, was in dieser von vielen bestaunten Traumehe wirklich los war, nämlich so gut wie nichts.

Der Ehemann war nach dem Gutachten eines hinzugezogenen Psychiaters psychisch krank, was dem Vernehmen nach auf eine sonderbare Ursache zurückzuführen sein soll: Als seine Eltern einmal ins Kino gegangen waren, hatte er sich ein Mädchen ins Haus geholt. Als die beiden jungen Leute gerade mit ihrer ersten Liebe begonnen hatten, kamen seine Eltern zurück, weil sie keine Karten mehr für die Vorstellung bekommen hatten. Sie sahen nun eine ganz unerwartete andere Vorführung. Daraufhin gab es einen furchtbaren Familienkrach mit schweren Strafen für den jungen Mann. Die Folge dieses Ereignisses soll gewesen sein, dass er von da an nur noch zeugungsfähig war, wenn die Gefahr bestand, von anderen beobachtet zu werden: So soll er das erste Kind mit seiner Frau während eines Opernbesuchs gezeugt haben, als beide sich im Männerklo einsperrten und die versammelten Garderobefrauen an die Tür trommelten, um die Frau aus der Kabine zu verweisen. Das zweite Kind soll beim „Probeliegen“ in einem Kaufhausbett entstanden sein.

Man weiß natürlich nicht, ob dies alles so stimmt, was so berichtet wird. Ein Psychiater wird die ganze Geschichte womöglich mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen. Jedenfalls haben all diese Gerüchte einen großen Vorteil: Die Ehefrauen sind wieder zufrieden, wenn ihr Mann in der Badeanstalt neben ihnen liegt und sich in seine Zeitung vertieft. Auch nehmen die Männer nicht mehr Anstoß daran, wenn sich ihre Frauen einer Handarbeit oder einem Buch widmen. Der schäbige Neid, der wie eine giftige Wolke über dem Schwimmbad lag, ist entschwunden und hat wieder einer entspannten Ruhe Platz gemacht, wie es sich für einen Ort der Erholung gehört.

Der 7. Himmel hat ein Loch

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