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4. KapitelWorin Hagen das Passwort findet

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Das Akrostichon beschäftigte mich während der Fahrt zurück nach Gut Fuchshaym. Walter ein Kinderschänder? Das konnte nicht sein. Eine primitive Beschuldigung, man kannte dergleichen von enttäuschten Geliebten oder geschiedenen Müttern. In meinem Fall waren es die Eltern des Mädchens gewesen. Der Justizskandal Outreau fiel mir ein. Und er war nicht der einzige.

Und wenn doch was dran war? Man konnte ja nicht einmal in die dunklen Tiefen des eigenen Ich vordringen, geschwiege denn von anderen. Dann war der Mord gar nicht im Zusammenhang mit dem „Projekt“ zu sehen? War vielleicht eine Rachetat für begangenes oder vermeintliches Unrecht?

Sollte es so sein, war ich nicht gefährdet. Eine verstörende Schlussfolgerung. War Walter ein Kinderschänder, war ich vermutlich fein raus. Wenn nicht, dann dürfte ich weiter im Visier dieser Leute sein.

Am Fuchshaym’schen Gut angekommen, nahm ich mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Es war nicht kalt genug. Ich berührte die Innenlampe: Sie war sehr warm. Also musste die Tür lange Zeit offen gewesen sein. Ich war sicher, sie am Vorabend geschlossen zu haben. Ein schwacher Geruch lag im Raum, kaum wahrnehmbar, aber meine önologisch geschulte Nase meinte ein herbes Parfum wahrzunehmen, Tabak vielleicht, oder Zeder. Hatten meine Verfolger mich schon aufgespürt? Ich kontrollierte meine Aktentasche, meine Dokumente und schriftlichen Unterlagen, schaute im Kleiderschrank nach, ob er durchwühlt worden war, fand nirgends Spuren eines Besuches. Walters Festplatte war an ihrem Platz in meiner Computertasche, der PC stand auf dem Schreibtisch, der Bildschirmschoner zeigte im Zweisekundentakt eine Fotostrecke mit Audrey Hepburn. Ich hatte natürlich ein Passwort, aber es war unvorsichtig gewesen, den Rechner während meiner Abwesenheit laufen zu lassen.

Ich musste vorsichtiger sein. Andererseits, Walters Koffer war in Sicherheit.

Ich befragte Nina nach dem Unterricht, wer alles einen Schlüssel zum Gästehaus besaß. Hassina sicher, Jerome? Und der Gärtner? Sie wusste es nicht, ich solle Hassina fragen. Was ich tat, deren Reaktion beobachtend. Aber da war nichts. Jerome hatte einen Schlüssel, um Gäste bei Bedarf gleich einquartieren zu können. Ob der Gärtner einen hatte, wusste sie nicht, und verwies mich an die Herrschaft. Nein, die Gräfin sei gestern abgereist, eine mehrtägige Vorlesung an der Sorbonne. Graf Fuchshaym war auch nicht im Haus, aber morgen früh könne ich ihn noch vor einer Geschäftsreise befragen.

Der Hauslehrer schien derjenige zu sein, der hier die Stellung hielt, die Herrschaft flog ständig aus. Auch gut, so hatte ich meine Ruhe.

Am nächsten Morgen wachte ich spät auf. Fuchshaym war schon zeitig zum Flughafen abgefahren. Es hätte mir sowieso nichts gebracht, wegen des Schlüssels nachzufragen. Besser, ich erwähnte meinen Verdacht gar nicht. Ich hatte mir vorgenommen, in Zukunft den Computer stets auszuschalten und die heiklen Dateien zu verschlüsseln. Ich brauchte Bewegung, und da es ein schöner Vormittag war – die Sonne stand noch tief, das warme Licht fiel schräg durch das Geäst und überzog den Waldboden hinter dem Gut mit Gold –, nahm ich einen Waldweg, den ich schon einige Male gegangen war, um meine Gedanken zu ordnen. Walters Angst vor Verfolgern, der Pädophilie-Hinweis, zwei Todesfälle im Umfeld des gleichen Forschungsprojekts – wo war ich da hineingeraten?

Ich musste vom Weg abgekommen sein, denn ich fand mich in einem Waldstück, das so dicht war, dass ich gezwungen war, die Zweige der Fichten wegzudrücken. Ich umging das Gehölz also Richtung Osten, dort vermutete ich die Forststraße, die zum Gut zurückführte.

Plötzlich ein Geräusch wie von einer zufallenden Autotür. Ich blieb stehen, versuchte die Quelle zu lokalisieren. Es kam aus Südosten, hinter dem Dickicht. Ich lugte vorsichtig durch die Zweige, erkannte eine Gestalt, vielleicht fünfzig Meter entfernt, die schräg auf mich zuging. Jetzt sah ich auch das Auto, dessen Tür ich schlagen gehört hatte. Genau genommen waren es zwei: ein dunkelblauer SUV und der militärgrüne Jeep Cherokee von Fuchshaym, beide auf der vermuteten Forststraße geparkt. Ich hatte die Sonne im Rücken, darum konnte ich den Mann gut sehen, er mich aber nicht. Er trug einen weißen Kaftan über ebensolchen Hosen, die über den Knöcheln endeten. Sein hagerer Kopf war von einem langen Bart gesäumt. Der Mann trug einen Koffer aus profiliertem Alu.

Ich kannte diesen Koffer. Es war jener, den mir Walter zur Aufbewahrung gegeben hatte. Der, so hatte ich gedacht, in einem Schließfach am Wiener Hauptbahnhof lagerte.

Ich blieb wie erstarrt hingekauert, sah den Mann hinter dem Dickicht verschwinden. Ich wartete gefühlte fünf Minuten, dann schlich ich zum Rand des Dickichts, um einen Blick auf die Lichtung dahinter zu haben. Dort stand eine Blockhütte aus grob gezimmerten Stämmen, nicht größer als vier oder fünf Meter im Quadrat. Daneben eine Heuraufe für das Wild. Vor der Tür eine überdachte Veranda mit Bank, kleine Fenster. Die Vorhänge waren zugezogen. Es sah aus wie ein Unterstand für Jäger, aber warum waren da Vorhänge? Seltsam, mitten im Wald.

Die Sonne stieg höher, die Schatten wurden kürzer. Ich beschloss, vorsichtig zu sein, und trat den Rückzug an, machte einen großen Bogen um die geparkten Autos und die Forststraße, an deren Richtung ich mich orientieren konnte, um den Weg zurück zu finden. Gleich hinter dem Anwesen begegnete ich Hassina, die mit einem Korb unterwegs war. Sie grüßte freundlich, erklärte, sie wolle Pilze für das Abendessen sammeln, und wir plauderten einige Minuten. Pilze, so zeitig im Jahr? Ja, Maipilze wüchsen schon, sehr delikat, sie habe schon welche gesehen. Beim Gut angekommen, merkte ich, dass ich mehr als vierzig Minuten für den Rückweg gebraucht hatte. Ich hatte keine Maipilze gesehen.

Der Tag darauf war unterrichtsfrei. Eine gute Gelegenheit, meinem Verdacht nachzugehen. Die Furcht ist eine schlechte Lehmeisterin, besonders während einer langen Autofahrt nach Wien. Meine Zweifel wurden beständig größer, ich grübelte, wie der Islamist – wie ich ihn für mich nannte – sich Zugang zu Walters Koffer verschafft haben konnte. Bei den Gehältern im öffentlichen Dienst war es leicht, irgendeinen Bahnhofsheini zu bestechen …

Selbstverständlich befand sich der Koffer noch im Schließfach. Der, den ich gesehen hatte, war also ein Zweitexemplar, und er hatte vermutlich den gleichen Inhalt. Es blieben mir zwei Stunden, also schnell in meine Wiener Wohnung, vorsichtig beim Aufschließen der Tür, den Koffer geöffnet. Er enthielt einen Motorradhelm. So dachte ich, aber bei näherer Betrachtung entpuppte sich die anthrazitgraue Hülle als Buckminster-Dome mit brillenglasgroßen, sechseckigen Waben. Das Ganze war flexibel, die Waben hatten elastische Fugen, das Ding ließ sich wie ein aufgeschnittener Fußball verformen. In Nackenhöhe saß ein Knubbel, von dem ein etwa zwei Meter langes Kabel zu einem schwarzen Kästchen lief. Dazu gab es eine VR-Brille mit integrierten Ohrhörern. Sie sah aus wie die Rift 10 von Oculus, aber schlanker.

Keine Anleitung, aber wozu auch – es gab nichts zu verstehen, man sollte wohl das Ding und die Brille aufsetzen, das Kästchen an die Steckdose und den USB-Anschluss an den Rechner schließen. Das Grau des Blickfeldes flimmerte, das grüne friedliche Tal erschien wie aus lichtem Nebel in hyperrealistischer Schärfe, und davor hing greifbar nah

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