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1.5 Brauchen wir einen PISA-Test für Kultusminister?

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Das Beste, was Kultusminister tun können, ist, die Schulen freizulassen.

Dass Deutschland so schwach bei PISA und Norddeutschland so ungünstig bei PISA-E abgeschnitten haben, war ja gut, weil damit endlich einmal – und wegen der Fortsetzung der PISA-Studien auch nachhaltig – der Blick der Öffentlichkeit und zumal der Politik auf Erziehung und Bildung, auf Kinder, Jugendliche und die Zukunft der Schulen gezwungen wurde. Nach drei Jahren einer allgemeinen PISA-Debatte macht sich aber nun doch Ernüchterung breit. Denn nur sehr wenig deutet sich an Verbesserungen an, und die richten sich eher auf äußere Maßnahmen als auf eine dringend erforderliche innere Schulreform.

Nachdem jetzt ganz ernsthaft als eine Konsequenz ein PISA-Test für Lehrkräfte vorbereitet wird, der aber gar nicht funktionieren kann, weil die Qualität von Lehrerpersönlichkeiten auf diese Weise auf keinen Fall einzufangen ist, und mehr scherzhaft sogar ein PISA-Test für Eltern, bräuchten wir wohl vor allem einen PISA-Test für Kultusminister, denn sie gehen durch die Bank einerseits recht unintelligent und andererseits nach wie vor ideologisch an die Schulgestaltung heran.

Was an PISA richtig war, wussten wir schon zuvor, dass wir nämlich als Folge von Demokratisierungsprozessen, die mit erlaubter Meinungs- und Wertevielfalt, mit Familienzerfall, mit Migrationswellen und mit Marginalisierung einzelner Gruppen einhergehen, die größten Leistungs- und Verhaltensbandbreiten von allen vermessenen 31 OECD-Ländern bei 15-Jährigen haben und dass die Jungen nicht mehr mit den Mädchen beim Lernen Schritt halten können. Was an PISA hingegen falsch ist, ist das Ranking der Länder, das die Autoren aber eigentlich auch gar nicht haben wollen.

Die Schule vor Ort zu stärken ist eine Konsequenz aus PISA. Die Kultusminister wollen den unterschiedlichen regionalen Bedingungen von Schulen Rechnung tragen, wenn sie von „selbstständiger Schule“ mit eigenem Profil oder Schulprogramm, von „schulscharfer Einstellung“ oder Personalhoheit der einzelnen Schule, von „eigener Budgetierung“ und von Schulmanagement sprechen. Aus diesem Grund hat Niedersachsen schon vor einiger Zeit die meisten Schulräte abgeschafft, um deren Kompetenzen den Schulleitern übertragen zu können.

Eine andere Folge von PISA ist die Diskussion um „Mindeststandards“ bzw. „Bildungsstandards“, so dass die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern nun gemeinsame Lehrpläne entwickeln; leider hat Schleswig-Holstein aber die Chance vertan, sich diesem Konzept anzuschließen, und Niedersachsen und Hamburg wollen sich als inzwischen nicht mehr SPD-regiert dieser Initiative ohnehin nicht anschließen.

Weniger zentrale Vorgaben und mehr Schulgestaltung vor Ort ist eine Einsicht, die die Kultusminister offenbar von den bei PISA oben stehenden skandinavischen Ländern und von Kanada her gewonnen haben, und dass Bildung nicht erst mit der Einschulung, sondern schon mit der Geburt beginnt, ist die andere. Konsequenterweise hätten sie dann aber auch die Lehrpläne deutlich entrümpeln und straffen müssen sowie die Grundschule mit dem Kindergarten integrieren sollen, wie es gerade das neue Volksschulgesetz des Kantons Zürichs auf den Weg bringt, und nicht nur mit parteiübergreifendem Konsens dafür sorgen zu wollen, dass Kinder bereits gut Deutsch können und ganztägig kompensatorisch im Vorschulbereich versorgt werden, bevor sie eingeschult werden. Aus Zürich hätte man übrigens auch lernen können, dass in dem Maße, wie bei immer mehr Kindern die Arbeitsteilung zwischen der erziehenden Familie und der bildenden Schule nicht mehr funktioniert, die Eltern strafbewehrt zur Teilnahme an Elternabenden und -sprechtagen gezwungen werden können, dass Lehrerstudenten nicht nur zu Lehrern für Fächer, sondern auch zu Klassenlehrern ausgebildet werden müssen, und dass Schüler besser lernen, wenn sie statt nur einen zwei Klassenlehrer haben, indem zwei Lehrkräfte zusammen zwei Klassen führen, wie es viele Hamburger Gesamtschulen und auch sonst viele deutsche Schulen seit Jahren geregelt haben.

Aber die Debatte um die Lehrerbildung kommt nach PISA ohnehin zu kurz: Moderne Lehrer müssen viel mehr als bislang von Hochbegabung, von AD(H)S, von Legasthenie, von Rechenschwäche, von feinmotorischen und Hörcortex-Problemen, von Hirnforschung und Lernpsychologie, von Medienerziehung, von Prävention gegenüber Gewalt, Sucht, Krankheit und Angst, von Ernährung und Bewegungserziehung, von Jungenpädagogik in Bezug auf das von den Amerikanern so genannte DDS (Daddy-Deficit-Syndrom) sowie von einer ergiebigen Zusammenarbeit mit dem Elternhaus und dem Stadtteil verstehen, als bislang in den Lehrerprüfungs- und Studienordnungen angelegt ist, ganz zu schweigen davon, dass wir dringend – wie anderswo üblich – eine obligatorische Lehrerfortbildung in den Schulferien benötigen.

Wenn jetzt auch in der Hamburger Bildungsbehörde häufigere Vergleichsarbeiten, eine Reduktion des Elternrechts bei der Schullaufbahnentscheidung, das Zentralabitur, eine Erhöhung der Hürden, um ins Gymnasium zu kommen, und schärfere Abschlussprüfungen gefordert werden, dann werden unsere Schulen genauso wenig besser werden wie durch die vom ehemaligen Generalsekretär der SPD, Olaf Scholz, und der heutigen Bundesbildungsministerin Annette Schavan einmütig geforderte Erhöhung der „Leistungskultur“ statt der bisherigen – sowieso nie vorhandenen – „Kuschelpädagogik“. Mit mehr Angst wird Lernen noch nicht ergiebiger, mit mehr motivierenden und mitreißenden Effekten ginge das schon eher. Aber wir sind eben noch weit entfernt davon, verstehen zu wollen, dass die in Finnland, Dänemark, Norwegen und Schweden selbstverständliche Notenfreiheit bis zur Klassenstufe 5, 7 oder 8, die wesentlich längere gemeinsame Grundschulzeit und eine starke schülerbezogene Individualisierung des Lernens, mit der Lehrer einen Schüler nicht loswerden können, sondern mit der sie sich auf seine Besonderheiten einzustellen haben, mehr bringt, „als die Sau immer wieder voller Androhungen zu wägen, statt sie zu mästen“, und dass man in Kanada beste Erfahrungen damit macht, jedem Schüler eine weitere Bezugsperson aus der Arbeitswelt („business-“ oder „community-partner“) an die Seite zu stellen, den Eltern „parent-raps“ in Sachen Erziehung anzubieten, die Schüler mehr über Handeln und Reden statt über Zuhören lernen zu lassen und die Schulen auf die drei Beine „academics“ (Wissensvermittlung), „teamwork“ und „personal management“ (Fähigkeit, sich selbst zu organisieren) zu stellen. Immerhin hat die brandenburgische SPD wenigstens aus PISA den Schluss gezogen, die in ihrem Land ohnehin schon sechsjährige Grundschule auf neun Jahre auszudehnen, so wie es bemerkenswerterweise auch die baden-württembergische Handwerkskammer empfiehlt, die Grünen fordern und der Landesparteitag der schleswig-holsteinischen SPD im Laufe von 15 Jahren umsetzen will.

Die PISA-Ergebnisse ließen sich aber auch so interpretieren: Die deutsche Schule ist traditionell eine Halbtagsschule, die die nachmittägliche Ergänzung der Hausaufgaben brauchte. Während die Schüler vormittags in großen Gruppen belehrt wurden, setzten sie sich nachmittags allein und selbstständig mit den „Schulis“ auseinander. Das ergab insgesamt eine große Lernmenge. Wohlmeinende Lehrer haben jedoch in den letzten 40 Jahren den Anteil der Hausaufgaben um etwa zwei Drittel reduziert, so dass heute weniger angewendet und geübt wird als früher. Und da es in Süddeutschland noch heute etwa doppelt so viele Hausaufgaben wie in Norddeutschland gibt, ist es kein Wunder, dass Bayern und Baden-Württemberg bei PISA-E besser abschneiden als Niedersachsen an sich und Hamburg bei den Gymnasien. Wenn die norddeutschen Schüler also besser werden sollen, muss man entweder ihre Hausaufgabenmenge verdoppeln oder die „Schulis“ in Ganztagsschulen integrieren. Indem jede vierte deutsche Schule in Richtung Ganztagsschule ausgebaut werden soll, wird sich vielleicht diesbezüglich einiges verbessern.

Und warum schneiden die SPD-regierten Länder schlechter ab? Es könnte ja sein, dass die Sozialdemokraten mit ihren Schulkonzepten näher an den erfolgreichen skandinavischen Ländern und an Kanada dran sind als die unionsregierten, dass sie jedoch das notwendige Neue halbherziger umsetzen als die Union das Althergebrachte. Konsequent am Bisherigen festzuhalten bringt gewiss mehr, als integrative Lernwerkstätten statt Belehrungsanstalten, jahrgangsübergreifende Lernfamilien statt Klassen, Lernberater statt Be-Lehrer, Lernbereiche statt Fächer, eine länger währende Grundschulzeit ohne Selektion von Schwachen, Partizipation von Eltern und Schülern in einer selbstständigen Schulgemeinde vor Ort statt einer von oben her zentral gesteuerten Unterrichtsanstalt und Lernentwicklungsberichte statt Notenzeugnisse nur anzudenken.

Von den bei PISA oben stehenden OECD-Ländern, aber auch von unseren guten Privatschulen können wir lernen, dass die Sonne immer von unten aufgeht, dass Schulen also besser und sogar noch kostengünstiger geraten, wenn sie mit ihren selbstgestalteten Profilen („Schulprogramme“) in einen Wettstreit treten dürfen, sich also vor Ort reformieren. Schulbehörden müssen das nur erlauben, und daher hatte der ehemalige Hamburger Bildungssenator Rudolf Lange immerhin in diesem Punkt Recht, wenn er den Eltern erlaubte, fortan schon die Grundschule frei zu wählen, so wie es sich beispielsweise in Cottbus bewährt hat.

Der PISA-Koordinator der Wirtschaftsorganisation OECD, Andreas Schleicher, mahnt Deutschland, mit seinen Schulreformen endlich nach vorn und nicht nach rückwärts „in die Puschen zu kommen“, da sich die industrielle Produktion der OECD-Staaten bis zum Jahr 2020 etwa verdoppeln und da der Anteil der handarbeitsmäßig Erwerbstätigen damit auf zehn bis zwölf Prozent schrumpfen werde. Den Rest werden „Wissensarbeiter“ leisten müssen, deren Ausbildung spätestens heute beginnen müsse, wenn Deutschland wettbewerbsfähig bleiben wolle.

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