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1.6 Was macht die finnischen Schulen so gut?

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Wenn Schüler nicht sitzen bleiben oder von der Schule verwiesen werden können, beginnen die Lehrer, sich auf sie einzustellen.

Fast fünf Millionen Arbeitslose warten in Deutschland darauf, dass das Arbeitsamt ihnen einen Job anbietet. Aber einer, nämlich der Hamburger Marco Dührkopp, wurde selbst tätig: Er installierte ein riesiges Stellengesuch als Plakatwand am Meßberg, mit dem Resultat, dass er 120 Angebote bekam. Er hatte sich etwas Ungewöhnliches einfallen lassen, war kreativ und insofern erfolgreich.

Eines der Resultate der PISA-Studie ist, dass deutsche Kinder lieber rechnen, als mathematische Probleme zu lösen, obwohl doch Selbstständigkeit, Kreativität und Handlungskompetenz mittlerweile anerkannte „Schlüsselqualifikationen“ im deutschen Schulwesen sind und so auch im gültigen Hamburger Schulgesetz stehen.

Finnland hat eine europäische Randlage und keine günstigen klimatischen Voraussetzungen, ihm wird aber von der Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen UNDP bescheinigt, gleich nach Island das technologisch am weitesten entwickelte Land der Erde und das mit der höchsten Wettbewerbsfähigkeit zu sein, so wie PISA ihm bestätigt, die besten Schulen zu haben. Und wenn man erkundet, was finnische Schulen von deutschen unterscheidet, dann stößt man auch auf die finnischen Elemente „Selbstverantwortung statt Fremdsteuerung“ und „Problemlösekompetenz statt Einübung fertiger Lösungen“. Das wirkt sich neben anderen Unterschieden zu deutschen Schulen offenbar aus:

– Etwas überzeichnet könnte man sagen, in Finnland beginne Bildung mit der Geburt, in Deutschland mit der Einschulung. Schon im Kindergarten werden die Schwachen in Finnland gefördert, „keiner darf zurückbleiben“ ist das Motto, denn der Zurückgebliebene würde den Lernfortschritt in den flächendeckend existierenden Gesamtschulen, die auch sämtlich Ganztagsschulen sind, bremsen.

– Wenn ein Schüler Lernprobleme hat oder seine Hausaufgaben vernachlässigt, erhält er Einzelunterricht von seinem Klassenlehrer am Nachmittag, und ohnehin setzt sich der Lehrer mindestens einmal im Jahr mit jedem Schüler und seinen Eltern zusammen, um im Gespräch die künftige Art und Weise des Lernens individuell auszurichten, denn finnische Lehrer können keinen Schüler loswerden, sie haben sich stets auf seine Besonderheiten einzustellen. Bei größeren Verhaltensschwierigkeiten wird deshalb der Schüler einer „Lösungsgruppe“, die aus einem Jugendpfleger, einem Arzt, einem Schulpsychologen, einem Sonderpädagogen, einer Gesundheitsfürsorgerin und einem Lehrerassistenten, der sich fortan intensiv nur um diesen Schüler zu kümmern hat, besteht, überwiesen.

– In den deutschen Schulen überwiegt das Element der Auslese gegenüber Schwachen, in Finnland das der Förderung. Während Bayern jetzt wieder Noten ab Klasse 1 einführen will und schwierige Schüler vorzeitig von der Schulpflicht entbinden will, gibt es in Finnland, Dänemark, Norwegen und Schweden vier bis acht Jahre gar keine Noten; danach greift aber ein deutlicheres Notensystem als bei uns, weil kleine Kinder besser ohne Noten lernen, Jugendliche aber besser mit Noten.

– Österreich gibt weltweit am meisten für jeden Schüler aus, Finnland aber viel weniger. Trotzdem steht Österreich bei PISA nur auf Platz 10, Finnland aber auf Platz 1. Überhaupt gilt für sämtliche Staaten, die bei PISA mitmachen: Wo es verschiedene Schulformen mit höheren und niedrigeren Niveaus nebeneinander gibt, haben die Länder eher schlecht abgeschnitten, wo es aber stattdessen Variationen im Sinne von individuellen Bildungsprogrammen innerhalb der Schulen gibt, haben die Länder besser abgeschnitten. Wer mit Selektion schwache Schüler ausgliedert, koppelt sie von mitreißenden Effekten ab und fördert, dass sie sich auch selbst früher aufgeben und damit nicht mehr lernbereit genug sind. Die finnische Integration in der theoretisch neunjährigen, de facto aber zwölfjährigen Grundschule führt auch nicht – wie bei uns immer befürchtet – zu einer Unterforderung der guten Schüler, denn Spitzenbegabte werden dort in der Gesamtschule genauso individuell gefördert wie schwache Schüler. Die Finnen sagen: „Wir sind nur fünf Millionen Menschen; wir können es uns also gar nicht leisten, auch nur ein Kind nicht genügend zu fördern.“

– Die finnischen Schulen passen nicht die Schüler an sich an, sondern sie versuchen, die Schulen an die Schüler anzupassen. Es hat, wie die Finnen selbst sagen, mehr als 20 Jahre gedauert, bis man den Gemeinden die Hauptverantwortung für ihre Schulen konsequent mit Budgetierung, Personalhoheit und Profilbildung übertragen konnte. Das Bildungsministerium in Helsinki hat nur noch eine koordinierende und evaluierende Funktion, mittlere Instanzen wie Schulämter wurden ganz abgeschafft, weil eine staatlich gesteuerte schulische Planwirtschaft von oben herab Lehrern die notwendige Mündigkeit raubt und sie als bloße „Bildungsvollzugsbeamte“ demotiviert.

– In Finnland wollen immer die besten Abiturienten Lehrer werden, davon werden aber nur zehn Prozent zum Studium zugelassen. Finnische Lehrer haben im Unterschied zu den deutschen ein außerordentlich hohes Ansehen, und sie sind nicht dem Ministerium, sondern nur der Gemeinde gegenüber verantwortlich, von der sie bezahlt werden, also den Eltern ihrer Schüler.

– Die finnischen Schulen sind an fünf Stellen flexibilisiert: Irgendwann entscheiden Mama, die Vorschullehrerin und der Schulleiter, wann das Kind in die erste Klasse kommt, und das wird für jedes Kind individuell entschieden.

– In einer Eingangsphase, die die Klassen 1 und 2 ersetzt, kann das Kind ein, zwei oder drei Jahre verweilen, bevor es in die 3. Klasse kommt.

– Die Ganztagsschule muss man bis 15 Uhr besuchen, man kann aber auch bis 17 Uhr bleiben. Wer bleibt bis 17 Uhr? Wer irgendwo schwach ist oder wer sich für irgendwas besonders stark interessiert.

– Der Stoffplan für sechs Wochen füllt nur die Hälfte der Zeit, die andere Hälfte füllt der Schüler selbst.

– Das Gymnasium umfasst die Klassenstufen 10, 11 und 12; die kann der Schüler in zwei, drei oder vier Jahren durchlaufen; das entscheidet er selbst; wer an den Skisprungweltmeisterschaften teilnimmt, braucht eben vier Jahre, ohne dass er schwächer begabt sein muss. Im Vordergrund der finnischen Pädagogik steht das Motto: Gemeinschaft schaffen und zugleich ein Höchstmaß an Individualisierung bieten.

Die 15 Gebote des Lernens

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