Читать книгу Die 15 Gebote des Lernens - Peter Struck - Страница 8

Einleitung:
Die Wirren um TIMSS, PISA und IGLU

Оглавление

„Das Individuum wird von seinen Erziehern behandelt, als ob es zwar etwas Neues sei, aber eine Wiederholung werden solle.“

Friedrich Nietzsche

Nachdem es schon immer mal wieder kleine internationale Schüler- und Schulleistungsvergleichsstudien gegeben hatte, nachdem man schon immer Schulrankings in Großbritannien, in den USA und in Kanada erstellt hatte, die leicht verächtlich auch „Schulhitlisten“ genannt werden, und nachdem eine Stadtillustrierte für Hamburg bereits zweimal eine Rangordnung aller Gymnasien und Gesamtschulen aufgestellt hatte, die allein auf zweifelhaften Schülerbefragungen beruhte, ging es in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts erstmals mit großer öffentlicher Beachtung und leidenschaftlichen Folgediskussionen los: TIMSS hieß die große internationale Studie, die aber eigentlich schon die dritte ihrer Art war: „Third International Mathematics and Science Study“ war ihr voller Name. Schweden und die Niederlande hatten am besten abgeschnitten, Deutschland lag nur auf dem 14. Platz bei Mathematik und Naturwissenschaften bei Achtklässlern und noch deutlich schlechter bei Zwölftklässlern. An dieser Studie nahmen nur gut 20 Länder teil, und die deutsche Schockfrage war: „Warum schneiden russische Schüler besser ab als deutsche, obwohl doch die russischen Schulen viel schlechter ausgestattet sind und obgleich doch die russischen Lehrer nicht mal regelmäßig bezahlt werden?“

Eine Antwort war schnell zur Hand: In einer reizarmen Umgebung Sibiriens, in der es eigentlich nur einen dramatischen Sommer-Winter-Rhythmus gibt, und in einer materialarmen Schule kann der Lehrer eigentlich nicht sehr viel mehr machen, als stundenlang Rechentürme rechnen und Texte abschreiben zu lassen, vorlesen und erzählen und lesen zu lassen, und da ansonsten nicht viel Ablenkungen im Sinne von Reizüberflutung vorhanden sind, wirkt sich das starke rechnerische Üben positiver aus als bei dem Fach Mathematik in Deutschland, das sich zwischen einer Fächerfülle in hochgerüsteten Schulen, zwischen gewaltigen Bildschirmeinflüssen, multimedial ausgestatteten Kinderzimmern, Fußgängerzonen und Einkaufszentren sowie Urlaubsreisen zwischen Karibik und Zermatt verbirgt. Und da bei TIMSS gemessen wurde, wie schnell und wie häufig richtig Aufgaben von der Art 39,8 mal 41,2 bewältigt werden, können ein paar Sekunden Unterschied bis zur Lösung und ein paar Prozentpunkte häufiger richtig gelöste Aufgaben bereits einen Rangordnungsunterschied zwischen den Plätzen 4 und 14 ergeben.

Oder einige Mathematik-Didaktiker gaben zu bedenken, dass ein deutscher Schüler längst begriffen habe, dass man bei der gerade erwähnten Aufgabe wissen müsse, was da ungefähr rauskomme, nämlich 40 mal 40 = 1600, und dass die genaue Ziffernfolge der Taschenrechner liefere, so dass in unserem Kulturbereich Schätzenkönnen mittlerweile bedeutsamer sei als das korrekte Multiplizierenkönnen in Russland.

Kritiker von Schülerleistungsvergleichsstudien verweisen also immer wieder darauf, dass man letztlich unterschiedliche Regionen nicht miteinander vergleichen dürfe, solange nicht gesamte komplexe Netzwerke miteinander verglichen würden, was aber gar nicht möglich sei.

Also ging man daran, die Messmethoden zu verfeinern in Richtung mehr Stimmigkeit. Und dabei kam dann zunächst PISA heraus, was in voller Länge heißt: „Programme for International Student Assessment“. Hierbei wurden aber auch nur drei von etwa 500 Leistungsfeldern, die junge Menschen in sich tragen, vermessen: Lesekompetenz, Mathematische Grundbildung und Naturwissenschaftliche Grundbildung, und zwar bei 15-Jährigen unter 31 OECD-Staaten.

Bei der Lesekompetenz „gewann“ Finnland mit einem Mittelwert von 546 Punkten (500 Punkte wurden von vornherein als internationaler Durchschnittswert angesetzt), gefolgt von Kanada (534 Punkte), Neuseeland (529), Australien (528), Irland (527), Südkorea (525), Großbritannien (523) und Japan (522). Die USA (504) und Dänemark (497) erreichten in etwa den internationalen Durchschnittswert, Deutschland lag mit 484 Punkten auf Platz 21, und ganz am Schluss standen Luxemburg (441), Mexiko (422) und Brasilien (396 Punkte).

Bei der Mathematischen Grundbildung verschoben sich die Plätze nur ein wenig: Es führten Japan, Südkorea, Neuseeland, Finnland, Australien, Kanada und die Schweiz, Deutschland lag auf Platz 20, und am Schluss befanden sich wieder Luxemburg, Mexiko und Brasilien. Bei der Nachermittlung für das Jahr 2004 hat Deutschland in Mathematik das unbefriedigende Ergebnis, dass seine Zehntklässler in etwa 40 Prozent der Fälle keine Fortschritte von Klassenstufe 9 zu 10 gemacht haben.

Schließlich war die Reihenfolge bei der Naturwissenschaftlichen Grundbildung: Südkorea, Japan, Finnland, Großbritannien, Kanada, Neuseeland, Australien und Österreich, Deutschland lag auch hier auf Platz 20 nach Spanien und vor Polen, und am Ende befanden sich Portugal, Luxemburg und Brasilien.

Eigentlich wollte das in Paris sitzende PISA-Konsortium keine Ziffernreihenfolge analog zu Bundesligatabellen und Medaillenspiegeln haben, sondern die vermessenen Nationen zu Gruppen zusammenstellen, weil die geringen Punkteunterschiede zwischen zwei benachbarten Nationen der Rangreihung mindestens der Fehlerwahrscheinlichkeit bei Messung und Auswertung entsprechen; aber die Medien wollten dann doch gern statt der Ausweisung einer Gruppe, bestehend aus Italien, Deutschland, Liechtenstein, Ungarn und Polen beim Leseverständnis, deren Werte zwischen 487 und 478 Punkten lagen, konkrete Nummernplätze, weil das etwas spektakulärer ist.

Was bei der Rangreihung auffällt, ist, dass vor allem englischsprachige Länder im oberen Drittel auftauchen: Kanada, Neuseeland, Australien, Irland, Großbritannien. Hat hier die einfachere Sprache die sachlichen Schwierigkeiten der Aufgaben relativiert? Ist die Rangreihung mehr eine Rangreihung der Leichtigkeit der Sprachen? Hat Luxemburg so schlecht abgeschnitten, weil nur dort die 15-Jährigen die Fragebögen nicht in ihrer Muttersprache vorgelegt bekamen, sondern in Deutsch oder Französisch?

Ansonsten bleibt die Frage, ob wir die PISA-Rangreihung in ihrer Aussagekraft nicht grundsätzlich überbewerten, denn der Unterschied zwischen Neuseeland auf Platz 3 beim Leseverständnis mit 529 Punkten zu Portugal auf Platz 26 mit 470 Punkten beträgt gerade mal 59 Punkte, was bei einem OECD-Durchschnitt von 500 Punkten nicht sonderlich viel ist. Neuseeland liegt mit seinem 3. Rang nur 5,8 Prozent über dem OECD-Mittel, Portugal mit seinem 26. Rang nur 6 Prozent unter dem Mittel, bei dem in etwa die USA und Dänemark stehen. Deutschland liegt übrigens nur 3,2 Prozent unter diesem Mittelwert. Ist das dramatisch schlimm oder eher als geringfügig zu vernachlässigen?

Kurz nach der internationalen PISA-Studie wurden dann die Ergebnisse für die deutschen Bundesländer unter der Bezeichnung PISA-E vorgelegt:

Baden-Württemberg lag im Leseverständnis genau beim angesetzten internationalen Durchschnitt von 500 Punkten. Nur Bayern war mit 510 Punkten noch besser, während Bremen als einzige separat vermessene Stadt mit 448 Punkten auf dem letzten Platz landete. Hamburg und Berlin hatten – außer bei den Gymnasien – nicht den nötigen Rücklauf an Fragebögen, um mit aufgeführt werden zu können.

Nur bei der Auswertung der Leistungen von Neuntklässlern an Gymnasien tauchten alle 16 Bundesländer auf: So lag bei der Naturwissenschaftlichen Grundbildung Schleswig-Holstein mit 595 Punkten vor Baden-Württemberg (588), Bayern (587) und Sachsen (582). Berlin lag mit 574 Punkten auf Platz 8, Hamburg mit 555 Punkten auf Platz 13 vor Brandenburg (554), Bremen (551) und Sachsen-Anhalt (551).

Bei der Mathematischen Grundbildung führten hingegen Bayern (599), Schleswig-Holstein (590) und Mecklenburg-Vorpommern (577), am Schluss lagen Hamburg (552), Brandenburg (550) und Bremen (547).

Hätte man Bremen nicht mit lauter Flächenländern verglichen, sondern mit Städten wie Köln, Frankfurt am Main oder Leipzig, die sich hinter komfortablen ländlichen Strukturen verstecken können, hätte es bestimmt ganz anders abgeschnitten.

Für den nationalen Schülerleistungsvergleich wurden übrigens weit mehr Schulen pro Bundesland herangezogen als für den internationalen, und zwar je nach Bundeslandgröße unterschiedlich viele. Die Länder sollten jeweils eine Reihe durchschnittlicher Schulen vorschlagen, von denen die PISA-Kommission dann welche zur Messung ausgewählt hat.

Für Deutschland war das schwierig, denn es musste sowohl Gymnasien als auch Hauptschulen, Realschulen und Sonderschulen sowie Gesamtschulen vorschlagen, während Finnland und Schweden beispielsweise nur Gesamtschulen haben. Im Nachhinein wurde kritisiert, dass kleine Länder wie Finnland mit ihrem erhöhten nationalen Stolz doch eher ihre besseren Schulen vorgeschlagen haben als Deutschland, das sich preußisch-korrekt an die Vorgaben hielt.

Die Niederlande haben bei PISA nicht mitgemacht, weil ihr Schulwesen derart bunt ist (fast 70 Prozent ihrer Schulen sind Privatschulen, die aber alle vom Staat bezahlt werden), dass sie nur schwerlich hätten Durchschnittliches auswählen und vorschlagen können. Immerhin haben die niederländischen Schulen bei TIMSS und IGLU weltweit den zweiten Platz hinter Schweden erreicht.

Mit den PISA-Studien wollte man nicht nur Durchschnittswerte ermitteln, sondern auch erkunden, wie viele Schüler ganz leichte Anforderungen bewältigen oder nicht und wie viele Schüler besonders leistungsstark sind. Es wurden also „Kompetenzstufen“ ausgeworfen. So wurde für Deutschland festgestellt, dass nur 50 Prozent der Schulkinder ausländischer Herkunft die Kompetenzstufe 1 beim Lesen erreichen, während in den USA auch relativ viele Kinder aus sozial schwachen Milieus durchschnittliche Leistungen erbringen. In den USA wirkt die Schule, die ja dort eine Gesamtschule ist, integrativer als in Deutschland. Liegt das nur an der einfacheren Landessprache?

Deutschland zeigt bei PISA die größten Leistungsbandbreiten aller vermessenen Länder. Bei uns gibt es besonders viele schwache Schüler und andererseits eine nicht so starke Leistungsspitze, wie sie die skandinavischen Länder und Kanada aufweisen.

Wenn man alle Werte zusammennimmt, haben Finnland und Kanada bei PISA auf internationaler Ebene am besten abgeschnitten, und in Deutschland steht Bayern am besten da, so dass sich viele Menschen bei uns fragen: „Müssen wir denn nun nach Finnland oder nach Bayern pilgern, wenn wir sehen wollen, wie wir besser werden können?“

Die bayerische Schulministerin Monika Hohlmeier hat unlängst einen Kooperationsvertrag mit dem Bildungskommissar der kanadischen Provinz Ontario abgeschlossen, weil beide voneinander lernen wollen. Aber ist dieses Abkommen nicht nur zum Zweck der Außenwirkung gegenüber Wählern getroffen worden? Bayern, das gerade wieder die Noten ab Klasse 1 eingeführt hat, entwickelt sich nämlich in eine ganz andere Richtung als Kanada. Während man in Kanada eher auf die Erhöhung von Motivation, Selbstlernen und Integration setzt, verstärkt Bayern die Elemente Notenhürden am Ende der Grundschule, zentrale Abschlüsse und Selektion.

Neun der zehn kanadischen Provinzen haben bei PISA besser abgeschnitten als Bayern. Nur Neubraunschweig liegt mit seinen 501 Punkten unter Bayern, aber immer noch knapp vor dem deutschen Vizemeister Baden-Württemberg mit seinen 500 Punkten.

Mit Geld allein hat das PISA-Ranking allerdings nicht viel zu tun, denn mit 8062 Euro gibt die Schweiz am meisten pro Schüler aus, gefolgt von Österreich mit 7321 und den USA mit 6445 Euro. Länder wie Schweden (4846 Euro), Niederlande (4592 Euro) und Großbritannien (4108 Euro) haben jedoch mit weniger Bildungsinvestitionen bei TIMSS, PISA und IGLU besser abgeschnitten.

Nimmt man bei dem innerdeutschen PISA-Test nur die Lesekompetenz, dann haben die 15-Jährigen in Bayern am besten abgeschnitten, gefolgt von denen in Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Nimmt man dagegen aber die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, dann liegen plötzlich die Schüler in Nordrhein-Westfalen und Bremen vorn, gefolgt von denen in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen.

Bei beiden Aspekten sind die Schlusslichter Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Was sehen wir daran? Es kommt darauf an, was und wie man misst, und dann stehen jeweils ganz andere Länder oben. Wie sollte man auch sonst erklären, dass bei jeder Leistungsvergleichsstudie der letzten 15 Jahre immer wieder ganz andere Länder oben und immer wieder ganz andere unten stehen und dass sich überhaupt bei jeder Messung eine völlig andere Tabelle ergibt? Man misst eben, was man messen und was man schon zuvor als Ergebnis in etwa haben möchte. Jeder Schüler ist eine unebene Lernlandschaft, die viel mit seiner gesamten und letztlich unvermessbaren Persönlichkeitsstruktur zu tun hat – zum Glück!

Was bleibt also als Resümee? Deutschland hat die größten Leistungs- und – das sei zu ergänzen – Verhaltensbandbreiten unter 15-Jährigen weltweit, und die deutschen Jungen können nicht mehr mit den Mädchen Schritt halten: Schon 54 Prozent der deutschen Abiturienten sind Mädchen und nur noch 46 Prozent Jungen. Die Mädchen erreichen im Schnitt eine bessere Abiturdurchschnittsnote als die Jungen, zwei Drittel sowohl der deutschen Sitzenbleiber als auch der deutschen Rückläufer (vom Gymnasium zur Realschule und von dieser zur Hauptschule) sind Jungen und 72 Prozent von den 11,8 Prozent eines Schülerjahrgangs, die es nicht einmal bis zum Hauptschulabschluss schaffen, sind Jungen. Und an den deutschen Schulen für Verhaltensgestörte oder Erziehungsschwierige sind gar etwa 90 Prozent Jungen.

Für die beiden Einsichten, dass Deutschland die größten Leistungs- und Verhaltensbandbreiten unter 15-Jährigen hat und dass die Jungen in den Schulen schlechter abschneiden als die Mädchen, hätten wir PISA gar nicht gebraucht, denn beides wussten wir bereits vor dieser Studie.

Im Jahr 2003 erschien dann schließlich die IGLU-Studie, also die „Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung“, mit der ein kleines Aufatmen durch Deutschland ging. 500 Punkte waren wieder der vorgegebene internationale Mittelwert; Deutschland kam bei den Viertklässlern mit 539 Punkten auf den elften Platz vor Tschechien (537) und Neuseeland (529), aber nach den USA (542) und Italien (541). Einerseits war also eine sie entlastende Freude bei stolzen Bildungspolitikern auszumachen, andererseits irritierte dennoch, dass Länder wie Ungarn (543), Litauen (543) und Lettland (545) besser abgeschnitten haben. Ganz oben standen in diesem Ranking Schweden (561), die Niederlande (554), England (553) und – man staune – Bulgarien (550 Punkte).

Im Januar 2004 sind dann die dürftigen Ergebnisse der nationalen IGLU-E-Studie für die 16 deutschen Bundesländer bekannt geworden. Gemessen wurden Lesekompetenz und mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten am Ende der Klasse 4, aber nur sieben Bundesländer nahmen überhaupt teil: Auf den ersten drei Plätzen landeten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, gefolgt von Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Bremen. Hätte Thüringen – wenn es denn auch „Stichproben“ vorgelegt hätte – mitgewertet werden können, wäre es auf dem ersten Platz gelandet.

Wenn im Moment 11,8 Prozent eines deutschen Schülerjahrgangs nicht einmal den Hauptschulabschluss erreichen und davon 72 Prozent Jungen sind, dann müssen wir noch ergänzen, dass es vor allem die ausländischen Jungen sind, mit denen wir Probleme in der Schule haben. Das sei an den Hamburger Zahlen verdeutlicht: An Schulen mit einem Ausländeranteil über 50 Prozent schaffen 18,57 Prozent nicht den Hauptschulabschluss, an Schulen mit einem Ausländeranteil von 15 bis 50 Prozent sind es 8,76 Prozent, und an Schulen mit einem Ausländeranteil unter 15 Prozent bleiben im Mittel 4,35 Prozent ohne Abschluss. Jeweils etwa 72 Prozent davon sind Jungen.

Es gäbe noch viel mehr von diesen Vergleichsstudien zu berichten. Aber wir haben jetzt nur das herausgenommen, was für die folgenden Kapitel, in denen es um das ertragreiche Lernen gehen soll, relevant ist. Denn Schule ist nicht nur eine Einrichtung, in der es um Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften geht, sondern in der wir es mit ganzen Menschen zu tun haben, die über den Erwerb von Kulturtechniken hinaus auch selbstständig, teamfähig, handlungsstark, konfliktfähig, erkundungskompetent, kritisch, kreativ, sozial und politisch mündig und emotional ausgeglichen geraten sollen.

Im Übrigen müssen wir nicht nur Kinder bilden, sondern auch Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker, also auch künftige Kultusminister. Oder anders ausgedrückt: Wenn wir bessere Schulen haben wollen, reicht es nicht, bloß an Schüler zu denken; wir müssen dann auch das öffentliche Bewusstsein in Richtung Umdenken erreichen.

Fassen wir zusammen: Fünf besorgniserregende Aspekte fördert PISA für die deutschen Schulen zu Tage:

– Deutschland hat besonders viele schwache 15-Jährige, weil es zu kurz währende Grundschulen hat. Die schwachen und schwierigen Schüler werden zu früh von den mitreißenden Effekten der guten abgekoppelt und müssen ab dann, zum Beispiel in Hauptschulklassen, im eigenen Saft schmoren. Was sollen sie dann noch Positives voneinander lernen?

– Die Familiensozialisation schlägt in Deutschland stärker auf die Schulleistung durch als die Intelligenz der Schüler, weil es mit seinen vorherrschenden Halbtagsschulen zu wenig Zeit für Anwenden, Üben und Wiederholen zur Verfügung stellen kann, zumal die deutschen Lehr- und Bildungspläne übervoll sind. Ganztagsschulen entlasten und stärken die Familie erzieherisch und sie nutzen die zweite Hauptlernphase zwischen 14 und 16 Uhr bei Kindern und zwischen 14.30 und 16.30 Uhr bei Jugendlichen für gezieltes und auch für rhythmisiertes Lernen.

– Die Jungen können in Deutschland nicht mehr mit den Mädchen Schritt halten. In Skandinavien ist das anders, denn dort geschieht Lernen über beide Hirnhälften, in der deutschen Belehrungsschule dagegen, in der Schüler vor allem durch Zuhören lernen sollen, aber im Wesentlichen nur über die linke.

– 15-Jährige, die zu viel und zu lange am Computer und an der Playstation spielen, vor allem wenn es sich um „Ballerspiele“, Grausames und Autorennen handelt, sind einerseits in Mathematik, Technik und Naturwissenschaften etwas leistungsfähiger und „industriegeeigneter“ als Schüler, die selten oder nie an der Playstation spielen, sie sind aber andererseits auch von verkümmerten emotionalen Hirnpartien beeinträchtigt und späterhin nur schwer bindungsfähig.

– Nur in Deutschland wird die schulische Leistungsfähigkeit der Migrantenkinder stetig schlechter, während sie in den anderen OECD-Ländern besser wird. Gesellschaftliche Integration gelingt aber, wie das negative Beispiel der Gewalt an der Ruetli-Hauptschule in Berlin-Neukölln belegt, entweder über Schulen, oder sie misslingt durch Schulen.

Schule sollte ursprünglich nicht der „Reparaturbetrieb“ der Gesellschaft in Sachen Erziehung sein, denn bislang funktionierte eine Arbeitsteilung weitgehend, bei der die Familie erzieht und die Schule bildet. Aber der OECD-Koordinator für die PISA-Studien, Andreas Schleicher, sagt mit Recht: „Wer soll denn sonst im Jahre 2007 die notwendige Erziehung schaffen, wenn nicht die Schule?“

Die 15 Gebote des Lernens

Подняться наверх