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Warum sich HDR für Lost Places-Fotos so gut eignet
ОглавлениеDie heutigen Bildsensoren digitaler Kameras können nicht mit dem Dynamikumfang des menschlichen Auges mithalten. Das macht es unmöglich, ein Motiv mit sehr großem Helligkeitsumfang als natürlich wirkendes Foto wiederzugeben. (Der Einfachheit halber klammere ich den Dynamikumfang Ihres Monitors, Druckers oder des verwendeten Papiers hier aus.)
Der maximal messbare Dynamikumfang in unserer Umwelt beträgt 23 Blendenstufen. In Zahlen: Der hellste Wert ist 223-mal, also über 8 Millionen Mal heller als der dunkelste Wert. Unser Auge kann einen Dynamikumfang von etwa 20 Blendenstufen abbilden – nur noch ein 1/8 davon (und das auch nur, weil es sich dynamisch an verschiedene Helligkeiten anpassen kann).
Eine hochwertige Spiegelreflexkamera schafft im RAW-Format je nach Qualität des Sensors maximal 15 Blendenstufen; das entspricht nur noch einem 1/32 dessen, was unser Auge vermag. Bei JPG-Bildern sinkt die Dynamik weiter auf 1/64 davon – 8,6 Blendenstufen, die in einer Aufnahme eingefangen werden können. Das bedeutet, der hellste Punkt ist gerade noch 512-mal heller als der dunkelste Punkt.
Hier setzt die High-Dynamic-Range-Fotografie an. HDR-Bilder bestehen im Grunde aus mehreren unterschiedlichen Belichtungen desselben Motivs, einer sogenannten Belichtungsreihe, die in ihrer Gesamtheit die Dynamik des Motivs abbildet (theoretisch bis zu 32 Blendenstufen, d. h., der hellste Punkt wäre bis zu über vier Milliarden Mal heller als der dunkelste). Nehmen wir das Foto des Esssaals auf Seite 20 als Beispiel: In jedem Foto der zugrundeliegenden Belichtungsreihe habe ich anhand einer entsprechenden Belichtung ein Detail herausgearbeitet (siehe Seite 23) – von der Struktur der weißen Gardinen in der dunkelsten bis zu Details im Halbdunkel in der hellsten Belichtung. Die einzelnen Bilder habe ich anschließend miteinander verrechnet, wodurch ein HDR-Bild entstand. Dieses HDR-Bild weist durch die angewandte Technik eine höhere Dynamik auf und entspricht dadurch mehr der realen Wahrnehmung.
Nikon D800, 15 mm, 1/40 s, f/8, ISO 100
Nikon D800, 15 mm, 1/13 s, f/8, ISO 100
Nikon D800, 15 mm, 1/4 s, f/8, ISO 100
Nikon D800, 15 mm, 0,8 s, f/8, ISO 100
Diese Verrechnung kann mit verschiedenen Techniken von Hand oder mit speziellen HDR-Programmen automatisiert geschehen. Eine HDR-Software zieht sich aus jeder Aufnahme die für sie optimal belichteten Bildbereiche und rechnet diese in einem Bild zusammen. Allerdings muss das Programm hier nicht immer richtig liegen – hochwertige Software zeichnet sich dadurch aus, dass Sie von Hand nachbessern können. Es hängt also auch von Ihrem Geschick bei der Anwendung der Software ab, ob das Ergebnis sehr realistisch wirkt oder vollkommen fehlerhaft ist.
Ich zeige Ihnen das einmal en detail am Beispiel von Photoshop.
Bei diesem Bild – einem optimierten RAW – sehen Sie deutlich, dass die Lichtunterschiede zwischen draußen und drinnen zu hoch sind. Das heißt, die Dynamik ist zu groß, als dass der Kamerasensor sie in einem einzigen Bild einfangen könnte (obwohl das Foto nicht bei hellem Tageslicht, sondern kurz vor der Dämmerung entstanden ist).
Nikon D800, 14 mm, 1/10 s, f/8, ISO 800
Sie sehen, dass die hellen Teile in den Fenstern des Treppenhauses ins Weiß abdriften und »ausbrennen«, wogegen die dunklen Stellen in den Türöffnungen fast schon »absaufen«, d. h., keine Zeichnung mehr aufweisen. Hätten Sie die Situation vor Ort erlebt, wüssten Sie, dass das Bild bei Weitem nicht die Lichtstimmung transportiert, die ich gesehen habe. Ich greife also zum HDR-Verfahren.
Im zweiten Bild – einem HDR-Bild – sehen Sie deutlich, dass die hellen Stellen in den Fenstern und die dunklen Ecken in den Türöffnungen deutlich mehr Zeichnung haben als im ersten Bild. Dieses Bild habe ich mithilfe der Software HDR Projects 4 Professional aus mehreren Einzelbelichtungen erstellt. Es sieht noch sehr flau bzw. kontrastarm aus, was eine typische Folge der HDR-Bearbeitung ist, da ich ja möglichst viel Bildinformation (Tonwerte) im Bild haben möchte. Natürlich ist dieses HDR-Bild noch nicht das Endergebnis, sondern nur die Grundlage für meine Bearbeitung in Photoshop, wo ich die für mich wesentlichen Bildinformationen dann Stück für Stück herausarbeite.
Nikon D800, 14 mm, (1/1000, 1/320, 1/100, 1/30, 1/10, 0,3 s), f/8, ISO 800
Wenn Sie die Histogramme des ersten und des zweiten Bildes miteinander vergleichen, werden die Unterschiede noch deutlicher.
Beim Histogramm der optimierten RAW-Datei (oben) können Sie am rechten und linken Rand erkennen, dass es Bereiche im Bild gibt, die pures Schwarz bzw. Weiß und somit keine genauer definierte Bildinformation mehr enthalten.
Das Histogramm des HDR-Bildes (unten) ist hingegen viel ausgeglichener. Es gibt keine Bereiche mehr, die ausfressen oder absaufen, da jedes Pixel noch Bildinformation enthält, die ich für die weitere Bearbeitung nutzen kann.
Das HDR-Bild ist also eine Zwischenstufe auf dem Weg zum eigentlichen Bild. Dadurch, dass HDR mir die volle Kontrolle über die Lichter und Schatten gibt, erhalte ich ein Maximum an Bildinformationen und damit auch alle Optionen, die ich für die finale Bearbeitung in Photoshop benötige. Auf Seite 26 sehen Sie das fertig bearbeitete Bild.
Tonemapping
Tatsächlich ist das, was beim Arbeiten mit HDR passiert, noch etwas komplizierter als bislang beschrieben. Auch wenn es – praktisch gesehen – für dieses Buch nicht wichtig ist, möchte ich kurz erklären, was dabei geschieht.
Ein Bild, das mit einer HDR-Software erstellt wurde, hat in der Regel mit 32 Bit zwar eine hohe Dynamik (also bis zu über 4 Milliarden Tonwerte). Diese lässt sich aber an handelsüblichen Monitoren nicht wiedergeben. Aus diesem Grund bieten HDR-Programme eine Funktion namens Tonemapping. Diese ermöglicht es, den Dynamikumfang eines 32-Bit-Bildes in ein 16-Bit-Bild zurückzurechnen, damit dieses korrekt am Bildschirm angezeigt und bearbeitet werden kann. Die 4,3 Milliarden unterschiedlichen Tonwerte eines 32-Bit-Bildes werden dabei in die zur Verfügung stehenden 32.758 bzw. 256 Tonwerte eines 16-Bit- bzw. 8-Bit-Bildes gepresst. Sie sehen also, vor welcher Herausforderung Ihre Software beim Tonemapping-Prozess steht – und die Methoden zur Errechnung des Tonemappings sind nicht mal einheitlich.
Tonemapping ist der Grund, warum HDR-Bilder erst einmal flau wirken, für eine angemessene Bildwirkung also erst noch nachbearbeitet werden müssen. Durch die hohe Dynamik geht die Tiefe des Bildes meist komplett verloren, Schatten verschwinden zum Teil gänzlich. Schärfe und die unrealistischen oder gänzlich fehlenden Kontraste beherrschen das Bild so stark, dass kein Platz mehr für Bildsprache und Komposition bleibt. Im letzten Kapitel dieses Buches zeige ich Ihnen, wie Sie durch die Bearbeitung eines HDR-Bildes in Photoshop wieder zur ursprünglich intendierten Bildwirkung gelangen.
Nikon D800, 14 mm, (1/1000, 1/320, 1/100, 1/30, 1/10, 0,3 s), f/8, ISO 800