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Kapitel 3 Mondegos Tochter

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Am letzten Tag des Jahres 1809 trafen der General, John Dunn und Dr. Lennox in der schönen, alten Stadt Coimbra ein – dem lusitanischen Athen, das hoch an einem Hang des rechten Mondego-Ufer an den Ausläufern der Serra de Lovao gelegen war. Ihr Weg hatte sie von Badajoz über Pontalegre, Abrantes und Tomar geführt. Arthur hatte den Weg durch das Tejo-Tal gewählt, entlang an Olivenhainen, Obst- und Gemüsekulturen und durch das portugiesische Burgenland. Im Entre-Duero-Minho und in der Beira gab es insgesamt mehr als 35 Burgen und Burgruinen. Um viele dieser alten Mauerwerke rankten sich Sagen und Legenden, über einige hatte der Ire während seines Aufenthaltes in Tomar gelesen. Seine zweite Leidenschaft neben dem Kriegshandwerk war schon immer das Studium der Geschichte gewesen. Die kleine, ruhige Reise gab ihm Gelegenheit mit eigenen Augen zu betrachten, was ihn in den Büchern fasziniert hatte. Und Coimbra würde seinen Wissensdurst noch viel mehr befriedigen, als die Bibliothek von Tomar, in der für seinen Geschmack zuviele religiöse Werke standen. In dieser Stadt drehte sich alles um eine wunderbare, alte Universität, die schon früh von den kunstsinnigen Königen, Bischöfen und Jesuiten des Landes gefördert worden war und über eine prachtvolle, barocke Bibliothek mit mehr als 12.000 Bänden verfügte, die Biblioteca Joanina. Diese war im frühen 18. Jahrhundert von König Joao dem Fünften für seine österreichische Frau Anna Maria nach dem Vorbild der Wiener Hofbibliothek eingerichtet worden. Sie besaß den Ruf, eine der besten historischen Bibliotheken der europäischen Welt zu sein. Lord Wellington hatte so gut wie jedes Werk zuverlässiger Militärhistoriker von der Antike bis zur Neuzeit gelesen, das ihm sprachlich zugänglich gewesen war. In Coimbra hoffte er nun die zu finden, die ihm bislang verschlossen geblieben waren. Sarah erwartete den Ferienmonat genausoungeduldig wie der Ire, obwohl ihre Beweggründe mehr natur- als geisteswissenschaftlicher Art waren. Die medizinische Fakultät der alte Universität besaß den Ruf, zu den führenden Schulen der europäischen Welt zu zählen, und die junge Frau hoffte sehr darauf, daß man ihr gestatten würde, alte Manuskripte zu studieren, die in England nicht mehr existierten, da sie dort der Schreckensherrschaft des Puritaners Oliver Cromwell zum Opfer gefallen waren.

Donna Ines und Don Antonio empfingen ihre Freunde in ihrem wunderbaren alten Landhaus, der Quinta das Lagrimas, die ein wenig außerhalb der Stadt Coimbra selbst lag. Coimbra hatte sich schon früh um Handel und Wissenschaft verdient gemacht und die freien Bürger hatten ein strenges Verbot für Adelige erlassen, sich innerhalb der Stadtmauern anzusiedeln. Vor langer Zeit einmal hatte die Quinta der Universität von Coimbra gehört, dann einem religiösen Orden. In den Besitz der Familie von Don Antonio Maria Osorio Cabral da Gama et Castro war sie durch Zufall irgendwann im frühen 17. Jahrhundert gekommen. Es war ein unsagbar lieblicher Ort, der Arthur und Sarah sofort in seinen Bann zog. Der Garten, er trug den Namen Jardim das Lagrimas, schien verzaubert. Weichen Kieswegen entlang, in denen der Fuß versank, zogen sich Traubenranken durch Orangenbäumen, die von Früchten schwer waren, Palmen und seltene nordische Nadelhölzer, deren Schatten sich sanft miteinander vermischten, säumten das Grundstück. Der botanische Reichtum überwältigte Arthur, der wie viele Iren eine Schwäche für Pflanzen jeder Art hatte: Zedern, Pinien, Efeu, Eichen und Schlinggewächse zogen sein Auge an. Um viele kleine künstliche Teiche wuchsen Bambusstauden und exotische Blumen und Sträucher. Ein Teich war sogar vollständig mit Seerosen zugewachsen, die auf gigantischen tellerförmigen Blättern mit einem breiten Rand blühten. Das Innere der Casa selbst war vollgestellt mit Möbeln aus den unterschiedlichsten Ländern und Epochen. Donna Ines erklärte Sarah und dem General, daß der Urgroßvater ihres Gemahls ein Seefahrer gewesen war, der von seinen abenteuerlichen Reisen auf allen Ozeanen der Welt diese Prachtstücke zurückgebracht hatte. Dann führte sie ihre beiden Gäste über eine doppelläufige Treppe in den zweiten Stock der Quinta, der fast unter einem Holzziegeldach verschwand. „Ihr beide werdet euch hier oben sicher wohl fühlen!” Sie hatte sich mit einem Augenzwinkern an Sarah gewandt. Donna Ines empfand große Sympathie für die junge Ärztin, denn sie selbst entsprach genau so wenig dem Rollenbild der Frau im portugiesischen Hochadel wie Sarah dem im britischen. „Dies ist die Bibliothek und das Studierzimmer des Seefahrer-Urgroßvater meines Mannes. Wir haben Don Migueles Alchimistenhöhle eigentlich immer verschlossen gehalten, doch als Antonio mir erzählt hatte, daß sowohl du, als auch Sir Arthur gewisse Neigungen habt, da haben wir beschlossen, sie aufzuräumen und für euch zu öffnen.” Die Portugiesin erklärte, daß viele der Bücher, die sich in diesen Räumen befanden von der strengen katholischen Kirche ihres Landes mißtrauisch betrachtet und oft sogar als Ketzerwerk gebannt worden waren. „Arthur, du wirst auch einige Dinge finden, die für dich interessant sind! Der verrückte, alte Don Miguele besaß eine umfangreiche Sammlung historischer und nicht ganz so historischer Werke!” Sie griff in einen der schweren Eichenschränke und zog eine uralte, schwere, in Leder gebundene „La Table d’Emeraude“ hinter anderen eingestaubten Lederbänden hervor. Dann drückte sie den Band mit einem schelmischen Lächeln in die Hand des Generals. Der Ire starrte das Buch an. Er hatte von diesem Werk nur gehört, es aber noch nie in der Hand gehalten – ein Alchimistenbuch, sonderbar verschlüsselt. Man sagte, wer den Code knackte, der würde Gold herstellen können – Freimaurerlektüre. Arthur hätte es nie offen zugegeben, aber diese Geschichten faszinierten ihn fast genau so wie militärhistorische Werke, und er hatte auch in Tomar seine Nase klammheimlich in manch sonderbaren Band gesteckt, den er in der Bibliothek ausgrub. Lady Lennox und Donna Ines betrachteten den Offizier. Beide schüttelten fast gleichzeitig den Kopf. Die Portugiesin legte ihren Arm um Sarahs Schulter und schob sie durch die Tür, wieder hinaus ins Freie: „Lassen wir ihn mit dem alten staubigen Papier ein wenig alleine. Wir beide werden uns jetzt zusammen in die Sonne setzten und eine schöne Tasse Kaffee trinken. Antonio holt unsere Freunde zusammen. Heute Abend möchten wir alle gemeinsam den letzten Tag des Jahres feiern – Nochevieja – und morgen dann Ano Novo, das neue Jahr. Du wirst sehen, meine Liebe, es ist ein fröhliches Fest und es wird euch beiden sicher Spaß machen, die Bräuche unseres Landes besser kennen zu lernen. Vom 24. Dezember bis zum 17. Januar ist hier eigentlich alles nur Feiern und Kurzweil!”

Während die beiden Frauen sich auf einer Bank aus rotem Zedernholz unter einem schwer tragenden Orangenbaum niederließen, starken schwarzen Kaffee tranken und süßes Engelshaar kosteten, hatte Arthur sich bereits tief in einen Sessel in der Bibliothek Don Migueles vergraben. Er hatte nicht einmal den Reitmantel abgelegt. Seine Augen waren gebannt auf den Text der ‚Smaragdtafel” gerichtet. Sogar in den liberalen Vereinigten Königreichen war dieses Buch verboten, alle auffindbaren Exemplare hatte vor langer Zeit König Karl I. dem Feuer überantwortet

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Als die Nacht einbrach, füllte sich die Quinta mit regem Leben. Aus Coimbra selbst und der ganzen Umgebung waren Freunde und Verwandte von Don Antonio und Donna Ines angekommen, um Nochevieja zu begehen. Nach einem ausgelassenen Abendessen, bei dem die britischen Gäste mit jedem auf ein glückliches 1810 hatten trinken müssen, machte die Gesellschaft sich auf den Weg zum Hauptplatz der Stadt, um sich Schlag Mitternacht unter der großen Glocke der neuen Kathedrale, der Se Nova, einzufinden. Der Platz war übervölkert von Bürgern, Händlern, Bauern und Studenten. Wellington konnte in der Menge auch viele rote Röcke ausmachen. Seine bei der Bevölkerung zwischen Coimbra und Viseu einquartierten Soldaten und Offiziere schienen sich gut akklimatisiert zu haben. Als die Glocke Mitternacht schlug, fiel jeder überschwenglich seinem Nachbarn um den Hals und alle wünschten sich ein gutes neues Jahr. Fast jeder hatte Wein oder Cava mitgebracht und bald schon war die Stimmung laut und feuchtfröhlich. Gegen zwei Uhr morgens waren alle dann wieder in der Quinta das Lagrimas, wo ein spätes, oder frühes Essen – die beiden Briten wußten das nicht so genau – serviert wurde. Irgendwann, kurz nach Sonnenaufgang verschwanden die Gäste müde, aber zufrieden in den Betten, oder in ihren Kutschen, die sie nach Hause befördern sollten. Arthur und Sarah verabschiedeten sich ebenfalls von ihren Freunden und zogen sich über die große Holztreppe in ihren ersten Stock zurück. Irgend jemand hatte sorgfältig die Fensterläden verschlossen und in den Zimmern brannten weich Kerzenlichter. Sarah legte ihre Weste ab und ließ sich mit ausgebreiteten Armen auf das riesige Bett mit Samtbaldachin fallen: „Dieses Haus ist wunderbar, der Abend war wunderbar, und nach den ganzen Anstrengungen und Entbehrungen der letzten Monate ist es wunderbar, daß wir endlich ein paar Wochen miteinander alleine sein können!” Sie streckte ihre kleine Hand nach Arthur aus und zog ihn neben sich. „Übrigens, Donna Ines hat mir die Geschichte der Quinta erzählt, während du dich in deinem dicken staubigen Buch vergraben hast. Sie ist bezaubernd!“ Wellington legte seinen Arm über Sarah und schmiegte sich eng an sie. Leise flüsterte er ihr ins Ohr: „Und wenn du mir das alles ein wenig später erzählst? Am besten im Garten, bei Mondschein!” Dann fing er vorsichtig an, die feinen Perlmuttknöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Seine Hände glitten sanft über die weiche, warme Haut. Ihre Lippen suchten die seinen, während sie ihm das Hemd von den Schultern streifte. Sarahs schlanker, biegsam Körper schmiegte sich gegen ihn und die letzten Schranken der Zurückhaltung und Selbstbeherrschung fielen. Sie waren nur noch zwei Menschen, die vorbehaltlos und leidenschaftlich liebten und einander vertrauten. Es bedurfte keiner Wort, um dem anderen dies mitzuteilen. In diesen wertvollen Augenblicken, in denen sie so vollkommenen eins wurden, stellte Sarah sich manchmal die Frage, wie ein Mann nur zwei so grundverschiedene Seiten haben konnte. Es kam ihr vor, als ob es zwei Persönlichkeiten gab: Zugleich stolz und bescheiden, kühl und liebevoll, distanziert und überaus sensibel, skrupellos und rücksichtsvoll, gleichgültig gegenüber den Leiden anderer und doch zutiefst davon berührt. Die Kerze die sanft das Schlafzimmer erleuchtete, warf einen kurzen Augenblick lang ihren Schein auf seine Augen. Der kalte Schleier, der fast immer über ihnen lag, war gefallen und sie sah nur noch ein einfaches Bedürfnis nach ehrlicher Zuneigung. Sie nahm ihn in die Arme, fast wie ein Kind, liebkoste ihn und gab ihm diese seltene Gewißheit, daß es in seiner Welt aus Gewalt, Tod und Blutvergießen wenigstens einen Menschen gab, dem er ohne Schutzpanzer entgegentreten konnte und der ihm niemals weh tun würde. Während sie ganz vorsichtig über die häßliche Narbe strich, die seine Verwundung bei Talavera zurückgelassen hatte, fragte sie sich, wie viele dieser Narben der Krieg wohl auf seiner Seele zurückgelassen hatte. Sie waren unsichtbar, doch sie wußte, daß sie existierten. Es hatte Nächte gegeben, in denen seine furchtbaren Alpträume ihr den Schlaf geraubt hatten. Am Anfang hatten ihr diese Augenblicke Angst gemacht. Irgendwann hatte sie dann verstanden, daß es einen Weg gab, seine Gespenster zu vertreiben. Eine Berührung, die Nähe ihres Körpers und ihre Zuneigung waren stärker als seine Furcht. Und es gab sogar Nächte, in denen die Gespenster es nicht mehr wagten, ihn überhaupt zu quälen. Zufrieden stellte sie fest, daß er eingeschlafen war und sein Atem ganz ruhig ging. Sie schmiegte ihre Wange an seine Brust und hörte, wie regelmäßig sein Herz schlug.

Die nächsten Tage vergingen in angenehmer sorgloser Stimmung. Don Antonio und Donna Ines unternahmen mit ihren britischen Gästen Ausflüge in die Gegend von Coimbra. Die vier erhielten außerdem Einladung um Einladung, denn jeder wollte den Mann sehen, der nun schon drei Mal die Truppen des Kaisers von Frankreich geschlagen hatte und ihr Land vorläufig von den Franzosen befreien konnte. So lernten Sarah und Arthur Condeixa-a-Nova kennen, den Palacio dos Lemos und den Palacio dos Almadas. Nur eine starke Meile von diesen alten herrschaftlichen Häuser entfernt, befand sich auch das größte Ruinenfeld Portugals aus römischer Zeit. Don Antonio bezeichnete es als „Unser kleines Pompeij“. Es befand sich bei Coinimbriga, einem Ort, der vormals ein bedeutender Schnittpunkt der römischen Verbindungsstraße von Felicitas Julia, dem aktuellen Lissabon nach Portus Cale, dem heutigen Oporto gewesen war. Ursprünglich war Conimbriga keine rein römische Schöpfung gewesen, sondern konnte auf die Zeit der Kelten zurückdatiert werden. Es war interessant, daß die Stadtmauern nicht um die Siedlung herum gebaut worden waren, sondern mitten durch sie hindurch. Offenbar hatte man irgend wann einmal, in der Eile und um einen überraschenden Barbareneinfall abzuwehren, bewohnte Gebiete aufgegeben und einen Schutzwall errichtet, um zumindest Teile der Stadt zu verteidigen. Doch die wilden Sueben zerstörten trotzdem Conimbriga und die Bevölkerung siedelte sich auf den sichereren Hügeln des heutigen Coimbra an. Unweit dieser verlassenen Kelten- und Römerstadt befand sich der fast 500 Hektar große Wald von Busaco, der wegen seiner Vielfalt an einheimischen und exotischen Pflanzen ein kurioser Ort war. Donna Ines erzählte, daß Urgroßvater Don Miguele, der Seefahrer, wie viele andere portugiesische Kapitäne auch, Samen und Stecklinge aus Ozeanien und Brasilien, aus Afrika und dem Orient mitgebracht und den botanisch kundigen Karmelitermönchen geschenkt hatte, die bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert ein Kloster bei Lova, am Osthang der Sierra do Busaco hatten. Mehr als 400 einheimische und 300 exotische Baumarten waren im Wald von Busaco vertreten, darunter Zedern aus dem Libanon und Mexiko, uralte Ginko- und Sequoiabäume aus Amerika, Araukarien, Palmen, Erlen, Ulmen und Baumfarne. Die Anfänge dieser Pflanzungen gingen noch weiter zurück. Ursprünglich hatten die Franziskaner hier Einsiedeleien unterhalten und geschichtlich wurde der Forst von Busaco zum ersten Mal im 6. Jahrhundert nach Christus erwähnt. Die Karmeliter-Mönche errichteten dann, vor fast 200 Jahren, eine vier Meilen lange Umfassungsmauer mit zehn prachtvoll geschmückten Toren um ihren botanischen Schatz und im Inneren zahlreiche kleine Kapellen und Ermidas und sogar eine Via Sacra. Sie hatten Wege angelegt und Teiche und Brunnenanlagen zur Bewässerung. Zahlreiche Waldquellen wurden von exotischen Pflanzen und Sträuchern eingerahmt. An einem der Tore hatte ein Mönch den Vieren stolz eine große Bronzetafel gezeigt: Im Jahre 1653 hatte Papst Urban der VIII. verfügt, daß jeder, der einen Baum fällte oder verletzte, exkommuniziert würde. Dann wandte er sich grinsend den beiden Damen zu: „Und 30 Jahre zuvor hatte Gregor der V. auf Bitten unseres Ordens sogar allen Frauen den Zutritt zu diesem Ort versagt, damit die Ladys uns nicht bei unseren Forschungsarbeiten ablenken konnten. Aber das war vor langer Zeit! Wir sind heute viel liberaler geworden und freuen uns, Ihnen unsere kleinen Schätze zeigen zu dürfen.“ Dann hakte er Lady Lennox unter und zog sie von der kleinen Gruppe fort: „Für Sie als Arzt dürfte unsere Sammlung von Heilkräutern sicher besonders interessant sein! Inzwischen werden unsere Freunde Don Antonio und Donna Ines dem General den Rest des Parks zeigen! Sie kamen früher, als in diesem Land noch Frieden herrschte, oft zu Besuch und kennen hier jeden Strauch und jeden Baum.”

Als die vier am späten Nachmittag nach Coimbra zurückkehrten, hatte Sarah ihre Satteltaschen voll mit seltenen Samen und getrockneten Heilpflanzen. Sie hatte eine lange, interessante Unterhaltung mit dem Botaniker, dem Arzt und dem Apothekarius des Klosters geführt und sich dabei viele Notizen über längst vergessene Rezepturen gemacht. Die Geistlichen waren nicht wenig erstaunt gewesen, die Bekanntschaft einer junge Frau von so großer medizinischer Fachkenntnis zu machen, von der auch sie noch einiges lernen konnten. Aus diesem Grunde hatte man die Vereinbarung getroffen, sich bald wieder zu sehen und Sarah versprach, Sir James McGrigor mitzubringen.

Wellington selbst war auf dem Heimweg von den Eindrücken dieses wundersamen Ortes noch ganz überwältigt. Don Antonio hatte ihn zur Ermida da Nossa Senhora de Assuncao geführt, der schönsten der 20 Einsiedeleien des Parkes. Dann waren sie über eine 144stufige Treppe bis zum Lago dos Festos hinaufgestiegen, einem von Blumen umgebenen Becken, von dem aus Wasser in einer Kaskade in die Fonte Fria, die Kalte Quelle hinabstürzte. Vom Lago aus führte ein mit steinalten Zypressen und Kiefern gesäumter Weg bis in die prächtige Zedernallee hinein. Am Ende dieser Allee, neben dem Haus des Pilatus und der sogenannten Einsiedelei des Heiligen Josephus stand die mächtigste der Busaco-Zypressen, die einen Durchmesser von mehr als fünf Metern hatte. Über die Via Sacra war er dann mit seinen portugiesischen Freunden auf den fast 1500 Fuß hohen Miradouro da Cruz Sacra gelangt, der von einem Kreuz gekrönt wurde. Das gute, klare Winterwetter hatte ihnen einen schönen Blick auf Coimbra gestattete, das etwa 20 Meilen von Busaco entfernt lag.

Langsam neigte der Ferienmonat sich seinem Ende zu und Don Antonio und Arthur fingen wieder an, über ihre militärischen Aufgaben nachzudenken. Gelegentlich erschien Pater Robertson in der Quinta, um die neusten nachrichtendienstlichen Informationen aus Spanien zu überbringen. Hill, Sherbrooke, Maitland und Spencer ritten von Viseu nach Coimbra um sich mit ihrem Oberkommandierenden zu besprechen. Sogar Black Bob Craufurd hatte den weiten Weg von seinem Hauptquartier bei Almeida durch die Serra da Estrela nicht gescheut, um Wellington stolz zu berichten, daß er mit seinen 4000 Soldaten problemlos eine fast 70 Meilen lange Frontlinie halten konnte. Nicht einem einzigen Adler war es bislang gelungen, auch nur einen Schritt über die Grenze zu tun. Außerdem übergab er seinem Vorgesetzten augenzwinkernd die gesamte Ordre de Bataille der französischen Portugalarmee. Lediglich an der Stelle des Oberkommandierenden stand noch ein großes Fragezeichen. Um seine Connaught Rangers und andere Aufklärer zu beschäftigen, hatte er die Männer regelmäßig nach Spanien zu den Guerilleros geschickt, damit sie Informationen einsammelten oder überprüften. Im Vorjahr war das nachrichtendienstliche Netzwerk des Iren gut gewesen. Inzwischen war es ausgezeichnet geworden. Er hatte nun ein so genaues Bild von den Plänen seines Gegners, daß er den anstehenden Sommerfeldzug 1810 nicht mehr fürchtete. Der Kaiser selbst würde ihm höchstwahrscheinlich nicht die Ehre geben, damit war seine schlimmste Sorge fast schon aus der Welt geschafft worden. Wen auch immer er als seinen Statthalter losschicken würde, um gegen Portugal zu marschieren – Soult, Massena, Junot, Ney oder einen anderen Marschall –, ohne den Korsen als psychologische Stütze waren sie alle nur die Hälfte wert. Die Neuigkeiten aus Almeida hatten die gute Stimmung in der Quinta das Lagrimas noch zusätzlich verbessert. Doch als die jungen Herren Offiziere und Black Bob anfingen, sich in Don Antonios Salon wilden Spekulationen über das Fragezeichen in der französischen Ordre de Bataille hinzugeben, die große Stabskarte, die die Guerilla einem Kurier Bonapartes in den Pyrenäen gewaltsam entrungen hatten, anstelle eines schönen alten Gemäldes an der Wand befestigten, haarsträubende Theorien über den Sommerfeldzug entwickelten und dabei kannenweise starken, heißen Kaffee tranken, schlich Wellington sich von allen unbemerkt aus dem Haus in den Garten, um in aller Ruhe das fast frühlingshafte warme Wetter zu genießen. Sollten seine Adjutanten und Black Bob sich ruhig austoben und im Kaffeesatz nach den Plänen des Korsen suchen, er würde sich jetzt irgendwo unter einen Baum legen und faulenzen, oder seinen Freund Don Manuele im Santa-Clara-Kloster besuchen. Arthur verließ den quadratisch angelegten Innenhof der Quinta, in dem eine Vielzahl großer und kleiner Terrakotta-Töpfe mit wohlriechenden Kräutern und Pflanzen um einen Springbrunnen aus rotem Sandstein standen und schlug einen Weg in Richtung des Flüßchens Dos Amores ein. Entlang dieses Wassers konnte man gemütlich im Schatten der alten Zedern und Eichen bis zum Kloster gelangen. Doch schon nach wenigen hundert Yards stieß er auf einen anderen Faulenzer: Sarah saß mit einem Buch auf den Knien im weichen Gras, unweit der Fonte das Lagrimas. Sie hatte ihn nicht bemerkt, so versunken war sie in ihre Lektüre. Nur das sanfte Plätschern der kleinen Quelle und das Zwitschern der Vögel störten die Stille des Ortes. Leise trat er zu der jungen Frau hin und legte ihr die Hand auf die Schulter: „Störe ich dich, Kleines?”

„Überhaupt nicht! Komm, setzt dich zu mir ins Gras, Donna Ines hat mir ein hübsches Buch geliehen!” Sie hielt ihm den Band hin: Canto dos Lusiadas, übersetzt von Sir Richard Fanshawe, eine englische Version der Geschichte von Pedro und Ines.

„Deswegen sitzt du an der Quelle?” Arthur lächelte sie an: „Du hast mir in der Neujahrsnacht ja versprochen, die Geschichte der Quinta im Wald und bei Mondschein zu erzählen!”

„Wir haben jetzt keinen Mondschein, mein Lieber!”

„Aber wir sind alleine, die Vögel zwitschern und dieser Ort ist wunderbar romantisch!”

Sarah legte ihren Arm um den Iren und zog seinen Kopf in ihren Schoß, dann begann sie zu erzählen: „Also, die Quinta das Lagrimas, das Landhaus der Tränen, verdankt seinen Namen der tragischen Liebesgeschichte von Ines Pires de Castro, der unehelichen Tochter des mächtigen, galizischen Fürsten Pedro Fernandez Camoes de Castro, dem Enkel König Sanchos IV. von Kastilien und einer Tochter des Fürsten von Albuquerque, Alfonso Sanchez, dem Bastard von König Diniz I. von Portugal. Sie war die Geliebte von Don Pedro, dem Sohn von König Alfonso IV. von Portugal. Das war im 14. Jahrhundert: Der König hatte seinen Sohn gezwungen, Constanza, eine Prinzessin aus Kastilien zu heiraten, doch der Thronfolger liebte nur deren Hofdame, Donna Ines. Constanza verstarb schon nach kurzer Ehe und Don Pedro und Donna Ines fanden wieder zusammen. Doch der beiden Glück sollte nicht von langer Dauer sein. König Alfonso IV. wurde die Familie Camoes de Castro zu einflußreich, außerdem hat der portugiesische Hof große Angst, daß die Spanier über Ines und deren Kinder zu großen Einfluß auf den künftigen König von Portugal nehmen könnten. Im Jahre 1350 begann dann in Kastilien ein Aufstand der großen Fürsten gegen König Pedro I. von Spanien. Anführer der Rebellion war Joao Afonso de Albuquerque, Sohn von Alfonso Sanchez und damit Halbbruder der Donna Ines. Joao hat sicher den Einfluß seiner Halbschwester auf den portugiesischen Thronfolger genutzt, um ihn für seine Sache gegen Pedro von Spanien zu gewinnen. Er sollte für sich selbst die spanische Krone fordern. Doch unter dem Druck seines Vaters mußte Pedro dies ablehnen. Der König von Portugal befahl den Tod von Donna Ines. Seine gedungenen Mörder waren Alvaro Goncalves Diego Lopes Pacheco und Pedro Coelho. Und so wurde Ines an jenem Ort, an dem sie zusammen mit Pedro so viele glückliche Stunden verlebt hatte, vor den Augen von König Alfonso getötet. Den Tränen, die sie im Augenblick des Todes vergossen hat ist die Quelle der Fonte dos Amores entsprungen. Ihr Blut hat sich auf ewig mit dem großen Stein in der Quelle verbunden. Als Pedro von der Tat seines Vaters erfuhr, nahm er grausame Rache. Er erhob sich gegen Alfonso, seine Truppen verwüsteten das Land und belagerten Oporto. Dann starb der alte Mann und sein Sohn wurde König von Portugal. Obwohl er bei der Thronbesteigung geschworen hatte, die Mörder von Ines nicht zu verfolgen, brach er seinen Schwur. Er verfolgte sie, nahm sie gefangen, ließ sie foltern und tötete sie dann mit eigener Hand. Dem einen schnitt er das Herz durch die Brust aus dem Leib, dem anderen durch den Rücken. Dann verkündigte Pedro dem Volk, daß er Donna Ines im Geheimen geheiratet habe und daß sie seine Gemahlin und Königin sei. Er ließ ihre Leiche aus dem Grab im Garten des Klosters von Santa Clara holen, krönte sie in Se Velha, der großen Kathedrale von Coimbra, zur Königin von Portugal, erzwang, daß alle Adeligen des Landes der toten Königin die Hand küßten und ihr Treue schworen und ließ sie dann im großen, königlichen Grabmal im Kloster von Alcobaca beisetzen. Als König Pedro dann starb, wurde er an der Seite seiner Ines beigesetzt, die Hände der Marmorstatuen der beiden waren im Tod für alle Ewigkeit vereint.“

Arthur seufzte zufrieden: „Es ist eine hübsche Geschichte und so wunderschön traurig. Sie paßt gut zu diesem Ort!”

„Ja, und der Canto dos Lusiadas, der dies alles erzählt ist sehr romantisch. Hör mir zu! Hier wird der Tod von Ines geschildert!

This act of horror, and black night obscure,

Mondego’s daughter long resented deep;

And for a lasting tomb, into a pure

Fountain transformed the tears which they did weep.

This name they gave it (which doth still indure )

Was Ines’s loves, whom Pedro did keep.

No wonder, such sweet streams water those flowers:

Tears, are the substance; and the name Amours.

Ist das nicht zauberhaft?”

Der General lächelte Sarah nur verträumt an. Dann schloß er die Augen: „Ließ einfach laut weiter, Kleines! Ich höre so gerne deine Stimme! Noch lange las die junge Frau ihm aus dem Canto dos Lusiadas vor. Erst als das Tageslicht spärlicher wurde und die Temperatur absank, klappte sie das Buch zu: „Komm, laß uns zur Quinta zurückgehen. Man wird uns sicher schon vermissen!” Hand in Hand spazierten sie durch den Park zurück zum Haus. Craufurd, Somerset, Campbell und Don Antonio diskutierten immer noch im Salon und inzwischen war der starke Kaffee durch einen schweren, süßen Portwein abgelöst worden. Außerdem hatte Donna Ines sich zu den Männern gesellt und spekulierte eifrig mit. Als Arthur und Sarah ins Zimmer traten, blickte Don Antonio erstaunt von einer großen Stabskarte auf dem Tisch auf: „Jefe, wir haben gar nicht bemerkt, daß du uns verlassen hast!”

„Habt Ihr den Stein der Weisen gefunden?”

Der Portugiese hob grinsend die Schultern und machte eine südländische Geste mit den Händen, die Arthur an die Gebetshaltung der Sikhs in Indien erinnerte: „Seit Ines zu uns gestoßen ist, haben wir mindestens fünf verschiedene Theorien verworfen. Willst du uns jetzt nicht verraten, was du von der ganzen Sache hältst?”

Arthur drückte Sarah sanft in einen der großen Sessel und stützte sich hinter ihr auf die Kopflehne: „Ich habe gar keine Theorie, so leid es mir tut! Wir müssen abwarten, wer sich auf der anderen Seite der Grenze zuerst in Bewegung setzt und wohin! Ich würde, wenn ich ein französischer Marschall wäre, vielleicht zuerst versuchen, Andalusien zu sichern, bevor ich Portugal bedrohe. Vielleicht wird einer von unseren Freunden versuchen, die Festung von Ciudad Rodrigo zu belagern, weil dort General Andres Heresi mit 5500 Mann sitzt und die Haupteinfallsstraße nach Portugal sichert ... Warten wir doch einfach ab, wie beim Schachspielen: Die Franzosen spielen Weiß, sie müssen den ersten Zug tun!“

Ein paar Tage später, kurz vor seiner Abreise nach Viseu, sattelte der General Kopenhagen und Sarahs Libertad. Dann holte er die junge Frau in der medizinischen Fakultät der Universidade Velha von Coimbra ab. Der Gebäudekomplex, in dem sich auch die Naturwissenschaftler befanden, war einst ein römisches Kastell, dann ein maurischer Alkazar, dann das Schloß des Grafen von Portocale und am Ende der Königspalast Alcacova Real gewesen. Durch die Porta Ferra und vorbei an den allegorischen Figuren, die die einzelnen Fakultäten darstellten führte der General die beiden Tiere in einen weiten, offenen Hof, der von Studenten übervölkert war, die die schwarze Batina und den traditionellen, schwarzen, talarähnlichen Umhang trugen, den bunte Bänder in den Farben der jeweiligen Fakultät schmückten. Er band Libertad und Kopenhagen nebeneinander fest und eilte eine breite Außentreppe hinauf zu einem hohen, von einem Dreiecksgiebel gekrönten Portikus. An diesen schloß sich ein Säulengang an, die Via Latina. Die Professoren und Studenten sprachen hier nur Lateinisch miteinander. Die Via Latina führte direkt in den Paco das Escolas, den Schulpalast hinein. Arthur bremste. Er hatte es schon wieder vergessen! Hinter einer dieser vielen geheimnisvollen, alten Pforten aus schwerem Eichenholz verbarg sich der Eingang zur medizinischen Fakultät. Doch hinter welcher?

Er hielt einen jungen Mann im schwarzen Talar auf und erkundigte sich in etwas rostigem Latein nach dieser Fakultät. Man wies auf eine der Pforten und der General verschwand im Schlund eines finsteren Hades. Sein Weg führte ihn vorbei an einem wahren Gruselkabinett: Hinter hohen Glasvitrinen bewahrten die Professoren ihre Schätze und ihr Unterrichtsmaterial auf. Viele der Dinge, die er sehen konnte verdarben ihm kräftig den Appetit – menschliche und tierische Organe, eingelegt in eine streng riechende, alkoholische Flüssigkeit, präparierte Körperteile, ausgestopfte Viecher, mumifizierte Viecher, eine Ansammlung menschlicher Skelette in verschiedenen Größen und sogar mit einigen Pathologien im Knochenbau, Schädel und die berüchtigten Folterwerkzeuge, derer seine kleine Sarah sich auch immer bediente. Endlich gelangte der Ire am Ende des Ganges an und öffnete erleichtert die Tür zu einer Bibliothek, in der er Lady Lennox vermutete. Er ärgerte sich innerlich über sich selbst; da lief er nun fast täglich durch dieses Schreckenskabinett und trotzdem wurde es ihm immer noch übel dabei. Er fand Sarah vertieft in eine angeregte, auf lateinisch geführte Diskussion mit einem portugiesischen Kollegen. Um die beiden nicht zu stören, stellte er sich wohlerzogen in eine Ecke und hörte eine Weile zu. Das Gesprächsthema, das die beiden so in seinen Bann zog war noch unappetitlicher als der Inhalt der Glasvitrinen draußen. Als die junge Frau ihn schließlich bemerkte und ihrem Kollegen vorstellte, war seine Gesichtsfarbe schon recht bleich geworden.

„Na, haben wir dir einen Schrecken eingejagt, mein Lieber? Kein Ort für schwache Nerven, was?” Sie grinste ihn vergnügt an.

Arthur atmete dreimal tief durch: „Die Pferde stehen im Innenhof, Sarah! Wenn du mir jetzt noch einen Weg aus diesem Gruselkabinett hinaus ins Freie zeigst, der nicht an Monstern, Mumien und Knochenmännern vorbeiführt ...”

„Ah, die Skelette und die eingelegten Organe! Das ist noch harmlos, Arthur! Zur Einstimmung, sozusagen!” Sie war mit einem alten Buch zu ihm hingetreten. „Sieh dir lieber einmal diese Zeichnungen an ...”

Der Magen des Generals hob sich plötzlich. Es schien sich um eine sehr ausführliche Schilderung zum Thema Seuchen und ansteckende Krankheiten zu handeln. Die Bilder waren farbenfroh und ausgesprochen realistisch. Der Autor hatte für seine Leser hingebungsvoll jedes Detail skizziert. „Pfui, Spinne! Willst du, daß ich einen Herzschlag bekomme oder für die nächsten vier Wochen den Appetit verliere?” Er wendete sich mit Grausen von dem Buch ab. Lady Lennox schmunzelte Wellington boshaft an, ihr portugiesischer Kollege konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Es war eine der liebsten Beschäftigungen der jüngeren medizinischen Zunft, Außenstehende so richtig zu erschrecken. Besonders beliebt war dieses kleine Spiel bei Tisch, wenn ein einzelner Nichtmediziner anwesend war. Dann besprach man oft die letzte Operation oder Autopsie bis ins kleinste Detail und betrachtete interessiert die Veränderung der Gesichtsfarbe des Opfers. Arthur hatte in London schon einige Male solche Streiche über sich ergehen lassen müssen. Doch an diesem Wintertag war Sarah gnädig gestimmt. Sie verabschiedete sich von ihrem Kollegen mit einem Augenzwinkern. Dann führte sie den Iren durch den schönen Sala das Capelos, den Saal der Doktorhüte, eine große Aula mit kunstvoll geschnitzter und bemalter Holzdecke, azulejo-verzierten Wänden und den verschiedenfarbigen, geschnitzten Hochstühlen der Dekane und des Rektors zurück auf die Via Latina und hinunter in den Innenhof. Die beiden Pferde hatten ruhig und gelassen im ganzen Universitätstrubel gewartet. Die junge Frau klopfte ihrem großen Grauen freundschaftlich den Hals: „Willst du was Feines, mein Junge?” Sie hielt ihm einen Zuckerklumpen hin, den Libertad vorsichtig mit sanften Lippen von ihrer Hand entgegennahm. Kopenhagen schielte gierig zu seinem Nachbarn, dann scharrte er energisch mit dem rechten Vorderhuf und schnaubte. Sein Hals wurde immer länger. Schließlich erhielt auch er eine Leckerei und war zufrieden. Arthur führte die Tiere vom Innenhof auf die Straße hinaus. Beide Reiter saßen auf. Sie bogen linkerhand in die Rua San Pedro ein und nur wenige Hundert Yards weiter in den Couraca de Lisboa. Im ruhigen Trab durchquerten sie zuerst die Cidade Alta, dann die Cidade Baixa. Über den Ponte de Santa Clara erreichten sie das linke Mondego-Ufer. Arthur und Sarah ließen die Quinta das Lagrimas und das Santa Clara-Kloster hinter sich. Nur ein kleines Stück weiter, einen Hügel hinauf lag das Franziskaner-Kloster Santo Antonio dos Olivais. Vor der Pforte zügelte der General seinen Hengst, stieg ab und half Lady Lennox aus dem Sattel. An der Klosterpforte war ein großer Türklopfer aus Bronze angebracht. Das Pochen hallte durch den Innenhof, eilige Schritte kamen näher, ein Schlüsselbund raschelte und mit lautem Knarren schwangen die beiden Flügel vor den Briten auf.

„Boa tarde! Chamo-me Lord Wellington! Pode-me dejudar, se faz favor? Ich möchte zum Bruder Botanikus, Don Henriques!”

„Se faz favor, Generalissimo!” Der Franziskaner machte eine einladende Handbewegung. „Er erwartet Sie schon!”

Arthur zeigte auf Sarah: „Doktor Lennox! Ich hoffe, es verstößt nicht gegen Ihre Regeln, daß ich sie mitgebracht habe?”

„Nao, nao, Mylord! Geben Sie die Pferde Bruder Fernando und dann bringe ich Sie zu Don Henriques!”

Sarah drückte die Zügel von Libertad und Kopenhagen einem spindeldürren jungen Franziskaner in die Hand, der in seiner braunen Wollkutte zu versinken schien. Dann folgte sie dem anderen Franziskaner und Arthur vorbei an einer mit Kapellen geschmückten Treppe zu den Hauptgebäuden.

„Sind Sie beiden in Eile, Sir Arthur?”

„Nein, Bruder ...?”

„Bonifacio!”

„Nein, gar nicht, Bruder Bonifacio!“

„Möchten Sie, daß ich Ihnen unser Kloster zeige? Der heilige Antonius von Padua lebte hier, bevor er im Jahre 1220 nach Italien reiste!”

„Gerne!”

Don Bonifacio erklärte einiges über die Geschichte der Bauwerke. Dann öffnete er ein schön geschnitztes und mit kunstvollen Bronzen beschlagenes Portal zum Gotteshaus. Er kniete nieder und bekreuzigte ich mit Weihwasser, Sarah tat es ihm gleich. Der General beugte nur leicht das Haupt. Der Franziskaner lächelte: „Unser Freund Jack Robertson hat uns bereits vorgewarnt! Aber vielleicht werden auch Sie eines Tages wieder Ihren Glauben finden, mein Freund!” Der Ire blickte Don Bonifacio ein wenig traurig an: „Das Soldatenhandwerk und Gott? Sie passen in meinen Augen nicht gut zusammen! Der Krieg ist ein blutiges Geschäft, Don Bonifacio! Auge um Auge, Zahn um Zahn!”

„Glauben Sie mir, Generalissimo! Eines Tages werden auch Sie Ihr Schwert zerbrechen und wieder Ihren Frieden finden! Schon viele Männer des Krieges haben ihren Weg zurück zu Gott gefunden! Ihr Freund Don Manuele aus Santa Clara ...!” Der Franziskaner bedeutete seinen Gästen, ihm durch das Kirchenschiff bis zum Hochaltar zu folgen: „Sehen Sie, dies ist ‚Unsere liebe Frau der Empfängnis’. Das Gemälde hat Pascoal Parente für uns gemalt.” Dann führte er sie weiter: „Das ist die Sakristei! Sieht sie nicht aus, wie eine kleine Renaissance-Kirche?”

Nach ihrem kurzen, kunstgeschichtlichen Rundgang durch eines der ältesten Klöster Portugals, lieferte Don Bonifacio Arthur und Sarah beim Botanicus Don Henriques ab und verabschiedete sich. Im Herbarium, in dem es wunderbar duftete, denn viele Kräuter hingen zum Trocknen an den Wänden, empfing sie der alte Franziskaner: „So, meine jungen Freunde, ihr habt also von unserem schönen alten Klosterpark gehört und wollt mir einen kleinen Tauschhandel anbieten?” Er goß seinen Gästen einen fein nach Orangenschalen duftenden Tee ein. Sarah holte aus ihrer ledernen Umhängetasche ein Dutzend kleiner Säckchen hervor: „Don Henriques, ich habe hier eine reiche Auswahl an Samen, aus denen Sie Heilkräuter und Farne ziehen können, die nur auf den Britischen Inseln vorkommen“, sie legte noch ein Büchlein auf den Tisch, „und hier habe ich die Rezepturen aufgeschrieben, zu denen Sie die Kräuter verarbeiten können! Würden Sie uns dafür vielleicht zwei Sequoia-Setzlinge abtreten?” Der Franziskaner blätterte interessiert in den Aufzeichnungen, die Doktor Lennox für ihn auf Lateinisch, in ihrer kleinen, steilen Handschrift niedergelegt hatte: „Gerne, meine Liebe! Für so viele nützliche Kräutlein opfere ich jederzeit zwei meiner Setzlinge! Doch verraten Sie mir, was Sie mit den Bäumen vorhaben?” Arthur und Sarah lächelten einander ein wenig verlegen an. Dann nickten beide. „Wir wollen die Sequoia neben der Fonte dos Amores im Garten der Quinta das Lagrimas pflanzen!”

„Eine reizende Idee, meine Kinder! Die Bäume, die den Ruf haben, ewig grün zu sein und nie zu sterben!” Der alte Franziskaner legte freundschaftlich seine Hand auf die ineinander gelegten Hände der beiden: „Gott schütze euch und bewahre euch eure Liebe zueinander für alle Ewigkeit!”

Am späten Nachmittag verließen der General und Lady Lennox mit ihren beiden knapp zwei Fuß hohen Sequoia-Setzlingen Santo Antonio dos Olivais und kehrte in die Quinta zurück. Arthur nahm seinen Freund Don Antonio zur Seite und bat ihn um Erlaubnis, die beiden Bäume neben der Fonte dos Amores pflanzen zu dürfen. Die Augen des Portugiesen leuchteten: „Por supuesto, amigo! Es una idea muy linda, esto me ilumina el corazon! Un sello del amor por la eternidad!”

Nach einem gemeinsamen Abendessen, es war schon kurz vor Mitternacht, entschuldigten Sarah und Arthur sich bei ihren portugiesischen Freunden. Ein Bediensteter des Hauses hatte ihnen zwei Laternen vorbereitet und eine kleine Schaufel. Gemeinsam verschwanden sie mit den Sequoias im Park. An der Fonte dos Amores pflanzte jeder einen Baum, im Mondschein zur Rechten und zur Linken der Quelle. Zwischen die beiden Pflänzchen legten sie einen kleinen Granitstein, in den ein Steinmetz in feinen Buchstaben die 136. Strophe des Canto III dos Lusiades eingemeißelt hatte, die Strophe, die den Tod Ines und Don Pedros ewige Liebe zu ihr erzählte. Arthur sah Sarah tief in die Augen, dann nahm er sanft ihre Hände in die seinen und zog sie dicht an sich. Sie schmiegte ihren Kopf an seine Schulter: „Für immer und über den Tod hinaus!” Zärtlich küßte er ihren Nacken, dann flüsterte er ihr ins Ohr: „Für immer und über den Tod hinaus!“

Der Herr des Krieges Gesamtausgabe

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