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Kapitel 7 Die Ehre Portugals und Englands Ruhm
ОглавлениеDer Morgen des 27. September 1810 war eiskalt und klar. Den ganzen Tag des 26. September über hatten die französische und die anglo-alliierte Armee einander gegenübergestanden und sich gegenseitig belauert. Massenas 65.000 Mann starke Streitmacht stand der Wellingtons genau gegenüber. Die größte Entfernung zwischen den beiden Kontrahenten belief sich auf nicht einmal ganz vier Meilen an der äußersten linken Flanke. Die Hälfte der alliierten Soldaten lag allerdings sorgfältig vor dem Auge des Gegners verborgen am östlichen Steilhang der Serra do Bussaco. Die Männer hatten ohne Feuer in der Nacht erbärmlich gefroren, aber ihr Oberkommandierender selbst war von Regiment zu Regiment geritten und hatte allen erklärt, warum er diesen Befehl gegeben hatte: Die Franzosen sollten nicht wissen, mit wie vielen Alliierten sie sich schlagen mußten. Umso selbstsicherer und siegesgewiß Massena, Junot, und Ney waren, umso mehr dumme, kleine Fehler würden sie machen.
„Bei meiner Rückkehr aus Indien war es einmal mein innigster Wunsch gewesen, mich nur ein einziges Mal mit einem Marschall Napoleon Bonapartes zu messen. Jetzt habe ich drei dieser Herren auf einen Streich bekommen!“ Wellington schüttelte den Kopf beim Gedanken an die illustren Karrieren seiner Kontrahenten. Dann trieb er Kopenhagen eine Anhöhe hinauf zur Spitze des Nostra Senhora de Alto, dem Kommandoposten von Rowland Hill. Er fand den Freund in einen warmen Mantel gehüllt auf einem Stein sitzend, wie er gerade seinen jungen Adjutanten ausführlich erklärte, was sie nach dem ersten Kanonenschuß zu tun hatten. Sarahs kleiner Bruder, Lord Peter March, schien aufgeregt wie ein Kind am Weihnachtstag. Seine Wangen waren feuerrot angelaufen und er hing an den Lippen seines Generals. Für ihn war der Krieg wohl immer noch ein Spiel! Er war ja so stolz gewesen, als er nach der Schlacht von Talavera die Schulterklappen eines Leutnants auf die Uniform hatte nähen dürfen. „Guten Morgen, meine Herren! Wie stehen die Dinge bei der Zweiten Division?”
Rowland Hill legte nachlässig zwei Finger zum Gruß an den Zweispitz. „Wenn die Franzosen nur endlich mit dem Tanz anfangen würden! Wir erfrieren hier langsam aber sicher, und die Rotröcke werden nicht mehr lange warten, bevor sie zum Gin greifen, um sich aufzuwärmen!”, spottete der Offizier.
„Halten Sie die Männer von unserem gefährlichsten Gegner fern, Sir Rowland!” Arthur hatte Hill zugezwinkert, bevor er seinen Hengst wendete, um zur nächsten Stellung zu reiten. Er spürte, daß Massena heute den Angriff gegen seine Stellungen wagen wollte: Den französischen Dickschädel nach vorne gestreckt, würde er in den Berg hineinrennen!
Die alliierten Aufklärer hatten keine Flankenbewegungen der Adler im Norden oder im Süden von Wellingtons Stellungen gemeldet. Es war einfach zu schön, um war zu sein, aber es würde geschehen! Der Frontalangriff gegen die beste Defensivposition, die ein General sich nur wünschen konnte. Vielleicht hatten die Gebete der Padres ihm ja doch geholfen ...
Gegen fünf Uhr morgens war der Ire schließlich bei Pictons Stellung am San Antonio-Paß angekommen. Die Männer der Dritten Division schlangen gerade eine wenig vertrauenserregende kalte Mahlzeit hinunter. Arthur konnte nur erahnen, was sich in den Schüsseln befand. Suchend blickte er sich nach Sir Thomas um. Ein Sergeant aus dem 45. Regiment zupfte ihn am Mantel und deutete mit dem Finger zu einem Hügelchen. „Der Chef ist da oben, Mylord!” Er mußte zweimal hinsehen. Trotzdem glaubte Wellington zu träumen: Sein exzentrischer, walisischer General hatte doch tatsächlich für seinen ersten Waffengang mit Monsieur Massena das wallende Nachthemd und die Schlafmütze als Uniform ausgewählt. Wie eine irische Banshee sah er auf seinem großen, schwarzen Pferd aus. Der Wind ließ den weißen Stoff kräftig flattern, während Picton wild mit seinem Regenschirm in der Gegend herumfuchtelte und seine Adjutanten scheuchte. Der alte Tom benötigte offensichtlich nicht im geringsten den aufmunternden Zuspruch seines Oberkommandierenden. Kopfschüttelnd ritt Wellington weiter zu Craufurd und seiner eigenen Stellung am Kloster von Bussaco. „Hoffentlich erschreckt Sir Thomas die Franzosen genauso wie mich! Dann haben wir die halbe Schlacht schon gewonnen!”
Nebel fing an, sich energisch über die Serra de Bussaco zu senken. Plötzlich konnte man nicht einmal mehr die französischen Korps von Ney und Renier sehen, die direkt unterhalb von Wellingtons Aussichtsposten Aufstellung genommen hatten. Der Ire hatte bereits Probleme, Craufurds Scharfschützen in ihren grünen Jacken auszumachen, die keine 1500 Fuß von ihm entfernt lagen. Seit beinahe einer Stunde schon rumorte es in den feindlichen Stellungen. Somerset, Campbell und Don Antonio Maria Osorio Cabral de Castro saßen knapp hinter Arthur auf ihren Pferden. Leise schwatzten die drei jungen Offiziere miteinander, während der General angestrengt durch den Nebel zu blicken versuchte. Er haßte es, seinen Gegner nicht sehen zu können.
Alles ging Schlag auf Schlag: Schreie auf Französisch, Schreie auf Englisch und Portugiesisch. Dann fielen die ersten Schüsse des Tages. Die Scharfschützen beider Armeen waren in Kontakt. Arthur zog die Uhr aus der Tasche. Lakonisch konstatierte er: „Um sechs Uhr früh, am 27. September 1810 hat die Schlacht von Bussaco angefangen! Somerset, reiten Sie zu Picton! Er soll seine Männer ruhig halten! Don Antonio, dasselbe gilt für General Pack!“ Es war der Auftakt zu Massenas Frontalangriff auf die alliierten Stellungen. Der Marschall hatte diese Aufgabe General Reynier mit 14.000 Soldaten zugewiesen. Sie sollten die zentralen Positionen des Iren angreifen, indem sie entlang eines Maultierpfades nach vorne und bergauf stürmten. Dann, nachdem sie den Widerstand dort gebrochen hatten, sollten sie links und rechts die Alliierten umgehen und ihnen in den Rücken fallen. Doch der Prinz von Esslingen hatte seine Rechnung ohne Sir Thomas Picton gemacht. Nachdem die Scharfschützen in der vordersten Frontlinie eine Weile geschossen und den Anschein von Widerstand gegeben hatten, brachen sie ins Nichts weg. General Heudelets Soldaten rannten frontal in eine Wand aus Feuer hinein. Schwere portugiesische Artillerie, das starke 74. Regiment, eine Hälfte des 45. Regimentes und eine gewaltige Anzahl portugiesischer Infanteristen schossen aus allen Rohren. Die wenigen Überlebenden konnten nur noch in vollständiger Auflösung bergabwärts fliehen. Wild schwenkte Picton seine handgestrickte rote Schlafmütze durch das Morgengrauen: „Vorwärts, ihr betrunkenen Halunken! Laßt keinen entkommen. Zeigt ihnen, wie die Dritte Division mit den Adlern tanzt!” Von allen Seiten ertönten laute Hurra-Rufe. Die Portugiesen hatten ihre Feuertaufe ehrenvoll bestanden, die Briten erkannten, daß sie nach Rolica, Vimeiro und Talavera auf dem besten Weg zu ihrem nächsten Sieg waren.
Elf Bataillone unter General Merle hatten sich kurz vor General Heudelets mißlungenem Frontalstoß aufgemacht, Lightburnes Brigade zu Pictons Linker entgegenzutreten. Sie stürmten direkt auf Wellingtons eigene Stellung zu. Arthur ließ sofort zwei 6-Pfünder wenden. Doch genau in dem Augenblick, in dem der bewährte von Rettberg feuerbereit war, schienen die französischen Angreifer sich im Nebel aufzulösen. Leise fluchte der Ire ein „Verdammt!“ vor sich hin. Die britischen Positionen an der äußersten linken Flanke der Serra de Bussaco waren die schwächsten in der ganzen alliierten Aufstellung. Es waren einfach nicht genug Soldaten vorhanden gewesen, um diese unendlich lange Front überall gleich stark zu besetzen. „Von Rettberg, noch zwei 6-Pfünder zu mir und schießen Sie mit Splittermunition und Kanister in die französische Formation!”
Der deutsche Artillerieoffizier gehorchte unverzüglich. Jedes einzelne Geschütz adjustierte er eigenhändig. Er verstand, wie entscheidend es war, daß er jetzt präzise seine Ziele traf. Reyniers mächtige und kampferfahrene Erste Division hatte es geschafft, den höchsten Punkt der äußersten, linken Flanke zu nehmen. Die britischen leichten Regimenter flohen in panikartiger Auflösung vor der unaufhaltsamen französischen Woge. Gerade als Arthur Kopenhagen die Sporen geben wollte, um die Soldaten aufzuhalten und zu sammeln, flog wie ein böser Traum eine weiße Gestalt auf einem schwarzen Pferd an ihm vorbei. Picton, der die Szene beobachtet hatte, hatte schneller reagiert als der Oberkommandierende selbst. Laut schrie er den Rotröcken zu: „Was werden sie zuhause in England von euch denken, ihr versoffenen Hundesöhne! Nehmt euch zusammen und folgt mir!” Mit gezogenem Regenschirm wies er den Männern die Richtung zurück ins Gefecht, hin zu seiner hart kämpfenden Dritten Division am Paß von San Antonio. Die 8. portugiesische Infanterie, gerade erst aus dem Ausbildungslager bei Leiria angekommen, schlug sich todesmutig mit General Maucunes Adlern. Seite an Seite mit ihnen focht Major Gwynne mit seinem 45. Regiment. Die portugiesischen Scharfschützen schossen ruhig und präzise Salve um Salve in die angreifenden Adler, als ob sie ihr ganzes Leben schon in der Armee zugebracht hätten. Wellington bemerkte im Vorbeireiten junge Gesichter von der Universität Coimbra, die er vor einem Jahr noch in den Talaren der juristischen oder medizinischen Fakultät kennengelernt hatte, Söhne von Grundbesitzern, bei denen er irgendwann einmal zu Gast gewesen war und sogar ein paar blutjunge Padres aus Tomar, Santa Clara und Fatima. Sie wollten um nichts in der Welt ihre Freiheit verlieren. Dafür hatten sie alles hinter sich gelassen und waren ihm gefolgt. Kugeln pfiffen ihm um die Ohren, die Franzosen schickten drei weitere Brigaden aus Merles Division nach vorne. Durch den Rauch hindurch konnte man den feuerroten Schopf Marschall Michel Neys erkennen. Er ritt mit General Merle und führte den Angriff. Die Franzosen, angespornt durch die Anwesenheit des tapfersten aller Gefährten Napoleons warfen sich dem Gegner entgegen. Lauter Trommelwirbel begleitete sie. Trotzdem zügelte Wellington seinen Hengst. Durch den Lärm der Schlacht hörte er Oberst Alexander Wallace, einen stolzen Hochländer, der das 88. Regiment der irischen Connaught Rangers befehligte. Sein Vorfahr William Wallace hatte Englands König Edward Longshanks mit einem gemischten Heer aus Schotten und Iren geschlagen, vor mehr als 500 Jahren und damit zum ersten Mal die Freiheit für sein Land erkämpft. Er sprach zu seinen Männern: „Now, Connaught Rangers, when I bring you face to face with those French rascals, drive them down the hill - don’t give the false touch, but push home to the muzzle! I have nothing more to say, and if I had, it would be of no use, for in a minit or two there’ll be such an infernal noise about your ears, that you won’t be able to hear yourselves!” Fast dieselben Worte hatte William Wallace vor einem halben Jahrtausend auch benutzt, und die Kelten hatten die Engländer vernichtend geschlagen. Arthur zog den Zweispitz, senkte sein Haupt vor den Connaught Rangers und rief ihnen auf Gälisch zu: „An meanmnach cliamhuinn aireach! Tapfere Söhne Erins, kämpft heute mit Wallace, wie eure Vorfahren es damals bei Stirling getan haben!”
Die Connaught Rangers stürmten mit aufgepflanztem Bajonett nach vorne, ihr Oberst trieb sein Pferd neben den Hengst von Lord Wellington. Der junge Schotte lächelte dem Iren zu. Arthur zog Marlboroughs Schwert aus der Scheide: „Seagh ab taimh!“, sagte er leise zu Alexander Wallace, „Sieg oder Tod!”. Als das 88. Regiment sah, daß ihr Oberkommandierender an ihrer Seite kämpfte, stürmten sie noch energischer in die Angreifer hinein. Obwohl in diesem Augenblick elf französische Bataillone mit nur vier britischen und portugiesischen Bataillonen an diesem Frontabschnitt rangen und die Situation äußerst kritisch für die Verteidiger war, gelang es ihnen doch Merles Widerstand zu brechen. Hauptmann Dunne und Hauptmann Dansey stürmten den Felsen, auf dem die Franzosen sich bereits verschanzt hatten. Wallace selbst führte die fünfte Kompanie des Bataillons um den Felsen herum und befahl dann Hauptmann Oates, die Adler von der anderen Seite her anzugreifen. Dann gab er der einen Hälfte des 88. Regimentes Zeichen, ihm nach vorne zu folgen und bedeutete der anderen, mit Lord Wellington zu gehen. Genau in diesem Augenblick feuerte das 45. Regiment unter Oberst Gwynne zwei wilde Volleys in die erste französische Kolonne hinein. Blaue Röcke fielen zu Boden und schufen Verwirrung unter den französischen Infanteristen. Wallace und Wellington warfen sich mit den Connaught Rangers gemeinsam in das wütendste feindliche Feuer. Alles war jetzt nur noch Verwirrung, Kampf Mann gegen Mann, lautes Feuern und Rauch. Die 8. portugiesische Infanterie folgte und ebenso die Männer des 45. Regiments. Wie sein nobler Vorfahr William bei Stirling, sprang jetzt auch Alexander Wallace vom Pferd und kämpfte, sein schottisches Breitschwert in der Hand, mit dem übermächtigen Feind. Um ihn herum lag ein gutes Dutzend toter und sterbender Franzosen. Marschall Ney, der diesen Angriff führte, hatte sich Lord Wellington selbst zum Gegner gewählt. Er brachte sein Pferd kurz zum Halten und senkte stolz den Schwertarm vor dem Iren, um ihn um sein Einverständnis zu bitten: „Sire?“ Arthur senkte ebenfalls den Schwertarm und gab dem Herzog von Elchingen durch den Rauch und den Kugelhagel hindurch ein Zeichen mit dem Kopf. Er öffnete seinen Umhang und warf ihn zu Boden. Die blauen und grünen Röcke, die zwischen den beiden Offizieren gestanden hatten und die Szene beobachten konnten, gingen den Reitern aus dem Weg und machten ihnen eine Schneise frei. Beide Männer versammelten ihre Pferde, dann prallten sie im gestreckten Galopp aufeinander. Laut übertönte der harte Klang der Schwerter den Lärm der Schlacht. Eine kleine Ewigkeit fochten der französische Marschall und der irische General miteinander. Ney war mutig, wie ein Löwe. Wellington mußte mehrmals mit dem Pferd zur Seite ausweichen, um den wütenden Hieben seines Gegners zu entgehen. Sein irisches Blut kochte. Endlich traf er den roten Michel am Schwertarm. Er ließ seinen Hengst steigen, um für den letzten Schlag mehr Kraft zu haben. Marschall Ney senkte den verletzten Arm mit dem Schwert zu Boden: „Assez, Mylord Wellington! Es war mir eine große Ehre, mit Ihnen zu kämpfen!” Arthur verbeugte sich leicht vor dem Franzosen: „Vielleicht werden wir eines Tages Gelegenheit haben, uns nicht auf einem Schlachtfeld zu treffen! Au Revoir, mon Ami!” Michel Ney wendete sein Pferd und gab General Merle und seinen Männern das Zeichen zum Rückzug. Als Alexander Wallace die Bewegung der Franzosen zu seiner Linken sah, wollte er den Connaught Rangers Befehl geben, Merle den Hang hinunter zu verfolgen. Noch bevor er sprechen konnte, zügelte der Ire Kopenhagen neben ihm: „Nein, Oberst! Marschall Ney hat sich gebeugt. Lassen Sie ihn ziehen!” Der Hochländer verstand sofort. Die Ehre des Krieges gestattete es nicht, einem Gegner, der aufgab, den Rückzug zu verweigern. Sein Vorfahr hatte immer nach diesem Gesetz gehandelt. Er schob den Claymore zurück in die Scheide.
Zwischenzeitlich versuchte der Franzose Foy sieben Bataillone auf einer kleinen Anhöhe nördlich des Passes. Die ersten Rotröcke, die ihm entgegentraten, machten keinen richtigen Eindruck auf den Franzosen. Es waren nur ein paar Kompanien des 45. Regiments. Sie schienen müde vom Kampf. Doch als der Nebel sich etwas auflöste, mußte Foy zu seinem großen Entsetzen feststellen, daß hinter den Männern des 45. Regimentes die gesamte Fünfte Division von General Leith auftauchte. Nachdem der Offizier in seinem Frontabschnitt keine Franzosen mehr gesehen hatte, war er nach links auf Spencers Division zumarschiert. Er ließ das 9. Regiment sofort eine feine, lange Linie formen, nur zwei Mann tief. Sie feuerten einige harte Volleys gegen Foy. Sofort fiel die erste französische Kolonne zurück. Das dritte Bataillon der Royal Scots griff von der Seite her an. Hinter ihnen tauchten die Männer des 17. Regiments und des 70. Regiments auf. Auch sie waren in einer langen Linie aufgestellt. Aus fast tausend Mündungen hagelten alle 15 Sekunden Kugeln in die französischen Kolonnen hinein. Die Feuerkraft der Briten war gewaltig. General Reynier konnte die Adler nicht mehr zurückhalten. Sie flohen den Hang hinunter. Hill, in dessen Frontabschnitt keine Kampfhandlungen stattgefunden hatten, führte jetzt seine unverbrauchte Zweite Division von Nostra Senhora de Monte Alto gegen den San Antonio-Paß um Mackinnon zu verstärken. Den Schutz der rechten Flanke hatte Lord Wellington der Mutter Gottes vertrauensvoll überlassen, zum großen Schrecken so manch eines jungen Offiziers, der am fernen Horizont Unmengen blauer Uniformen erkennen konnte, die sich nicht in die richtige Richtung zu bewegen schienen. Arthur befahl Sir Rowland nur zu feuern und den Gegner daran zu hindern, irgendeine Position auf dem Plateau zu nehmen und zu halten: „Keine hitzigen Anfälle von Bewegungsdrang nach vorne und nach unten, mein Freund! Auch wenn’s dir noch so schwer fällt!” Hill zog ein bißchen enttäuscht den Kopf ein und murmelte dem Iren zu: „Wie Sie befehlen, Mylord!” Dann stand der General aus Shropshire drei Stunden lang mit seinen Männern, wie festgenagelt auf der Anhöhe. Dem Gegner gelang es nicht einmal, die halbe Strecke bis nach oben zu bewältigen. Dies war das Ende von General Reyniers Korps. Auch Marschall Ney hatte bei seinem Versuch, entlang der Straße von Moura nach Sula die Anhöhe zum Konvent von Bussaco zu nehmen keinen Erfolg gehabt. Robert Craufurd und fünf Bataillone der Leichten Division versperrten ihm den Weg, unterstützt von zwei Batterien fahrbarer Artillerie und dem zielsicheren Andy Mercer. Black Bob hatte zwei Bataillone Scharfschützen am Fuß der Anhöhe verschanzt gehalten. Nur unter größten Verlusten war es General Loison nach mehr als drei Stunden gelungen, diese Handvoll wütender Briten mit seinen fast 11.000 Soldaten zu vertreiben. Langsam marschierten die Adler die Anhöhe hinauf. Loison hatte vier Bataillone Scharfschützen vorausgeschickt, um den Weg für die Kolonnen freizukämpfen, die das Konvent nehmen sollten. Craufurd beobachtete alles interessiert durch sein Fernrohr. Dann rief er Colborne zu sich: „Mein Junge, bereiten wir den Herren einen würdigen Empfang! Lassen Sie die portugiesischen Scharfschützen und die Hälfte des 95. Regiments von der Leine!”
„Ja, Sir!” war die erfreute Antwort. Drei Mal pfiff Colborne scharf durch die Finger. Die 1. und die 3. Caçadores antworteten mit einem lauten „Hurra“. Sie liefen den Franzosen auf Schußweite entgegen, ließen sich mit einem Schlag zu Boden fallen, feuerten. Jeder erfolgreiche Schuß entlockte dem Schützen ein lautes Lachen, als ob es eine besonders amüsante Beschäftigung war, auf nur 600 Fuß Entfernung und oft auch weniger auf eine unablässig nach oben marschierende, blaue Masse zu schießen. Colborne schauderte bei diesem Anblick. Fast 11.000 Franzosen kamen auf die Leichte Division zu und seine Caçadores freuten sich wie Kinder darüber.
Die Adler hatten in diesem Augenblick keinen sichtbaren Gegner mehr in ihrem Blickfeld. Die Portugiesen und die grünberockten Scharfschützen des 95. Regiments nutzten vorteilhaft jeden Busch und jeden Strauch als Deckung für sich aus. Lediglich die einsame Gestalt Robert Craufurds ganz oben auf der Spitze eines vorgeschobenen Hügels und die zwölf Geschütze von Hauptmann Mercer schienen den Weg zum Konvent zu versperren. Und trotzdem fielen immer mehr blaue Uniformen zu Boden und bedeckten bald den gesamten unteren Teil der Anhöhe. Als nur noch wenige Meter die Franzosen von Black Bobs einsamer Gestalt trennten, rief der Schotte laut: „Vorwärts 52. Regiment! Rächt den Tod von Sir John Moore!“ Hinter ihm erhoben sich, wie ein Mann, 2000 britische Soldaten. Mit aufgepflanztem Bajonett feuerten sie zwei wilde Volleys in die ersten französischen Kolonnenformationen, dann stürmten sie hinter dem überraschten Gegner her, die Anhöhe hinunter. Bis sie die Senke erreichten feuerten und stachen die Rotröcke auf die Adler ein. Unten angekommen, vermischten sich die roten und die blauen Uniformen einvernehmlich, stellten das Feuer ein, schüttelten sich die Hände, als ob sie die besten Freunde wären und machten sich dann auf die Suche nach ihren Verwundeten. Lord Wellington, der diese Drôle de Guerre von seinem Aussichtspunkt aus schmunzelnd beobachtete, ließ die Männer eine Zeitlang gewähren. Auch auf dem Schlachtfeld galt es, gewisse Umgangsformen miteinander zu wahren. Er ließ seine Taschenuhr aufschnappen. Er würde den Adlern und den Leoparden eine Stunde Zeit geben. General Loison winkte ihm vom entgegengesetzten Hügel einverständlich zu. Der Ire befahl Don Antonio, hinüber zu reiten und die Zeitspanne anzusagen. Mit einem Stück weißem Tuch am Säbel bahnte der Portugiese sich seinen Weg durch die roten, grauen und blauen Röcke bis hinauf zu Loison. Beide Männer zogen die Zweispitze voreinander.
„Lord Wellington schlägt eine Stunde vor, Sire! Ist das in Ordnung?”
„Selbstverständlich, junger Mann! Richten Sie Nosey einen schönen Gruß von mir aus! Seine kleine Rangelei mit Monsieur Ney war sehr amüsant für alle Zuschauer!” Loison schüttelte Don Antonio zum Abschied freundschaftlich die Hand.
Exakt 60 Minuten später stieß ein britischer Trompeter ins Horn. Dann folgte das Signal seines französischen Kollegen. In der Senke wurden noch einige Worte ausgetauscht, hier und da reichte man sich die Feldflasche mit Brandy oder Cognac. Dann zog sich jeder mit seinen Verwundeten wieder auf seine Ausgangsposition zurück. Irgendwie hatte die Schlacht sich in der Feuerpause an der linken Flanke totgelaufen. Sporadisch schoß es noch von oben nach unten und von unten nach oben. Lord Wellington schob sein Fernrohr zusammen und sah zuerst zu Craufurd hin, dann zu Picton, der inzwischen ebenfalls auf dem Hügel des Karmeliterklosters eingetroffen war: „Reicht es für heute?“
Der alte Tom zog die wollene Schlafmütze vom Kopf und wischte sich den Pulverstaub und den Schweiß aus dem Gesicht: „Von mir aus schon, Arthur! Ich glaube, unsere Freunde auf der anderen Seite haben genug!”
„Bob?“
„Hören wir auf! Die Franzosen haben mindestens 5000 Mann verloren! Wir haben gewonnen, Monsieur Massena ist zweiter Sieger des Tages! Laß uns was Warmes essen und einen Schluck trinken!” Der Ire nickte zustimmend, stieg vom Pferd und winkte ein paar Offiziere aus seinem Stab zu sich: „Reiten Sie die gesamte Front ab und sagen Sie allen, daß wir jetzt mit den Franzosen fertig sind. Sie sollen die Verwundeten einsammeln und die Toten zählen!” Dann besann er sich noch einmal kurz: „Meine Herren, alle Verwundeten die sie finden können, auch die Adler! Monsieur Massena wird für ein wenig Hilfe sicher dankbar sein! Don Antonio, holen Sie bitte Ihre portugiesischen Kameraden zusammen. Sie haben sich alle hervorragend geschlagen. Ich möchte, daß die Offiziere dies erfahren und ihren Männern meinen Dank und meine Hochachtung aussprechen!”
Die Augen des jungen Portugiesen leuchteten, als er vom Konvent fortritt. Die neue portugiesische Armee hatte ihre Feuertaufe bestanden und er fühlte den Stolz in sich aufsteigen. Sein Land hatte sich zum ersten Mal seit Jahrhunderten wahrlich gegen einen Feind gewehrt und für seine Freiheit gekämpft. Zum ersten Mal seit langem war ganz Portugal sich einig und die politischen Intrigen und Ränkespiele, die das kleine Volk ständig entzweiten und schwach gemacht hatten, waren vielleicht für immer vorbei. Kein Portugiese würde je den Tag von Bussaco vergessen. Am 27. September 1810 hatten sie alle ihre Ehre wiedergefunden!
Lord Wellington ging langsam zu Fuß den Weg bis zum Karmeliterkloster zurück. Picton und Craufurd folgten ihm. Alle drei Männer drückten ihre müden Pferde Sergeant Dunn in die Hand, der vor Freude strahlte. Während sein Herr draußen auf der Serra gekämpft hatte, hatte er sich Don Hernando und seinen Padres angeschlossen und in der Klosterkirche inbrünstig Stoßgebet um Stoßgebet gen Himmel gesandt. Es hatte wohl geholfen: Die Alliierten hatten gesiegt und Sir Arthur war gesund zurückgekommen. Nachdem er die Tiere versorgt hatte, lief er los um Lady Lennox die gute Nachricht zu bringen. Sie hatte gemeinsam mit Sir James McGrigor in einem großen Gebäude im Garten des Konvents ein Lazarett eingerichtet und wartete auf die ersten Opfer des Tages, die aus den provisorischen Lazaretten an den Frontabschnitten hergebracht werden würden. Als sie das strahlende Gesicht des alten Mannes sah, verstand sie ohne Worte. „Danke, lieber Gott, daß du ihn mir gesund zurückgebracht hast!”, sagte sie leise zu sich selbst.
Lord Wellington, Sir Thomas Picton und Sir Robert Craufurd waren die drei ersten, die sich erschöpft aber zufrieden an einem langen, gedeckten Tisch im Kloster von Don Hernando niederließen. In weniger als einer Stunde waren der gesamte Stab und alle Generäle des Feldheeres versammelt. Während die Männer sich heißhungrig über ihre erste warme Mahlzeit seit 72 Stunden hermachten, studierte ihr Oberkommandierender geistesabwesend, aber nicht bestürzt ein Blatt Papier, das Dr. John Hume ihm wenige Minuten zuvor auf den Tisch gelegt hatte. Der Arzt stand gespannt neben ihm.
„Doktor, wie viele von den Verletzten können nicht transportiert werden?”
„Mylord, wenn es 200 sind, dann habe ich hoch gerechnet! Wir haben viele ganz banale Kratzer und Schrammen, aber nichts ernstes dabei. Dadurch daß die Franzosen mit ihrer Artillerie nicht auf die Serra schießen konnten ...”
„Und wirklich nur 200 Tote?“
„Ja, Sir! Die meisten aus Pictons Division. Aber wir haben eine ganze Menge Franzosen, denen es sehr schlecht geht!”
„John, schicken Sie jeden Briten und Portugiesen der laufen kann sofort zu seinem Regiment zurück!” Wellington war von seinem Platz aufgestanden und zu Don Hernando hinübergegangen, der sich angeregt mit Rowland Hill unterhielt: „Darf ich die katholische Kirche wieder einmal um Hilfe bitten, Vater?”
„Natürlich, Sir Arthur! Was kann ich für Sie tun?”
Wellington quetschte sich zwischen den Prior und Hill und flüsterte dem Karmeliter ein paar Worte ins Ohr.
„Selbstverständlich! Machen Sie sich keine Sorgen, meine Padres verstehen sich auf diese Dinge und werden sich gut um ihre Männer kümmern! Sie können mir auch die Franzosen dalassen! Wir haben Platz, Arzneien und ausreichend heilkundige Mönche!“
Lord Wellington stand auf und gab allen Versammelten Zeichen, still zu sein: „Meine Herren, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, daß wir lediglich 200 Tote und etwa tausend Verletzte zu beklagen haben. Viele der Verletzten sind bereits zu ihren Einheiten zurückgekehrt. Don Hernando hier, hat mir versprochen, sich der wenigen schlimmen Fälle anzunehmen, die wir nicht transportieren können. Ich bitte Sie, jetzt so schnell, wie möglich zu ihren Einheiten zurückzukehren. Sie werden Ihren Männern befehlen, soviele Lagerfeuer, wie möglich anzuzünden. Sorgen Sie dafür, daß die Serra de Bussaco heute nacht hell erleuchtet ist! Das Feldheer zieht sich sofort bei Penacova über den Mondego zurück und marschiert auf Coimbra. Meine Herren, laufen Sie wie der Teufel, bevor die Franzosen wieder zu sich kommen. In spätestens acht Tagen möchte ich, daß jeder Soldat dieses Feldheeres hinter den Wälle von Torres Vedras verschanzt liegt. Keine Nachhutgefechte, keine einsamen Heldentaten! Jede Division für sich und auf dem schnellsten Weg!“ Ein lautes Raunen ging durch die Ränge, der Ire hörte Stimmen, die sich darüber beklagten, daß er den Franzosen nicht den Todesstoß versetzten wollte, sondern nach einer siegreichen Schlacht davonlief wie ein Hase. Andere monierten, daß ihre Männer zu erschöpft seien. Nur von Picton, Craufurd, Hill und Maitland kam die richtige Antwort. Alle vier erhoben sich fast gleichzeitig und verließen den Speisesaal. Die Zurückgebliebenen verscheuchte Wellington grob: „Meine Herren, dies ist nicht der White’s Club in St. James! Sie haben zu gehorchen und nicht zu debattieren! Raus jetzt, das Feldheer rückt in drei Stunden ab!” Nachdem alle verschwunden waren, ließ er sich wieder neben Don Hernando auf die Holzbank fallen. Er spürte plötzlich jeden einzelnen Knochen im Leib, und jeder Muskel tat ihm weh. Er sehnte sich nur noch nach einem Eimer Wasser und ein paar Stunden Schlaf. Der Prior schenkte ihm ein Glas Wein ein und schob ihm einen gefüllten Teller hin: „Los, mein Sohn! Sie haben Ihre Sache gut gemacht! Essen Sie etwas, entspannen Sie sich ... Ich werde Sie in drei Stunden aufwecken!” Wellington schlang das Essen hinunter, schob den Teller zur Seite und ließ den Kopf auf die Arme fallen. Er war in dieser unbequemen Position sofort eingeschlafen. Kopfschüttelnd stand der Karmelitermönch vom Tisch auf. „Als ob du es nicht bis zu deiner Zelle und dem nächsten Bett geschafft hättest, mein Junge! Du mußt wirklich einen schweren Tag gehabt haben!”, murmelte er auf Portugiesisch vor sich hin während er den großen Speisesaal verließ.