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Spaß beim Sex

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Ich erinnere mich nur noch schemenhaft an die Zoobesuche der Kindheit. Anfangs war alles interessant, ich bestaunte jedes Tier, aber mit der Zeit wurde es mir langweilig. Spätestens nach einer Stunde interessierten mich nur noch die Highlights, etwa große Raubtiere oder Elefanten. An andere Arten kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Mit einer Ausnahme: Was mir noch recht lebhaft vor Augen steht, ist die Besichtigung des Pavianfelsens. Auf diesem künstlichen Betongebilde tummelte sich stets eine froh gelaunte Gesellschaft der afrikanischen Savannenbewohner, die sich zu Zeiten der Fütterung laut kreischend um Brotreste und Früchte zankten.

Deutlicher noch als die Nahrungsaufnahme ist mir allerdings der wilde, ungehemmte Sex in Erinnerung. Die Paviandamen stellten ihre knallroten, geschwollenen Hinterteile zur Schau, und ob Herdenchef oder Jüngling, immer wieder waren schnelle Kopulationen zu bestaunen. Gerne wäre ich länger dort am Gehege stehen geblieben, aber ich war hin- und hergerissen zwischen widerstreitenden Gefühlen. Einerseits war ich sehr neugierig, andererseits peinlich berührt, da ich in sexuellen Dingen eher konservativ erzogen wurde. Eines war jedoch offensichtlich: Die ganze Horde schien das alles prächtig zu genießen.

Zwischenzeitlich erfuhr ich in der Schule, wie Tiere bis in die kleinsten Abläufe mehr oder weniger automatisch reagierten. Diese Sezierung der Vorgänge im Sexualkundeunterricht war für mich so ernüchternd, dass ich mich lange fragte, ob auch der Mensch so berechenbar funktionierte. Konnte die Biologielehrerin mit diesem Wissen noch entspannten Sex haben oder entzauberte ihre Kenntnis von den Details die ganze Sache? Heute stelle ich mir umgekehrt eher die Frage, warum nur der Mensch mehr an der Paarung finden sollte als eine rein mechanische Betätigung.

Handlungen von Tieren werden von der Wissenschaft meist als rein zweckorientiert gesehen. Ein Instinkt A löst eine Tat B aus und führt zum Ergebnis C. Können Tiere zweckfrei handeln, einfach nur Spaß haben? Dies zu bejahen würde gleichzeitig bedeuten, ihnen Lebensfreude und damit auch so etwas wie Glück zuzugestehen.

In den letzten Jahren mehrten sich die Indizien, dass dem tatsächlich so ist. So zeigte das Naturhistorische Museum in Oslo mit einer Ausstellung unter dem Titel »Wider die Natur?«, dass Homosexualität unter Tieren weiter verbreitet ist als allgemein vermutet. Bisher soll die Wissenschaft rund 1500 Arten kennen, bei denen derartiges Verhalten beobachtbar sei. Ob Schimpansen, Delfine, Hunde, Nashörner oder sogar Fliegen, offensichtlich gibt es diese Sexvariante bei den meisten Spezies. Auch unsere heimische Tierwelt mischt kräftig mit: Immer wieder berichten Jäger etwa von Hirschen, die sich in der Brunftzeit zu »Männerpaaren« zusammenschließen und sich miteinander vergnügen.

Das Problem: Findet Sex unter gleichgeschlechtlichen Partnern statt, kann es logischerweise keinen Nachwuchs geben. Solches Verhalten läuft aber dem Grundprinzip der Natur zuwider, nachdem alles Streben der Weitergabe eigener Gene zu dienen hat. Jedes Abweichen davon ist unnötige Energieverschwendung und wird von der Evolution mit dem Aussterben bestraft. Demzufolge müsste also auch Homosexualität einen tieferen Sinn haben. Und tatsächlich formulierten Wissenschaftler erste Ansätze dazu. So sollen gleichgeschlechtliche Paare quasi der soziale Klebstoff innerhalb von Sippen sein. Ihre friedvolle Art und die Mithilfe bei der Aufzucht des Nachwuchses ihrer Verwandtschaft, etwa von Brüdern und Schwestern, dienten auch dem Erhalt der eigenen Gene, die denen ihrer Nichten und Neffen ja sehr ähnlich seien.

Würden diese Theorien zutreffen, so hätte Homosexualität einen biologischen Sinn, wäre unter evolutionären oder vielmehr wissenschaftlichen Gesichtspunkten endlich legitim. Genau dieser Punkt macht auch in der menschlichen Gesellschaft gleichgeschlechtliche Liebe so problematisch. Sie gilt als unnormal, weicht vom Heile-Welt-Familienschema ab, da sie nicht reproduktionsorientiert ist. Könnten Schwule schwanger werden, sähe das möglicherweise ganz anders aus. Aber Sex nur so zum Vergnügen? Das zu akzeptieren, fällt der Gesellschaft schwer. Vielleicht kann uns die Tierwelt hier eine goldene Brücke bieten. Zum einen ist es sicher richtig, dass die Evolution nur und ausschließlich an dem Erhalt der Gene arbeitet. Homosexualität ist in diesem Sinne eine Sackgasse. Dennoch kommt sie bei vielen Tierarten vor, darf mithin als normal gelten.

Warum treiben Tiere oder auch Menschen Sex? Fortpflanzung ist das Wichtigste im Leben, zumindest aus der Sicht der Evolution. Die Weitergabe der eigenen Gene, optimalerweise gemischt mit besonders guten Erbanlagen des anderen Geschlechts, ist das Ziel aller Mühen des Lebens. Nein, nicht nur aller Mühen, sondern auch aller Freuden. Besonders der des lustvollen Orgasmus. Dieser kurze Moment einer schwer zu beschreibender Gefühlswelle, die je nach Veranlagung Sekunden oder Minuten dauert, ist die Belohnung des Gehirns für ein langes Werben um den Partner. Zugleich stellt es eine Vorauszahlung für den kommenden Lebensabschnitt dar, der mit der Aufzucht des Nachwuchses mannigfaltige Entbehrungen bereithält. Für all dies ist ein flüchtiger Augenblick höchster Wonnen ein wenig gering bemessen, finden Sie nicht? Natürlich gibt es auch vorher und nachher wunderschöne Momente, etwa das Glück, die eigenen Kinder aufwachsen zu sehen, ihre bedingungslose Zuneigung zu spüren. Auf die Liebe kommen wir aber später noch zu sprechen.

Sexuelle Gefühle rangieren gleich nach den Bedürfnissen nach Schmerz- und Hungerfreiheit an dritter Stelle. Geht es dem Organismus gut, so macht er sich sofort an die Vermehrung. Allerdings ist die Paarung etwas höchst Gefährliches, weil währenddessen sämtliche Sinne bis auf einen völlig vernebelt sind. Deshalb braucht sie einen entsprechend starken Anreiz. Es muss Spaß machen, und warum sollte die Natur unsere Mitgeschöpfe mit schwächeren Trieben oder geringerer Belohnung in Form von Lustgefühlen ausstatten als uns?

Um sich erfolgreich zu paaren, muss man sich gemeinsam mit dem Partner in eine Situation relativer Hilflosigkeit begeben. Schnelle Reaktionen sind aufgrund der Körperhaltung und Ablenkung nicht möglich; zudem zieht die Interaktion die Aufmerksamkeit anderer Arten nach sich. Versteckt sich das Paar, so kann es umgekehrt erst recht nicht sehen, wer sich da alles während des Rausches der Gefühle nähert. Bei vielen Tieren ist das Vorspiel sehr auffällig. So treibt etwa unser Ziegenbock Micky seine Damen meckernd über die Weide. Er testet, ob sie seinem Geruch erliegen und stehen bleiben, um ihn aufreiten zu lassen. Selbst wenn dem so ist, wird erst mehrere Runden »Fangen« gespielt. Auch bei Vögeln, etwa den Birk- und Auerhühnern, finden im Vorfeld heftige Balzspiele statt, um die Aufmerksamkeit des Partners zu erregen. Dummerweise erhalten die männlichen Darsteller nicht nur Beachtung von der Angebeteten, sondern auch von Raubtieren. Und die verschaffen sich dann einen Genuss auf gänzlich andere Art und Weise.

Es sind aber nicht nur Raubtiere, die aufmerksam werden können. Gerade männliche Konkurrenten, die schwächer sind als der Chef im Ring, sehen dem Treiben vom Rande aus gierig zu. Aufgrund ihrer Rangstellung bleibt ihnen grundsätzlich jede sexuelle Betätigung verwehrt. So etwa bei Hirschen, wie folgendes von mir beobachtetes Beispiel zeigt: Ein mächtiger, kapitaler Sechzehnender, rund zehn Jahre alt, hat sich einen Harem von acht Hirschkühen erobert. Eifersüchtig bewacht er seine Damen und vertreibt mit seinem schweren Geweih jeden Eindringling. Zwischendurch lässt er sein Röhren erschallen, um etwaige Interessenten schon von Weitem vorzuwarnen. Und dennoch: Ist der Herrscher mit einem Konkurrenten beschäftigt, so mogelt sich manchmal ein junges Hirschlein an das Rudel heran und verschafft sich den ersehnten Genuss. Es nutzt seine Chance, obwohl es jederzeit mit der Rückkehr des Platzhirsches und mit schwerer Bestrafung in Form eines heftigen, manchmal blutigen Kampfes rechnen muss, bei dem es in jedem Fall unterliegt. Doch die Möglichkeit, trotz des jungen Alters schon zum Zuge zu kommen, lässt es jede Vorsicht vergessen.

Aber auch der Akt an sich, selbst wenn er in der jeweiligen Gemeinschaft ganz legal vollzogen wird, birgt Gefahren. Zum einen lenkt der starke Drang nach Paarung ab, beschäftigt die Sinne so sehr, dass die Registrierung nahenden Unheils in Form von Raubtieren in den Hintergrund rückt. Und auch wenn diese bemerkt werden, so steigert die Aussicht auf einen Orgasmus die Risikobereitschaft enorm.

Apropos Aufmerksamkeit erregen: Alle Arten haben ihr eigenes Schönheitsideal. Und nicht jedes Individuum entspricht diesem, wie wir Menschen an unseren Mitbürgern sofort erkennen können. Schönheit ist jedoch ein wichtiges Auswahlkriterium für die Fortpflanzung. Je attraktiver, desto mehr Sex und desto mehr Nachkommen, so sollte der logische Schluss lauten. Dementsprechend müssten Schönheiten bevorzugt Nachwuchs haben, sodass sich die optisch ansprechenden Eigenschaften durchsetzen. Im Laufe der Evolution würden irgendwann alle Individuen einer Art gleich aussehen, nämlich schön. So ist es aber nicht, und das hat einen ganz einfachen Grund: Schönheiten haben Stress, und Stress schadet der Gesundheit. Um attraktive Weibchen buhlen die Männchen ganz besonders heftig, zum Teil wird sich der begehrte Sex einfach mit Gewalt genommen. Zumindest bei Taufliegen konnten dies Forscher der Universität von Kalifornien nachweisen. Wer weniger schön ist, hat weniger Stress und damit eine höhere Chance, zu überleben und die eigenen Gene weiterzugeben.

Nun gut, der Schönheit der Weibchen sind also Grenzen gesetzt. Wie aber ist es mit den Männchen? Denn in der Regel übernehmen diese den aktiven Part und bauen sich vor begehrten Partnerinnen auf, nicht umgekehrt. Der Auswahlstress wirkt hier eher gegenteilig: Zum Zuge kommen nur besonders imposante Werber, was den Ausstattungswettlauf nur noch anheizt. Und die Männchen staffieren sich tatsächlich bis zur Verkrüppelung aus und machen sich mit allerlei Verrenkungen zum Clown. Ob das große Federrad des Auerhahns, ob aufblasbare Kehlsäcke bei Fröschen und Kröten, ob die ohrenbetäubenden Schreie der Hirsche oder groteske Tänze der Kraniche, einer versucht den anderen zu überbieten. Alle Maßnahmen haben jedoch einen gewaltigen Nachteil. Sie machen Feinde aufmerksam und behindern die Hitzköpfe in ihrer Flucht. Wer als Männchen zu üppig ausstaffiert ist, wird bevorzugt gefressen und kann sich dann logischerweise nicht mehr fortpflanzen. Bei den Weibchen begrenzt das Gerangel der Bewerber die Schönheit, bei den Männchen begrenzen die Raubtiere sie. Die Evolution hin zu mehr Attraktivität dürfte also bei den meisten Arten schon heute am Ende der Fahnenstange angekommen sein – auch wenn einzelne Exemplare immer wieder versuchen, höher zu kommen.

Nun aber noch einmal: Macht Tieren Sex wirklich Spaß? Es gibt eine Handlung, die abseits aller logischen Schlüsse den direkten Beweis zu liefern scheint: die Masturbation. Sie erfüllt augenscheinlich keinen biologischen Sinn und kostet nur unnötig Energie. Zudem gelten für diese Tätigkeit alle Gefahren steigernden Faktoren wie beim regulären Sex, also eine erhöhte Risikobereitschaft, eine verminderte Aufmerksamkeit und eine gewisse Hilflosigkeit, kurz, Raubtiere können masturbierende Männchen oder Weibchen viel leichter erbeuten. Normalerweise müsste die Evolution derartiges Handeln daher längst ausgemerzt haben, die Frage wäre nur: wie? Denn die Reizung der Geschlechtsorgane soll ja belohnende Gefühle auslösen, und eine Manipulation des Besitzers an diesen empfindlichen Körperteilen muss ebenfalls möglich sein, etwa um sie zu reinigen. Vielleicht ist es aber auch eine Art sexuelles Trainingsprogramm oder dient ganz einfach der Entspannung. Denn nicht immer findet sich ein paarungswilliger Partner, und bevor der Triebstau zu mächtig wird, alles andere überlagert, ist es möglicherweise günstiger, diesen selbst ruckzuck abzubauen und sich wieder den Alltagsgeschäften zu widmen. Aktuell geben je nach Studie rund 80 Prozent der Bevölkerung der Industriestaaten an, zu masturbieren. Wenn Tiere vielfach ähnlich ticken, ähnliche Möglichkeiten haben und höchstes Vergnügen beim Sex empfinden, sollte die Wissenschaft auf breiter Flur fündig werden. Sie wird und nicht nur sie. Wie verstörte Hundebesitzer in Internetforen berichten, verschaffen sich sexuell besonders aktive Rüden hin und wieder Entspannung. Ob mit den Pfoten, durch bloßes In-die-Luft-Stoßen oder mithilfe einer alten Decke, der Beleg des Bemühens landet vor den menschlichen Rudelmitgliedern, denen dabei regelmäßig der Appetit vergeht. Auch unser Ziegenbock namens Vito demonstrierte früher seine Libido fast täglich. Mit seinem erigierten Penis beförderte er Urin und Sperma nicht nur gegen seine vormals weißen Vorderbeine, sondern meist auch noch ins Maul. Der Duft muss unter Ziegen umwerfend sein, denn paarungsbereite Ziegendamen fanden Vito unwiderstehlich (Besucher unseres Anwesens allerdings weniger).

Schaut man sich zwischen den Säugetieren um, so wird man überall fündig. Ob Braunbären oder Wildkatzen, viele wurden schon dabei beobachtet, Pfote und Schnauze einzusetzen oder Baumstämme zur Hilfe zu nehmen. Bereits im Jahre 1902 beschrieb Autor Hermann Rohleder masturbierende Hirsche sowie Pferde. Aber auch andere Klassen von Landwirbeltieren vergnügen sich. Beobachtungen werden bei in Gefangenschaft gehaltenen Vögeln, etwa Wellensittichen, gemacht, die ihre Kloake an der Hand des genervten Besitzers reiben. Von den allermeisten Tierarten fehlen jedoch solche Hinweise. Das kann vielerlei Gründe haben. Zum einen gibt es vielleicht etliche Spezies, die keinen derartigen Drang verspüren. Zudem lässt sich das Phänomen naturbedingt bei Weibchen nicht so gut beobachten. Andererseits ist Masturbation selbst im menschlichen Bereich ein Tabuthema, welches möglicherweise deswegen bei Wissenschaftlern nicht im Brennpunkt von Untersuchungen steht. Davon abgesehen wäre eine Beobachtung sicherlich nicht gerade einfach: Woran etwa sollte man masturbierende Stubenfliegen oder Kreuzspinnen erkennen?

Zumindest lassen die bisherigen Ergebnisse zum Thema Masturbation den Schluss zu, dass zahlreichen Arten auch Sex mit Partnern Spaß macht – wobei es sich zuweilen um ein sehr einseitiges Vergnügen handeln kann. Das lässt sich auch an weniger erfreulichen Erscheinungen festmachen. So hat das freundliche Bild dümpelnder Stockenten seit einigen Jahren tiefe Kratzer bekommen. Immer wieder wurden Vergewaltigungen beobachtet. Dazu rotten sich Gruppen von Erpeln zusammen und überfallen ahnungslos auf dem Teich paddelnde Weibchen und ertränken diese bei ihren Kopulationsversuchen fast. Ob es allerdings nur die reine Lust ist oder vielleicht ebenso Rang-, Gewalt- und Machtfaktoren eine Rolle spielen, ist unbekannt. Vielleicht spielt auch der Stress auf städtischen Teichen eine Rolle, bei denen die Populationen durch ständige Fütterung unnatürlich angeschwollen sind.

Es geht aber auch anders. Kraniche finden sich zu Paaren, die oft lebenslang zusammenbleiben. Im Frühjahr wird erst lange und fleißig getanzt. Dabei springen die Partner voreinander in die Luft, flattern mit den Flügeln, recken den Kopf und rufen, um gleich darauf im Kreis zu gehen. Höhepunkt ist die Aufforderung des Weibchens an das Männchen, aufzuspringen und den Akt zu vollziehen. Einfühlsamer und mit ausgeprägterem Hinweis auf absolute Freiwilligkeit geht es nicht mehr. Hier ist die Paarung der stärkste Ausdruck der Zugehörigkeit und Verbundenheit – und des gemeinsamen Spaßes.


Die Gefühle der Tiere

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