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09 - Corona-Maßnahmen und das Grundgesetz

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Das Wichtigste ist die Gesundheit. Danach kommen soziale Sicherheit und Arbeitsplätze“

(Hubertus Heil. *03.11.1972, Bundesminister für Arbeit und Soziales, im März 2020)

Wissenschaftler und Ärzte sind sich einig, dass nur die Minimierung von Kontakten die zunehmende Verbreitung des Erregers Covid-19 bremsen kann.

Die im Rahmen der Corona-Pandemie beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung haben somit ein klares wissenschaftliches Fundament: Es geht darum, für eine bestimmte Zeit die Kontakte zwischen den Menschen herunterzufahren. Denn dann sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Infektion.

“Ohne solche Beschränkungen würde das weitere exponentielle Wachstum der Infiziertenzahlen unweigerlich binnen weniger Wochen zu einer Überforderung des Gesundheitssystems führen und die Zahl der schweren Verläufe und der Todesfälle würde erheblich ansteigen“, heißt es im Bund-Länder-Beschluss vom 28.10.2020.

Sich an bestimmte Regeln zu halten, um die Mitmenschen und sich selbst so gut wie möglich zu schützen, dürfte angesichts der Corona-Epidemie und ihrer Gefahren absolut sinnvoll sein – wenn damit die Ausbreitung des Virus verlangsamt, das krank gesparte Gesundheitswesen vor Überlastung bewahrt und das Leben besonders gefährdeter Personen geschützt werden kann.

Dennoch: Es hat, seit das Grundgesetz in Kraft getreten ist, noch nie so starke Grundrechtseinschränkungen gegeben wie es jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie der Fall ist.

Und darum macht es Sinn, die gegenwärtige Situation im Gefolge des Corona-Virus kritisch zu hinterfragen sowie im Hinblick auf Verhältnis- und Verfassungsmäßigkeit zu evaluieren.

Dann mal los: Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spielt in der deutschen Gesetzgebung eine bedeutende Rolle. Als allgemeines Abwägungsprinzip besagt er:

„Kollidierende Interessen, Freiheiten oder Rechtsprinzipien werden nur dann in ein angemessenes Verhältnis zueinander gesetzt, wenn und soweit das zu wahrende Interesse, Freiheitsrecht oder Rechtsprinzip schwerer wiegt als das ihm aufgeopferte“ (58).

Verhältnismäßig, das heißt im Juristendeutsch: Ein staatlicher Eingriff in ein Grundrecht ist nur erforderlich, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, das den Zweck ebenso erfüllt und den Betroffenen weniger schädigt.

Einfacher gesagt: In eine Waagschale der Justitia werden das Corona-Virus, die Ansteckungsgefahr für die gesamte Bevölkerung und das Risiko des Zusammenbruchs des Gesundheitswesens gelegt, in die andere die beeinträchtigten Freiheitsrechte und die Existenzgefahr für den demokratischen Rechtsstaat (59).

Verhältnismäßigkeit verlangt, dass jede Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, einen legitimen öffentlichen Zweck verfolgt.

Überdies muss die Maßnahme geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn, also angemessen sein.

Geeignet ist sie dann, wenn die Maßnahme die Erreichung des Zwecks kausal bewirkt oder zumindest fördert. Zur Verminderung des Schadstoffausstoßes eines Industrie-betriebes etwa ist der Einbau einer Rauchgasreinigungsanlage oder die Schließung des Betriebes möglich. Nicht geeignet dagegen wäre die Schließung des Unternehmensparkplatzes.

Die Maßnahme ist erforderlich, wenn kein milderes Mittel gleicher Eignung zur Verfügung steht, genauer: wenn kein anderes Mittel verfügbar ist, das in gleicher (oder sogar besserer) Weise geeignet ist, den Zweck zu erreichen, aber den Betroffenen und die Allgemeinheit weniger belastet. Die Schließung des Betriebs aus dem obigen Beispiel ist daher in der Regel nicht erforderlich, weil die Verminderung des Schadstoffausstoßes auch durch die Rauchgasreinigung erreicht werden kann.

Der Grundsatz der Angemessenheit besagt, dass eine Maßnahme nur dann verhältnismäßig im engeren Sinn ist, wenn die Nachteile, die mit der Maßnahme verbunden sind, nicht völlig außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen, die sie bewirkt.

An dieser Stelle ist eine Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile der Maßnahme vorzunehmen. Dabei sind vor allem verfassungsrechtliche Vorgaben, insbesondere Grundrechte zu berücksichtigen.

Geht es beispielsweise um die Frage, ob zur Bekämpfung schwerer Bandenkriminalität die Videoüberwachung von Wohnräumen zugelassen werden soll, ist vor allem das Grundrecht des Überwachten auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung gegen das Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung und Verteidigung der Rechtsordnung abzuwägen (60).

Als rechtsstaatliches Prinzip ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für jede hoheitliche Gewalt verbindlich. Er gilt grundsätzlich im Verfassungsrecht im ganzen Bereich des öffentlichen Rechtes, im Strafrecht sowohl auf der Normebene (Strafbewehrung, Strafmaß) als auch hinsichtlich der Strafverfolgung (Ermittlungsverfahren) und des Straferkenntnisses sowie bei Verbraucherschutzrechten. In vielen dieser Bereiche gilt es als ungeschriebene Voraussetzung (61).

Eine Maßnahme, die den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht entspricht, ist rechtswidrig.

Wie sieht es nun mit den Corona-Beschränkungen vor dem Hintergrund der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus? Halten die Maßnahmen, die die Bundesregierung im Frühjahr und Herbst des Jahres 2020 ergriffen hat, einer Überprüfung der drei Bedingungen stand?

Mit anderen Worten: Sind die in Deutschland geltenden Corona-Regeln geeignet, um das Ziel, die Infektionszahlen zu reduzieren, zu erreichen?

Die Antwort auf diese Frage ist relativ einfach. Dass die Reduzierung sozialer Kontakte, dass Distanz zwischen potenziell infizierten und gesunden Menschen tendenziell Neuinfektionen entgegenwirkt – wer wollte das bestreiten? Zumal vor dem Hintergrund, dass es schlicht und ergreifend keine anderen Maßnahmen, keine vorbeugenden Impfungen und bislang auch keine Medikamente gegen den Erreger gibt.

Zudem wissen wir noch längst nicht alles über den Verlauf der Krankheit, über die Frage einer Immunität ehemaliger Betroffener und abschließend auch noch nicht darüber, ob man sich ein zweites Mal anstecken kann. Leider erhärtet sich der Verdacht, dass dies, entgegen erster Vermutungen, in manchen Fällen doch möglich ist (siehe Kapitel 04).

Kommen wir also nun zu der Frage: Sind die Corona-Maßnahmen angemessen? Hier sind vor allem die Grundrechte der Bürger von Bedeutung. Greifen Corona-Maßnahmen also in die Grundrechte ein?

Im Grundgesetz, das 1949 erlassen wurde, sind die Grundrechte, die Regeln für unser Zusammenleben, aufgeführt. Im Mittelpunkt der Grundrechte steht der Mensch. Die Grundrechte schützen die Menschenwürde und das Recht auf Leben aller Menschen.

Das Grundgesetz beschreibt die wichtigsten Regeln für den Staat, es grenzt dessen Macht ein und formuliert Bürger- und Freiheitsrechte.

Auch bei einer schweren Krise wie der Corona-Pandemie muss der Staat sich an das Grundgesetz halten und die Grundrechte seiner Bürger schützen.

Es kann kein Zweifel bestehen - die uns auferlegten Regeln in der Corona-Krise schränken teilweise unsere Grundrechte ein.

Nehmen wir das Recht auf Freizügigkeit (Art.11 GG), gleichbedeutend damit, dass man sich auch außerhalb der eigenen Wohnung bewegen kann, wohin man will.

Angesichts der bundesweiten „Lockdowns“ wird beschlossen, dass die Menschen nicht mehr überall hinfahren dürfen. Urlaub an der Nordsee – vorübergehend gestrichen. Auch Grenzen zu anderen Ländern werden geschlossen. Das Grundrecht auf Freizügigkeit ist damit eingeschränkt.

Der Freiheit der Person (Art.2 GG) sind deutliche Grenzen gesetzt, wenn infizierte Personen 14 Tage Haus oder Wohnung nicht verlassen dürfen und in Quarantäne müssen.

Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) ist nicht mehr gewährleistet, wenn Wohnungen von infizierten Personen vom Amtsarzt unter bestimmten Umständen ungefragt betreten werden dürfen.

In Art.2 GG ist das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit beschrieben. Wenn viele Dinge im Alltag - Kinos, Museen, Theater, Schwimmbäder und viele weitere Einrichtungen sind geschlossen - nicht mehr möglich sind, sind der freien Entfaltung der Persönlichkeit Grenzen gesetzt.

Das Grundrecht auf freie Religionsausübung (Art.4 GG) ist tangiert, wenn religiöse Stätten vorübergehend geschlossen bleiben.

Nicht zuletzt wird auch das Recht auf Berufsfreiheit (Art.12 GG) tangiert: Während der Lockdowns müssen viele Geschäfte und alle Gaststätten sowie Bühnen schließen. Somit können die in diesen Wirtschaftseinheiten beschäftigten Personen staatsverordnet ihren Beruf nicht ausüben.

Auf das Recht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) komme ich im nächsten Kapitel gesondert zu sprechen

Es wird deutlich: Die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung schränken verschiedene Grundrechte der Bevölkerung entscheidend ein. Dies ist jedoch nicht per se gleichbedeutend damit, dass diese Drangsalierungen verfassungsinkonform wären. Denn im Zusammenhang mit den Corona-Regeln ist das Infektionsschutzgesetz von Bedeutung, das ausdrücklich die Einschränkungen von Grundrechten erlaubt. I

In § 28 (1) steht zu lesen: Behörden in Deutschland dürfen Notwendiges tun, soweit und solange es dabei hilft, die Verbreitung einer Krankheit zu verhindern.

Dann nämlich, und so kommen wir zum dritten Aspekt der Verhältnismäßigkeit, können temporäre Grundrechtseinschränkungen durchaus verfassungskonform sein.

Denn die Einschränkungen in der Corona-Krise sollen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art.2(2) GG) schützen (62).

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Corona-Regeln hat viel damit zu tun, ob die Beschränkungen als ausgewogen, als gerecht empfunden werden.

Manche Lockdown-Maßnahmen scheinen widersinnig, unlogisch und letztlich nicht wirklich fair, wie der folgende Fragenkatalog zeigt:

Warum müssen Tattoo- und Massage-Studios schließen, während Friseure weiter öffnen dürfen?

Warum dürfen Gottesdienste stattfinden, aber Lesungen nicht?

Warum darf man sich einen Film nicht im Kino (mit Abstand zueinander) ansehen, wohl aber die DVD aus der Bibliothek holen?

Warum dürfen Restaurants Speisen außer Haus verkaufen, alkoholische Getränke wie Cocktails aber eher nicht?

Warum dürfen größere und mittlere Wirtschaftsunternehmen ihr Geschäft weiterführen, während Solo-Selbstständige aus dem Kulturbereich durch die aktuellen Regeln keine Chance dazu haben?

Warum dürfen sich mancherorts ein oder zwei Menschen nicht auf einer Parkbank ausruhen? Warum dürfen sie nicht auf der Grünfläche eines Parks in gebührendem Abstand zu anderen in der Sonne sitzen?

Warum sollten sich Menschen nicht in Restaurants, in einer Bar, in einer Kirche, Synagoge, Moschee oder sogar in einem Kino treffen und vergnügen können, wenn zwischen Stühlen, Tischen und Sitzreihen genügend Raum bleibt und ein geordneter Einlass und Ausgang möglich ist?

Warum wird jede touristische Beherbergung untersagt, während »notwendige Auswärtsübernachtungen erlaubt bleiben.

Warum müssen Restaurants, Kinos, Theater schließen, während man am Arbeitsplatz, zu dem man in vollen Bahnen und Bussen fährt, weiter acht Stunden täglich mit den Kollegen verbringen darf bzw. muss.

Warum wird der Amateursportbetrieb ausgesetzt, die Profis hingegen dürfen weiterhin sporteln, wenn auch ohne Publikum?

Warum soll auf “unnötige” private Reisen verzichtet werden, auf Geschäftsreisen und andere angeblich notwendige Reisen nicht?

Warum dürfen Händler mit Mischwarensortiment weiter Spielzeug verkaufen, während für Spielwarenläden ein Verkaufsverbot gilt?

Das sind eindeutig zu viele „Warums“, wenn Sie mich fragen. Eine wissenschaftliche Erklärung gibt es für all das nur in wenigen Fällen. Dem Virus ist es im schlimmsten Fall egal, ob es sich beim Hairstylisten verbreitet oder beim Tattoo-Künstler. Es macht leider auch keinen Unterschied zwischen Gottesdienst und Horrorfilm.

Es drängt sich die Vermutung auf, dass die „schwarze Liste“, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, das Ergebnis vor allem politischer, und nicht in erster Linie wissenschaftlicher Erwägungen ist (63).

. So tut man sich augenfällig mit der Schließung von Kleinbetrieben leichter als mit dem Lockdown in wirtschaftskräftigen Großunternehmen.

Es ist zwar nicht gerecht, aber auf den ersten Blick scheint es durchaus logisch zu sein, dass die Beschränkungen die Gastronomie, das Hotelgewerbe und die Veranstaltungsbranche stärker treffen als etwa den Einzelhandel. Denn diese Branchen leben von der sozialen Interaktion und der Geselligkeit – und diese sind derzeit riskant, egal wie gut Hygienekonzepte befolgt werden.

Unverhältnismäßig erscheinen die Maßnahmen dann, wenn man diese Branchen weiter temporär stilllegt, obwohl zwischen Kunden ein notwendiger Sicherheitsabstand gewahrt werden könnte. Gastronomen, Veranstalter von Kulturevents, Kinobetreiber und Hoteliers werden so doppelt bestraft, denn sie haben mehrheitlich teure – und wirksame – Hygienekonzepte umgesetzt. Auch sind eben diese Bereiche, ebenso wie gastronomische Betriebe, bislang nicht als häufige Ansteckungsorte in Erscheinung getreten. Im Gegensatz zu Schulen oder dem Arbeitsplatz.

"Die Gastronomie ist bisher nicht als ein Hotspot erkannt worden", erklärt dazu der Kölner Virologe Rolf Kaiser im Oktober 2020.

Ob der drastische Schritt wirklich großen Einfluss auf die Infektionszahlen haben werde, sei zumindest zweifelhaft. Er könne sogar einen gegenteiligen Effekt haben, wenn sich das gesellige Leben wieder vollständig in den privaten Bereich verlagert.

Die Betroffenen fühlen sich völlig zurecht schikaniert.

Obgleich man in vielen Restaurants, Kinos, Konzertsälen oder Theatern Hygiene- und Abstandsmaßnahmen vortrefflich umgesetzt hat und bislang auch nicht bekannt wurde, dass sich hier Infektionen ausbreiten, werden Orte, die der Kultur, der Freizeit dienen, geschlossen, Geschäfte aller Art, von Baumärkten bis hin zu Modegeschäften oder Möbelhäusern hingegen bleiben zunächst geöffnet. Immerhin ist es ja kurz vor Weihnachten.

Schon jetzt stünden rund ein Drittel der Betriebe vor dem Aus, warnt der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Eine weitere Zwangspause werde unzählige Existenzen zerstören (64).

Auch in anderen Bereichen, so wird man das Gefühl nicht los, wären eventuell mildere Maßnahmen denkbar. Statt die Schließung eines Fitnessstudios anzuordnen, könnte man die Zahl gleichzeitig Trainierender begrenzen, regelmäßig alle Sportgeräte desinfizieren und einen Mindestabstand zwischen eben diesen einhalten.

Selbst die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) spricht sich – gleichfalls im Oktober- in einem Positionspapier deutlich gegen "reflexhafte" Schließungen ausgesprochen. Sobald sich Verordnungen als "widersprüchlich, unlogisch und damit für den Einzelnen als nicht nachvollziehbar" darstellten, entstehe ein Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitsproblem.

"Wir könnten diejenigen verlieren, die wir dringend als Verbündete im Kampf gegen das Virus brauchen", heißt es in dem Papier, zu dessen Unterzeichnern auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck gehört (65).

Auch für die Potsdamer Soziologin und Risikoforscherin Pia-Johanna Schweizer sind die wichtigsten Faktoren im Kampf um die Akzeptanz: Transparenz und Nachvollziehbarkeit. In den Bundesländern werde zum Teil ein und dieselbe Faktenlage unterschiedlich ausgelegt. „Das verwirrt die Leute und führt zu Verdruss.“ Sie plädiert etwa für einen einheitlichen Umgang mit Risikogebieten.

Negativ auf die Akzeptanz wirkt sich auch aus, wenn Menschen das Gefühl haben, es werde mit zweierlei Maß gemessen. Ein Laienschauspieler beteuert, dass er kein Verständnis dafür hat, dass Fußballspielen im Verein erlaubt ist, aber das Theaterspielen nicht. „Solche Dinge sind unlogisch. Da wäre eine Vereinheitlichung dringend notwendig“, meint Schweizer (66).

Dem Gefühl, dass anlässlich der Corona-Beschränkungen bisweilen mit zweierlei Maß gemessen wird, kann man sich manchmal wirklich kaum entziehen.

Der zweite Lockdown im November fällt zunächst deutlich milder aus als der erste im März.

Zwar müssen wir wieder auf kulturelle Veranstaltungen, auf Pizza und Kölsch (es sei denn, man holt beides am unscheinbaren, aber vorzüglichen Stehimbiss „Pinocchio“ auf der Siegburger Straße in Köln-Poll, wärmstens zu empfehlen...) verzichten, aber die Geschäfte dürfen weiterhin ihre Kunden bedienen, Schulen und Kitas bleiben geöffnet.

Bei den Gaststätten hingegen bleibt man hart. Auch gut ausgetüftelte und stimmige Hygienekonzepte stimmen die Entscheider nicht gnädig und nutzen den vielen Gastronomen, die sich um eben diese bemüht haben, nichts. Weil gastronomische Betriebe, so die Argumentation, in besonderer Weise soziale Kontakte fördern.

Im überfüllten Bus, „Maske an Maske“, zur Arbeit fahren dürfen wir, aber abends mit der Frau oder dem Mann des Herzens „maskiert“ ein Lokal betreten und dann ganz in der Ecke sitzen und die Maske nur bei Tisch abnehmen – keine Chance.

Das muss man nicht verstehen, oder?!

Selbst aus der Politik gibt es Zweifel an dem "Lockdown" für die Gastronomie.

Die FDP hält die Schließungen gar für verfassungswidrig.

"Das halte ich für unnötig und deshalb auch für verfassungswidrig", erklärt FDP-Chef Christian Lindner. Sein Parteikollege Wolfgang Kubicki spricht im Deutschlandfunk von "Alarmismus". Die Beschlüsse würden einer gerichtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht Stand halten (67).

Es hat den Anschein, dass es vor allem politische Prioritäten sind, aufgrund derer man zunächst das Wirtschaftsleben nicht unterbrechen (und auch Schulen und Kitas im November 2020 nicht wieder schließen) will. So müssen die Menschen die Opfer im Privat- und Freizeitbereich bringen, eben dort, wo es am wenigsten Lobbymacht gibt. Es darf nicht sein, dass die Ökonomie definiert, wer Opfer bringen muss, dass vornehmlich jene Branchen schließen müssen, deren Umsätze überschaubar sind.

Grundrechte gehören nicht in Quarantäne. Darum muss jede Maßnahme, die wegen der Pandemie Grundrechte einschränkt oder ihre Geltung aussetzt, kritisch beäugt, jede Einschränkung für sich begründet werden.

Auch sollten alle Maßnahmen zunächst einmal zeitlich befristet werden. Jede weitere Verlängerung bedarf einer neuen Begründung. In kurzen Zeitabständen gilt es demokratisch zu prüfen, ob die ergriffenen Maßnahmen zur Erreichung des angestrebten Ziels noch das geeignetste und mildeste Mittel sind, ob sie noch angemessen sind. Dazu gehört auch die transparente und sorgfältige Abwägung der mit der Grundrechtseinschränkung verbundenen Risiken für Körper und Seele, auf die ich in einem späteren Kapitel noch eingehe.

Denn die Freiheitsrechte sind zu wichtig, um sie einer Pandemie unterzuordnen. Im Kampf gegen das Virus jedoch werden sie außer Kraft gesetzt. Wenn dies schon als alternativlos bezeichnet wird, müssen diese Eingriffe bestmöglich begründet und wirklich unvermeidlich sein. Und genau darum muss jeder einzelne Freiheitseingriff verhältnismäßig, dazu transparent, bleiben. Das ist im Rahmen der beiden so genannten Lockdowns in Deutschland anno 2020 sicher nicht immer der Fall.

Eine nicht nachvollziehbare, eine willkürlich scheinende Mischung von Maßnahmen zerstört das bislang noch relativ starke Vertrauen einer Mehrheit in die politisch Verantwortlichen und ist ganz nebenbei Wasser auf die Mühlen jener, die in Lockdown und Konsorten ein großes Experiment zur Unterjochung ganzer Völker für eine kleine globale Oligarchie sehen

Die derzeitige Pandemie verlangt uns als Gesellschaft einiges ab.

Es gibt Kontaktverbote, Grundrechte werden eingeschränkt, Regeln aufgestellt und durchgesetzt.

Argwöhnisch beäugen Nachbarn, wer wann mit wem warum vor die Tür geht. Und vielleicht mal hustet.

Wildfremde Menschen werfen demjenigen böse Blicke zu, der sich an der frischen Luft körperlich ertüchtigt.

Bei all den Regeln kann der Überblick verlorengehen, können Nachbarn, Passanten auf der Straße oder auch Behörden durchaus das Maß der Verhältnismäßigkeit verlieren.

Weil auch sie mit der Situation bisweilen überfordert sind.

Vielleicht verhält es sich einfach so, dass das Virus mit Gerechtigkeit nicht zu bekämpfen ist.

Niemand kann vorhersagen, ob die Gesetze und Regelungen in Deutschland die Corona-Krise effektiv und ausreichend bekämpfen.

Weil niemand vorhersagen kann, wie sich die Infiziertenzahlen entwickeln werden. werden.

Wenn auch die sinkenden Inzidenzzahlen bis Mitte Februar 2021 dem zweiten Lockdown wirksam aussehen lassen.

Doch wie soll es – auch angesichts der neuen Mutationen – danach weitergehen? K

Keiner weiß genau, was verhältnismäßig ist.

Dies liegt auch daran, dass man immer noch zu wenig über das Corona-Virus und die neuen Varianten weiß.

Manche finden die Gesetze und Regeln pas end, andere nicht. Einige sind mehr, andere weniger betroffen von den Verhaltensmaßregeln.

Und so gibt es Menschen, die relativ gut mit den Regeln leben können und solche, die sich beschweren, die Probleme haben, die Beschränkungen zu akzeptieren.

Die neuen Corona-Regeln sind ein Kompromiss. So ist das halt in einer Demokratie.

Es mag kein perfekter sein, aber er scheint derzeit unvermeidlich.

Schlicht und ergreifend deswegen, weil es keine Alternative dazu gibt, dass wir uns alle ein wenig zurücknehmen und es akzeptieren, temporär mit Einschränkungen unserer Freiheit und Grundrechte zu leben.


Im Bann von covid-19

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