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10 - Versammlungsfreiheit und Demonstrationsverbot
Оглавление"Politisch missliebige Demonstrationen zu unterbinden, das sind DDR-Methoden"
( Jörg Meuthen, *29.06.1961, AfD-Bundessprecher, im August 2020)
Die Bundesregierung macht es sich ganz sicher nicht leicht, als sie am 28.10.2020 zum zweiten Mal ein Maßnahmen-Paket zur Eindämmung des Corona-Infektionsgeschehens verkündet. Es geht erneut darum, das gesellschaftliche Treiben lahmzulegen, voraussichtlich einen Monat lang.
Virologen würden sagen, so Angela Merkel, die Kontakte müssten um 75 Prozent reduziert werden, auf ein “absolut nötiges Minimum” (68).
Deutschland befindet sich wieder in einer Ausnahmesituation. Einer Situation veränderten Rechts mit reduzierten Rechten für die Bürger und ausgeweiteten Rechten für die Staatsmacht. Die meisten der beschlossenen Maßnahmen greifen tief in das private Leben der Menschen in Deutschland ein.
Je länger die Corona-Vorgaben der Bundesregierung andauern, desto mehr regt sich Widerstand in der Bevölkerung. Es kommt verstärkt zu Demonstrationen. Denn die Maßnahmen schränken zahlreiche Grundrechte stark ein. So auch die Versammlungsfreiheit.
Was, wenn man dagegen demonstrieren will? Das muss grundsätzlich möglich sein, meint das Bundesverfassungs-gericht. Es hat in einem Beschluss deutlich gemacht, dass pauschale Verbote von Demonstrationen nicht verfassungs-konform sind.
Im konkreten Fall unterbindet die Stadt Gießen im April zwei Versammlungen, die unter dem Motto "Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen - Schutz vor Viren, nicht vor Menschen" angemeldet worden waren.
Die Stadt verbietet die Demonstrationen. Begründung: Nach der hessischen Corona-Verordnung seien Versammlungen von mehr als zwei Personen, die nicht dem gleichen Hausstand angehören, generell verboten. Der Veranstalter legt Widerspruch ein. Dieser wird vom hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen.
Das Bundesverfassungsgericht hebt diese Entscheidung am 16.04.2020 auf. Die hessische Verordnung enthalte kein generelles Verbot von Versammlungen von mehr als zwei Personen.
Vor einem Verbot müssten alle Umstände des Einzelfalls und damit auch die zugesicherten Schutzmaßnahmen hinreichend geprüft werden. Dies sei nicht geschehen. Damit habe die Stadt Gießen den Antragsteller offensichtlich in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzt (69).
Der Fall steht stellvertretend für viele ähnlich gelagerte Streitigkeiten im Zusammenhang mit Aufmärschen gegen die Corona-Maßnahmen.
Protestaktionen gegen die Corona-Politik finden seit April 2020 regelmäßig statt.
Insbesondere wegen mangelnder Distanzierung oder Verbreitung von Falschinformationen zur Covid-19-Pandemie, Verschwörungstheorien und verfassungsfeindlichen Aussagen sind einige dieser Demonstrationen durchaus umstritten.
Was denken Sie: Sollten Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen erlaubt sein? Oder ist es in der aktuellen Notsituation statthaft, Protestkundgebungen zu untersagen?
Und was sagt das Grundgesetz?
Soviel vorweg: Das Recht auf freie Meinungsäußerung und darauf, diese auch nach außen hin vertreten zu dürfen, ist einer der größten Errungenschaften unserer Zivilisation.
Diese ist bei weitem nicht weltweit gegeben. Wir dürfen froh und glücklich sein, in einem Land zu leben, dass, was diese Grundrechte betrifft, zweifelsfrei zu den „Vorzeigestaaten“ gehört. Fragen Sie mal nach in China, Saudi-Arabien oder Nordkorea, oder, wer's lieber europäisch mag, im wunderschönen Reiseland Türkei, in Belarus oder Aserbaidschan.
Das Recht, zu demonstrieren ist im Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, Art.8GG, verankert.
Art.8 GG lautet seit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 wie folgt:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden (70).
Die Versammlungsfreiheit kann also durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden. Von besonderer praktischer Bedeutung ist hierbei die Staatspflicht zum Schutz von Leib und Leben seiner Bürger.
Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wird regelmäßig auf die Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes als rechtliche Grundlage für Maßnahmen der zuständigen Infektionsbehörde verwiesen, wenn es um die Frage geht, ob Demonstrationen in Zeiten wie den Aktuellen erlaubt sind oder nicht.
Für den Fall der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten stellt § 28 Abs. 1 IfSG die maßgebliche Ermächtigungs-grundlage dar. Diese Vorschrift hat auszugsweise folgenden Wortlaut: „Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt (…), so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten (…) schließen.“
Darüber hinaus gibt §32 des IfsG den Landesregierungen die Möglichkeit, per Rechtsverordnung An- und Versammlungen komplett zu verbieten.
Eben dieser Paragraph erlaubt es den Landesregierungen ferner, auch das Grundrecht der Freizügigkeit, damit
gemeint ist das Recht, sich frei bewegen zu dürfen, landesweit einzuschränken.
Die Eingriffsermächtigung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist sehr weit gefasst und erlaubt der zuständigen Behörde die Anordnung aller notwendigen Schutzmaßnahmen.
Adressaten dieser Maßnahmen können auch Personen sein, von denen selbst keine Gefahr ausgeht, ebenso die Allgemeinheit, wenn dies zur Bekämpfung einer weiteren Verbreitung des Corona-Virus als notwendig erscheint. So kommt auch die Anordnung von „Ausgangssperren“ in Betracht, also des grundsätzlichen Verbots, die eigene Wohnung zu verlassen. Gleiches gilt für die Anordnung von Kontaktverboten oder zwischen mehreren Menschen einzuhaltende Mindestabstände.
Das infektionsbehördliche Maßnahmen mit tiefgreifenden Grundrechtseingriffen einhergehen, steht deren Rechtmäßigkeit also nicht per se entgegen. Denn § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG schränkt verschiedene Grundrechte, nämlich die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung, ausdrücklich ein.
Allerdings haben auch infektionsschutzbehördliche Anordnungen ihre Grenzen. Denn das Infektionsschutzgesetz verlangt von den Regierungen ausdrücklich auch, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Die Behörde muss insbesondere prüfen, ob ein milderes Mittel zur Verfügung steht, mit dem das Ziel -aktuell die Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus - gleichermaßen gut verwirklicht werden kann.
Darüber hinaus ist eine Maßnahme i. S. v. § 28 Abs. 1 IfSG nur dann rechtmäßig, wenn das Gewicht der Seuchen-bekämpfung im Rahmen einer Abwägung gegenüber den entgegenstehenden Rechten der betroffenen Bürgerinnen und Bürger überwiegt.
So ist insbesondere zu prüfen, ob eine behördliche Maßnahme die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen gefährdet. Sollte dem nachweislich so sein, gilt es zu entscheiden, ob die Seuchenbekämpfung oder aber das wirtschaftliche Überleben des Einzelnen Priorität genießen sollte.
Die Notwendigkeit entsprechender Anordnungen kann damit begründet werden, dass die Ausbreitung des Infektionsgeschehens zeitlich verlangsamt und insbesondere von der Influenzawelle entkoppelt werden müsse. Außerdem wird behördlicherseits darauf abgestellt, dass die medizinischen Versorgungssysteme über einen längeren Zeitraum in Anspruch genommen und damit nicht durch eine Vielzahl gleichzeitig kranker Menschen übermäßig belastet werden sollen. Schließlich wird auf den Schutz der Angehörigen von Risikogruppen verwiesen (71).
Wie so oft: Es gibt gute Gründe einmal für, aber auch solche gegen ein Demonstrationsverbot.
Im Juni 2020 in Berlin ertönt vor dem Beginn einer Corona-Demonstration wieder und wieder eine Lautsprecherdurchsage, in der auf die Notwendigkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung hingewiesen wird. Während der Demonstration selbst jedoch tragen viele der Demonstranten keine Maske. Wer es doch tut, erntet Hohn und Spott (72).
Geradezu absurd: diejenigen, die – angeblich - gegen die Corona-Regeln auf die Straße gehen sorgen durch ihr Verhalten dafür, dass die Maßnahmen der Bundesregierung womöglich noch drastischer ausfallen als sie schon sind, weil die Demonstranten sich nicht an die Vorgaben halten.
Die Polizei greift konsequent ein und löst die Demonstration auf. Meine Meinung: Gut so! Das Demonstrationsrecht bleibt hier unangetastet, die Demokratie funktioniert.
Denn die einzuhaltenden Hygienevorschriften schränken die Meinungsfreiheit kaum ein. Hier ist es keinesfalls die Einschränkung einer freien Meinungsäußerung, sondern die Volksgesundheit, um die es geht. Das Grundrecht wird, wenn überhaupt, dann nicht etwa beschränkt, um die Verbreitung einer Meinung zu unterdrücken, sondern wegen der Gefahr der Weiterverbreitung des Virus.
Der Staat versucht mit dem Abstandsgebot und der Maskenpflicht legitimerweise, die Masseninfektion zu verhindern oder einzudämmen. Und hierfür muss spätestens dann eingegriffen werden, wenn Demonstranten Masken und das Einhalten von Abstandsregeln demonstrativ verweigern und durch dieses Verhalten auf Demonstrationen die Ausweitung der Pandemie noch begünstigen. Wer auf „Anti-Corona-Demonstrationen“ seine Gesinnung dadurch kundtut, dass er sich nicht an die Regeln hält, verwirkt sein Recht, demonstrieren zu dürfen.
In solchen Fällen müssen die Sicherheit, die Gesundheit der Bevölkerung selbst über Grundrechten wie der Demonstrationsfreiheit stehen.
Zudem, wenn einige „Demonstranten“ die Pandemie völlig egal zu sein scheint und sie die Anti-Corona-Demonstrationen nur als Plattform nutzen, um ihre mehr als fragwürdigen Ansichten zu verbreiten. Die Veranstalter der Demonstrationen schwadronieren vom Grundgesetz, von Grundrechten und Demokratie, von Frieden und Freiheit. Dabei ist ihre Maxime in Wahrheit das Recht des Stärkeren. Sie verachten eine Politik, die um der Alten und Schwachen willen den Jungen und Starken Einschränkungen zumutet.
Auch versuchen immer mehr Rechtsextremisten, im Zusammenhang mit der Corona-Krise an demokratische Proteste Anschluss zu finden, um ihre eigenwilligen Theorien zu verbreiten. Dabei hat es manchmal beinahe den Anschein, das Rechtsextreme sich anschicken, die Hoheit über das Demonstrationsgeschehen zu gewinnen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat bekannt gegeben, dass es seit Beginn der Corona-Krise bis zum September 2020 mehr als 90 Kundgebungen gegen Corona-Maßnahmen gab, bei denen Rechtsextremisten Wortführer waren. So gelingt es insbesondere der Reichsbürger-bewegung, aber auch kruden Verschwörungsideologen am 29. August in Berlin, mit ihren Fahnen, Symbolen und Losungen Teile des Aufzugs zu prägen. Deutlich zu sehen sind auch Gruppen von Rechtsextremisten und Neonazis. Auch AfD-Außen Björn Höcke, dem manch einer rechte Tendenzen nachsagt, ist zugegen (73).
So werden Demonstrationsverbote häufig damit begründet, dass die Veranstaltungen oft von Coronaleugnern, Reichsbürgern und Rechtsextremisten missbraucht werden.
Doch muss hier auch klar gesagt werden, dass beileibe nicht nur Rechtsextreme bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung auf die Straße gehen. „Nach zehn Monaten Corona sind viele Bürger des Themas müde. Sie verhalten sich - überspitzt formuliert - wie kleine Kinder, die unmittelbar nach der Abfahrt in den Urlaub fragen, wann sie endlich da sind“, sagt der Krisenexperte Frank Roselieb, der das Institut für Krisenforschung in Kiel leitet (74).
Erfreulicherweise genießen Bürger hierzulande viele Grundrechte, und manchmal kommen diese einander eben
in die Quere. Dann gilt es, sie gegeneinander abzuwägen. In diesem Fall: Infektionsschutz versus Versammlungsfreiheit. Die Versammlungsfreiheit hat Grenzen - auch im Staat des Grundgesetzes.
Und so gibt es durchaus stichhaltige Gründe, die für ein Demonstrationsverbot in Zeiten der Corona-Pandemie sprechen.
Allerdings gilt es zu beachten, dass ein Versammlungs- und Demonstrationsverbot möglicherweise dem gesellschaftlichen Klima in Deutschland schadet. Richtet es sich doch gegen Menschen, die sich ja gerade öffentlich dagegen wenden wollen, dass der Staat ihrer Meinung nach unverhältnismäßig tief und meistens schlecht begründet in ihre Grund- und Freiheitsrechte eingreift.
Außerdem kann ein Demonstrationsverbot ein Gefühl von Pandemiepanik und Angst, vor allem unter älteren Mitbürgern, noch schüren (75).
Die Frage, ob heute die staatlichen Eingriffe in unser Wirtschafts-, Kultur- und Privatleben in jedem Fall gerechtfertigt sind, muss erlaubt sein. Und die eigene Meinung dazu auch öffentlich kundzutun, muss erlaubt bleiben.
Dies sehen die Regierenden unseres Landes nicht anders. Sie verlangen lediglich, dass Demonstrationen nur dann stattfinden dürfen, wenn die Corona-Regeln eingehalten werden können.
Konkret, so das Bundesverfassungsgericht, wenn Wenige demonstrieren und genügend Abstand zwischen den Demonstranten gewährleistet ist.
So können Demonstrationen im „Corona-Jahr“ nicht oder eben nur eingeschränkt stattfinden (76).
Über ein Demonstrationsverbot kann sich niemand begeistert zeigen, für den Freiheit ein elementar bedeutsames Bauprinzip des Rechtsstaates darstellt. Aber in Zeiten wie diesen, so viel steht fest, ist es bisweilen notwendig und womöglich auch alternativlos.