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11 - Kontrolle und Sanktionen

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Strafe ist Gerechtigkeit für die Ungerechten“

(Augustinus Aurelius, 354 - 430, Bischof v. Hippo, Philosoph)

Eines vorweg: Mir liegt es absolut fern, den Moralapostel zu spielen. Sollte es auch, war ich doch in meinen jüngeren Jahren durchaus jemand, der sicherlich auch ein wenig rebelliert hätte, wäre er einer seiner liebsten Freizeitbeschäftigungen beraubt worden – dem Ausgehen, dem „Partymachen“. Ich bin mir alles andere als sicher, dass ich anlässlich einer Pandemie in den späten 80er oder frühen 90er Jahren bereit gewesen wäre, „Corona-Regeln“ einzuhalten. Weil ich einfach dieses Bewusstsein des Endlichen, diesen Respekt vor dem Leben noch nicht hatte. Und stattdessen stark auf die eigenen Bedürfnisse fixiert war.

Die mit dem Lockdown einhergehenden Auflagen und Einschränkungen sind unangenehm – gar keine Frage. Da ist es nur natürlich, dass der ein' oder andere auf die Idee kommen kann, sich einfach nicht an die Vorgaben von oben zu halten. Tut er dies erfolgreich, wird er seinem Umfeld flugs davon berichten – und auch diese Menschen werden zumindest überlegen, ob sie sich die Coronadrangsalierungen noch antun. Und wiederum ihren Bekannten und Freunden entsprechende Denkanstöße geben...

Wie kann man diese Lawine an Coronamissachtern stoppen? Brauchen wir Kontrollen und vor allen Dingen etwa auch ...Strafen?

Strafen sind Sanktionen bestimmter Verhaltensweisen, die im Regelfall vom Erzieher, vom Weisungsbefugten oder aber vom Staat als Unrecht oder in einer konkreten Situation unangemessen qualifiziert werden (77).

Schön und gut. Aber warum bestrafen wir eigentlich? Was sind Sinn und Zweck von Strafen?

Die absoluten Straftheorien verfolgen die Erklärung, dass es der alleinige Zweck der Strafe sei, die Rechtsordnung wiederherzustellen. Dies wird erreicht, indem der Staat dem Täter ein „gerechtes Übel“ zufügt, um sein Unrecht zu sühnen. Die Strafe entfaltet demnach eine repressive Wirkung, strebt aber keine zukünftigen Folgen für die Gesellschaft an,

Relative Straftheorien hingegen zielen darauf ab, dass mithilfe der Strafe weitere Straftaten in der Zukunft verhindert werden sollen und haben dabei keinen Bezug zu der konkreten Tat, die der Täter begangen hat. So geht die Abschreckungstheorie davon aus, dass eine möglichst hohe Strafandrohung dazu führt, dass ein potentieller Täter in einer Risikoabwägung auf sein angedachtes kriminelles Vorhaben verzichtet (78).

Soviel zu Strafen als solchen. Wie sieht es nun bezüglich der Corona-Maßnahmen aus?

Sind diesbezüglich Strafen überhaupt nötig? Beachten die Menschen in unserem Lande die Corona-Vorgaben oder neigen sie dazu, sich über sie hinwegzusetzen?

Die Bereitschaft, selbst persönliche Freiheiten einzuschränken, war zu Beginn der Corona-Krise groß. Halten sich die Menschen noch an die Vorschriften? Sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den jüngsten Protesten nur eine Minderheit oder verändert sich die Haltung der schweigenden Mehrheit der Bevölkerung insgesamt so stark, dass mit steigenden Verstößen gegen die Corona-Regeln gerechnet werden muss?

Zwei große Studien gehen im Frühjahr 2020 der Frage nach, ob sich die Haltung der Bevölkerung durch die Verhaltensmaßregeln verändert hat.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Mannheim starten am 20. März 2020 die sogenannte „Mannheimer Corona-Studie“ gestartet, für die täglich 450 bis 570 Personen verschiedene Fragen zur Pandemie in Deutschland beantworten.

Eine zweite Untersuchung, das „Covid-19 Snapshot Monitoring, läuft als Gemeinschaftsprojekt der Universität Erfurt, des Robert-Koch-Instituts (RKI), der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), des Science Media Centers (SMC), der Yale University sowie weiterer Einrichtungen. Jede Woche werden dazu etwa 1000 Personen befragt.

Beide Studien zeigen im Zeitablauf eine nachlassende Bereitschaft, sich einzuschränken, gleichbedeutend mit einer größeren Neigung dazu, gegen die Vorschriften zu verstoßen.

Während der Anteil derjenigen, die eine Gesichtsmaske tragen, noch ansteigt, werden Maßnahmen wie die Einhaltung eines Abstands von 1,5 Metern, der Verzicht auf private Feiern und das Meiden von Orten in der Öffentlichkeit tendenziell von weniger Menschen eingehalten. Die Bereitschaft zu konsequentem Social Distancing sinkt. Der Anteil derjenigen, die sich trotz Kontaktsperren treffen, steigt, die Tendenz geht klar in Richtung häufigere Treffen.

Auch die Zahl derjenigen, die überhaupt keine Maßnahmen wollen, wächst - sie liegt bereits im Mai 2020 bei 20 Prozent. Das bedeutet, dass die Demonstranten, die gegen die Maßnahmen protestieren, nicht mehr nur für eine kleine Minderheit sprechen.

Die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen sinkt vor allem, weil sich die Risikowahrnehmung verändert hat.

Beide Studien fördern zu Tage, dass die Wahrnehmung des Virus als Bedrohung deutlich nachgelassen hat, der Anteil der Befragten, die eine Infektion für wahrscheinlich halten, geringer geworden ist.

Absurderweise führt also möglicherweise gerade der anfängliche Erfolg der Maßnahmen dazu, dass viele Menschen das Gefühl haben, der Krankheitserreger wäre gar nicht so gefährlich, wie ständig behauptet wird. Und somit dazu, dass die Bereitschaft, gegen die Maßnahmen zu verstoßen, steigt (79).

Die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen hat also nachgelassen, die Bereitschaft, gegen die Regeln zu verstoßen, nimmt zu.

Werden die Corona-Maßnahmen deswegen regelmäßig kontrolliert und bei Verstößen mit Bußgeldern sanktioniert?

Die Grundlage für Bußgelder oder Strafen bei Verstößen gegen die Corona-Auflagen bildet in erster Linie das Infektionsschutzgesetz (IfSG).

Es regelt in seinen Bußgeld- und Strafbestimmungen, welche Sanktionen im Falle von Corona-Verstößen möglich sind.

In den §§ 73 bis 76 finden sich die Bußgeld- und Strafvorschriften, anhand derer die Bundesländer gemäß der jeweiligen Landesverordnungen ihren jeweiligen Corona-Bußgeldkatalog erstellen.

Daher können sich die Sanktionen bei Verstößen im Zusammenhang mit Corona durchaus unterscheiden.

Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) hält zahlreiche Bußgeld- und sogar Straftatbestände bereit. Beispielsweise handelt ordnungswidrig, wer sich Versammlungsverboten widersetzt, Quarantäneanordnungen zuwiderhandelt, Auskunftspflichten nicht nachkommt oder sich nicht an Anordnungen zur Schließung von Einrichtungen hält (80).

Grundsätzlich gelten diese Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz erst einmal als Ordnungswidrigkeit und werden entsprechend geahndet. Als Beispiel ein Ausschnitt aus dem Bußgeldkatalog des Landes NRW (Stand 06.09.2020).

VerstoßBußgeld
Nichtanzeige oder verspätete Anzeige von Zusammenkünften mit mehr als 10 Teilnehmenden500 €
Zusammentreffen im öffentlichen Raum in nicht zulässigen Gruppen250 €
Nichttragen einer medizinischen Maske bei der Nutzung von Beförderungsleistungen des Personenverkehrs und seiner Einrichtungen150 € (ohne Maske)50 € (Alltagsmaske)
Nichttragen einer Atemschutzmaske, medizinischen Maske bzw. Alltagsmaske trotz bestehender Verpflichtung50 €
Durchführung eines Angebotes unter Verwendung eines fremden oder gefälschten Tests1.000 €
Nutzung eines Angebotes unter Verwendung eines fremden oder gefälschten Tests1.000 €
Angabe unrichtiger Kontaktdaten (Name, Adresse, Telefonnummer) als anwesende Person (Gast, Mieter, Teilnehmer, Besucher, Kunde, Nutzer und so weiter)250 €

https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/210302_bkat_zur_coronaschvo.pdf

Zusätzlich zum Infektionsschutzgesetz haben alle Bundesländer gemäß § 23 und § 32 IfSG Rechtsverordnungen erlassen, die das Verhalten festlegen und bestimmen, was im Zusammenhang mit der Corona-Krise erlaubt und was verboten ist. Diese Landesverordnungen heißen zum Beispiel Corona-Schutz-Verordnung (NRW) oder Eindämmungsverordnung (Berlin) (81).

Bußgeldkatalog und Strafmaßnahmen – das klingt erst einmal vielversprechend.

Die drastisch angestiegenen Infektionszahlen zu bremsen, kann, da sind wir uns alle einig, nur gelingen, wenn sich die Bevölkerung an die verschärften Verordnungen hält.

Leider nur stellt sich die Frage: Wer soll das kontrollieren?

Die Einhaltung der Corona-Regeln wird beispielsweise mancherorts in Mecklenburg-Vorpommern kaum kontrolliert. Mehrere Ordnungsamtsmitarbeiter geben an, dass sie nicht das Personal dafür hätten, um flächendeckend zu kontrollieren (82).

Auch Berlins Ordnungsämter können infolge des

Personalmangels kaum Corona-Verstöße ahnden (83).

Aus Baden-Württemberg wird ähnliches berichtet: Kommunen und Polizei kommen bei der Kontrolle der Corona-Regeln kaum hinterher.

Die CDU will deshalb sogar Ehrenamtliche einsetzen, um der Ausbreitung des Virus Herr zu werden. Dies jedoch stößt bei der politischen Konkurrenz und den Landesvätern auf wenig Gegenliebe.

So halten die Grünen nichts von der Idee, "Hilfssheriffs" im Kampf gegen Corona verstärkt einzusetzen. "Die Kontrollen erfordern Fingerspitzengefühl, besondere Schulung und Qualifikation, sowie auch Befugnisse, insbesondere was das Verhängen von Bußgeldern betrifft", sagte Uli Sckerl, der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion. "Insofern glauben wir, dass bei Kontrollen der Einsatz von breit ausgebildeten, hauptberuflichen Polizeibeamten und -beamtinnen vorzuziehen ist."

Auch Hans-Jürgen Kirstein, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), ist gegen den Einsatz der Ehrenämtler zur Einhaltung der Corona-Regeln. Das sei Sache des kommunalen Ordnungsdienstes. "Ich möchte nicht, dass irgendwelche Leute das machen", sagte er. Bei Kontrollen könne die Anwendung unmittelbaren Zwangs nötig sein. "Das kann kein Hobbypolizist machen" (84).

Dieser Argumentation kann man durchaus folgen. Allerdings sind häufigere, zielgerichtete Kontrollen das wohl wichtigste Instrument, um eine möglichst flächendeckende Umsetzung der Corona-Auflagen zu erreichen. Weil sie schlicht und ergreifend davor abschrecken, die Maßnahmen zu missachten.

Wenn ich am schönen Rhein regelmäßig mit meinem Hund spazieren gehe, die dort geltende Anleinpflicht jedoch nicht einmal kontrolliert wird, ist die Versuchung groß, meinem Vierbeiner den Gefallen zu tun, ihn frei herumstreunen zu lassen.

Wenn ich regelmäßig im Königsforst Pilze sammeln gehe und niemand kontrolliert, ob ich abseits der vorgeschriebenen Wanderwege nach Steinpilz, Rot-, Braunkappe und Maronenpilz suche und mehr als die erlaubten 200g Pilzlinge mitnehme, muss sich niemand wundern, wenn ich beim nächsten Mal stolze 1,5kg Fungi aus dem Wald schleppe.

Wenn ich mehrmals beim Eintritt ins Fußballstadion meines Herzensvereins nicht nach mitgebrachten Getränken kontrolliert werde, komme ich schon in Versuchung, beim nächsten Spiel 1,2 Dosen Kölsch reinzuschmuggeln, weil mir das Pils in der Pfalz nicht schmeckt.

Wenn ich an Karneval sehe, wie ganze Kolonnen von Männern in verborgenen Ecken ihr kleines Geschäft verrichten, und niemand stört sich daran, erscheint es durchaus als reizvoll, es den „Wildpinklern“ an der frischen Luft gleichzutun, anstatt mich brav in die endlos lange Schlange in der muffigen Kneipe zu stellen.

Was im alltäglichen Leben nicht funktioniert, wird auch im großen Rahmen, dem der Corona-Politik scheitern: Verhaltensmaßregeln ohne entsprechende Kontrollen entfalten kaum Wirkung.

So wird in Köln die Altstadt bisweilen kontrolliert, aber ein Stück den Rhein entlang stadtauswärts sieht das schon ganz anders aus. Am Rheinufer zwischen Poll und Zündorf gibt es bei schönem Wetter regelmäßig größere Menschen-ansammlungen. Es wird gegrillt, Fußball gespielt, und grüppchenweise in der Sonne gelegen. Ich bin wegen meines Hundes täglich mehrmals am Rhein unterwegs. Und habe nicht ein einziges Mal gesehen, dass Kontrolleure vor Ort am Werk waren. Mehrere Bekannte wissen ähnliches zu berichten.

Eine Ausweitung der Kontrolle der Corona-Auflagen scheint dringend geboten, harte Strafen bei Missachtung derselben nicht weniger. Ansonsten laufen die Maßnahmen der Bundesregierung Gefahr, ihr Ziel zu verfehlen.

SPD-Politiker Karl Lauterbach empfiehlt im November

angesichts der weiterhin drastisch steigenden Infektionszahlen gar die Ausweitung der Corona-Kontrollen auf Privatwohnungen.

"Wir befinden uns in einer nationalen Notlage, die schlimmer als im Frühjahr werden kann", so Lauterbach in der "Rheinischen Post" im November 2020.

Die Unverletzbarkeit der Wohnung dürfe kein Argument mehr für ausbleibende Kontrollen sein. "Wenn private Feiern in Wohnungen und Häusern die öffentliche Gesundheit und damit die Sicherheit gefährden, müssen die Behörden einschreiten können", fordert er. „Wir dürfen nicht zulassen, dass mit 30 Leuten private Feiern stattfinden, wenn die Kneipen im Shutdown demnächst geschlossen sind" (85).

Recht hat er. Geht es doch nicht um „Kneipe oder Homeparty“, sondern darum, der Ausbreitung des Virus Einhalt zu gebieten. Und das, man kann es gar nicht oft genug betonen, erreichen wir nach aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand nur durch diszipliniert gelebte soziale Distanz.

Im Bann von covid-19

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