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Wenn ein Serienstar schon irgendwo wohnen mußte, dann konnte es auch in Bath sein, dieser blitzblanken Stadt im Südwesten Englands. Reihen von georgianischen Häusern ziehen sich elegant geschwungen zwischen sieben grünen Hügeln dahin und lenken das Auge von allem ab, was weniger ansehnlich ist. Gleich nach dem Tourismus kommt das Reinigen von Fassaden als wichtigster Wirtschaftszweig; die gelben Seiten führen vierundfünfzig Firmen in dieser Branche auf. Hochdruckwasserstrahler haben aus alten verrußten Gebäuden die glänzenden Kulissen für solche Fernsehspiele gemacht, wie sie die Briten angeblich am besten beherrschen. Bath hat eine zweitausendjährige Geschichte, aber es nimmt nur die römische und die georgianische Epoche wahr. Manche Menschen behaupten, Bath sei ein einziges Freiluftmuseum, und wer eine richtige Stadt sehen wolle, sollte ins dreizehn Meilen weiter westlich liegende Bristol fahren. Wenn man das tat, wie Peter Diamond jeden Morgen, erlebte man den Fluch einer richtigen Stadt – ihren Verkehr. Wie der Serienstar und die Gebäudereiniger war er froh, in Bath zu wohnen.

Sein Haus am Wellsway lag nur etwa zwanzig Minuten entfernt – südlich der Eisenbahnlinie. Nicht gerade die feinste Gegend der Stadt, aber mehr konnte sich auch ein Detective in höherer Position nun einmal nicht leisten.

Er tänzelte förmlich über den Parkplatz und die Treppe zum Polizeirevier Manvers Street hinauf. Die kleine Peinlichkeit seiner Bemerkungen über die Menschen, die angerufen und die Tote als Fernsehstar identifiziert hatten, war bereits vergessen. Er hielt nichts davon, sich über einmal gemachte Fehler zu ärgern. Hier ging es um wesentlich mehr als um seine Selbstachtung. Bei einer großen Untersuchung kam es darauf an, daß der leitende Beamte eine Gelegenheit beim Schopf packte, wenn sie sich ihm bot. Diamond war sicher, daß der Augenblick gekommen war. Jetzt, wo er den verdammten See endlich hinter sich gelassen hatte, würde alles gut werden. Der diensthabende Beamte, den er gut kannte, erwartete ihn.

»Ist er noch da?«

Der Sergeant nickte und deutete dann pantomimisch übertrieben auf eine Tür. Diamond senkte die Stimme nur wenig. »Wie benimmt er sich?«

»Er ist sehr in Sorge wegen seiner Frau.«

»Das sollte er auch, nach drei Wochen.«

»Er war viel unterwegs, sagt er. Er hat gedacht, sie wäre bei Freunden.«

»Und hat bis jetzt gewartet, bevor er nach ihr gesucht hat? Was halten Sie von ihm?«

Der Sergeant preßte die Lippen aufeinander, als ob die Frage einfach zu schwer wäre. »Einen Professor stell ich mir anders vor, Sir.«

»Die sehen nicht alle aus wie Einstein. Sagt er die Wahrheit über seine Frau? Das will ich wissen.«

»Ich denke schon, wieso sollte er sonst herkommen?«

Diamond antwortete mit einem Blick, der besagte, daß er sich etliche Gründe dafür denken konnte. »Weiß er von der Leiche aus dem Chew Valley Lake?«

Der Sergeant nickte. »Freunde haben es ihm erzählt.«

»Was bedeutet schon eine ermordete Ehefrau unter Freunden? Hat er das Bild gesehen, das wir veröffentlicht haben?«

»Erwähnt hat er es nicht.«

»Gut. Nun stehen Sie nicht da wie ein Weihnachtsbaum. Es gibt viel zu tun. Ich schlage vor, daß wir die Einsatzzentrale hier einrichten. Wir waren zwar schon auf dem Weg nach Bristol, aber jetzt hat sich alles geändert. Organisieren Sie das, ja? Und ich brauche jemanden, der die Aussage zu Protokoll nimmt.« Mit der selbstbewußten Ausstrahlung eines Menschen, der gleich seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen wird, stieß er die Tür zum Büro auf, in dem der Professor wartete, der seine Frau verloren hatte. »Mein Name ist Diamond«, verkündete er, »Detective Superintendent Diamond.«

Ihm war sofort klar, was der Sergeant gemeint hatte. Der Mann, der da neben dem Fenster stand, sah nicht aus wie ein Professor, sondern wie ein Sportler. Er wirkte, als hätte er sich gerade nach einem Match über fünf Sätze in Wimbledon geduscht und umgezogen. Natürlich verstärkten die Schulterpolster in seinem schwarzen Leinenjackett diesen Eindruck, aber auch ohne sie wäre er nicht als Akademiker durchgegangen. Er konnte nicht viel älter als dreißig sein. Er trug keine Krawatte, bloß ein himmelblaues Baumwollhemd, dessen obere Knöpfe geöffnet waren, so daß eine goldene Halskette zu sehen war. Sein dichtes schwarzes Haar war gut geschnitten, und er trug einen mexikanisch wirkenden Schnurrbart. Der Geldmarkt war schon fest in der Hand von jungen Männern. Übernahmen sie jetzt auch die Universitäten? »Gregory Jackman«, stellte er sich mit reinster Yorkshire-Intonation vor. »Wissen Sie etwas Neues über meine Frau?«

Wie üblich verweigerte Diamond eine Antwort. »Sie sind Professor, wie ich höre. Hier in Bath?« Jackman nickte.

»In welchem Fach?«

»Englisch. Hören Sie, ich bin wegen meiner Frau hier.«

Eine Polizistin kam mit einem Stenoblock herein. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir uns Notizen machen?« erkundigte sich Diamond.

»Nein. Wieso sollte ich?«

»Dann nehmen Sie bitte Platz. Nur fürs Protokoll muß ich Sie darauf hinweisen, daß Sie nicht aussagen müssen, wenn Sie es nicht wünschen, aber daß alles, was Sie aussagen, auch gegen Sie verwendet werden kann. So, und nun erzählen Sie mir von Ihrer Frau.«

Jackman machte keine Anstalten, sich zu setzen, und erwiderte: »Ich habe Ihren Kollegen draußen schon vor einer halben Stunde alles erzählt, und die haben auch protokolliert.«

»Haben Sie Geduld mit mir, Professor«, sagte Diamond bemüht höflich. »Ich leite die Ermittlung und würde es lieber von Ihnen selbst hören, als im Dienstbuch nachlesen zu müssen. Bitte zuerst ihren Namen.«

Ergeben nahm Jackman auf einem Stuhl Platz und sagte: »Geraldine Jackman, bekannter als Gerry Snoo. Das ist ihr Künstlername. Sie wird in ein paar Wochen vierunddreißig, falls ... Gott, der Gedanke ist einfach zu schrecklich.«

»Würden Sie sie bitte beschreiben, Sir?«

»Muß ich das? Sie haben sie bestimmt im Fernsehen gesehen. ›The Milners‹. Stimmt’s? Falls nicht, haben Sie sicher schon mal die Bierreklame mit der Bulldogge und der Frau gesehen. Das war Gerry. Sie hat ein paar Werbespots gedreht, nachdem sie von der BBC weg war.«

Es entstand eine kurze Pause. Diamond achtete so genau auf den Gesichtsausdruck des Mannes, daß er dessen Äußerungen im Geist noch einmal durchgehen mußte, um sie zu verstehen. »Oh, ich sehe nicht viel fern. Nehmen wir an, daß ich sie noch nie gesehen habe. Welche Haarfarbe hat sie?«

»Rötlichbraun. Kastanienrot, wenn Ihnen das lieber ist.«

»Zum Sergeant haben Sie kastanienbraun gesagt.«

»Dann eben kastanienbraun.« Mit leicht erhobener Stimme, die seine Anspannung verriet, fragte Jackman: »Was soll das – wollen Sie mich überführen? Ich bin hier nicht zum Verhör reingeholt worden. Ich bin hier, weil meine Frau vermißt wird. Und man hat mir gesagt, daß sie vielleicht tot ist.«

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Einige Leute, die Gerry sehr gut kennen, haben das Bild gesehen, das Sie im Fernsehen gezeigt haben. Sie haben gesagt, es sah genau so aus wie sie. Sie haben mir gesagt, ich sollte mich mit Ihnen in Verbindung setzen.«

»Nicht mit mir persönlich. Unsere Bitte um sachdienliche Hinweise hat eine Welle von Anrufen ausgelöst«, erklärte Diamond geflissentlich. »Die Überprüfung wird eine Weile dauern. Aber da Sie sich nun gemeldet haben ...«

»Hören Sie, ich will die Wahrheit wissen, so oder so«, fiel Jackman ihm ins Wort. Tiefe Besorgnis stand ihm deutlich im Gesicht geschrieben, aber für diese Phase des Spiels war das normal, ob er nun unschuldig war oder nicht. »Sie haben eine Frau gefunden. Wo ist sie jetzt?«

»In Bristol im Leichenschauhaus. Wir wollen aber nicht zu voreilig sein. Vielleicht können Sie sich einen Besuch dort ersparen, falls sich herausstellt, daß Ihre Frau anders aussieht als die Tote.« Geduldig entlockte Diamond seinem Gegenüber Punkt für Punkt eine Beschreibung von Mrs. Jackman, und sie entsprach ziemlich genau den Charakteristika der Leiche. Ermutigend genau.

Dann fragte er: »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«

»Montag vor drei Wochen.«

»Das muß dann der 11. September gewesen sein?«

»Äh, ja. Ich bin früh nach London gefahren. Sie lag noch im Bett. Ich habe ihr gesagt, wann ich vermutlich zurück sein würde, und bin dann los, um den Zug um neunzehn nach acht von Bath zu nehmen.«

»Hatten Sie beruflich in London zu tun?«

»Ich leite eine Ausstellung über Jane Austen in Bath, die an dem Wochenende eröffnet worden ist. Ich mußte mich wegen eines Manuskripts mit jemandem treffen.«

Diamond hatte in seinem Leben noch kein Buch von Jane Austen gelesen. Er konnte sich kaum mit den Detectives in Fernsehkrimis identifizieren, die Shakespeare zitierten und in ihrer Freizeit Gedichte schrieben. Er mochte am liebsten Biographien, vorzugsweise solche, die die Wörter »vom Yard« im Titel hatten. »Und wegen dieser Ausstellung waren Sie drei Wochen unterwegs?«

»Nein. Mittwoch war ich zurück.«

Diamond richtete sich in seinem Sessel auf und verbannte alle Gedanken an Jane Austen aus seinem Kopf. »Zu Hause?«

»Ja.«

»Dann wußten Sie also bereits ab Mittwoch, dem 13. September, daß Ihre Frau verschwunden war?«

»Verschwunden, nein.« Der Professor unterstrich die Verneinung mit einer heftigen Handbewegung zur Seite. »Sie war nicht zu Hause, aber das war kein Grund zur Beunruhigung. Sie übernachtet häufig bei Freunden.«

»Ohne Ihnen Bescheid zu sagen?«

»Ich bin nicht Gerrys Aufpasser.« Die Antwort klang falsch.

»Aber Sie sind Ihr Mann. Da möchten Sie doch wohl wissen, wo sie ist.«

»Ich bestehe nicht darauf.« Einen Augenblick herrschte Schweigen, bevor Professor Jackman eine Erklärung für angebracht hielt. »Wir leben ziemlich unabhängig voneinander. Wir sind beide Menschen, die viel Raum brauchen. Unter dieser Bedingung haben wir geheiratet. Deshalb rufe ich nicht gleich die Polizei, wenn Gerry mal ein paar Tage nicht nach Hause kommt.«

»Wir reden hier nicht von ein paar Tagen, Sir.«

»Ich dachte, das täten wir.«

»Sie hatten drei Wochen Zeit, um uns zu benachrichtigen«, stellte Diamond klar. Die griffige Erklärung hatte ihn nicht überzeugt. Der Mann konnte gut mit Worten umgehen, wie bei einem Professor für Englisch nicht anders zu erwarten, aber er konnte die Tatsache nicht verschleiern, daß er verdächtig lange gewartet hatte, bevor er das Verschwinden seiner Frau meldete.

»Ich war nicht die ganze Zeit über zu Hause«, sagte Jackman. »Die Vorbereitung für das neue Semester haben mich auf Trab gehalten. London, Oxford, Reading. Ich sitze in zu vielen Ausschüssen. Außerdem war ich zwei Tage in Paris. Den Sommer über habe ich vorwiegend für die Vorbereitung der Ausstellung gearbeitet, deshalb bin ich mit meiner Arbeit für das Anglistische Institut im Verzug.«

»Was, dachten Sie, hat Ihre Frau derweil getan?«

»Freunde besucht. Sie kennt jede Menge Leute in London und Bristol.«

»Dann arbeitet sie nicht?«

»Sie gönnt sich ein bißchen Ruhe, wie man so schön sagt.«

»Wer ist man?«

»Schauspieler ohne Engagement.«

»Aha.« Diamond hatte die Umschreibung durchaus verstanden. Er hatte nur deshalb nachgefragt, weil er gerade an etwas anderes denken mußte. Ihm waren die Worte in den Sinn gekommen, die oft auf Grabsteinen stehen: Ruhe sanft.

Vielleicht hatte Jackman etwas gespürt, denn nun erklärte er genau, was er gemeint hatte. »Gerry ist seit achtzehn Monaten nicht mehr im Fernsehen gewesen. Nachdem sie von der BBC weg ist, hat sie ein paar Werbespots gedreht, aber ansonsten keine Rollenangebote mehr bekommen.«

»Warum nicht? Weil sie für die Leute Candice Milner ist?«

Jackman nickte. »Das ist bestimmt mit ein Grund. Aber hinzu kommt, daß sie keine ausgebildete Schauspielerin ist. Sie ging noch zur Schule, als man ihr die Rolle anbot.« Er ergriff die Gelegenheit, über etwas reden zu können, das weniger bedrückend war. »Jedes Schulmädchen träumt davon, so entdeckt zu werden wie sie. Der Regisseur hat sie im Publikum in Wimbledon gesehen. Er wollte sich Tennis anschauen und hat statt dessen immer nur Gerry angeschaut. Sie sah genau so aus, wie er sich die Figur des jungen Mädchens für ›The Milners‹ vorgestellt hatte. Auffallend schön. Kennen Sie die abgedroschene Szene, die in allen Hollywood-Musicals vorkommt, wenn der Fred-Astaire-Typ sagt: ›Verehrte Dame, wer Sie auch sind, Sie müssen in meiner Show auftreten.‹ Gerry hat das erlebt, mit achtzehn. Sie haben ihr die Rolle auf den Leib geschrieben, also hat sie eigentlich sich selbst gespielt und wurde berühmt. Die Kehrseite der Medaille war, daß sie mit jeder anderen Rolle Schwierigkeiten bekam.«

»Hat sie das deprimiert?«

»Zuerst nicht. Die Arbeit für eine Serie, die zweimal in der Woche ausgestrahlt wird, ist ungemein anstrengend, wissen Sie – eine Tretmühle aus Textlernen, Proben und Aufnahmen. Hinzu kommen die Auftritte bei Wohltätigkeitsveranstaltungen am Wochenende und die ständige Belagerung durch die Regenbogenpresse. Sie war nicht nur traurig, als man sie aus dem Drehbuch schrieb.«

»Und wie lange ist das her?«

»Mittlerweile fast zwei Jahre.«

»Wie lange hatte sie die Rolle gespielt?«

»Angefangen hat sie mit achtzehn, und als sie aufgehört hat, muß sie einunddreißig gewesen sein. Die arme Gerry. Es kam für sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie hat erst davon erfahren, als man ihr ein Drehbuch schickte, in dem Candice ein Flugzeug bestieg, das über den Alpen abstürzen sollte, ohne Überlebende. Ich weiß noch sehr gut, wie wütend sie war. Sie hat wie eine Löwin gekämpft, um ihre Rolle zu retten, aber schließlich hat der Regisseur ihr klargemacht, daß sie einfach nicht mehr länger so tun konnten, als wäre sie eine junge Naive. Danach hat sie London verlassen.«

Jackmans Schilderung war voller Mitgefühl, aber dennoch schwang etwas Distanziertes in seiner Darstellung mit, als ob er sich mit mehr Bedauern erinnerte, als er gegenwärtig empfand. Peter Diamond, der ein scharfes Ohr für Ausflüchte hatte, war das nicht entgangen. Vielleicht war der Fall ja doch nicht so kompliziert, wie er zunächst angenommen hatte. Er rechnete damit, ihn bald abschließen zu können.

Um nicht noch länger um den heißen Brei herumzureden, zog Diamond die Zeichnung vom Gesicht der toten Frau aus der Tasche, faltete sie auseinander und reichte sie über den Tisch. »Das ist das Bild, das im Fernsehen gezeigt wurde. Was meinen Sie?«

Jackman warf einen Blick darauf, holte tief Luft, als wolle er seine Gefühle unter Kontrolle bringen, und sagte: »Sieht Gerry erschreckend ähnlich, finde ich.« Wenige Minuten später saßen sie nebeneinander auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens, der sie zum Leichenschauhaus fuhr.

»Ich muß Sie darauf hinweisen«, sagte Diamond, »daß die Leiche, die wir uns jetzt ansehen werden, zwei Wochen im Wasser gelegen hat. Das Phantombild mußte etwas geschönt werden, damit es im Fernsehen gezeigt werden konnte.«

»Danke für die Vorwarnung.«

»Wenn sie anhand eines Muttermals oder einer Narbe identifiziert werden könnte ...«

»Nicht, daß ich wüßte«, sagte Jackman rasch und fügte dann hinzu: »Was passiert, wenn sie es doch nicht ist?«

Es gelang Diamond, gleichmütig zu wirken. »Jetzt, wo Sie das Verschwinden Ihrer Frau gemeldet haben, wird so oder so eine polizeiliche Ermittlung eingeleitet. Die würde aber jemand anders durchführen.«

»Es könnte ja sein, daß ich mich geirrt habe.«

Darauf entgegnete Diamond lieber nichts. Sie kamen kurz nach neun Uhr abends an, und es dauerte eine Weile, bis die nötigen Vorkehrungen getroffen waren. Die Mitarbeiter des Leichenschauhauses hatten andere Prioritäten als die Polizei. Schließlich kam der Aufseher angeradelt und schloß die Tür auf. Diamond sagte kein Wort. Er war zu sehr darauf bedacht, Jackman zu beobachten. Die Leiche wurde geholt und das Tuch vom Gesicht gehoben.

»Ich denke, es versteht sich von selbst, daß ich auf Ihre Kooperation zählen darf.«

Es waren Diamonds erste Worte, seit sie das Leichenschauhaus verlassen hatten. Er hatte sie bewußt als Feststellung formuliert und nicht als Frage.

Professor Jackman saß vorgebeugt auf dem Rücksitz des Polizeiwagens, eine Hand über die Augen gelegt. Ausdruckslos sagte er: »Was?«

Diamond wiederholte den Satz Wort für Wort, wie ein Oberlehrer, der sich krampfhaft bemüht, fair zu sein.

Ohne aufzusehen erwiderte Jackman: »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Ihnen zu helfen.«

»Prima.« Diamond wartete, während der Wagen vor einer Ampel stand, und redete erst wieder, nachdem sie sich erneut in Bewegung gesetzt hatten. »Ich werde Sie heute nacht im Hotel Beaufort unterbringen, es sei denn, Sie ziehen ein anderes Hotel vor.«

Diesmal drehte sich der Professor um und sah ihn an. »Ein Hotel ist nicht nötig. Es macht mir nichts, zu Hause zu schlafen. Es wäre mir sogar lieber, ehrlich.«

Diamond schüttelte den Kopf. »Heute nacht ist der Zutritt zu Ihrem Haus verboten, Sir.«

»Warum?«

»Ich möchte, daß es morgen früh gleich als erstes untersucht wird – mit Ihrer Erlaubnis. Bis dahin wird es versiegelt. Ich werde einen Mann als Wache dort aufstellen.«

»Was soll das heißen – ›untersucht‹?«

»Spurensicherung. Fingerabdrücke. Sie wissen schon.«

»Spurensicherung? Wollen Sie andeuten, daß Gerry möglicherweise unter meinem eigenen Dach ermordet worden ist?«

»Professor, Andeutungen sind nicht mein Metier«, sagte Diamond. »Mir geht es um Tatsachen. Und Tatsache Nummer eins lautet: Ihre Frau ist tot. Tatsache Nummer zwei lautet: Der letzte Ort, an dem sie lebend gesehen wurde, ist Ihr Haus. Wo soll ich also sonst anfangen?«

Nachdem er versucht hatte, sich auf diese Art von Polizeilogik einen Reim zu machen, sagte Jackman: »Ich verstehe nicht, was daran schlimm sein soll, wenn ich noch eine Nacht in dem Haus verbringe, schließlich habe ich das auch nach Gerrys Verschwinden öfter getan.«

Diamond ließ die Bemerkung als einen Einwand stehen, der keinerlei Erwiderung bedurfte. Statt dessen fragte er: »Mit welchem Verkehrsmittel sind Sie eigentlich heute abend zum Revier gekommen, um das Verschwinden Ihrer Frau zu melden?«

»Mit dem Wagen.«

»Und wo steht der jetzt?«

»Noch immer auf dem Parkplatz neben dem Polizeirevier, hoffe ich.«

»Haben Sie die Schlüssel dabei?«

»Ja.« Jackman blickte jetzt argwöhnisch.

»Dürfte ich die haben?«

»Wozu denn, um alles in der Welt? Wollen Sie etwa meinen Wagen beschlagnahmen?«

Ein beruhigendes Lächeln breitete sich auf Diamonds Gesicht aus. »Beschlagnahmen, nein. Wir haben bloß die ermüdende Aufgabe, Fakten zu sammeln. Wir machen Reifenabdrücke und dergleichen mehr. Wenn wir dann einen Abdruck finden – beispielsweise vor Ihrem Haus –, können wir Ihr Fahrzeug schon mal aus den Ermittlungen ausschließen.« Er war stolz auf die Antwort. Sie klang überaus glaubhaft, und er hatte nichts von seiner eigentlichen Absicht verraten, nämlich den Kofferraum des Wagens auf Spuren zu untersuchen, die von der Leiche stammten. Nachdem er die Schlüssel bekommen hatte, fragte er beiläufig: »Wollen Sie morgen zur Universität?«

»Wenn mein Haus durchsucht wird, will ich dabei sein«, stellte Jackman entschlossen klar.

Die Frau im See

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