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Felix

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Ich hasste diese Fortbildungen, bei denen man nichts Neues lernte, sondern bloß teilnehmen musste, um diesen oder jenen Schein für seinen Job als Physiotherapeut nachweisen zu können. An einem sonnigen Wochenende wie diesem konnte ich mir wirklich Schöneres vorstellen. Aber zumindest der Abend versprach unterhaltsam zu werden. Wir hatten uns mit einigen Seminarteilnehmern zum gemeinsamen Fußballgucken in der Hotelbar verabredet, was bei der Truppe ganz lustig zu werden schien. Ich war zwar kein wahnsinnig großer Fußballfan, aber alles war besser, als alleine auf dem Zimmer zu sitzen, wo sich meine Gedanken nur wieder in Regionen verirren würden, die ich nicht mehr betreten wollte.

Zwischen Abendessen und Anpfiff des Spiels blieb etwas Zeit, deshalb ging ich raus in den angrenzenden Park, zog das Handy aus der Tasche und rief meinen Bruder an. Wie ich Lukas kannte, würde er den Samstagabend garantiert nicht zu Hause verbringen, aber jetzt, um kurz nach halb acht, war es vielleicht früh genug, um ihn zu erreichen.

„Hey Bruderherz“, meldete er sich mit diesem unerschütterlich sonnigen Gemüt, mit dem er seine Mitmenschen gleichermaßen erfreuen als auch zur Weißglut treiben konnte. „Hast du mal wieder Sehnsucht nach mir?“

„Mal wieder ist gut“, gab ich trocken zurück. „Wenn ich nicht ab und zu bei dir anrufen würde, würde ich gar nichts mehr von dir hören.“

Ich wollte ihm eigentlich gar nicht direkt mit Vorwürfen kommen, aber mittlerweile war es frustrierend, dass er sich so rarmachte, seit er wegen des neuen Jobs knappe hundert Kilometer von mir entfernt wohnte.

Doch Lukas nahm es gewohnt locker und sagte: „Sorry. Hier ist alles so neu und aufregend, da rast die Zeit nur so dahin. Ich verspreche hoch und heilig, mich zu bessern.“

Unwillkürlich musste ich lächeln. Diese Art von Versprechungen kannte ich. Und trotzdem konnte ich ihm nie lange böse sein.

„Schon okay. Wie läuft’s bei dir? Haben sie in der neuen Firma schon bereut, dich eingestellt zu haben?“, zog ich ihn auf.

Lukas lachte. „Ja. So sehr, dass sie mich heute Abend zwingen, mit ein paar Leuten zum Public Viewing zu gehen.“

„Oh, wow, gleich die Höchststrafe. Was hast du angestellt?“

„Keine Ahnung. Vielleicht war ich ein bisschen zu nett zu den Kollegen.“

„Kollegen oder Kolleginnen?“, hakte ich grinsend nach. Ich kannte ja meinen Bruder, den Herzensbrecher, und ahnte, dass ihm nach diesen ersten sechs Wochen die Frauen in der Firma bereits sabbernd hinterherhechelten.

„Kollegen, du Honk! Ich hab dir doch erzählt, dass es in meiner Abteilung nicht mal die obligatorische Quotenfrau gibt. Und der Verwaltungstrakt ist leider ziemlich weit entfernt.“

„Du Ärmster“, neckte ich ihn.

Lukas schnaubte und meinte: „Gibt es eigentlich sonst noch einen Grund für deinen Anruf oder willst du dich nur über mich lustig machen? Dafür hab ich nämlich keine Zeit. Meine Bahn fährt gleich.“

„Sorry. Nee, ich wollte bloß mal hören, wie es dir geht, weil ich hier grad nichts anderes zu tun habe.“

„Du und nichts zu tun?“, fragte er ungläubig. „Wo bist du denn?“

„Bei dieser Fortbildung in Dortmund.“

„Ach ja, richtig“, erwiderte er, und ehe er es aussprach, wusste ich, was als Nächstes kam. „Und? Gibt es da auch ein paar heiße Physiotherapeutinnen?“

Ich verdrehte im Stillen die Augen. Das war typisch mein Bruder. Manchmal fragte ich mich, ob wir wirklich die gleichen Gene in uns hatten oder einer von uns nach der Geburt vertauscht worden war.

„Für dich bestimmt“, gab ich widerwillig zurück.

„Lass mich raten“, feixte Lukas. „Du hast gar nicht richtig hingeguckt, oder?“

„Du kannst mich mal.“

Er stieß einen übertriebenen Seufzer aus. „Ach, Feli, was soll ich mit dir bloß machen? Du wirst echt ein komischer, brummiger Einsiedler, wenn du so weitermachst. Fehlt eigentlich nur, dass du dich in eine einsame Hütte im Wald zurückziehst.“

„Sehr witzig“, knurrte ich. Konnte er mich nicht endlich damit in Ruhe lassen? Er wusste genau, dass ich nach der Trennung von Steffi für keine neue Beziehung bereit war. Und bloß aus Spaß durch verschiedene Betten zu hüpfen wie er, das war nicht mein Ding. Aber ob ich ihm das sagte oder mit einer Wand redete, kam bei Lukas auf dasselbe raus.

„Apropos Hütte“, lenkte ich deshalb schnell vom Thema ab. „Du denkst an den Termin nächste Woche, ja? Der Makler hat gesagt, dass er gegen elf Uhr da sein wird, und es war nicht leicht, ihn zu überreden, dass er extra am Samstag rauskommt.“

„Ich weiß. Das erzählst du mir jetzt zum dritten Mal“, erwiderte Lukas gelangweilt. „Und ja, ich werde da sein.“

Hoffentlich. Ich wusste, dass er absolut keine Lust darauf hatte, sich um den Verkauf des Hauses unserer Großmutter zu kümmern. Aber alleine würde ich es nicht tun. Wir hatten es zusammen geerbt, also war er genauso dafür verantwortlich wie ich. Fürs Erste gab ich mich jedoch geschlagen und sagte: „Wir können ja vorher noch mal telefonieren, wann du genau kommst. Ich will dich schließlich nicht länger von deinem heiß ersehnten Fußballabend abhalten.“

Ich sah direkt vor mir, wie Lukas eine Grimasse zog und mir den Mittelfinger zeigte. Er hatte mit Fußball nichts am Hut und hätte heute Abend bestimmt tausend andere Sachen lieber gemacht. Aber ich konnte verstehen, dass er diesen Anschluss an seine Kollegen auf keinen Fall verspielen wollte. Vielleicht sollte ich ein netter Bruder sein und ihm die Daumen drücken, dass Deutschland es heute nicht ins Achtelfinale schaffte. Dann bliebe ihm zumindest ein weiteres Rudelgucken erspart.

„Herzlichen Dank!“, flötete Lukas zuckersüß in den Hörer. „Ich wünsche dir auch viel Spaß bei deinem restlichen Knochenbrecher-Seminar. Und mach die Augen auf, was da für Frauenkörper um dich herumsitzen, die mal ordentlich durchgeknetet werden wollen.“

„Blödmann! Mach’s gut.“

„Du auch. Wir hören uns.“ Damit legte er auf, und ich nahm kopfschüttelnd mein Handy vom Ohr.

Wann wurde dieser Clown endlich erwachsen? Wahrscheinlich nie. Ich war nur vier Jahre älter als er, fühlte mich manchmal allerdings doppelt so reif. Und bloß weil ich nicht wie er jedem Rockzipfel hinterherlief, hieß das längst nicht, dass ich keinen Spaß haben konnte und ein komischer, brummiger Einsiedler war.

Entschlossen stand ich von der Bank auf und ging zurück zum Hotel. Schon von Weitem hörte ich das Gelächter der anderen Seminarteilnehmer in der Bar, die vergeblich versuchten, einer Kollegin zu erklären, was Abseits war. Aber sie erfüllte jedes Klischee und kapierte es nicht.

Gut gelaunt gesellte ich mich dazu, bestellte mir ein Radler und freute mich auf den Fußballabend in dieser fröhlichen Runde.

Dann wollen wir doch mal sehen, wer heute Abend mehr Spaß hat, Bruderherz!

Dieses viel zu laute Schweigen

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