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Stefan Esterhazy

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Tagmond

Über den Gärten der Burg lag eine schwere Schwüle, die noch nichts vom nahen Herbst erahnen ließ. Die Hitze fing sich zwischen den Mauern, so dass nicht einmal im Schatten der Bäume Abkühlung zu finden war. Das sonst so geschäftige Hofleben schien wie in tiefem Schlaf versunken, die Schritte einer einzelnen Dienstmagd hallten dumpf in der Stille des Nachmittags bis sie verklangen und den sirrenden Mücken die Geräuschkulisse überließen.

Der Fürst saß am Rande eines Wasserbeckens im Schatten einer Hecke und hatte sein Schwert vor sich auf den Knien. Mit gleichmäßigen Zügen fuhr er mit einem Wetzstahl über die glänzende Klinge. Manchmal hielt er inne und drehte die Waffe hin und her, um das Licht an der Kante reflektieren zu lassen, dann setzte er seine Arbeit mit konzentrierter Sorgfalt fort und blickte auch nicht auf, als sich schnelle Schritte näherten. Prinz Melwyn stoppte ein wenig außer Atem vor dem Fürsten, mehr vor Aufregung als von der Anstrengung. Der Fürst sah schließlich doch auf und grüßte ihn mit einem leichten Beugen des Kopfes. „Prinz Melwyn.“ Für einen Elfjährigen war Melwyn groß gewachsen, beinahe mager. Wie die meisten Jungen am Hofe des Königs liebte auch er reich verzierte Kleidung. Sein weißes Hemd schmückte eine aufwändige Stickerei, die Hose war aus verschieden farbigem Leder genäht und betonte eng anliegend noch seine schlanke Figur. Die Füße steckten in hellbraunen Lederstiefeln, deren Goldnietenbesatz gerade noch so dezent war, dass sie elegant wirkten. Roman hatte schon als Knappe die schlichte und zweckmäßige Kleidung eines gordischen Kriegers getragen hatte und die verspielte Mode in Brandai sagte ihm wenig zu. Flüchtig fragte er sich, was sein eigener Schwertherr wohl zu Melwyns Kleidung gesagt hätte. Wahrscheinlich nichts, er hätte ihn solange verprügelt, bis der Stoff in Fetzen herabgefallen wäre…Der Fürst schüttelte fast unmerklich den Kopf, um die Erinnerung an Gorderley zu vertreiben.

Melgardon hatte ihm seinen Neffen, den Thronfolger Brandais, bereits am Tag nach seiner Ankunft offiziell vorgestellt. Seitdem waren sie sich nicht mehr begegnet. Melwyn von den Hohen Weiden, dachte Roman, seit seiner Adoption durch den König: Melwyn Derengold. Dieser Junge würde den Thron besteigen, der eigentlich ihm zukam, falls er lange genug lebte.

Wenn Melwyn erwartet hatte, dass der Fürst das Gespräch aufnahm, wurde er enttäuscht. Er trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen, dann fiel sein Blick auf das Schwert und er beugte sich begeistert vor: „Fürst Gorderley, ist das Euer Schwert? Darf ich es anfassen?“

„Nein!“ Melwyn, der die Hand bereits ausgestreckt hatte, zuckte zurück. Es dauerte nur einen Atemzug, bis sein Schreck sich zu Trotz wandelte. Er legte die Hand auf den Knauf seines eigenen Schwertes und trat einen Schritt zurück. „Ich bin hier, weil ich möchte, dass Ihr mich unterrichtet, Fürst Gorderley.“ Der Fürst nahm seine Waffe und schob sie in die Scheide, die er neben sich auf den Brunnenrand legte. „Ihr habt bereits einen Lehrer.“ Melwyn schüttelte energisch den Kopf. „Ihr seid besser als Galen. Man sagt, Ihr seid der beste Krieger in ganz Eldorad. Ich will von Euch lernen, wie man in Gorderley kämpft, damit ich Brandai besser schützen kann.“ Es war nichts Kindliches in seinen entschlossenen Worten. Hier sprach der Prinz von Brandai, der sich trotz seiner Jugend der Verantwortung seiner Stellung bewusst war, aber der Fürst betrachtete ihn ablehnend. In Gorderley hatte er seinen Knappen zurückgelassen. Julian würde noch immer nicht wissen, warum sein Herr ohne ein Wort gegangen war, um sein Land an Brandai zu verraten. Julian war ein guter Knappe, der beste von den dreien, die er ausgebildet hatte. Es war eine Freude gewesen, ihn zu unterweisen, seine Fortschritte zu beobachten, sein Talent zu formen…Roman ballte unwillkürlich die Faust. Vorbei. Das war vorbei. Er entspannte sich. „Ich unterrichte nicht“, erwiderte er ruhig. Melwyn wirkte überrascht und runzelte die Stirn, während er einen Augenblick über die Zurückweisung nachdachte. Dann blickte er den Fürsten stolz an und holte tief Luft. „Ich habe das Recht, den besten Lehrer zu bekommen, den es hier gibt“, sagte er langsam und fuhr hastiger fort, „ich kann es Euch befehlen, wenn Ihr mir nicht helfen wollt“, er stockte, denn die Hitze des Nachmittages schien von einem Augenblick zum anderen eisiger Kälte zu weichen. Der Fürst hatte sich nicht bewegt, dennoch lag plötzlich eine Spannung zwischen ihnen, als hätte er sein Schwert gezogen. Nicht einmal das Summen der Mücken durchdrang die plötzliche Stille, bis der Fürst leise entgegnete: „Ihr tragt einen alten Namen, Prinz Melwyn Derengold von den Hohen Weiden“, wie genau kannte er die Ahnenfolge der Herrscher von Brandai. Seit er sich erinnern konnte, hatte sein Vater ihm die Abstammungslinien des brandaianischen Adels vorgesagt. Elder von Gorderley fand sich in den Stammbäumen der Brandai besser zurecht, als der König selbst. Als er Irana Derengold entführte und zu seiner Gattin machte, geschah dies aus dem einzigen Grund, dass ihr gemeinsamer Sohn damit einen rechtmäßigen Anspruch auf den Thron haben würde. Roman war gezeugt worden, um Gorderley und Brandai zu vereinen, indem er es eroberte und die Brandai zwang, sein Blutrecht anzuerkennen. Roman fuhr fort: „Das Schwert, das Ihr einstmals tragen werdet, haben große Männer geführt, auf der Seite Eures Vaters, wie in der Linie der Derengold. Vegan von den Weiden, Baran der Ältere und sein Sohn, Gutwart Derengold, …ihre Taten, ihr Mut machten sie zu berühmten Führern. Sie haben das Recht erworben, Gefolgschaft zu verlangen. Könnt Ihr, Prinz Derengold, eine Leistung vorweisen, die Euch das Recht gibt, mir zu befehlen?“ Die letzten Worte kamen scharf, während er den Prinzen streng ansah. Obwohl der Fürst noch immer saß, hatte Melwyn das Gefühl, zu ihm aufblicken zu müssen und er kam sich plötzlich klein und dumm vor. Langsam löste er den Griff vom Knauf seines Schwertes und ballte die Fäuste. Schon während der Fürst sprach, war sein Gesicht rot angelaufen vor Scham. Er hatte den Fürsten nicht beleidigen wollen, aber nun steckte er in einer unlösbaren Falle. Trotz all seiner Privilegien hatte Melwyn ein gutes Gespür für Angemessenheit und niemand musste ihm sagen, dass er nicht auf seinen Befehl bestehen konnte, ohne sich lächerlich zu machen. Aber jetzt einfach zu gehen, abgekanzelt wie ein unartiges Kind, war eine Demütigung, die er auch nicht ertrug. Der Fürst wartete auf eine Antwort, und die konnte eigentlich nur eine Entschuldigung sein. Melwyn kaute verlegen auf seinen Lippen und brachte kein Wort heraus. Das Schweigen wurde peinlich, doch der Fürst machte keine Anstalten, ihm zu einem Ausweg aus der verfahrenen Lage zu verhelfen. Trotzig trat Melwyn einen Schritt zurück und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es kostete ihn sichtlich seine ganze Beherrschung, den strengen Augen nicht auszuweichen als er schließlich antwortete: „Ich.. ich überlege es mir noch einmal. Ich gehe dann jetzt.“ Ruckartig drehte er sich um und versuchte mit festen Schritten davon zugehen.

Der Fürst sah dem jungen Prinzen nach, bis er um die Wegbiegung verschwand. Er war erleichtert, dass Melwyn nicht auf seinem Wunsch bestand. Natürlich hätte er ihm gehorchen müssen, sein Eid ließ ihm keine Wahl, aber das hätte sein schwieriges Verhältnis zu dem Thronfolger noch mehr belastet. Nachdenklich verfolgte er einen gelben Falter, der zwischen den blühenden Dolden eines Sommerflieders hin und her flatterte, bis der Fürst ihn im Gewirr von Lichtreflexen und Zweigen aus den Augen verlor. Diese Begegnung war nicht gut verlaufen und sie hatte kein wirkliches Ende gefunden. Irgendwann würde er sich mit dem jungen Prinzen auseinandersetzten müssen, ungeachtet, ob Melwyn ihm den zustehenden Respekt zollte oder nicht.

Er seufzte und wollte gerade wieder nach seinem Schwert greifen, als erneut Schritte die Stille des Nachmittags durchbrachen. Fast erwartete Roman eine Wache oder einen der normalerweise unsichtbaren Begleiter, die ihn seit seiner Ankunft in Undidor unauffällig beobachteten, aber über den Kiesweg nährte sich ein junger Mann, fast gemütlich und doch zielgerichtet. Einer der Ritter vom Hof des Königs, erst nach einem kurzen Moment des Überlegens fiel Roman sein Name ein: Stefan Esterhazy, Baron von Samland und Rechen. Ohne jede Eile kam er heran und blieb wie zufällig vor dem Fürsten stehen. „Hallo“, Stefan Esterhazy deutete eine leichte Verbeugung an, die wirkte, als sei ihre Notwendigkeit ihm gerade erst eingefallen. Trotzdem schien er nicht im Mindesten verlegen. „Störe ich Euch?“ Bisher hatte Roman kaum Kontakt zu den Rittern am Hof gehabt. Man mied ihn, viele machten aus ihrem Hass auf Brandais Todfeind kein Geheimnis. Nur die allgemeine Hochachtung vor dem König bewahrte den Fürsten vor direkten Anfeindungen, und die berechtigte Sorge, in einem Duell den Kürzeren zu ziehen. Roman hatte eine beachtliche Geschicklichkeit im Überhören von indirekten Beleidigungen entwickelt und zog es vor, der Gesellschaft der Ritter aus dem Weg zu gehen. Unwillkürlich suchte er nach einem Anzeichen von Anzüglichkeit oder Provokation, aber Esterhazys Lächeln offenbarte nur fröhliche Unbekümmertheit. Dennoch blieb Roman zurückhaltend. „Es sind die Gärten des Königs, nicht meine.“

Esterhazy schien die unausgesprochene Abweisung nicht zu bemerken. „Na ja“, er zuckte die Achseln und warf einen kurzem Blick in die Runde, „es ist nicht gerade die belebteste Ecke in die Ihr Euch zurück zieht.“

„Ich wüsste nicht, was Euch das anginge“, antwortete Roman kühl und erhob sich. Esterhazy trat höflich einen Schritt zur Seite und stützte den Fuß auf den Brunnenrand. „Ach wisst Ihr, ich dachte, Ihr hättet vielleicht Lust, ein wenig mit mir zu fechten. Deshalb habe ich Euch gesucht. Ich meine, ich bin nicht der Waffenmeister, aber andererseits habt Ihr in Brandai nicht gerade viel Auswahl bei Euren Gegnern, denke ich.“ Er ließ die Hände, die er auf den Oberschenkeln aufgestützt hatte, sinken und lächelte den Fürsten fröhlich an. Roman legte sein Schwertgehänge an und verschränkte dann die Arme vor der Brust. „Ich habe kein Interesse.“ Außer seiner Würde war ihm wenig von seinem alten Leben geblieben. In Gorderley wäre es jedem Krieger eine Ehre gewesen, mit dem Fürsten die Klingen zu kreuzen, Esterhazys Angebot kam einer Beleidigung gleich. Doch dem schien die Kälte in der Ablehnung des Fürsten zu entgehen. Er nahm den Fuß vom Brunnenrand. „Wie Ihr meint, schade eigentlich.“ So wie er es sagte, klang es nicht sonderlich enttäuscht. „Na, dann geh ich mal wieder, wenn Ihr nichts dagegen habt?“ Das Nicken des Fürsten wartete er kaum ab, bevor er davon schlenderte, kurz verhielt, um einem Vogel nachzusehen, der über den Weg flatterte und vom Wegrand einen Grashalm abzupflücken und zwischen die Zähne zu stecken.

Irritiert setzte sich der Fürst wieder auf die warmen Steine der Brunnenmauer. Sobald er darüber nachdachte, war ihm klar, dass Esterhazys Angebot weder provozierend noch beleidigend gewesen war. Im Gegenteil, es war Roman nicht entgangen, dass der Ritter zu keiner Sekunde den ihm gebührenden Abstand bewahrt hatte, allerdings in einer so unauffälligen Lässigkeit, dass man es auch für Zufall halten könnte. Aber nein, Esterhazy schien tatsächlich das im Sinn gehabt zu haben, was er so verblüffend offen gesagt hatte.

Roman sprang kurz entschlossen auf und eilte ihm nach. Noch bevor er sich die Frage, wohin sich der Baron gewandt haben mochte, ganz gestellt hatte, sah er ihn im Gespräch mit einem dunkel gekleideten schlanken Mann unter einem der Torbögen stehen. Kaum gewahrten sie den Fürsten, verschwand Esterhazys Gesprächspartner seitlich im Schatten des Gemäuers. Aufmerksam blickte der junge Baron ihm entgegen. „Baron Esterhazy, ich habe meine Meinung geändert. Es wäre mir eine Ehre“, begann Roman ohne Umschweife. Er suchte im Gesicht des Barons nach einem Zeichen von Selbstzufriedenheit, doch Esterhazys Lachen drückte nur Freude aus. „Oh, die Ehre ist bestimmt auf meiner Seite, Fürst Gorderley. Ich stehe zu Eurer Verfügung.“ Roman sah sich um. Im Schatten der Torbögen konnte er nichts erkennen, auch wenn seine Bewacher dort sein mussten. Es hätte unangenehmer sein können, in Gorderley hätte sich ein Gefangener wie er nie ohne einen Begleiter an der Seite bewegen können - er schüttelte den Kopf, nein, in Gorderley hätte man ihn noch am Tage seiner Ankunft eingekerkert und höchstens so lange mit der Hinrichtung gewartet, bis man ihm jedes Geheimnis unter der Folter entrissen hätte. Esterhazy sah seinen Blick und verstand sein Kopfschütteln falsch. Zum ersten Mal verlor er sein gut gelauntes Lächeln, als er sagte: „Ihr könnt es wohl kaum übel nehmen, wenn man Eure Schritte überwacht, Fürst Gorderley. Aber ich bin keiner von der stillen Garde des Königs.“ Es war mehr eine Feststellung und selbst die hörte sich noch so an, als sei es dem Baron nicht wirklich wichtig, was der Fürst von ihm dachte. Roman legte die Hand auf den Schwertknauf und deutete auf die sauber geharkte Sandfläche vor ihnen. „Hier?“

„Jetzt? Natürlich, wenn Ihr meint.“ Esterhazy wirkte einem Moment verwirrt, nickte dann aber begeistert. Er wartete, bis Roman sein Schwert zog, bevor er zu seiner Klinge griff und sich dem Fürsten gegenüberstellte.

Es war ein anderes Fechten, als mit dem Waffenmeister. Sowohl an Können als auch an Erfahrung war Roman dem Ritter weit überlegen. Dennoch begann ihm die Begegnung schon nach wenigen Aktionen Spaß zu machen. Er war im Herzen ein Krieger und die tägliche Übung, die Teil seines bisherigen Lebens gewesen war, fehlte ihm sehr. Esterhazy machte seine Sache nicht schlecht. Was ihm an Kraft fehlte, glich er durch Gewandtheit aus und immer wieder überraschte er durch unorthodoxe Variationen und Kampfzüge. Überhaupt hatte sein Stil etwas Verspieltes, das den Fürsten mehr als einmal erstaunte. Wenn er mit dem Waffenmeister focht, erkannte er in dessen Kampf die strenge gordische Ausbildung, die dieser als Kampfsklave erhalten hatte und die sich kaum von Romans eigener Ausbildung unterschied. Jeder Hieb war präzise, jede Bewegung darauf ausgelegt, mit minimalem Krafteinsatz maximalen Erfolg zu erreichen. Esterhazy dagegen schien lieber den eleganten Schwung einer Bewegung zu genießen als unbedingt an deren Effizienz interessiert zu sein. Es hatte etwas jungenhaftes, wenn er eine erfolgreiche Aktion mit einem Begeisterungsruf kommentierte und nur einmal runzelte er ärgerlich die Stirn, als eine Attacke des Fürsten ihn zwang, unkontrolliert auszuweichen und er über seine eigenen Füße stolperte. Dabei schien ihn die kurze Unbeholfenheit, die seine fließenden Bewegungen unterbrach, mehr zu stören, als der Umstand, dass seine Abwehr überwunden worden war.

Die sauberen Linien auf dem Sandplatz waren zertreten und beiden Männern lief der Schweiß vom Gesicht, als sie schließlich aufhörten. Roman nickte anerkennend. „Es war mir ein Vergnügen.“ Esterhazy rang nach Luft. „zu viel des Lobes“, keuchte er und stützte sich auf sein Schwert. „Das war ziemlich aufregend, macht Ihr Euch nie Sorgen, verletzt zu werden?“ Erst in diesem Moment erinnerte sich Roman, dass die brandaianischen Ritter normalerweise nur mit stumpfen Übungsschwertern trainierten. Der junge Baron hatte ihm einen erstaunlichen Vertrauensvorschuss gewährt, als er sich auf den Kampf mit scharfen Waffen einließ. Jetzt grinste er und zupfte an seinem schweißnassen Hemd: „Mein letztes sauberes Hemd, ich sollte vorsichtiger damit umgehen.“ Er blickte an dem Fürsten vorbei. Roman drehte sich um und sah den dunkel gekleideten Mann neben einem Busch stehen. Esterhazy winkte ihm zu: „Fürst Gorderley, darf ich Euch meinen Freund Bernd vorstellen?“ Er übersah einfach das Stirnrunzeln von Romans Beschatter, der nach kurzem Zögern näher kam. In Gorderley wäre die Nennung eines Namens durchaus eine übliche Vorstellung, aber in Brandai, wo es, so kam es dem Fürsten vor, fast so viele Titel wie Menschen gab, war sie mehr als ungewöhnlich. Dennoch machten weder Esterhazy noch sein Freund Anstalten, eine Erklärung hinzu zu setzen. Bernd trug keine sichtbaren Waffen, aber er wirkte gefährlich wie eine Schlange. Der Fürst war erstaunt, von der stillen Garde des Königs noch nichts gehört zu haben. Offenbar gab es auch in Brandai Männer, denen ihre Treue zum König mehr bedeutete, als ihre Stellung am Hof. Bernd hatte scheinbar nicht einmal einen Familiennamen. Roman verstand, dass schon die Tatsache, dass sein Bewacher sich ihm offen zeigte, eine Anerkennung darstellte. Fraglich nur, ob sie ihm oder Esterhazy galt.

Er deutete einen Gruß an. Bernds helle Augen taxierten ihn ohne Zurückhaltung, als er direkt vor ihnen stehen blieb. Mit sanftem Tadel sagte er zu Esterhazy: „Wie immer sehr spontan, Stefan, damit hast du zumindest die Überraschung auf deiner Seite, wenn du kämpfst.“ Roman war sich sicher, dass er seine Worte gar nicht auf den Kampf bezog, aber Bernd sprach schon weiter, „eine schöne Vorstellung“, wandte er sich an den Fürsten, „sehr aggressiv Euer Schwert. Sehr ausgewogen Eure Technik, allerdings verlasst Ihr Euch vielleicht zu sehr auf die Stärke Eures Waffenarmes. Das könnte problematisch werden, sogar für jemanden, der seine Waffe zweihändig führen kann.“

Sekundenlang war Roman sprachlos. Es war lange her, dass es jemand gewagt hatte, ihn offen zu kritisieren. Bernd ließ ihn nicht aus den Augen und schien auf irgendeine Reaktion zu warten, aber Roman hatte sich in der Gewalt. Er wartete einen Moment, bevor er mit fein dosierte Schärfe entgegnete: „Ihr könntet Recht haben, allerdings ist der Fall bisher noch nicht eingetreten. Darf ich Euch um einen Waffengang bitten?“ Seine Antwort rief ein Beinahe-Grinsen auf dem verschlossenen Gesicht des Brandai hervor, der nun zurück trat und sich knapp verbeugte: „Ich bitte um Verzeihung für meine unbedachten Worte, Fürst Gorderley. Das Schwert ist Euer Metier. Es ist immer ein Vergnügen, einem Meister darin zuzusehen.“

Roman war sich sicher, dass keines der gesagten Worte unbedacht gewesen war. Er hatte in Brandai bisher keinen Menschen getroffen, der sich so perfekt unter Kontrolle hatte wie dieser Angehörige der Stillen Garde. Mochte das Schwert nicht seine Waffe sein, so war er mit Sicherheit ein Meister in anderen Disziplinen. Dennoch war seine Aufgabe nur die Überwachung des Fürsten, er hatte kein Recht, ihn zu prüfen. Der Fürst beschloss, den Spieß umzudrehen. „Das Lob eines Meisters ist immer erfreulich“, begann er, „allerdings hat auch der Kampf ohne Waffen seine Grenzen, und davon abgesehen, scheint er hier in Brandai nicht sehr verbreitet.“ Nur ein kurzes Weiten der Augen verriet, dass Bernd die Spitze verstanden hatte: Ohne Vergleiche konnte sich jeder leicht als Meister fühlen. Der Fürst war weit davon entfernt, den Brandai zu unterschätzen. Er hatte davon gehört, dass es in anderen Teilen Eldorads Krieger geben sollte, die einen Schwertkämpfer allein mit ihren Händen entwaffnen und niederschlagen konnten. Es war ihm bisher unwahrscheinlich vorgekommen, aber Bernds raubtierhafte Gespanntheit erinnerte ihn an einen lang vergangenen Abend, als er mit seinem Schwertherrn über die Vorzüge einzelner Waffengattungen diskutierte. Der Waffenmeister hatte nachdenklich geäußert, dass die Wertschätzung der Gorderley für das Schwert eher traditionelle Gründe habe, da es eine Reihe mindestens gleichwertiger Techniken gäbe. Damals beschrieb er die waffenlosen Kämpfer aus den tiefen Wäldern im Süden Eldorads, wo Schwerter aufgrund ihres Raumbedarfs nutzlos waren. Nicht die Waffe mache den Krieger aus, der Einsatz der richtigen Waffe bestimme den Erfolg, hatte der Waffenmeister erklärt. Nun, vielleicht hatten die waffenlosen Techniken ihren Weg nach Brandai gefunden.

„Ich sehe, der Austausch von Freundlichkeiten dauert noch eine Weile, dann kann ich mich wohl verabschieden“, mischte sich Esterhazy in diesem Moment munter ein. Er sah einen Augenblick fragend von Bernd zum Fürsten, bevor er seinem Freund fröhlich zunickte: „Wir sehen uns heute Abend in der Halle“, dann war er fort.

Roman musste sich beherrschen, um nicht verwundert den Kopf zu schütteln. Bernd dagegen verzog keine Miene. Noch immer hing die Frage des Gorderley zwischen ihnen, aber mit Esterhazys plötzlichem Abgang war auch die Spannung verflogen. Schließlich trat der Brandai einen Schritt zurück und senkte einen Lidschlag lang den Blick. „Wenn ein Fisch fliegen sollte, wäre er eine Möwe, sagen die Küstenländer. Ich ziehe mich ebenfalls zurück und lasse Euch allein, wenn es Euch beliebt.“ Der Fürst blieb unbeweglich stehen und lauschte dem Knirschen der Schritte, als der Gardist unter den Torbögen verschwand. Schließlich atmete er tief ein und blickte sich um. Über ihm wölbte sich der Abendhimmel in hellem Blau, einzelne Wolken zogen dahin und hinterließen weiße Schleierspuren. Wenn er hinauf sah, konnte er sich für einen Augenblick frei fühlen und sich vorstellen, die Steppe läge vor ihm, offen, grenzenlos solange sein Pferd ihn trug und sein Wille die Stute lenkte.

Er hatte die Anwesenheit seiner Bewacher bisher zwar vermutet, aber niemals einen von ihnen bemerkt. Trotzdem war er sich jetzt sicher, dass Bernd tatsächlich gegangen war und ihn allein gelassen hatte. Langsam wanderte er aus der Burg zurück in die Stadt. In den Abendstunden des Sommertages waren die Straßen voller Menschen. Händler, Krieger, Handwerker, Frauen und Kinder, Brandai und Fremdlinge bevölkerten Gassen und Plätze, wo sie in den winzigen Läden und an unzähligen, jeder Ordnung widerstehenden Ständen Geschäfte machten oder schaulustig umher streiften. Jongleure und Akrobaten buhlten um die Aufmerksamkeit der Menge, während Bettler an allen Ecken ihre fordernden Hände ausstreckten. In Gorderley gab es höchstens an Festtagen solchen Trubel. Roman schlenderte langsam zu seiner Unterkunft und genoss das unerwartete Gefühl frei zu sein. Natürlich gab es mehr als die Augen der Stillen Garde, die seine Wege verfolgten, doch er begriff sehr wohl, dass Bernds Rückzug Respektbezeugung und Entschuldigung in einem war. Ein Mann von Ehre. Das machte ihn noch gefährlicher.

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