Читать книгу Eldorad - Petra Heinen - Страница 9

Die große Halle

Оглавление

Tagmond

Wenige Tage später traf er Stefan Esterhazy wieder.

Roman war schon seit den frühen Morgenstunden auf dem allgemeinen Übungsplatz und schoss abwechselnd mit dem Bogen und der Armbrust auf eine Scheibe. Er beherrschte beide Waffen meisterlich und traf aus einer Entfernung von 100 Fuß den aufgemalten Mittelkreis, ohne sich besonders anzustrengen.

Nach und nach fanden sich auch Brandais Ritter ein und begannen ihre täglichen Übungen, nicht ohne den berühmten Gorderley verstohlen zu betrachten. Roman kümmerte sich nicht um die neugierigen Blicke, sondern vergrößerte den Abstand und konzentrierte sich auf seine Schüsse. Dennoch bot ihm die Übung ausreichend Gelegenheit, seinerseits unauffällig die Brandai zu beobachten. In den Besprechungen mit Curfeld berieten sie auch über die Ausbildung der jungen Ritter und er hatte bereits eine gute Übersicht über die Qualitäten der Krieger des Königs. Die brandaianischen Ritter waren hoch motiviert und oft begabt, aber sie trainierten ungerichtet und verschwendeten ihre Kraft und Ideen vielfach in nutzlosen Plänkeleien. Roman schmerzte es fast, Brandai oder nicht, soviel ungenutztes Potential zu sehen.

Heute verfolgte er mit besonderer Aufmerksamkeit Esterhazy, der sich am anderen Ende des Platzes mit einigen Freunden im Schwertkampf übte. Der Baron war schnell und gewandt und mit offensichtlicher Begeisterung bei der Sache und bestritt mehrere Gefechte hintereinander. An dem Gelächter und den Scherzworten, die herüber flogen, konnte man kaum ablesen, wie die Kämpfe ausgingen, die Brandai schienen ihr Training nicht sehr ernst zu nehmen. Am späten Vormittag beendete Esterhazy seine Übungen und schlenderte gemütlich über das Feld. Der junge Adlige war allseits beliebt und immer bereit, für ein paar Worte stehen zu bleiben und sich in einen Plausch oder eine freundliche Kabbelei verwickeln zu lassen. Wie zufällig erreichte er schließlich den Schießstand und begrüßte den Fürsten, der gerade im Begriff war, ein Bündel Pfeile aus der Mitte der Strohscheibe zu ziehen. „Die Bahn muss für Euch wohl verlängert werden“, begann er scherzend, „guten Morgen, Fürst Gorderley, obwohl Ihr den Morgen ja wohl etwas früher beginnt, habe ich gehört?“

Roman sah prüfend in das grinsende Gesicht des Barons. Tatsächlich nutzte er selbst lieber die frühen Stunden, wenn die meisten Ritter noch schliefen, und verließ oft die Übungsbahnen, wenn die Brandai erschienen. Esterhazy dagegen war kein Frühaufsteher, doch seine Worte hatten eher einen selbstironischen, als einen herausfordernden Unterton.

Roman packte die Pfeile und riss sie aus dem Stroh, einige steckten fest und er musste sie einzeln heraus winden. „Kommt Ihr mit?“ Er hielt Esterhazy die Hand mit den Pfeilen hin und deutete auf den Schießstand. Sie wanderten über mehrere mit Steinen markierte Linien zurück, bis sie die Waffen erreichten, die der Fürst auf dem Boden abgelegt hatte. Esterhazy zuckte die Achseln: „Es tut mir leid, ich habe keinen Bogen dabei. Heute wollte ich nur ein wenig Fechten.“

„Ihr könnt diesen benutzen.“ Roman hob seinen Bogen auf, legte einen Pfeil auf und und spannte die Sehne. Ohne lange zu zielen, ließ er die Sehne zurück schnellen und der Pfeil bohrte sich erneut in das Zentrum der Scheibe. Dann reichte den Bogen an den Brandai weiter. Esterhazy zupfte probeweise an der Sehne und betrachtete dann das Holz. „Es wäre lächerlich gewesen, von Euch simple Esche zu erwarten. Das ist ein Verbundholzbogen, nicht wahr. Ich dachte, die gibt es nur im Sumpfland.“ Dann nahm er einen Pfeil und wurde plötzlich ernst und konzentriert. Nach langem Zielen ließ er den Pfeil von der Sehne und traf etwas unterhalb der Mitte. „Gar nicht schlecht“, strahlte er und legte einen zweiten Pfeil an. Diesmal bohrte sich der Pfeil in den Rand der Scheibe, was Esterhazy mit einem unwilligen Grummeln kommentierte und ein weiteres Mal schoss, bevor er den Bogen dem Fürsten zurückgab.

Sie erhöhten mehrmals die Entfernung, bis Esterhazy lachend bekannte: „Dreimal daneben, ich gehe erst einmal die Pfeile suchen, wenn Ihr nichts dagegen habt. Ihr werdet mich dahinten ja wohl nicht durchbohren.“ Etwas verblüfft sah Roman den Baron tatsächlich hinter der Scheibe im kurzen Gras nach den verschossenen Pfeilen suchen, scheinbar völlig unbesorgt, dass der Fürst ihn treffen könnte.

„Warum kommt Ihr nicht am Abend in die Große Halle?“

Esterhazys Frage kam so direkt wie unerwartet, als sie gemeinsam das Übungsgelände verließen. „Dort ist nicht mein Platz“, antwortete der Fürst abweisend.

„Mit Verlaub, Fürst Gorderley, eigentlich ist er das schon.“ Roman warf dem Baron einen verblüfften Blick zu, aber der Brandai sah ihn unschuldig an. „Ich meine, Ihr lebt in Undidor sowieso auf dem Präsentierteller. Dann könntet Ihr doch auch Nägel mit Köpfen machen. Finde ich.“ Zum Schluss wirkte Esterhazy etwas verlegen, als würde ihm jetzt erst bewusst, mit wem er sprach. „Ich meine ja nur, Ihr seid immerhin der Fürst. Mehr Ritter geht doch nicht“, setzte er mit entwaffnendem Lächeln zu.

Roman schwankte, ob er den Brandai zurechtweisen sollte, aber in Esterhazys ganzem Ausdruck standen nur Achtung und Respekt. „Ich würde es vorziehen, wenn Ihr Euch nicht in meine Angelegenheiten einmischtet“, antwortete er schließlich trocken.

Esterhazy seufzte tiefgründig. „Ich bitte um Verzeihung. Es geht mich natürlich nichts an.“ Sehr betrübt schien er auch durch diese Abfuhr nicht, aber immerhin schwieg er, bis sich ihre Wege trennten.

Seine Worte gingen dem Fürsten jedoch nicht mehr aus dem Kopf. Esterhazy hatte nicht Unrecht: Wohin er auch ging, Neugierige gab es immer. Selbst seine Übungen in den Frühstunden fanden immer häufiger Zuschauer. Gerade die jüngeren Ritter opferten ihren Morgenschlaf, um seinem Training zuzusehen. Sie blieben im Hintergrund, beobachteten ihn aus der Ferne oder täuschten andere Tätigkeiten vor, aber es hatte keinen Zweck, sich zurückzuziehen, es wurden von Woche zu Woche mehr.

Die Große Halle war dennoch etwas anderes. Sie war war ein Symbol für Brandai, Stoff von Sagen und Geschichten, das Herz der brandaianischen Ritterschaft. Ein Gorderley, der hier seinen Platz forderte, würde nicht willkommen sein. Andererseits hatte es keinen Sinn, die Konfrontation länger hinaus zu schieben und so stand er am selben Abend vor dem hohen, eisenbeschlagenen Tor der Großen Halle. Wie alles in Burg Telmorst, sprengte auch dieses Gebäude seine gewohnten Vorstellungen. Die Erbauer der Burg wollten ein Versammlungshaus schaffen, in dem sich die Ritterschaft traf, wo man Schlafstätten hatte, die Versorgung sichergestellt war und die Diener und Knappen in Rufweite blieben.

Der Platz vor der Halle war groß genug, um auch einer prunkvollen Parade Raum zu bieten. Eine flache Stufe führte zu dem breiten Podest, das sich auch für eine Bühne nutzen ließ. Dahinter erhob sich die Frontseite der Halle mit dem mächtigen, von Steinfriesen gerahmten Eingangsportal. Der Bau wirkte durch seine Breite gedrungen und massig zwischen den umliegenden Fachwerkhäusern. Gegenüber erhoben sich die Gebäude der königlichen Familie und der Thronsaal, links und rechts standen weitere Repräsentations- und Wirtschaftsgebäude mit mehreren Stockwerken. Roman bewunderte die Baukunst der Ersten Siedler, die offenbar keine statischen Probleme gekannt hatten. Die Lösung konnte nicht allein in den wuchtigen Grundmauern der Burg liegen, im Gegenteil hätten die Bollwerke eigentlich unter ihrem eigenen Gewicht zusammenfallen müssen. Er fragte sich, ob den Brandai das Wissen um diese Baukunst erhalten geblieben oder mit den Ersten Siedlern vergangen war.

Der Große Halle war zwei Stockwerke hoch mit einem Schieferdach, das einen Längserker über den ganzen First trug. Während der Sommermonate standen die Fenster weit offen und sorgten für eine gute Belüftung. Im Winter wurden sie mit Holzläden verschlossen. Der vordere, zum Platz weisende Giebel wies vier Längsfenster aus Glas auf. Die vielen hundert Scheiben, die in ein Metallgeflecht eingefasst der Großen Halle Licht gaben, waren von unbegreiflicher Klarheit. Die Glasherstellung war in Brandai weit entwickelt und selbst die schlechteste brandaianische Qualität übertraf bei Weitem die kleinen, häufig trüben Scheiben, die man in Gorderley produzierte. Durch die Fenster sah Roman im flackernden Licht dunkle Deckenbalken. Die Ritter hatten sich bereits versammelt, Stimmengemurmel drang durch die aufgestellten Fenster in den Spätsommerabend hinaus. Nach einigen Minuten der Unschlüssigkeit gab er sich einen innerlichen Stoß und ging auf das Tor zu. Der Einfachheit halber hatten die Erbauer als Alltagszugang eine kleinere Türe in einen der Torflügel eingelassen. Roman legte die Hand auf den Griff, atmete noch einmal tief durch und stieß die Türe auf.

Keine Berichte und Erzählungen hatten ihn auf den Anblick vorbereiten können. Unwillkürlich blieb er stehen, sobald die Türe hinter ihm zufiel und sah sich staunend um. Die Große Halle erstreckte sich über die volle Höhe und Länge des Gebäudes. Zwei Säulenreihen zogen sich links und rechts entlang und trugen eine umlaufende Galerie, von der sich weitere, schlanke Säulen erhoben, die in spitz zulaufenden Bögen in das Dach mündeten. Das Ganze wirkte mehr wie ein Tempel als wie ein Haus für den menschlichen Gebrauch. Die dunklen seitlichen Nischen zwischen den Säulen wurden als Unterkünfte für Diener und Knappen genutzt, einige wohl auch als Vorratsräume, denn er erahnte die Umrisse von Säcken und Kistenstapeln. Auf der Galerie gab es eine Reihe kleiner Kammern, in denen Krieger des Königs lebten, die sich keine eigene Hofhaltung leisten konnten. Aber der größte Teil der Halle war frei von jeglichem Stützwerk. Nur dort, wo die Spitzbögen in die hölzerne Dachkonstruktion mündeten, hatte man Querbalken eingezogen, von denen mächtige eiserne Kerzenleuchter hingen. Sie waren unbestückt und wurden nur bei großen Festlichkeiten genutzt. Ein Mittelgang führte durch den großen Raum bis zum Ende der Halle, wo die Ausgänge zu einem Küchentrakt lagen. Über einem offenen Feuer drehte sich ein Hammel, der Rauch zog steil nach oben zu den Dachlüftungen.

Direkt neben dem Eingang begannen die Reihen dicht gestellter langer Tische und Bänke. Dicke gelbe Kerzen auf den Tischen gaben Licht, an den Seitenwänden brannten in Schalen weitere Feuer und verbreiteten Wärme und Helligkeit.

Im hinteren Bereich gab es kleinere Tische mit einfachen Stühlen, Roman hatte gehört, dass dies trotz der Schlichtheit der Ausstattung der Bereich für die höheren Adligen war, die ihre privilegierten Plätze mit einer hohen Abgabe bezahlten. Der Rest der Halle wurde vom Königshaus finanziert und stand allen Rittern offen. Jeder durfte hier das traditionell verrufene Abendmahl zu sich nehmen und soviel trinken, wie er wollte. Roman verstand sofort, welch mächtiges Gemeinschaftsgefühl dieser Rahmen unter den Brandai erzeugen musste.

Er begann den Mittelgang entlang zu schreiten. Die Halle war gut gefüllt und bei seinem Eintritt herrschte laute Fröhlichkeit, aber je mehr Brandai den Fürsten erkannten, desto stiller wurde es und die Blicke wandten sich dem Gorderley zu. Roman war sich nicht sicher, was er nun tun sollte. Er hatte die Absicht gehabt, bis zum vorderen Teil der Halle zu gehen, dort an einem der Tische eine Weile zu sitzen und sich dann zurückzuziehen. Das sollte für einen ersten Auftritt reichen, aber als er spürte, wie hinter ihm die Ritter aufsprangen und ihm mit einigem Abstand folgten, ahnte er, dass es so einfach nicht werden würde. Flüche wurden wurden gezischt, „Rebellenhund, Bastard, Mörder...“, halblaut machten die Brandai aus ihrem Hass keinen Hehl. Wenn der König den Gorderley in Undidor duldete, war das noch längst kein Grund für sie, den Feind in ihren Reihen zu akzeptieren.

„Fürst Gorderley“, zwischen den Bänken an seiner Seite kam es zu Bewegung als der Ruf ertönte. Roman war so angespannt, dass es ihn alle Selbstbeherrschung kostete, nicht sein Schwert zu rufen. Er blieb stehen. Baron Esterhazy stieg über eine der Bänke und drängte etwas ruppig die Umstehenden zur Seite, um zum Fürsten zu gelangen. Er ignorierte die feindselige Stimmung und strahlte ihn an: „Fürst Gorderley, herzlich willkommen in der Großen Halle.“

In den verblüfften Gesichtern der anderen Ritter las Roman, dass sie von den Worten des Barons mindestens so überrascht waren, wie er selbst. Im Grunde hatten die Brandai schon lange spekuliert, wann der ungeliebte Gast des Königs seinen Platz beanspruchen würde. Da sie ihn nicht fordern konnten, ging die Meinung dahin, ihn zu ignorieren, ungeachtet der Tatsache, dass sie alle darauf brannten, mehr über den sagenhaften Gorderleyritter zu erfahren. Aber die Halle sollte kein Ort der Verbrüderung werden, Missachtung sollte dem Fürsten den Aufenthalt im Herzen Undidors vergällen. Und nun machte Baron Esterhazy alle hitzigen Debatten zunichte. Es dauerte einem Moment, bis die Ritter begriffen, dass einer der ihren den Gorderley begrüßt hatte und sie ihm die Aufnahme in die Gemeinschaft der Halle kaum noch verwehren konnten.

Esterhazy bewies eine verblüffende Fähigkeit, Offensichtliches einfach nicht wahrzunehmen und verbeugte sich kurz vor dem Fürsten. „Ich habe meinen Tisch hier vorn, wollt Ihr Euch dazu setzen?“

Bevor Roman antworten konnte, stand plötzlich ein weiterer Ritter neben ihnen. „Stefan, das ist ja widerlich, wie du dich anbiederst, hast du denn gar kein Ehrgefühl mehr im Leib!“

Roman zuckte zusammen. In Gorderley hätte eine solche Beleidigung ein Duell auf Leben und Tod nach sich gezogen, an Ort und Stelle, aber der Baron blieb ruhig. Für einen winzigen Moment erschien in seinen Augen ein harter Glanz, bevor er sich dem Sprecher zuwandte. Seine Stimme klang freundlich: „Du redest ein wenig unüberlegt, Reinhold.“

„Das sollte ich von Dir sagen. Nicht genug, das du diesem....diesem...diesem Gorderley die Halle öffnest, holst du ihn noch an den Tisch!“ In direkter Gegenwart des Fürsten vermied der erregte Ritter mit Mühe eine offene Beleidigung. „Ich setzte mich jedenfalls nicht mit einem Rebellen zusammen, nicht mit Ihm!!“

Stefan Esterhazy hatte sich fast unmerklich so gedreht, dass er nun zwischen Reinhold und dem Fürsten stand. Roman ließ nur ungern seine Kämpfe durch andere austragen, aber einerseits würde die Situation eskalieren, wenn er sich einmischte und andererseits machte der Baron nicht den Eindruck, eine Einmischung zu wünschen, also schwieg er und wartete ab.

„Graf Reinhold, Ihr seid mir immer willkommen, wenn es Euch beliebt. Aber wen ich an meinen Tisch einlade, müsst Ihr schon mir überlassen“, entgegnete Esterhazy förmlich. Graf Reinhold fuhr zurück. Vielleicht hatte er wirklich nicht geglaubt, dass der junge Baron bei seiner Entscheidung bleiben würde. „Du Ihrst mich, Stefan? Ich warne dich, wir sind geschiedene Leute wenn du dich dem Fürsten weiter an den....“ „Das ist genug. Ich bedaure, dass Ihr die Dinge so seht, aber ich halte Euch nicht auf“, fiel Esterhazy ihm ins Wort, „ich bitte Euch, meine Gäste zu respektieren, Graf Reinhold.“

Für Roman war unbegreiflich, wie Esterhazy sich so fortgesetzt beleidigen lassen konnte. Der Graf stand zwar höher im Rang, aber auch in Brandai war das sicher kein Schutz vor einer Forderung. Er wünschte sich, das Gesicht des Barons zu sehen, denn aus seinem Tonfall konnte man eher ein Gespräch über eine neue Modeerscheinung vermuten, statt eine Auseinandersetzung, die eigentlich nur in einer Ehrenforderung enden konnte. Trotzdem wirkte er keineswegs wie ein Feigling; die Schmähungen schienen einfach an ihm abzuperlen.

„Du...“, wieder ließ Esterhazy den Grafen nicht ausreden: „Ich denke, es gibt dazu nichts mehr zu sagen. Wenn Ihr es Euch anders überlegt, würde ich mich freuen, mit Euch anzustoßen.“ Die Endgültigkeit in der Stimme jüngeren Ritters musste wie ein Schlag ins Gesicht wirken, aber

obwohl er innerlich zu explodieren schien, presste Graf Reinhold die Lippen zusammen, drehte sich um und ging zu einem der kleineren Tische im Hintergrund. Barsch klang der Ruf nach Wein durch die Halle und mit dem Heraneilen eines Dieners kam wieder Bewegung in die Menge. Der Kreis um den Fürsten lockerte sich, einige gesellten sich zu Graf Reinhold, andere zogen sich an nähere Tische zurück und täuschten Desinteresse vor, aber viele blieben einfach stehen und warteten ab.

Esterhazy wandte sich wieder dem Fürsten zu und wies einladend auf den langen Tisch. „Nur der Bereich für die Hungrigen“, sagte er trocken, „und das Essen ist traditionell schlecht.“

Romans Blick flüchtig durch die Halle. Wenn er wollte, konnte er bis zum besten Tisch gehen, er konnte den Grafen Reinhold von seinem Platz aufscheuchen und sogar noch Stefan Esterhazy dorthin einladen. All das stand ihm zu! Einige der Anwesenden wünschten sich wahrscheinlich, dass er genau das tat, aber er willigte mit kurzem Nicken ein und trat an den Tisch des Barons.

„Darf ich Euch einige meiner Freunde vorstellen? Fürst Gorderley, das ist Jonas von Furten“, ein schlaksiger junger Mann verbeugte sich sichtlich nervös vor dem Fürsten: „Freut mich, Euch kennenzulernen.“

Roman registrierte erstaunt, dass ihm keine Feindseligkeit entgegen schlug. Auch die nächsten beiden Männer blieben zwar kühl, aber nicht ablehnend, sondern eher auf eine vorsichtige Weise neugierig.

„Und das ist mein guter Freund Alf Bartholdy“, setzte Esterhazy die Vorstellung fort und deutete auf einen älteren Ritter, der sich bereits wieder am Tisch niedergelassen hatte und keine Anstalten machte aufzustehen. Finster blickte er zwischen dem Baron und dem Fürsten hin und her. „Du verlangst eine Menge von deinen Freunden“, grollte er. „Mein Vater starb in Mancafell. Aber vielleicht war das ja noch eine Gnade. Zwei meiner Kameraden verschwanden nach der Schlacht auf dem Hochfeld. Versklavt!“ Er ballte die Faust und griff dann nach seinem Bierkrug. Alle Augen richteten sich auf Roman, der seine Worte sorgsam abwog. Es gab tausende brandaianische Sklaven in Gorderley, und in den letzten Jahrhunderten waren unzählige Brandai in den Kriegen mit dem Fürstentum gefallen. Er würde überall im Reich auf offene Wunden stoßen. Ruhig wartete er, bis Bartholdy ihn schließlich ansah. „Das Hochfeld war für Gorderley ein schwerer Sieg. Ich verlor einige meiner besten Krieger.“ Jeder wusste, dass er selbst damals die Truppen geführt hatte und niemand sollte glauben, dass er es bereute. Ein Krieg forderte immer Opfer, jeder Ritter wusste, dass er mit dem Tod ritt, wenn er in eine Schlacht zog. Aber er respektierte Bartholdys Wut, die weniger beleidigend als hilflos war. Der Brandai fixierte den Fürsten so lange, dass die Umstehenden unruhig wurden. Nur Esterhazy schien das Schweigen nichts auszumachen, er machte keinerlei Anstalten einzugreifen. Schließlich nickte der Krieger langsam. „Es war Krieg. Und der König meint offenbar, dass mit Euch der Frieden kommt.“

„Ich weiß nicht, was König Melgardon glaubt. Ich habe einen Krieg geführt, den ich für richtig hielt. Das ist für mich vorbei. Ich werde nicht mehr für Gorderley in die Schlacht ziehen.“ Die Worte kamen Roman von selbst über die Lippen, er hatte nicht vor gehabt, sich gegenüber den Brandai überhaupt zu seinen Beweggründen zu äußern, und wenn, dann nicht so früh, aber plötzlich schien es ihm angemessen. Die Neuigkeit schlug wie ein Blitz ein und die umstehenden Ritter starrten ihn ungläubig an, aber Bartholdy blieb unbewegt. „Wer bin ich, dem König zu widersprechen.“ Er hob sein Glas zum Baron: „Ich mag dich, Esterhazy, auch wenn du ein vorlauter Grünschnabel bist. Und deshalb bleibt wohl mir nichts anderes übrig, als deine anderen Bekanntschaften zu akzeptieren.“ Nach einem tiefen Schluck brummte er: „Schlimmer als Furten mit seinem endlosen Gerede kann auch die Gesellschaft des Fürsten von Gorderley nicht sein.“ Die Brandai hatten eine seltsame Art einzulenken. Roman verstand zwar, dass der Ritter ihn akzeptierte, aber es befremdete ihn, schon wieder eine Beleidigung aus der Antwort heraus zu hören. Doch offenbar hatte sich die Spannung am Tisch gelöst, denn es begannen leise Gespräche unter den Rittern. „Bitte setzt Euch doch.“ Esterhazy deutete auf die Bank und wartete, bis der Fürst sich niedergelassen hatte, bevor er gegenüber Platz nahm. „Ich freue mich, dass Ihr es Euch überlegt habt.“

Vergeblich suchte Roman im Gesicht des Barons nach Zeichen von Genugtuung. Schon zweimal hatte er nun den Fürsten zu einem Meinungsumschwung bewegt, aber nichts deutete darauf hin, dass er sich dessen überhaupt bewusst war. Offenbar freute er sich tatsächlich, den prominenten Gast am Tisch zu haben und das Zerwürfnis mit dem Grafen schien schon vergessen.

„Ich hoffe, meine Anwesenheit bringt Euch nicht in Schwierigkeiten“, antwortete er. „Oh ja“, lachte Esterhazy unbeschwert, „das wird es möglicherweise. Aber wahrscheinlich beruhigt sich Reinhold wieder. Ist Euch ein Bier recht? Es ist wirklich gut hier.“ Er winkte einen Diener heran und nahm einen schäumenden Krug von dessen Tablett. „Auf Euer Wohl, Fürst Gorderley.“ Sie stießen an und zu Romans Überraschung hoben einige andere Brandai am Tisch ebenfalls ihre Krüge und tranken mit. In der übrigen Halle begannen die Gespräche aufzuleben und langsam kehrte das normale Abendgetriebe zurück, nur an Esterhazys Tafel blieb die Stimmung gezwungen. Niemand wagte, den Fürsten anzusprechen und so unterhielten sich die Ritter in halblautem Ton, während sie mit kaum verhohlener Neugier dem weiteren Gespräch des Fürsten mit Esterhazy lauschten.

Der Baron winkte erneut einen Diener heran und forderte das Essen an. „Ich fürchte, es wird Euch nicht besonders schmecken, es gibt seit Tagen den gleichen Graupeneintopf“, nahm Esterhazy das Gespräch auf und machte eine ausgreifende Armbewegung: „Was sagt Ihr jetzt zu der Großen Halle?“ Stolz klang in der Frage und der Fürst erlaubte sich ein schmales Lächeln. „Sie übertrifft alle Beschreibungen.“ Er sah sich um und studierte das Gewölbe genauer. Es waren tatsächlich die schmalen hohen Säulen der Galerie, die das Dach hielten. Das Geheimnis musste in den spitzen Bögen liegen, die zugleich auch den Eindruck von Leichtigkeit erweckten, im Gegensatz zu den gewohnten schweren Rundbögen, die das untere Stockwerk trugen und die er aus seiner Heimat kannte. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen und im flackernden Schein der Kerzen und Feuerschalen ließ sich das Gewölbe nur noch schemenhaft erkennen. Dadurch bekam die Halle mit dem hellen warmen Bodenbereich eine geradezu mystische Atmosphäre. Zu beiden Seiten der Halle befanden sich auf mittlerer Höhe zwei große offene Kamine, in denen nun Feuer entzündet wurden. Sie verströmten wohlige Wärme und vertrieben die durch die Oberfenster eindringende Nachtluft. Welch ein Überfluss, um diese Jahreszeit den großen Raum zu heizen!

„Ja, es ist ein beeindruckender Ort“, bekräftigte er noch einmal.

Ein sichtlich nervöser Diener brachte ein Tablett mit mehreren tiefen Tellern Suppe und verteilte sie auf dem Tisch. Esterhazy schob dem Fürsten einen Teller zu und reichte ihm einen Löffel. „Wollt Ihr probieren?“ Roman hatte keine großen Ansprüche an seine Mahlzeiten. Tores Kochkünste waren nicht überragend, reichten ihm aber völlig aus. Der körnige Eintopf auf seinem Teller sah zwar wenig appetitlich aus, aber entsprach durchaus den normalen Mahlzeiten seiner Heimat. Er war sich der zahlreichen Augen bewusst, die jeden Löffel verfolgten, den er zum Mund führte. „Ich habe schon schlechter gegessen“, murmelte er schließlich. Das brach die Spannung und alle begannen durcheinander zu reden. „Ich vermute, Eure Höflichkeit lässt keine andere Antwort zu, Ihr seid außerordentlich nachsichtig“, bemerkte Esterhazy und rührte mit betrübtem Ausdruck in seinem Teller. Fast hätte Roman den Kopf geschüttelt, denn er meinte genau, was er gesagt hatte, doch im gleichen Moment begriff er, dass Esterhazy ihn einfach neckte. Das war ungeheuerlich und er verschluckte sich beinahe. Aber bevor überhaupt Ärger in ihm aufsteigen konnte, legte der Baron seinen Löffel zur Seite, stützte das Kinn auf die Hand und sah ihn treuherzig an. „Ich glaube, Ihr habt hier gar nicht so viele Feinde, wie Ihr glaubt, Fürst Gorderley. Viele Männer sterben beinahe vor Neugierde, Euch aus der Nähe zu sehen. Bitte seid nicht böse, wenn wir uns manchmal im Ton vergreifen. Ihr seid die erste Legende, die wir persönlich kennenlernen.“

„Hätte ich drauf verzichten können“, grummelte neben ihm Bartholdy und zeigte damit, dass er nicht so unbeteiligt vor seinem Bierkrug saß, wie es den Anschein hatte. Esterhazy stieß dem Krieger den Ellbogen zwischen die Rippen und grinste: „Seht Ihr, was ich meine?“ Bartholdy schnaufte nur und murmelte etwas von „wieso ich das mitmache“, doch wirkte er nicht wirklich verärgert.

Roman entschied, dass er für heute genug brandaianische Lebensart genossen hatte und erhob sich. „Ich danke für Eure Gastfreundschaft, Baron Esterhazy.“

Esterhazy sprang auf und schob sich zwischen den Bänken hindurch. „War mir ein Vergnügen“, es gelang ihm, sich in der Enge zwischen den Bänken mit einer eleganten Geste zu verbeugen.

Roman verließ, von unzähligen Augen verfolgt, die Halle und ging durch die Nacht nach Hause. Der Abend war erstaunlich und in vieler Hinsicht lehrreich gewesen. Er war weniger provoziert worden, als er erwartet hatte. Die einzige ernste Situation hatte Esterhazy wirkungsvoll entschärft.

Überhaupt Esterhazy, Roman verlangsamte seinen Schritt, um sich die ganze Situation noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Der Baron hatte ihm zweifellos einen großen Dienst erwiesen. Er fragte sich, welches Ziel er verfolgte. Es war Esterhazy nicht gleichgültig gewesen, als der Graf ihn der Liebdienerei bezichtigte, aber warum bot er tatsächlich dem völlig einflusslosen Fürsten seine Unterstützung an?

Roman von Gorderley runzelte die Stirn. Es war sehr leicht, den jungen Mann zu mögen. Er hatte sich von Esterhazys jungenhafter Unbekümmertkeit täuschen lassen, aber hinter der verspielten Fassade verbarg sich ein scharfer Verstand und ein starker Charakter. Womöglich stellte er auch noch andere Qualitäten unter den Scheffel. Noch einmal würde er ihn nicht unterschätzen.

Eldorad

Подняться наверх