Читать книгу Wie geht es der Erde? - Petra Pinzler - Страница 11
Оглавление»MENSCHEN, KÜMMERT EUCH DARUM!«
Soll die Hälfte der Erde zum Naturschutzgebiet werden, oder hilft eine Kohlenstoff-Steuer? Zwei Biologen, die die Welt auf unzähligen Expeditionen erforscht haben, debattieren über Lösungen
EIN INTERVIEW MIT EDWARD O. WILSON UND ANTJE BOETIUS
DIE ZEIT: Frau Boetius, Herr Wilson, Sie haben beide viele Jahre Erfahrung in der Feldforschung. Sie sehen die Zerstörung der Natur mit eigenen Augen und suchen nach Strategien gegen den Verlust der biologischen Vielfalt. Sie, Herr Wilson, haben vorgeschlagen, die Hälfte der Erde der Natur zu überlassen …
Antje Boetius: … dazu habe ich gleich einmal eine Frage: Wo bleibt bei dieser Idee der Mensch? Denken Sie ihn als Teil der Natur?
Edward O. Wilson: Natürlich sind wir ein Teil des Ökosystems. Doch Menschen gibt es noch nicht lange, gerade einmal 300.000 Jahre, und erst vor rund 50.000 Jahren haben wir begonnen, den gesamten Planeten zu besiedeln – gemessen am Alter vieler anderer Arten ist das ein Wimpernschlag. Der Mensch ist eine Pionier-Art, die alle Lebensräume erobert, andere Arten verdrängt, Habitate zerstört. Aber wir sind weit davon entfernt, unsere Wirkung bei der Zerstörung der Erde genau zu verstehen. Wir kennen ja noch nicht einmal den Großteil der Arten auf dieser Welt.
ZEIT: Wenn wir so wenig wissen, woher wollen Sie wissen, wann wir das Richtige tun?
Boetius: Dieses Argument kenne ich aus Debatten mit Politikern oder Vertretern der Industrie. Das Problem ist, dass wir mit dem Handeln nicht warten können, bis wir alles wissen. Dazu fehlt uns die Zeit. Forschen und Handeln müssen zeitgleich passieren.
Wilson: Es ist wie in der Medizin: Wir wissen auch heute nicht alles über Lungenkrebs, aber wenn jemand daran erkrankt ist, behandeln wir ihn. Genauso ist es mit dem Umweltschutz. Wir wissen ja, wie wir Ökosysteme vor der Zerstörung bewahren: indem wir sie in Ruhe lassen.
ZEIT: Sie wollen dazu die Hälfte der Erde unter Schutz stellen. Das klingt, mit Verlaub, ziemlich ambitioniert.
Wilson: Als ich diese Forderung veröffentlicht habe, bin ich davon ausgegangen, dass ich massiv angegriffen werde. Das Gegenteil ist passiert. Ich war verblüfft, wie schnell mein Ansatz angenommen wurde. Umweltschützer sind hungrig nach einer großen Mission. Auf der Welt gibt es viele Tausende von Naturschutzprojekten. Ich kenne mich aus und weiß von dem Schweiß, den Tränen und sogar dem Blut, mit dem selbst kleinste Projekte erkauft sind. Wir sollten eigentlich immer mehr Gebiete schützen, aber das Gegenteil passiert, wir werden langsamer und langsamer. Es sieht überhaupt nicht gut aus. Deshalb habe ich dieses Ziel ausgegeben: Lasst uns die Hälfte der Erde zu einem Schutzgebiet machen. Damit könnten wir 85 Prozent aller Arten auf dem Planeten retten.
Boetius: Wenn ich diesen Vorschlag zu Ende denke, sehe ich allerdings sofort einen Konflikt: Die Menschheit, gerade in ärmeren Regionen, drängt sich auf einem Teil des Planeten und will an die reichhaltigen Ressourcen der anderen Hälfte. Halten Sie Ihren Vorschlag wirklich für realistisch?
Wilson: Das ist die ultimative Frage: Ist es möglich, eine idealistische Vorstellung von der Welt zu erreichen, in der die belebte Umwelt tief im Glaubenssystem der Menschen verwurzelt ist, genau wie der fundamentale Glauben an die Nation oder die Kultur, genau wie die Religion? Ihren Teil der Welt zu retten müsste für die Menschen so wichtig werden, wie es für manche selbstverständlich ist, sonntags in die Kirche zu gehen.
ZEIT: Wie soll das erreicht werden?
Wilson: Mir fallen ein paar Sachen ein, aber mich interessiert zuerst Ihre Antwort.
ZEIT: Ich glaube, dass dieser Bewusstseinswandel mit etwas sehr Einfachem anfängt: damit, dass man die Natur mit ihren Wundern und ihrer Schönheit ganz unmittelbar erlebt.
Wilson: Darf ich etwas aus der Bibel zitieren, aus der Genesis? Da heißt es: »Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels.« Wir brauchen einen Platz in der Wissenschaft, der die Geschichte der Schöpfung feiert. In meiner Vorstellung von einem idealen System gibt es einen quasireligiösen Respekt vor der Umwelt, dem Land, auf dem wir leben, und vor dem Planeten an sich.
Boetius: Ich bin da skeptisch. Glaubenssysteme sind flexibel und verletzlich, manchmal gefährlich, deswegen würde ich lieber von den realen Werten der Natur sprechen und von den Regeln, die wir brauchen, um sie zu schützen. Das ist ein Unterschied. Es gab ja schon menschliche Kulturen, die nach dem Prinzip gelebt haben, nur das Nötigste von der Natur zu nehmen. Aber sie sind verschwunden, weil ihr Gedankensystem nicht mit dem Wachstumsprinzip unseres kapitalistischen Systems vereinbar war.
ZEIT: Es gibt Versuche, den Wert von Natur zu messen. Wenn wir lernen, was ihre Leistungen wert sind, hören wir auf, sie zu zerstören?
Wilson: Ich war eine Weile lang begeistert vom Konzept der Bioökonomie, ich habe zu all diesen ehrgeizigen Wirtschaftsbossen gesagt: Rettet die Umwelt, und ihr bekommt sehr viel zurück, ein Einkommen, mit dem ihr nie gerechnet hättet. Mittlerweile habe ich verstanden: Der Vielfalt des Lebens einen Geldwert zu geben ist ein sicherer Weg, sie zu töten.
Boetius: Stimmt, denn bei sehr vielen Arten und Lebensräumen funktioniert dieses Argument leider nicht. Wenn ich im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit gegen Tiefseebergbau argumentiere, kann ich keinen direkten ökonomischen Nutzen der Würmer und Seegurken am Meeresgrund dagegenhalten. Trotzdem müssen wir auch die Tiefsee schützen – auf der Grundlage des generellen Werts von Natur. Und dazu brauchen wir harte Regeln.
ZEIT: Der Natur ihren intrinsischen Wert zurückzugeben klingt zwar wirksam. Ein solcher Bewusstseinswandel wäre allerdings extrem langsam. Sollten wir wirklich darauf bauen, dass die Menschheit erst neue Werte verinnerlicht, um die Umwelt zu retten?
Boetius: Ich denke seit einiger Zeit darüber nach, ob nicht der schnellste Weg zum Artenerhalt ist, endlich damit aufzuhören, fossile Brennstoffe so billig bereitzustellen und zu verbrauchen. Billige Energie ist eng verknüpft mit dem Verlust von Lebensräumen und Arten und die Ursache für den Klimawandel. Wir gehen so zerstörerisch mit dem Land und den Meeren um, weil es so billig ist, aus Regenwald Ackerfläche zu machen und die Meere leer zu fischen. Deswegen bin ich dafür, den Verbrauch von und die Schäden durch fossile Brennstoffe zu besteuern und Subventionen zu stoppen, wo sie Umweltschäden erzeugen.
Wilson: Ich hoffe, Sie haben recht damit, dass man mit Steuern das Problem der billigen Energie in den Griff bekommt. Hier in den USA ist die ökonomische und individuelle Freiheit des Einzelnen fundamental. In der Geschichte des Landes war es stets eine geheiligte Annahme, dass wir uns an den natürlichen Ressourcen bedienen können, damit es uns und unseren Familien gut geht. Diese Annahme wird nicht hinterfragt, was es Leuten wie Donald Trump leicht macht zu sagen: Klar, Leute, wir wollen die wertvollsten Mischwälder der Welt nicht kahl schlagen, aber leider liegt darunter die Kohle, und die ist immer noch wichtig, weil sie so billig Energie liefert.
ZEIT: Dabei haben die USA den modernen Naturpark erfunden.
Wilson: Ja, und der letztendliche Grund, unsere Umwelt zu schützen, ist, dass sie uns hervorgebracht hat. Sie ist unser Erbe. Wir sollten genauso wenig Land zerstören wie Kunstmuseen niederbrennen – abgesehen davon, dass man Kunstmuseen leichter wieder aufbauen könnte. In den USA hatten wir Anführer mit mutigen Visionen, die große Teile des Landes unter Schutz gestellt haben. Heute sind diese Nationalparks Teil des fundamentalen Wertesystems der Amerikaner.
ZEIT: Die Industrieländer konsumieren am meisten Öl, Kohle und Gas, am stärksten leiden Entwicklungsländer unter den Folgen. Es gibt ein globales Gerechtigkeitsproblem. Je größer die Wohlstandsunterschiede in einem Land, desto eher lohnt es sich für einen Bauern, einen Wald abzuholzen. Müssten Sie das Problem der Armut nicht mitdenken?
Boetius: Ja, mit einer Kohlenstoff-Steuer – wie sie zum Beispiel in der kanadischen Provinz British Columbia und in Norwegen eingeführt wurde – tut man genau das. Zum einen wird der Ausstoß von Emissionen teurer – und damit alternative Energie lohnenswerter –, zum anderen kann man die Steuereinnahmen für den Umweltschutz verwenden oder um die soziale Ungerechtigkeit durch die Verteuerung von Energie auszugleichen. Solche Ungerechtigkeiten sind immer die Basis für Konflikte, auch beim Klima- oder Umweltschutz.
Wilson: Das stimmt, es bräuchte aber sehr viele Kompromisse und eine politische Einigung.
ZEIT: Herr Wilson, warum glauben Sie eher an das Umdenken des Einzelnen als an ein Umdenken der Politik?
Wilson: Natürlich brauchen wir mutige Politiker, die so eine globale Bewegung anführen. Und in einem idealen System hätten sie auch eine klare Vorstellung davon, was nötig ist, um die Umwelt zu schützen. Sie würden Naturschutz als Grundlage einer funktionierenden Regierung begreifen und Arten und Ökosysteme als Teil von dem, was ihr Land ausmacht. Wir brauchen aber auch reiche Individuen, die die nötige Forschung fördern. Es gibt 180 Milliardäre in den USA, wir bräuchten nur ein oder zwei …
Boetius: Wir müssen die Gesellschaft verändern, selbst wenn eine Kohlenstoff-Steuer kommt. Das wird nicht einfach. Genauso wenig übrigens, wie die Hälfte der Erde einzuzäunen. Sie haben für unsere Erde einmal die Metapher eines Raumschiffs gebraucht, Herr Wilson. Es gäbe wohl erhebliche Konflikte, wenn man die Hälfte der Decks für die Crew schließen würde, die auf der anderen Seite ein karges Auskommen hat?
Wilson: Ich sage nicht: Macht die Hälfte der Erde zu einem Reservat, und verjagt die Leute daraus. Sondern: Menschen, die ihr da wohnt, kümmert euch darum! Sodass innerhalb dieser geschützten Zonen die Vielfalt des Lebens oberste Priorität hat.
Boetius: Ich sehe das Problem, dass der Reichtum westlicher Länder historisch auf der Ausbeutung ärmerer Länder beruht und auch auf Sklaverei und Kolonialismus. Wir haben global Schulden gemacht an Mensch und Natur, und diese Schulden behindern die nachhaltige globale Entwicklung, denn andere Länder haben aufzuholen. Die Ungleichheit zu überbrücken muss also Teil eines Konzeptes sein, den Planeten zu retten. Auch deswegen halte ich die Kohlenstoff-Steuer für eine gute Idee. Man hätte sofort Geld, mit dem man arbeiten kann.
ZEIT: Eine Kohlenstoff-Steuer richtet sich in erster Linie gegen den Klimawandel. Wie soll sie dem Flachlandtapir helfen, dessen Überlebenschancen sich verschlechtern, weil sein Regenwald gefällt wird?
Boetius: Warum gibt es denn einen derartigen Hunger nach Land, nach Regenwald? Es ist unglaublich, auf Satellitenaufnahmen zu verfolgen, in welchem Maße die Abholzung voranschreitet. Ich habe das gerade in Brasilien gesehen. Wenn man weiß, dass global mehr als ein Drittel der Agrarproduktion benutzt wird, um Tiere zu füttern, ein weiteres Drittel weggeworfen wird und wir am Ende höchstens ein Drittel essen, merkt man: Eigentlich ist das Problem ein anderes. Wir können uns all das erlauben, weil die Energie, um Dünger zu produzieren und Fleisch durch die Welt zu transportieren, so billig ist.
ZEIT: Menschen zeichnet aus, dass sie für die Zukunft planen können. Trotzdem sind wir bis heute dabei, den Planeten zu zerstören und damit künftigen Generationen die Zukunft zu verbauen. Brauchen wir neue Menschen für eine bessere Erde?
Wilson: Wir sind die einzige denkende Spezies. Wir müssen über die Zukunft entscheiden. Deswegen müssen wir bei den Jüngsten anfangen. Jedes Schulkind sollte die wichtigsten Fakten kennen. Dass der Mensch die Aussterberate tausendfach beschleunigt hat, dass wir die Treiber für den Habitatverlust, für Verschmutzung, Überbevölkerung, invasive Arten und Übernutzung sind.
Boetius: Der Klimawandel kommt noch hinzu, und hinter jedem dieser Faktoren steht der ungerechte Verbrauch natürlicher Ressourcen. Wir können nicht warten, bis sich ein globaler Bewusstseinswandel einstellt, wir brauchen eine Abkürzung. Und deshalb bin ich für eine sofortige Umstellung des Energiesystems.
ZEIT: Rechnen Sie mit Gegenbewegungen?
Boetius: Wir sprechen hier über eine erhebliche Transformation. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass alle Regierungen und Mächte darüber glücklich sind, vor allem jene nicht, die vom derzeitigen System profitieren. Es wird erheblichen Widerstand geben. Aber ohne schnelle Lösungen gibt es ebenfalls Probleme: ausgelöst durch jede Menge Elend, durch Massenmigration von Menschen, die ihre Heimat, ihre Umwelt verlieren.
ZEIT: Zehn bis elf Milliarden Menschen sollen 2100 auf der Erde leben, dazu steigt das Konsumniveau. Fast überall, wo es wertvolle Ökosysteme gibt, stehen diese unter Druck. Mal ehrlich: Haben Sie beide noch Hoffnung?
Boetius: Ich verbiete mir Pessimismus. Ich denke lieber über Lösungen nach. Am Ende ist der Mensch die verletzlichste Spezies von allen, für ihn geht es um alles. Die Zerstörung wird, wenn wir so weitermachen, furchtbar sein und auch furchtbar unfair für künftige Generationen. Ich wünsche mir, dass wir dem Weg der Vernunft folgen. Da spielt die Wissenschaft eine große Rolle.
Wilson: Sie haben recht, das Bevölkerungswachstum ist ein riesiges Problem, und deshalb müssen wir massiv in die Bildung von Frauen in Entwicklungsländern investieren, damit dort die Geburtenraten zurückgehen. Ich bleibe trotzdem optimistisch. Die Menschheit hat im vergangenen Jahrhundert zwei furchtbare Weltkriege überstanden, hat nach dem Ende des Kommunismus eine gigantische soziale Transformation in großen Teilen der Welt hinter sich. Warum sollten wir keinen Ausweg aus dieser Krise finden? Eine Art, die zum Mond fliegen kann und wieder zurück, ist fähig, die nötige Wissenschaft zu betreiben und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Edward O. Wilson, Ökologe
E. O. Wilson, geboren 1929, gilt als einer der wichtigsten Biologen unserer Zeit. Er ist seit mehr als 60 Jahren Professor für Zoologie an der Harvard University und forscht zu Umwelt, Tierverhalten, Evolution und Biodiversität. Wilson hat mehrere große Umbrüche im Fach Biologie entscheidend vorangetrieben und bekam zweimal den Pulitzer-Preis verliehen.
Antje Boetius, Meeresbiologin
Die deutsche Tiefsee- und Polarforscherin Antje Boetius, geboren 1967, leitet das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, in Bremerhaven. Die Biologin zeigte in ihren Forschungarbeiten, welchen Einfluss Tiefsee-Mikroben auf das Weltklima haben und wie der Klimawandel das Tiefseeleben verändert. Boetius gewann im Oktober Europas höchstdotierten Umweltpreis.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE FRITZ HABEKUSS