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FÜR MICH IST SUDAN NICHT TOT

Als er im März 2018 starb, war Sudan der letzte Nashornbulle seiner Art. Doch der Berliner Tierarzt und Forscher Thomas Hildebrandt hat noch Pläne mit ihm

EIN INTERVIEW MIT THOMAS HILDEBRANDT

DIE ZEIT: Herr Hildebrandt, am 19. März 2018 wurde Sudan eingeschläfert, das wohl bekannteste Nashorn der Welt. Wussten Sie schon vorher Bescheid?

Thomas Hildebrandt: Ja, etwa 14 Tage vorher.

ZEIT: Jetzt, wo Sudan tot ist …

Hildebrandt: Für mich ist Sudan nicht tot.

ZEIT: Wie bitte?

Hildebrandt: Sein Herz ist stehen geblieben, ja. Aber seine Zellen leben noch. Es wurden Hautproben entnommen nach seinem Tod, es gibt auch Sperma von ihm. Und solange noch biologisches Material von Sudan da ist, ist er nach meiner Definition auch noch nicht tot.

ZEIT: Er war der letzte männliche Vertreter der Nördlichen Breitmaulnashörner. Wieso wurde er überhaupt eingeschläfert?

Hildebrandt: Diese Entscheidung hat man sich nicht leicht gemacht in Kenia, Sudan ist schließlich eine Ikone des Artenschutzes. Aber er war 45 Jahre alt und schwer krank. Er konnte nicht mehr aufstehen, und durch sein hohes Gewicht hatten sich bereits Liegebeulen gebildet. Er hat sehr gelitten. Es war richtig, ihn zu erlösen.

ZEIT: Sudan wurde in Kenia von bewaffneten Rangern rund um die Uhr bewacht. 2018 hat er ein Profil auf der Dating-Plattform Tinder bekommen, mit der Aktion sollten Spenden gesammelt werden.

Hildebrandt: Das öffentliche Interesse und die Anteilnahme an seinem Schicksal waren enorm. Die Menschen haben ein Interesse daran, was mit unserem Planeten passiert.

ZEIT: Jetzt gibt es nur noch zwei Nördliche Breitmaulnashörner, Fatu und Najin. Beide in einem Reservat in Kenia, zwei Weibchen, die nicht mehr trächtig werden können. Trotzdem wollen Sie diese Unterart noch retten. Wie?

Hildebrandt: Indem wir Fatu und Najin Eizellen entnehmen und diese dann im Labor befruchten. Die Embryonen sollen Südlichen Breitmaulnashornkühen eingepflanzt werden, die als Leihmütter die Nashornkälber austragen.

ZEIT: Das klingt wahrscheinlich nur für Laien ganz einfach. Wie viel Entwicklung steckt darin?

Hildebrandt: Mein Team arbeitet an diesem Projekt seit 2015, und wir haben seitdem 25-mal Eizellen bei Südlichen Breitmaulnashornkühen entnommen, haben das Verfahren erprobt und verbessert. Das war eine große Herausforderung, weil es noch nie gemacht wurde.

ZEIT: Haben Sie es denn inzwischen geschafft, Embryonen zu produzieren?

Hildebrandt: Unser italienischer Kollege Cesare Galli, ein Spezialist für künstliche Befruchtung bei Rindern und Pferden, hat in seinem Labor Nashorn-Embryonen erzeugt, die man einer Leihmutter einsetzen könnte.

ZEIT: … vom Südlichen Breitmaulnashorn?

Hildebrandt: Das war der erste Schritt. Im zweiten hat er Hybride aus Eizellen vom Südlichen und Sperma vom Nördlichen Breitmaulnashorn erzeugt. Wir hatten ja von drei Bullen Sperma eingefroren, insgesamt 300 Milliliter.

ZEIT: Als wir Sie 2016 begleitet haben, hieß es: Gelänge es, Embryonen in der Petrischale zu produzieren, so dürften Sie auch bei Fatu und Najin Eizellen entnehmen. Warum haben Sie das noch nicht getan?

Hildebrandt: Tja, warum … Wir sind auch sehr frustriert darüber. Zwar gehören die beiden Nashornkühe dem tschechischen Zoo Dvůr Králové, und der ist auf unserer Seite. Aber erst wenn der Kenya Wildlife Service die Ausfuhr biologischen Materials genehmigt, können wir Najin und Fatu Eizellen entnehmen und diese dann nach Italien ins Labor zu Cesare bringen.

ZEIT: Tiefkühlsperma, Retortennashornbabys, Leihmutterschaft – ist das nicht total verrückt, vollkommen unnatürlich?

Hildebrandt: Das Nördliche Breitmaulnashorn hat nicht in der Evolution versagt, wir sehen hier keinen natürlichen Aussterbeprozess. Sein Horn ist einfach in Asien so begehrt und sein Körper nicht kugelfest.

ZEIT: Aber Jahr für Jahr sterben viele Tausend Arten aus. Unzählige mehr sind vom Aussterben bedroht. Warum da all dieser Aufwand für das Nördliche Breitmaulnashorn?

Hildebrandt: Klar, wir könnten uns natürlich auch um den Spix-Ara und den Kalifornischen Schweinswal kümmern. Die sind auch sehr bedroht. Aber das ist nicht unsere Ausrichtung, wir sind Spezialisten für Großtiere, haben auf diesem Gebiet 30 Jahre Erfahrung. Und ich finde es einfach nicht gerecht, dass diese Tierart von unserem Planeten verschwindet.

ZEIT: Wenn nun bei der Eizellentnahme bei Najin und Fatu etwas schiefgeht …

Hildebrandt: … haben wir sie umgebracht. Wenn mit den Tieren etwas passiert, das ist dann die Apokalypse.

ZEIT: Aber das Risiko gehen Sie ein?

Hildebrandt: Das gehen wir ein. Weil die Lage mit jedem Tag dramatischer wird. Es ist ja nicht so, dass wir dort zwei junge Tiere haben. Uns läuft einfach die Zeit weg.

ZEIT: US-Forscher haben kürzlich überlegt, ob sie doch noch versuchen sollten, Fatu und Najin künstlich zu besamen, um ihnen zu Nachwuchs zu verhelfen. Wäre das nicht weniger riskant?

Hildebrandt: Die beiden Tiere sind eindeutig nicht in der Lage, natürliche Schwangerschaften auszutragen. Ich habe sehr klar gesagt, was ich von der Idee halte.

ZEIT: Wenn Sie nun morgen einen Anruf bekommen und es aus Kenia grünes Licht gibt, was passiert dann?

Hildebrandt: Dann buche ich sofort einen Flug. Wir entnehmen dann im Reservat die Eizellen, diese sind zwei Tage unterwegs nach Italien, werden dort befruchtet. Dann brauchen die Embryone zehn Tage im Labor, um sich zu entwickeln. Dann würde man sie einfrieren und die Leihmütter entsprechend vorbereiten. Denn wir brauchen für den Transfer eine synchrone Rezipientin.

ZEIT: Eine was?

Hildebrandt: Eine Leihmutter muss genauso lange scheinträchtig sein, wie ein Embryo alt ist. Das heißt, ihr Körper muss hormonell schon auf die Schwangerschaft vorbereitet werden.

ZEIT: Wäre der Bulle Sudan eigentlich im Erfolgsfall der Vater?

Hildebrandt: Nein, der ist ja verwandt mit den beiden Kühen! Sudan ist der Vater von Najin und der Großvater von Fatu. Wir nehmen eingelagertes Sperma anderer, inzwischen ebenfalls toter Bullen.

ZEIT: Und wofür soll dann Sudans Material – Sie sprachen von Hautproben – verwendet werden?

Hildebrandt: Daraus könnten eines Tages Stammzellen gezüchtet werden. Und aus denen wiederum Eizellen und Spermien …

ZEIT: … für mehr genetische Vielfalt bei künftigen Nashornbabys aus der Retorte?

Hildebrandt: Das ist ein Weg, wie das Nördliche Breitmaulnashorn noch gerettet werden könnte.

ZEIT: Wie sieht es eigentlich mit der finanziellen Unterstützung für Ihre Forschung aus?

Hildebrandt: Schlecht. Die Kosten für die Instrumente und unsere Reisekosten werden vom Zoo Dvůr Králové finanziert, dem die Tiere gehören. Ansonsten versuchen wir seit Jahren, Gelder zu bekommen für unser Projekt. Gerade warten wir auf die Entscheidung über einen Antrag beim Bundesministerium für Bildung und Forschung.

ZEIT: Sudan war ein Symbol. Prominente reisten nach Kenia, um sich mit ihm fotografieren zu lassen. Die Nachricht von seinem Tod im Frühjahr 2018 ging um die Welt. – Bei so viel Anteilnahme müsste es doch ein Leichtes sein, Geldgeber zu finden.

Hildebrandt: Das sollte man denken. Ich kann es auch nicht verstehen. Besonders wenn man dann hört, welche Ressourcen verwendet werden für irgendeinen Schwachsinn … Es wird darüber geredet, dass man das Mammut im Labor wiederauferstehen lässt. Das Mammut! Das ist längst ausgestorben. Aber eine Tierart zu retten, die noch da ist und die noch eine Chance hätte? Das kriegen wir nicht hin.

ZEIT: Hatten Sie eigentlich mal einen Moment, wo Sie gesagt haben: Ich hab die Nase voll, das wird nichts mehr?

Hildebrandt: Eigentlich nicht. Ich bin beseelt von diesem Projekt. Klar, man sollte sich nicht alles schönreden. Aber es funktionierte doch so gut. Das ist ein extremer Motor. Irgendwie will diese Tierart gerettet werden. Wir müssen jetzt nur endlich nach Kenia fliegen.

Thomas Hildebrandt arbeitet am Leibniz-Institut für Zoound Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e. V. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Reproduktionsmanagement, der Fortpflanzung von Tieren, dem bildgebenden Verfahren und der Altersforschung.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE NICOLA MEIER

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