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VORWORT: »VON KOHLE UND KÜHEN«

Den Menschen geht es gut, der Erde schlecht. Wir müssen sie retten. Wir können sie retten

VON ANDREAS SENTKER

Schwarz. So könnte man den Zustand der Erde symbolisch beschreiben. Schwarz glänzend wie jenes letzte geförderte Stück deutscher Steinkohle, das der Reviersteiger Jürgen Jakubeit am 21. Dezember 2018 auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop dem Bundespräsidenten in die Hände legte. Der Sieben-Kilo-Brocken sei »ein Stück Geschichte«, sagte Frank-Walter Steinmeier.

Geschichte mit Folgen. Wenige Tage später wurde das britische Patent Nummer 913 auf James Watts entscheidend verbesserte Dampfmaschine 250 Jahre alt. Zunächst in Europa, dann in den USA, später weltweit hat Steinkohle die Industrialisierung befeuert. In Deutschland hat sie das Wirtschaftswunder angetrieben. Sie hat einige Menschen schwerreich gemacht, sehr viel mehr Menschen hat sie zu Wohlstand verholfen – und die Welt hat sie an den Rand einer Katastrophe gebracht. Denn es sind die Rückstände der fossilen Verbrennung, die das Klima gefährlich aufheizen.

Weiß. So könnte man den Zustand der Erde symbolisch beschreiben. Mattweiß wie das Fell von Alba. Der einzige Albino-Orang-Utan der Welt war im April 2017 in einem Dorf auf Borneo eingesperrt und völlig vernachlässigt in einem winzigen Holzverschlag gefunden worden. Kurz vor Weihnachten 2018 wurde die weiße Affendame im Nationalpark Bukit Baka-Bukit Raya wieder ausgewildert. Jetzt wird das seltene Tier wegen seines auffallenden Äußeren von Wildhütern beschützt.

Zwischen 70.000 und 100.000 Orang-Utans gibt es noch auf der Erde. Und nicht nur die Gier der Wilderer wird ihnen zum Verhängnis. Ihr Lebensraum schwindet so rasend, dass die Existenz ihrer Art bedroht ist. Quadratkilometer für Quadratkilometer Urwald wird für den Anbau von Ölpalmen vernichtet. Das Öl wandert in Seifen und Pizzen, es steckt in jedem zweiten Fertigprodukt, das wir im Supermarkt kaufen. Kohle und Palmöl schaffen Wohlstand – und massenhaft Probleme.

Das gilt für viele Rohstoffe unseres Fortschritts. Für die Produktion von Eiweiß im Futter für die 27 Millionen deutschen Schweine muss der südamerikanische Regenwald dem Sojaanbau weichen. Das Lithium für die Batterien unserer Elektroautos zerstört in Chile wertvolle Biotope und macht aus Feldern wüstenartige Landschaften, weil für den Abbau extrem viel Wasser nötig ist. Alles hängt mit allem zusammen.

Verbote allein sind keine Lösung. Im Gegenteil: Sie provozieren nur Gegenwehr

Nicht nur in den Industriestaaten, auch in Schwellen- und Entwicklungsländern wächst der Wohlstand – und mit ihm der Konsum. 2016 nutzten schon fast 300 Millionen Afrikaner Smartphones, 2021 sollen es mehr als 900 Millionen sein. In China hat der Verzehr von Fleisch rasant zugenommen und auch der Durst auf Milch. Der größte Milchviehbetrieb der Welt entsteht mit russischer Unterstützung im Nordosten des Landes. 100.000 Kühe sollen in Mudanjiang gemolken werden.

Die gute Nachricht lautet: Der Spezies Homo sapiens geht es besser denn je. Nie zuvor hatten so viele Menschen gleichberechtigten Zugang zu sauberem Wasser, ausreichender Nahrung, medizinischer Versorgung und grundlegender Bildung.

Die schlechte Nachricht: All das hat seinen Preis. Und den zahlt oft die Umwelt. Mehr Fleisch- und Milchkonsum bedeuten: intensivere Land- und Wassernutzung. Der Materialverbrauch für technische Produkte bedeutet: höhere Umweltbelastung beim Abbau von Rohstoffen. Wachsender Komfort im Alltag bedeutet: höheren Energiebedarf für Licht und Heizung, fürs Kochen und Kühlen. Lebten alle Erdenbewohner etwa auf dem Niveau der US-Bürger – die Menschheit bräuchte fünfmal so viele Nahrungs-, Rohstoff- und Energieressourcen, wie die Erde zur Verfügung stellen kann. Für den deutschen Lebensstil bräuchten wir immerhin noch drei Planeten.

Wo ist der Ausweg? Er kann nicht darin bestehen, Chinesen das Fleisch zu verbieten, Afrikanern das Handy und Indern den Kühlschrank. Mag der Ressourcenhunger in diesen Gebieten auch derzeit überproportional wachsen, in Anbetracht der historischen Umweltschuld der Industrienationen haben ihre Bewohner noch jede Menge Kredit.

Außerdem lässt sich mit Restriktionen allein die Welt nicht retten. Angesichts der globalen Wachstumssehnsucht läuft politische Verzichtsrhetorik allzu oft ins Leere. Schon die Andeutung eines gesetzlichen Fleisch-, Flug- oder Fahrverbots kann Gegenwehr provozieren. Wer einmal Wohlstand erlangt hat, will sich seinen Konsumstandard nicht wieder nehmen lassen.

Deshalb ist ein grundlegender Perspektivwechsel nötig: Nicht um Verzicht soll es gehen, sondern um Gewinn – den Gewinn an Lebensqualität, den Luxus klarer Luft und sauberen Wassers, den Genuss vielfältiger und lebendiger Natur. Am Ende geht es auch um den Erhalt unserer vom Klimawandel bedrohten Kultur.

Ein anderer Teil der Lösung klingt zunächst genauso kontraintuitiv. Gerade jene Staaten, die sich schon für Vorbilder halten, müssen ihre privilegierte Lage auch künftig nutzen, um den anderen vorzuleben, was möglich ist. Das heißt: Obwohl die Kunststofftrinkhalme Europas nicht entscheidend zur Belastung der Weltmeere durch Mikroplastik beitragen, ist ihr Verbot doch sinnvoll.

Dass neben den sozialen auch technische Innovationen nötig sind und dass auch hier die Industrienationen vorangehen, investieren und ärmere Staaten subventionieren müssen, ist keine Frage mehr.

Wie groß ist das Problem? Wie sehen Lösungen aus? Diesen Fragen widmet sich dieses Buch. Wir fragen: Wie geht es der Natur? Was wissen wir über das Artensterben? Wie können wir dem Untergang der Vielfalt entgegentreten? Wir haben jeweils zwei ausgewiesene Experten gebeten, darüber zu diskutieren.

In den folgenden Kapiteln widmen wir uns dem Zustand von Klima und Wasser, Boden und Luft. Wir versuchen eine knappe, doch detailreiche Bestandsaufnahme – so objektiv wie möglich. Und wir suchen den konstruktiven Streit um die Zukunft. Denn selten gibt es nur die eine gute Lösung, auf die alle sehnsüchtig hoffen.

Es gibt Hoffnung: Der Egoismus des Menschen ist kein Naturgesetz

Blau. Man könnte die Erde als blau beschreiben. So sah sie der deutsche Astronaut Alexander Gerst von der Internationalen Raumstation aus. »Ich schaue auf euren wunderschönen Planeten«, beginnt er seine Botschaft an die ungeborenen Enkel. »Im Moment sieht es so aus, als ob wir, meine Generation, euch den Planeten nicht gerade im besten Zustand hinterlassen werden.« Nicht erst für Gerst scheint die Erde, aus dem Weltall betrachtet, zerbrechlich zu sein und sehr zart die schützende Hülle der Atmosphäre. 50 Jahre ist es her, dass der Astronaut William Anders den Blauen Planeten hinter dem Mond aufgehend fotografiert hat. Seine Bilder trugen zur Entstehung der Umweltbewegung bei. Aufgenommen aus der Apollo 8. Seither sind Bedrohung des Planeten, Ressourcenverbrauch, Umweltzerstörung um ein Vielfaches fortgeschritten.

Doch mit dem Wohlstand muss nicht auch der Egoismus wachsen. Selbstsucht ist kein Naturgesetz. Im Gegenteil: Wohlstand versetzt uns in die Lage zu handeln. Wir haben die Mittel, durch unseren materiellen Reichtum den natürlichen Reichtum zu bewahren. Was sagte Alexander Gerst an die Enkel gerichtet? »Ich hoffe für euch, dass wir die Kurve noch kriegen.«

Wie geht es der Erde?

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