Читать книгу Vier Pfoten unterm Weihnachtsbaum - Petra Schier - Страница 6
Оглавление1. Kapitel
»Ach, Mutti, was machst du bloß für Sachen!« Kopfschüttelnd schloss Tom Winkmann die Wohnungstür auf und trat beiseite, um seiner Mutter den Vortritt zu lassen. Dann folgte er ihr und sah sich in dem hellen Appartement neugierig um.
»Ist es nicht schön hier?«, fragte Lina Winkmann, ohne auf seine Worte zu reagieren. »Die alten Möbel aus meiner Wohnung gebe ich fast alle an den Secondhand-Laden ab. Und mit dem Rest haben wir dann nicht mehr viel Arbeit. Was meinst du? Ich könnte schon am kommenden Montag umziehen.«
Tom seufzte. »Mutti, du hast gerade einen Herzanfall hinter dir. Willst du dich nicht noch ein bisschen schonen?«
»Ach was, schonen.« Lachend winkte seine Mutter ab. »Ein ganz leichter Anfall war das. So was kommt vor, wenn man auf die Siebzig zugeht. Und hier im Seniorenhaus Lichtblick wird es mir ja an nichts fehlen. Deshalb habe ich mich doch für das betreute Wohnen entschieden, mein Junge. Wie ist es also, hast du nächste Woche ein bisschen Zeit, mir beim Umzug zu helfen?«
»Du gibst ja sonst doch keine Ruhe.« Um Toms Mundwinkel zuckte es. »Also gut, am Montagnachmittag habe ich keinen Unterricht. Das lässt sich also einrichten. Ich frage Leon, ob er auch mithelfen kann.«
»Das habe ich schon erledigt«, sagte Lina mit einem Zwinkern. »Er hat nichts dagegen. Ich hätte ihm und Hannah auch gerne Ruprecht anvertraut, aber sie haben ja schon einen Hund und jetzt, wo Hannah hochschwanger ist, will ich sie nicht zusätzlich damit belasten. Es war schon ausgesprochen lieb von ihnen, Ruprecht zu nehmen, solange ich im Krankenhaus bleiben musste. Aber jetzt ...« Sie wurde wieder ernst. »Ich möchte mein Schätzchen nicht ins Tierheim geben, Tom. Er hat mir fast vier Jahre Gesellschaft geleistet. Du weißt, dass ich ihn als winzigen Welpen bekommen habe. Ich könnte es nicht ertragen, wenn er im Tierheim leiden müsste.«
»Mutti, im Tierheim muss ein Hund nicht leiden.«
»Du weißt schon, was ich meine.« Lina sah ihren Sohn streng an. »Ich würde ihn liebend gerne behalten, aber hier im Haus sind Hunde nicht erlaubt. Nur Hamster oder Wellensittiche.«
Wieder seufzte Tom. Dem unglücklichen Ausdruck, der in die Augen seiner Mutter getreten war, hatte er nichts entgegenzusetzen. Außerdem mochte er den kleinen Jack Russell-Terrier Ruprecht ebenfalls gern. »Ich nehme ihn«, beschloss er und trat an eines der großen Fenster, die zum Stadtpark hinaus zeigten. Die Blätter der Kastanien- und Ahornbäume hatten sich gelb und braun verfärbt, und die Bäume warfen ihr Herbstkleid allmählich ab. Die nachmittägliche Herbstsonne ließ das Laub auf den Gehwegen golden aufleuchten.
»Macht es dir auch wirklich nichts aus, Tom?« Lina trat hinter ihn und legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Wir können ihn ja schließlich nicht einfach abschieben, nicht wahr?« Er lächelte schwach.
Lina blickte nun ebenfalls über den Park hinweg, auf dessen Wegen vereinzelte Spaziergänger zu sehen waren. »Ruprecht ist ein pflegeleichter Hund, das verspreche ich dir. Und er wird dir ein bisschen Gesellschaft leisten. Du bist viel zu oft allein.«
»Mutti.« Tom schüttelte den Kopf. »Ich bin vormittags in der Schule und an zwei Tagen in der Woche auch nachmittags. Da muss ich mir noch etwas einfallen lassen. Vielleicht kann Leon ab und zu nach dem Hund schauen. Ist ja nicht weit von ihm zu mir. Und zweimal wöchentlich trainiere ich die Fußballmannschaft. Von Alleinsein kann da wohl keine Rede sein.«
»Ach, Tom.« Lina gab ihrem Sohn einen flüchtigen Kuss auf die Wange und zupfte ihn spielerisch an seinen blonden Locken, die er im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden trug. »Dir fehlt eine Frau.«
Tom schmunzelte. »Keine Verkupplungsversuche bitte.«
»Mit wem sollte ich dich wohl auch verkuppeln wollen?« Lina tat entrüstet, lachte dann aber. »Du wirst schon noch die Richtige finden. Lass dir mit der Suche aber nicht zu lange Zeit. Sonst sind die besten Frauen irgendwann alle vergeben.«
»Lass das mal meine Sorge sein, Mutti. Wie ist es, soll ich dich jetzt zurück zu deiner Wohnung fahren?«
»Ja, bitte tu das. Aber lass uns vorher noch die Wand im Bad ausmessen, damit ich weiß, ob mein Wäscheschrank dort hineinpasst.«
***
»Komm schon, Lukas, beeil dich! Herr Marbach wird gleich hier sein.« Tessa Lamberti schüttelte das Fußballtrikot ihres neunjährigen Sohnes aus, faltete es und packte es in den Rucksack zu seinen Fußballschuhen. »Was treibst du denn so lange?«
»Ich komm ja schon. Hab nur schnell noch Mathe fertiggemacht.«
»Bist du mit den Hausaufgaben jetzt auch ganz fertig?«
»Ja, Mama.« Leicht genervt verdrehte Lukas die Augen. »Wir hatten heute nur Mathe auf.« Als es draußen vor dem Haus hupte, schnappte er sich seinen Rucksack. »Warum kommst du nicht mal mit zum Training? Das ist total lustig, und du könntest mal mit Tom reden und so. Er ist wirklich cool, Mama.«
»Lukas, du weißt, dass ich heute keine Zeit habe.« Tessa wuschelte ihrem Sohn durch den lockigen Blondschopf, der so wenig Ähnlichkeit mit ihrem eigenen kastanienbraunen Haar hatte, das nur in leichten Wellen auf ihre Schultern fiel. Dann knuffte sie ihn liebevoll gegen den Arm. »Ich muss noch die Abrechnungen für diesen Monat machen und die Lohnabrechnung für Pierre. Er soll doch schließlich pünktlich sein Geld bekommen, oder etwa nicht?«
»Doch, schon.« Lukas zog einen Flunsch. »Aber wenn du nie mit zum Training kommst, schnappt sich irgendwann eine der anderen Mütter Tom. Da sind welche, die sind geschieden und die sind in den Pausen ständig um ihn rum. Die haben Torschlusspanik, sagt Marios Papa. Aber wenn sie so weitermachen, hat eine von ihnen vielleicht Glück, und er geht mit ihr aus. Tom meine ich. Und dann guckst du in die Röhre.«
»Jetzt aber raus mit dir!« Tessa lachte und hielt dem Jungen die Tür auf. Amüsiert blickte sie ihm nach, wie er die Treppe hinabhüpfte und die Haustür aufriss. Augenblicke später hörte sie das Auto von Leon Marbach davonfahren. Sie war froh, dass Lukas so rasch Anschluss gefunden hatte. Erst vor knapp einem halben Jahr war sie in die hübsche Kleinstadt gezogen und hatte kurz darauf ihren Blumenladen eröffnet. Sie hatte ein Ladenlokal gekauft, das nicht nur in einem wunderhübsch restaurierten alten Fachwerkgebäude lag, zu ihrem Glück gab es im oberen Stockwerk auch noch die kleine Zweizimmerwohnung, die sie mit ihrem Sohn beziehen konnte. Auf diese Weise war sie tagsüber immer in der Nähe und konnte ein Auge auf Lukas haben. Und wenn er Sorgen oder ein Problem hatte, war sie immer nur ein paar Treppenstufen von ihm entfernt.
In Mario Marbach hatte er einen Klassenkameraden und Freund gefunden, der ebenso fußballverrückt war wie er selbst. Dass Lukas außerdem so gut mit dem neuen Trainer zurechtkam, war ein weiterer Pluspunkt. Tessa hatte zwar keine Absicht, um diesen Tom herumzuschwänzeln, wie es offenbar einige der anderen ledigen Mütter taten, aber da er nun schon seit Beginn des neuen Schuljahres die Mannschaft ihres Sohnes trainierte, war es wohl an der Zeit, doch einmal zu einem Training mitzugehen. Immerhin war sie ein bisschen neugierig geworden, denn Tom schien großen Eindruck auf Lukas zu machen. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass ihrem Sohn eine Vaterfigur fehlte, an der er sich orientieren konnte. Tessa erzog Lukas seit seiner Geburt allein, sein Vater war fortgegangen, ohne von ihm zu wissen.
Übelnehmen konnte sie ihm das nicht, immerhin hätte sie ihm schreiben und von ihrer Schwangerschaft berichten können. Aber sie hatte es unterlassen, weil sie seinen hochfliegenden Ambitionen nicht hatte im Weg stehen wollen. Er war nach Übersee gegangen, wo man ihm einen mehrjährigen Vertrag als Fußballprofi angeboten hatte. Und das war vermutlich das Einzige, was ihn je mit seinem Sohn verbinden würde: die Liebe zum Fußball. Dabei sollte es, wenn es nach ihr ging, auch bleiben.
Und auch Lukas’ Versuche, sie zu einem Date mit diesem Wundertier von Trainer zu überreden, würde sie tunlichst ignorieren. Eine traurige Erfahrung mit einem Sportler reichte doch wohl. Sie hatte nicht vor, den gleichen Fehler zweimal zu begehen.