Читать книгу Miss Laurels magische Mode - Pharah Seutter von Lötzen - Страница 7
ОглавлениеDrei moderne Hexen
Als Luise am nächsten Morgen in der Schule saß, wog der Brief schwer wie ein Stein in ihrer grün gestreiften Tasche. Eigentlich hatte sie ihn gar nicht mitnehmen wollen, doch gleichzeitig hatte sie ihn nicht guten Gewissens zu Hause lassen können. Nicht, dass ihn noch jemand las.
„Willst du meine Frage nicht beantworten, Luise Morton?“, fragte eine scharfe Stimme mit Nachdruck.
Mrs Baxter blickte streng über den Rand ihrer dunklen Hornbrille und legte die Stirn in Falten. Ihre Absätze klackten über das Laminat, als sie auf Luises Tisch zukam und sich mit den Händen vor ihr abstützte.
„Oder hast du meine Frage gar nicht gehört?“
Ihr Gesicht, das Luise an eine verärgerte Spitzmaus erinnerte, näherte sich bedrohlich Luises, sodass sie zusammenzuckte.
Dann verlor Mrs Baxter das Interesse und wandte sich wieder der Klasse zu.
„Weiß sonst jemand, wie man die Größe des Winkels berechnet?“
In der Pause ging Patricia neben Luise in den Schulhof. Sie hatte helle blonde Haare und war Luises beste Freundin.
„Mathe bei Mrs Baxter ist wirklich jedes Mal eine Prüfung“, bemerkte sie zwischen zwei Bissen von ihrem Pausenbrot.
„Mhm“, machte Luise nur.
„Immer diese Winkel und Seitenlängen von irgendwelchen Dreiecken.“
„Mhm.“
„Und heute hat sie uns wieder fünf Geometrieaufgaben für zu Hause aufgegeben.“
„Mhm.“
Patricia wedelte mit ihrer Handfläche vor Luises Gesicht herum.
„Kannst du mich überhaupt hören? Du bist heute so verträumt, was ist bloß los mit dir?“
„Was?“, schreckte Luise auf.
Es stimmte, was Patricia sagte. Sie war in Gedanken ganz bei ihrem mysteriösen Brief.
Eigentlich erzählte Luise Patricia all ihre Sorgen, aber in diesem Moment war sie sich nicht sicher, ob sie ihr Wissen mit jemandem teilen sollte. Es kam ihr vor, wie ein Geheimnis.
All ihre Gedanken kreisten um diese Onya. Wo war sie? Hatte in dem Brief nicht gestanden, sie sei näher als Luise annahm.
Im Grunde konnte es sich um jeden handeln. Sogar um die schreckliche Mrs Baxter. Auch wenn dies sehr unwahrscheinlich war.
Luise seufzte.
„Ich bin einfach nur müde, Patty“, murmelte sie. Patricia sah sie forschend an.
„Das bezweifle ich.“
Luise wusste, dass ihre Freundin sie zu gut kannte, um ihr diese Ausrede abzukaufen.
„Na gut“, begann sie. „Es ist etwas sehr Merkwürdiges passiert, aber ich weiß noch nicht genau … inwiefern es mich betrifft. Aber ich verspreche dir, ich werde es dir erzählen, sobald ich darüber reden kann.“
Patricia sah in Luises ehrlich dreinblickende Augen und zuckte mit den Schultern.
„Du kannst mir vertrauen. Aber wenn du es aus irgendeinem Grund nicht sagen darfst…“, erwiderte Patricia.
Den Rest des Tages ließ sie Luise in Ruhe, weil sie wusste, dass Luise ihre Gründe hatte, nicht über das zu reden, was sie beschäftigte. Und Patricia wollte sie nicht drängen.
Die letzten Schulstunden zogen an Luise vorbei wie graue Wolken an einem Regentag. Gedankenverloren machte sie sich auf den Heimweg.
Draußen begann es zu regnen, ein frischer, erdiger Frühlingsregen, der Schlamm auf die Straßen spülte.
Luise zog die Kapuze ihres Mantels über den Kopf, als ihr Handy klingelte. Es war ihre Mutter.
„Luise, hör mal, kannst du mir einen Gefallen tun und Silberputzmittel auf dem Nachhauseweg mitbringen?“
„Ja“, gab Luise zur Antwort. „Wo soll ich es denn besorgen?“
„Brick Lane 7“, erklärte Mrs Morton. „Ein ganz unscheinbares Häuschen, in dem ein paar alte Damen Bürsten verkaufen. Wir waren schon einmal dort.“
Luise erinnerte sich dunkel daran.
„Geht in Ordnung“, erwiderte sie, verabschiedete sich von ihrer Mutter und legte auf. Dann schaltete sie das Telefon aus, weil der Akku fast verbraucht war.
Die Brick Lane war eine kleine Seitengasse, die sich ein paar Straßenzüge hinter dem Schulgebäude befand. Die Häuschen dort reihten sich eng und leicht windschief aneinander. Sie waren allesamt in eigenartigen Gelbtönen gestrichen.
Es dauerte eine Weile bis Luise die Nummer 7 fand. Nur ein winziges Blechschild am halb geöffneten Gartentor wies darauf hin, dass hier Waren verkauft wurden. Luise las die geschwungene Inschrift.
Die Pollini Schwestern
Zauberhafte Bürsten und Putzmittel
Luise suchte vergeblich nach einer Türklingel und trat schließlich kurz entschlossen durch den kleinen Garten, der eine merkwürdige Mischung aus gepflegt und verwildert war. Alle möglichen Zierfiguren standen darin, als wären sie in zufälliger Reihenfolge dort abgestellt worden.
Hinter einem Torbogen, von dem ein Windspiel herunterhing, befand sich die Haustür.
„Auch hier keine Klingel“, murmelte Luise.
Sie drückte vorsichtig die Türklinke hinunter. Die Tür war nicht verschlossen und Luise trat zögerlich ein.
Der Gang schien leer, aber er gab den Blick auf ein großes Zimmer an seinem Ende frei. Luise bemerkte, dass es hier nicht aussah wie in einem Laden, sondern wie in einem nicht ganz normalen Wohnhaus.
Ordentlich aufgereiht standen drei Staubsauger neben der Tür und in einem kleinen Vogelkäfig betrachtete sich ein Wellensittich stumm in einem bunten Plastikspiegel.
Luise beobachtete ihn eine Weile aufmerksam.
„Du bist Mrs Mortons Tochter, nicht wahr? Hast dich ganz schön verändert.“
Luise erschrak, als sie die Stimme hinter sich hörte und fühlte sich zugleich ertappt.
Die Person, von der sie kam, war eine ältere Dame mit schneeweißem Haar und einer Brille, die ihr an einer Schnur aus blauen Perlen über die Schultern hing.
„Komm mit, es gibt schon Tee, wir haben dich erwartet.“ Luise folgte der Frau ins Wohnzimmer und beobachtete, wie ihr Kleid aus bunten Stoffstücken bei jedem Schritt hin- und her wippte.
„Woher wussten Sie, dass ich komme?“, fragte Luise erstaunt.
„Ach, Kindchen“, sagte sie nur. „Man hört vieles. Setz dich.“
Die Frau schob einen Stuhl für Luise an den runden Esstisch im Wohnzimmer, auf dem eine geblümte Plastiktischdecke lag. Luise blickte auf einen mit staubigen Dingen vollgestopften Wintergarten und eine Kuckucksuhr, die über der Tür hing.
„Was wünscht deine Mutter?“, vernahm Luise eine weitere Stimme hinter sich, noch während die andere Dame vor ihr Platz nahm und ihr eine Platte mit Marmorkuchen hinschob.
Eine zweite ältere Frau mit blondiertem Haar erschien neben Luise. Sie setzte sich in einen Schaukelstuhl mit grünem, altmodischem Polster und begann zu stricken.
Ihre Figur war etwas rundlicher als die der ersten und Luise konnte nicht sagen, wo die Dame so plötzlich hergekommen war.
„Möchte deine Mutter eine von unseren neuen Bürsten zum Putzen von Telefonhörern oder einen Staubwedel mit weißen Straußenfedern oder unsere neueste Blitzblank-Schuhcreme“, fuhr die zweite Dame in aufgeregtem Tonfall fort und verlor dabei fast eine ihrer Sockenstricknadeln.
„Eigentlich nur Silberputzmittel“, stammelte Luise.
Die Weißhaarige schob ihr eine Tasse hin und goss Tee aus einer Silberkanne mit Schnabel ein.
„Matilda, beruhig dich und lass das Mädchen erst einmal ankommen!“
Eine dritte Frau stand urplötzlich im Türrahmen, diese etwas jünger, als die beiden anderen. Ihre Kleidung mutete eleganter und weniger bunt an. Sie schien eine sehr resolute Art zu besitzen.
„Ihr beiden wart schon wieder unhöflich und habt das Mädchen verschreckt“, tadelte sie.
Sie machte ein paar Schritte auf Luise zu und reichte ihr die Hand.
„Darf ich mich vorstellen? Ich bin Agata Pollini und wie du lesen konntest, sind wir die Pollini Schwestern.“
„Das ist Diana“, sagte Agata und zeigte auf die Weißhaarige mit Brille. „Und die Blonde dort drüben, das ist Matilda.“
Matilda nickte langsam, als sie ihren Namen hörte.
„Du bist auch unhöflich und stellst dich immer zuerst vor“, murmelte sie.
Dafür bekam Matilda einen scharfen Blick von Agata und schwieg, um sich eingeschnappt wieder ihrem Strickzeug zuzuwenden.
In dieses Schweigen sprang der Kuckuck aus der Uhr und begann zu krähen. Luise wurde plötzlich bewusst, dass es bereits fünf Uhr war und sie schon längst zu Hause sein sollte.
„Iss etwas“, sagte Diana und schob ihr den Marmorkuchen hin. „Du hast den ganzen Tag noch keine Mahlzeit gehabt.“
„Ich habe gegessen“, erwiderte Luise vorsichtig.
„Aber nichts Richtiges“, widersprach Diana.
Schnell vertilgte Luise ihr Kuchenstück, um nicht unhöflich zu sein, während Diana viel zu viele Zuckerstücke in ihren Tee warf, die die Form der Symbole auf Spielkarten hatten.
„Karo, Herz, Pik, Kreuz“, sagte Luise laut. „Ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen.“
Sie kam sich dabei schon fast ein bisschen merkwürdig vor, aber vielleicht färbte die Umgebung mit der Zeit ab.
„Ist schon gut, wir wissen ja, dass du Luise heißt“, sagte Agata.
„Du interessierst dich für Kartenspiele?“, warf Matilda ein. „Ich habe da etwas für dich.“
Sie holte einen Satz Spielkarten aus einer geschnitzten, braunen Holzschatulle und hielt sie Luise hin.
„Zieh eine Karte.“ Luise gehorchte. Es war die Pik Ass.
„Und jetzt?“, fragte Luise.
„Sieh unter deinem Teller nach“, meinte Agata.
Luise hob ihren Teller an und fand darunter die Karte zwischen Kuchenkrümeln.
Verwundert blickte sie die drei Damen an. Wie war das nur möglich?, dachte Luise.
Als wollte Matilda die Frage beantworten, zuckte sie mit den Schultern und machte ein geheimnisvolles Gesicht.
„Unglaublich“, staunte Luise und nahm einen Schluck von ihrem viel zu süßen Tee.
„Huch“, rief Diana in diesem Moment und zog ein Zwei-Pfund-Stück aus Luises Tasse.
Aber Luise hatte doch eben noch daraus getrunken? Und es wäre ihr aufgefallen, wenn Diana die Geldmünze heimlich hineingetan hätte.
Matilda fing an zu kichern.
„Was man so alles findet!“, rief sie aus.
„Ich schätze du kannst es behalten, Luise. Es war in deiner Tasse“, sagte Diana wie in Gedanken, während sie das tropfende Geldstück in die Luft hielt und betrachtete, als hätte sie noch nie eines gesehen.
Nachdem sie es Luise gegeben hatte, wischte diese es an ihrer Serviette ab, um sich zu vergewissern, dass es auch echt war.
Dann fiel Luise wieder ein, dass die Zeit drängte. Die Uhr zeigte bereits halb sechs.
„Es war sehr nett bei Ihnen, aber ich muss nun wirklich los“, erklärte sie höflich. „Meine Mutter wartet mit dem Abendessen.“
„Natürlich“, sagte Agata, „Wir begleiten dich zur Tür.“
„Möchtest du noch Kuchen mitnehmen?“, fragte Diana.
„Nein, danke“, murmelte Luise und folgte den drei Damen nach draußen.
Auf dem Gang kam ihr jedoch ein wichtiger Gedanke.
„Fast hätte ich’s vergessen“, sagte sie. „Das Silberputzmittel!“
„Ist schon in deiner Schultasche“, meinte Agata. Luise sah sie verdattert an.
„Ich muss noch zahlen, was kostet es?“
„Zwei Pfund fünfzig“, erwiderte Diana.
Luise kramte im Seitenfach ihrer Schultasche, wo sie normalerweise ihr Pausengeld aufbewahrte, aber da war nur noch ein Pfund. Was sollte sie denn jetzt machen?
Gerade, als Luise zu einer gelungenen Ausrede ansetzen und versprechen wollte, das Geld so bald wie möglich nachzubringen, fiel ihr wieder das Zwei-Pfund-Stück ein.
Sie packte es zu ihrem Pausengeld und zahlte damit.
„Was ist das gewesen, was ich heute gesehen habe?“, wollte Luise noch wissen.
Die drei Damen blickten sich verschwörerisch an.
„Magie“, hauchte Matilda verzückt. Diana wedelte mit ihren Fingerspitzen.
„Wir können ein bisschen zaubern“, sagte sie. Luise bekam große Augen.
„Ihr seid Hexen“, stellte sie fest. Diana nickte heftig.
„Und ihr verkauft Besen“, sagte Luise.
„Aber wir reiten nicht darauf“, gluckste Agata.
Sie wies mit dem Kopf auf die Staubsauger neben der Tür.
„Wir sind moderne Hexen.“