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Der Anschlag: Vom Terror zum Krieg

Um 8:55 Uhr, kurz bevor der Präsident ein Klassenzimmer in der Emma-E.-Booker-Grundschule in Sarasota in Florida betritt, informiert ihn sein engster Berater Karl Rove: »In New York ist eine zweistrahlige Propellermaschine in das World Trade Center gecrasht.« Bush hebt die Augenbrauen, schüttelt weiter Lehrern, Kindern und anwesenden Honoratioren die Hand: »Lasst uns mit dem Vorlesen anfangen.« Zehn Minuten später, um 9:05 Uhr flüstert White House Chief of Staff Andrew Card dem Präsidenten ins Ohr: »Ein zweites Flugzeug hat den zweiten Turm getroffen. Amerika wird angegriffen.« Auf Videoaufnahmen wirkt George W. Bush nun irritiert und angestrengt. Sein Instinkt sei gewesen, Ruhe und Festigkeit zu vermitteln, wird er später der 9/11-Kommission erläutern. Er macht noch fünf Minuten weiter. Dann erst bespricht er sich in einem Nebenzimmer mit seinem Stab. So viel ist inzwischen klar: Zwei Verkehrsflugzeuge wurden mit voller Absicht um 8:46 Uhr in den Nordturm und um 9:03 Uhr in den Südturm des World Trade Center (WTC) in New York gesteuert.

»Wir sind im Krieg – geben Sie mir den FBI-Direktor und den Vizepräsidenten«, so erinnert sich Rove an Bushs erste mündliche Reaktion. Der unverzügliche Rückflug nach Washington wird vorbereitet, während Bush mit Vizepräsident Dick Cheney in Washington konferiert. Noch in der Schule, Kinder und Lehrer hinter sich aufgereiht, spricht Bush von einer »offenkundig terroristischen Attacke«; um 9:35 Uhr verlässt er die Schule, gegen 9:45 Uhr erreicht seine Autokolonne den Flughafen von Sarasota. Währenddessen erfährt er vom Einschlag des dritten Flugzeugs ins Pentagon, um 9:37 Uhr. Die vierte Maschine, UA 93, rast um 10:03 Uhr in ein Feld bei Shanksville in Pennsylvania. Sie hat das Weiße Haus im Visier, wird aber von Passagieren zum Absturz gebracht. Die Präsidentenmaschine Air Force One befindet sich nun mit unklarem Ziel in der Luft. Eine Rückkehr nach Washington gilt als zu gefährlich. Nach Zwischenlandungen in Louisiana sowie auf dem Stützpunkt des US-Atomwaffenkommandos in Nebraska kehrt Bush gegen 19 Uhr ins Weiße Haus zurück. Um 20:30 Uhr hält er eine Ansprache an die Nation.

In New York spielen sich währenddessen apokalyptische Szenen ab. Die Welt starrt gebannt auf Lower Manhattan. Im Fernsehen kann die globale Zuschauergemeinde den Feuerball nach dem zweiten Einschlag klar erkennen; wie auch den dunklen Rauch, der zum Himmel steigt. Doch den in den Doppeltürmen eingeschlossenen Menschen fehlt der Überblick, wie der Journalist Garrett Graff in seiner Oral History des 11. September herausgearbeitet hat. Ein Mann, der sich im 105. Stock des Nordturms aufhält, ruft seine Mutter an: »Mach dir keine Sorgen […] Ich gehe jetzt ins Treppenhaus«. Elfhundert Menschen sitzen oberhalb der Einschlagstellen fest. Es wird heiß, sehr heiß; sie wählen verzweifelt 911; verstehen nicht, dass sie nicht befreit werden können: »Ich verglühe hier«, sagt eine Frau der Mitarbeiterin der Notrufnummer, dann wird es still. Weiter unten steigen im Gänsemarsch Hunderte die Treppen hinab, während sich die Feuerwehr in der Gegenrichtung entschlossen nach oben arbeitet. Einige, weit oben tödlichem Rauch und unerträglichen Temperaturen ausgesetzt, springen: allein, zu zweit, zum Teil sich an den Händen haltend in Gruppen. Dieser Anblick übertrifft jeden anderen Schrecken: »Man hörte ein Zischen und dann plötzlich ein platschendes Geräusch vom Aufprall.«

Feuerwehr und Rettungswagen lärmen heulend durch die Straßen, überall ist Polizei, auch in Washington, wo das Pentagon brennt und der Vizepräsident und die Nationale Sicherheitsberaterin unter dem Rasen des Weißen Hauses eingebunkert sind. Es kommt noch schlimmer: Dass das WTC einstürzen könnte, erwarten wenige. Noch nie sind derartig hohe Gebäude in sich zusammengefallen. Der Südturm, obwohl als Zweiter getroffen, kollabiert um 9:59 Uhr als Erster, der Nordturm folgt 29 Minuten später. Rasend geht es nach unten, orkanartige Winde schleudern Menschen und Trümmer durch die Stadt: »Da war diese gigantische Kanonenkugel aus Staub, die durch die Straßen auf mich zukam«, berichtet ein Überlebender. Um 11:02 Uhr ordnet Bürgermeister Rudy Giuliani die Evakuierung von Lower Manhattan an. Knapp 3000 Menschen sterben bei den Anschlägen, davon vermutlich 2606 am WTC, 125 im Pentagon und 265 in den vier Flugzeugen, inklusive der 19 Selbstmord-Attentäter. 343 der Toten sind zu Hilfe geeilte Feuerwehrleute, 71 Mitglieder der Polizei. Die Opfer gehören 90 Nationen an. Es ist der tödlichste Terroranschlag der Weltgeschichte.

11. September 2001. 100 Seiten

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